50 Jahre Welthandel sind für die weltweite Koordination Peoples' Global Action kein Grund zum Feiern. Statt dessen protestieren sie fleißig
Das "globalisierte Monster" geht um. Aber die im Februar dieses Jahres in Genf gegründete Peoples' Global Action (PGA) will ihm "eine weltweite Allianz von Volksbewegungen" entgegensetzen. Die "direkte demokratische Aktion stellt die einzige Möglichkeit dar, den Schäden des Kapitalismus ein Ende zu setzen", heißt es in dem achtseitigen Manifest der Koordination, an der sich hauptsächlich Organisationen aus der sogenannten Dritten Welt beteiligen.
Programmatisch bemängeln sie aber nicht nur die ökonomische Globalisierung. Die "Unterdrückung von Frauen als Arbeiterinnen, als Familienunterhalterinnen und als sexuelle Objekte" findet in dem Papier ebenso Erwähnung wie die "zunehmende Militarisierung" und der Migrationsaspekt: "Das neoliberale Regime propagiert die Bewegungsfreiheit für Kapital, während sie die der Menschen negiert."
Den fiesen Pacman - die "Beherrschung der Völker und der Natur durch das transnationale Kapital" - sehen sie in der Welthandelsorganisation (WTO) verkörpert. Daß diese am heutigen Mittwoch feierlich 50 Jahre Welthandelssystem begeht, gefällt ihnen überhaupt nicht. So verabschiedeten Basisorganisationen in Indien eine Deklaration, in der sie die WTO zum "brutalen Feind" ernannten, der "potentiell am Schweiß und Blut von zwei Dritteln der Weltbevölkerung saugt". Bereits am 1. Mai hatten sich daher im indischen Hyderabad mehrere hunderttausend Menschen versammelt, um den sofortigen Austritt des Landes aus der WTO zu fordern. Diese Konsequenz ist aber in der Protestbewegung keineswegs Konsens. Eine Reihe deutscher Organisationen will nämlich zunächst nur eine vorläufige Unterbrechung der WTO-Tätigkeiten, um sodann eine "geregelte Einbeziehung der NGOs in alle Verhandlungen" zu erwirken.
Unter den WTO-Gegnern finden sich allerdings nicht nur PGA-Aktivisten, die sich gegen die "Prinzipien der Konkurrenz und der Wettbewerbsfähigkeit" wenden und statt dessen "gegenseitige Solidarität im Rahmen von Würde, Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit" einfordern. So behauptet der rechtsextreme PHI-Auslandsdienst, die WTO gefährde "Volksgesundheit" und Umweltschutz und sei überhaupt "fast nur ein Werkzeug der USA". Was sich unter anderem an den Quotenregelungen für Bananen, dem elementaren Nahrungsmittel der Deutschen, zeige. Auch die Neue Zürcher Zeitung entdeckte in ihrer Montagsausgabe die Gefahren eines "ungezügelten Liberalismus" und stellte ˆ propos der Asienkrise überraschend fest, daß es dabei nicht nur Gewinner gebe.
Angesichts der seit Montag in Genf stattfindenden Ministerpräsidentenkonferenz der WTO-Mitgliedsstaaten läuft die PGA-Mobilisierung weltweit. Tanzenderweise größtenteils, in 21 Ländern wurde am vergangenen Sonnabend zu Global Street Parties eingeladen. Im britischen Birmingham beteiligten sich beispielsweise 40 000 Menschen daran, während in der Stadt die Spitzen der G 8-Staaten zusammentrafen. "Streicht die Schulden jetzt", so ihre Forderung. In Prag tanzten nur etwa 3 000 gegen die WTO an, aus der Party entwickelte sich allerdings eine Straßenschlacht mit der Polizei.
Am gleichen Tag formierte sich in Genf eine Demonstration zum Hauptsitz der WTO. Auf der Abschlußkundgebung richtete Patricia Teran Vega von der zapatistischen Front FZLN aus Mexiko an die Ministerpräsidenten den Vorwurf, "unsere Armut zu feiern". Im Anschluß an den Aufzug, deren Teilnehmerzahl die Polizei mit 2 000, die Veranstalter hingegen mit 10 000 bezifferten, kam es zu Krawallen. "Randalierer lassen Genf erzittern", titelte daraufhin die Sonntagszeitung Info Dimanche, und sprach von einem "Sachschäden in Höhe von mehreren hunderttausend Franken". Vor allem Banken und eine McDonald's-Filiale waren auf neue Scheiben angewiesen, einige WTO-Karossen angezündet. Die "Ordnungshüter" setzten Tränengas und Schlagstöcke ein.
Gar nicht erst nach Genf gelangten hingegen die Beteiligten der deutschen Fahrradkarawane "Geld oder Leben". Seit Ende April am Strampeln, wurden sie am vergangenen Donnerstag in der Nähe von Bern aufgehalten, allesamt verhaftet und ausgewiesen. Außerdem erhielten sie einen zweijährigen Landesverweis. Ebenso erging es vierzig Leuten aus Italien, die per Zug anreisten, ohne ein Ticket zu bezahlen, und gleich wieder die Heimreise antreten durften.
Die Genfer PGA-Zentrale zeigte sich in einer Pressemitteillung äußerst erfreut "über die Teilnahme von Tausenden Menschen aus Europa und anderen Teilen der Welt"; allerdings waren die größten Aktionen allesamt außereuropäisch: Seit Sonnabend laufen beispielsweise in insgesamt 23 Orten Indiens Aktionen gegen die Genfer WTO-Tagung, genaue Zahlen über die Beteiligung lagen bis Redaktionsschluß nicht vor. Nach Angaben der Friedensbewegung Azadi Bachao Andolan sollten der indischen Regierung außerdem zehn Millionen Unterschriften für den Austritt aus der Handelsorganisation präsentiert werden. Im Nachbarland Bangladesch organisierte eine Textilarbeitergewerkschaft in Zusammenarbeit mit Gruppen aus Nepal und Sri Lanka einen Demonstrationszug.
Ein weiterer Schwerpunkt der Kampagne lag in Brasilien, wo am 16. Mai rund 40 000 Obdachlose in die Hauptstadt Brasilia zogen. Dem unter anderem von der Landlosenbewegung Movimento Sem Terra und dem Gewerkschaftsdachverband veranstalteten Sternmarsch schlossen sich am 18. Mai zahlreiche Erwerbslose an. Sie protestierten gegen den Hunger von 40 Millionen Menschen in einem Land, das zugleich Lebensmittel exportiert. Am Rande der Demonstrationen wurden Supermarktketten und Lebensmittellager der Regierung geplündert. Für den heutigen Tag der WTO-Jubiläumsfeier sind brasilienweite Proteste geplant.
Und in den USA, dem vermeintlichen Herkunftsland des Handels-Pacmans, wurde der Montag zum landesweiten No-Trade-Day mit Blockaden von Zügen, Flugzeugen und Lastwagen erklärt. Im benachbarten Kanada, das eine gemeinsame Freihandelszone mit den USA bilden, wurde fleißig demonstriert und protestiert. Hier plant man auch schon über die Anti-Geburtstagsaktionen hinaus: In Montreal soll die OECD-Ministerkonferenz vom 25. bis 27. Mai blockiert werden.
A. S., Genf / D. H.