The WTO kills people - Kill the WTO

Impressionen von der 1. Konferenz der Globalen Aktion gegen "Frei-Handel" und Welthandelsorganisation.

In Genf, einer der geistigen Geburtsstätten des Kapitalismus - aber auch Zufluchtsort von Rosseau, Voltaire und Lenin - versammelten sich vom 18. bis 27. Februar über 350 Delegierte aus ca. 90 Ländern. Das Spektrum der Anwesenden war sehr breit gefächert. Angefangen von Basisgruppen aus dem Frauen-, Umwelt-, StudentInnen-, Kulturbereich, über BäuerInnen-, ArbeiterInnen und Indigena-Organisationen, Alternativmedien, Menschenrechtsgruppen, BesetzerInnenkollektiven bis hin zu linken Gewerkschaften waren soziale Bewegungen aus allen Kontinenten vertreten, um über dezentral durchgeführte, gemeinsam koordinierte und in der Weltöffentlichkeit verbreitete Aktionen gegen die Welthandelsorganisation WTO und allen übrigen internationalen Agenturen der neoliberalen Globalisierung über direkte Aktionen und zivilen Ungehorsam gegen die internationale Freihandelsdiktatur zu beratschlagen.

von zweien von YA BASTA

Uns erwartet ein "heißer" Konferenzfrühling, der unter der Ägide von WTO, Internationaler Währungsfonds / Weltbank, G-7, OECD, EU und anderen regionalen Integrations- und Freihandelsverträgen eine neue weltweite Deregulierungs- und Privatisierungsoffensive einleitet. Als Beispiele seien hier das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI), das Wirtschaftsabkommen zwischen EU und Mexiko und die Europäische Währungsunion genannt. Die 1. Konferenz von Peoples Global Action against "Free Trade" and WTO (PGA) hat deutlich gemacht, daß nur eine globale Allianz des Widerstands immer mehr Menschen ermutigen und mobilisieren kann, die alltägliche Praxis zu verändern, sich von den Marktgesetzen und von der Sucht nach privatem Profit zu befreien, damit wirksam gegen die Allgewalt der Transnationalen Konzerne und ihre HelferInnen in staatlichen Bürokratien sowie neuen und alten supranationalen Regulationsinstanzen vorgegangen werden kann.

"Die WTO, der IWF, die Weltbank und andere Institutionen, die die Globalisierung und Liberalisierung vorantreiben, wollen uns glauben machen, daß globale Konkurrenz segensreiche Auswirkungen für alle besitzt. Angesicht der breiten Palette von Forderungen, die in unseren vielfältigen Kämpfen erhoben werden, antworten sie auf eine immer gleiche Art und Weise: 'Fahrt fort, eure menschlichen Bedürfnisse den Bedürfnissen des globalen Marktes unterzuordnen.' Die Konkurrenz zwischen Ländern, Industriezweigen, Regionen und Städten spielt jedoch nur die Menschen gegeneinander aus. Wir haben genug gesehen von dieser inhumanen Philosophie. Wir sagen: 'Es reicht!' Wir sind es, die die Folgen erleiden müssen. Wir verweigern uns den Prinzipien der Konkurrenz und der Wettbewerbsfähigkeit als vermeintliche Lösungen für die Probleme der Menschheit. Statt dessen unterstützen wir die Prinzipien gegenseitiger Solidarität im Rahmen von Würde, Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit." So heißt es im Entwurf der politischen Selbstverständniserklärung, die von den 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus aller Welt über drei Tage hinweg entworfen und diskutiert wurde und die als offenes Dokument weltweit verteilt und dann unterzeichnet werden soll. Ziel ist der Aufbau eines wirksamen internationalen Koordinierungsnetzes auf Grundlage einer konfrontativen Strategie und mit dem entschiedenen Willen, neue autonome, demokratische und an lokalen Interessen der Menschen orientierte wirtschaftliche und soziale Alternativen zu gestalten. Damit die zerstörerische Logik kapitalistischer Durchdringung, Ausbeutung, Enteignung und die dadurch verursachten unsäglichen Leiden beendet werden. "Wir sind uns der Verpflichtung und der Notwendigkeit bewußt, eine neue Welt zu schaffen", heißt es im letzten Abschnitt des Manifests. In den vielen geographischen und thematischen Diskussions- und Arbeitsgruppen sowie in vielen informellen Gesprächen wurden sich wohl die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer des äußerst gelungenen Treffens bewußt, wie "produktiv" und hilfreich es sein kann, wirklich voneinander zu lernen, sich zuzuhören und ganz neue Erkenntnisse bzw. Blickfelder zu gewinnen. Wie? Durch gemeinsame Reflexion, die gemeinsame Aktion und das gemeinsame Feiern und Zusammensein. Nichts symbolisiert besser die "Produktivität" dieses Dreiklangs als die bewegende, kämpferische, bunte und rhythmenreiche Demonstration am 25. Februar, die ohne Polizeibegleitung für Stunden den Verkehr in Genf lähmte und so ausdrucksstark den politischen Willen der PGA-Konferenz hinausposaunte. Die Bereitschaftpolitizei war dann am WTO-Gebäude um so mehr präsent. Dort ging sie gewaltsam gegen einige DemoteilnehmerInnen vor, damit diese nicht der WTO eine Resolution überbringen konnten. Dennoch stiegen die Leute über die Absperrungen, kletterten unbemerkt auf die 3 Meter hohen Steinsäulen der Eingangstore und entfalteten dort unter den Blicken der hilflos umherlaufenden Polizei sowie dem Beifall der Demonstration ein Transparent der osteuropäischen Delegationen. Die emotionsgeladenen Reden der abschließenden Kundgebung rundeten diesen stimmungsvollen Tag ab. Welche mit dabei waren, denen wurde klar, daß all diese Menschen nicht mehr aufzuhalten sind und nicht eher aufhören zu kämpfen, als Unrechtssysteme wie z.B. die WTO ausgetilgt sind.

Widerstand weltweit

"The WTO kills people - kill the WTO!" schrien alle so energisch, daß es an den Fenstern der Globalisierungs-StrategInnen zurückschallte. Mit dem gleichen Slogan kündigten Delegierte der "National Alliance of Peoples Movements for Just and Sustainable Development" (Indien) an, daß sich am 18. Mai, dem Tag des Beginns der 2. Ministererialkonferenz der WTO in Genf, über eine Million Menschen aus Protest gegen Vertreibung, soziale und ökologische Zerstörung, Ausbeutung und Repression auf den Straßen Indiens zusammenfinden werden. Für den gleichen Tag kündigt das Weltforum der Ernte- und FischarbeiterInnen Aktionen in 35 Ländern an. Gleichzeitig werden die TextilarbeiterInnen Bangladeschs an diesem Tag in einen landesweiten Streik treten, um gegen die WTO zu demonstrieren. Das offizielle WTO-Treffen, das eine neue Runde von Verhandlungen und weit über die Uruguay-Runde hinausgehende Handelsliberalisierungen einleiten soll, wird nicht in Ruhe gelassen werden. Es sind die vielfältigen Aktionen am Konferenzort selbst, die von einem breiten städtischen Bündnis getragen werden. Zum Beispiel wird zu den 60 derzeit besetzten Häusern in Genf am 18. Mai noch eins dazukommen, denn mit internationaler Beteiligung soll ein Haus besetzt werden, daß dann u.a. als Koordinierungbüro für die PGA dienen soll. Es wird alles versucht, um es den WTO-Delegierten so schwierig wie möglich zu machen, sich fortzubewegen bzw. miteinander zu kommunizieren. Schwerpunkt bleibt dennoch die dezentral auf dem Globus stattfindenen Aktionen. Ein auf dieser PGA-Konferenz bestimmtes Presseteam wird den internationalen Medienvertretern ein exaktes Bild aller weltweit stattfindenden Protest- und Widerstandsaktionen vermitteln. Die Genfer Konferenz von PGA, die von einer Reihe von Roundtable-Gesprächen und Koordinationstreffen begleitet wurde, stand im Zeichen der kontinentübergreifenden Verknüpfungen. So wollen VertreterInnen aus der Ukraine vom 8. bis 11. Mai in Kiew gegen die Jahrestagung der "Europäischen Bank für Entwicklungs- und Wiederaufbau" (EPRD) vorgehen und suchen dazu mit ihnen solidarische Menschen und Gruppen, die gleichzeitig vor der Bankzentrale in London sowie in den anderen europäischen Vertretungen Präsenz zeigen. Koordiniert wurde auch eine internationale Kampagne gegen das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) sowie gegen die Ölmultis. Ein Vertreter der argentinischen Erziehungsgewerkschaft CETERA rief dazu auf, am 2. April, dem Jahrestag des Beginns eines rotierenden Hungerstreiks der argentinischen Lehrerinnen und Lehrer gegen die von der Weltbank auferlegten Budgetkürzungen und Privatisierungen im Erziehungssektor des Landes, Zeichen der Solidarität zu setzen. Weltweit mobilisiert die BäuerInnen-Koordination "Via Campesina" am 17. April zu Aktionen für Ernähungssicherung, die Rechte der KleinbäuerInnen und genetische Vielfalt sowie gegen "Freihandel" und Agrarmultis. Die 70 VertreterInnen aus Süd- und Mittelamerika beschlossen die gemeinsame Mobilisierung gegen den amerikanischen Freihandelsgipfel vom 15. bis 18. April in Santiago de Chile. Die TeilnehmerInnen aus dem afrikanischen Kontinent - eine ganze Reihe von VertreterInnen konnten wegen Visaproblemen nicht anwesend sein - betonten die Forderung nach einer Balance zwischen technischer Entwicklung und kultureller Identität sowie einer endgültigen Abschaffung des Jochs der Auslandsverschuldung und viele Organisationen haben ihre Unterstützung bei der Entschuldungskampagne "Erlaßjahr 2000" zugesichert.

Was passiert in Europa?

Globalisierung hat Namen und Adressen. Diese gilt es aufzudecken und öffentlich zu machen. Das von EurobürokratInnen, Nationalbanken und industriellen Lobbygruppen geschmiedete EU-Projekt ist das Projekt der Globalisierung für Europa. Der Vorschlag der spanischen "Anti-Maastricht-Bewegung", sich am 1. Mai dezentral in alle Demos zum "Tag der Arbeit" einzumischen, um die am selben Tag im Wirtschafts- und Sozialrat der EU (ECOFIN) hinter verschlossenen Türen und im kleinen Kreis der Elite stattfindende Entscheidung über die Zugehörigkeit zum Euro zu denunzieren, ist als gesamteuropäische Aktionsperspektive ebenso interessant wie der EU-Alternativgipfel vom 9. bis 12. Juni in Cardiff. Die Idee ist, europaweit - nach französischem Vorbild - simultan an mehreren Orten Arbeitsämter, Handelsministerien, Börsen und Medienzentren zu besetzen bzw. zu blockieren. Mitglieder französischer Arbeitloseninitiativen fahren am 5. März ohne Ticket mit dem Zug in Richtung Deutschland los, um mit den Leuten dort gemeinsam gegen die Arbeitslosigkeit zu protestieren und um zusammen als gemeinsames Zeichen der Solidarität an den großen Sozialdemos in Brüssel sowie in Paris, Rennes und in anderen Französischen Städten am 7. März teilzunehmen. Eine Fahrradkarawane mit internationaler Beteiligung will vom 2. bis zum 16. Mai die Strecke von der zukünftigen "Eurobankstadt" Frankfurt zum WTO-Sitz in Genf zurücklegen, um die Verknüpfung von EU-Projekt und weltweiter Deregulierung deutlich zu machen. Es existiert ein Aktionskalender der internationalen "A SEED-Gruppen", der die verschiedenen Kampagnen gegen die EU-Konferenzriege in diesem Frühjahr und deren politischen Inhalte unter dem Titel "Hot Spring" zusammenfaßt und bündelt. Es geht darum, scheinbar "normale" Arbeitsprozesse zu stören und sie in Frage zu stellen: ISDN-Leitungen von Zeitungen unterbrechen oder Großmärkte blockieren. Am 16. Mai werden weltweit in mehreren Städten "Global Street Partys" nach dem Vorbild von "Reclame the Streets" in London stattfinden, um gegen den Autowahn, die zunehmende Umweltzerstörung und für die Rückgewinnung sozialer Räume einzutreten sowie gleichzeitig die Anti-WTO-Kampagne zu thematisieren.

Politische Einschätzung

Die Aktionskonferenz war ein wichtiger Schritt, aber trotzdem nur der Anfang von einer länder- und regionenübergreifenden Koordinierung des Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung. In den regionalen Koordinationstreffen Lateinamerikas sowie der USA bzw. Kanadas wurden regionale Folgekonferenzen der Peoples Global Action (PGA) beschlossen. Dringend ist auch die Absicht, die eigenen politischen Inhalte in eine Sprache zu bringen, die auch den Selbstorganisationsansätzen der Marginalisierten und Ausgeschlossenen der Überflußgesellschaften zugänglich ist. Hilfreich dazu wird das PGA-Bulletin sein, das jeden Monat neu über die Widerstände weltweit informieren soll und regional in den jeweiligen Sprachen verbreitet wird. Erstellt wird es von einem Komitee, daß aus Organisationen aller Kontinente besteht und auf der Konferenz in Genf gewählt wurde. Dieses Komitee wird die wichtige Aufgabe haben, das Netzwerk von Peoples Global Action bis zur nächsten Konferenz zu koordinieren, die Informationsarbeit abzudecken und die nächste Konferenz vorzubereiten. Das emotionsgeladene Treffen in Genf zeigte ganz klar: es ist etwas in Bewegung. Die Menschen, die sich dort versammelten, verfolgen eine konfrontative Strategie, keine "reformistische". Das bedeutet eine frontale Haltung gegen die internationalen Institutionen und Transnationalen Konzerne einzunehmen und nicht mit üblicher "NGO-Strategie" Papierberge und Laberrunden zu produzieren. Ziviler Ungehorsam und lokale Alternativen stehen deshalb stellvertretend für den Grundkonsens der PGA. Zum ersten Mal hat sich ein "formeller" Rahmen gebildet für eine weltweite Koordination, um sich gemeinsam gegen die unmenschlichen Machtverhältnisse zur Wehr zu setzen. Entstanden aus dem Zusammenhang mit den beiden interkontinentalen Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus - die durch die EZLN vorgeschlagen wurden - heißt das, einen gemeinsamen Feind durch viele diverse Kämpfe zu attackieren und einen gegenseitigen, gleichberechtigten Austausch als Grundlage zu haben. Die erste Konferenz von PGA war dafür eine gelungene Aktion, trotz einiger Schwächen. Jetzt kommt es darauf an, wirklich zusammenzuwirken. Oder wie ein Delegierter aus Indien auf die Frage eines Journalisten antwortete, ob es weiterhin solche Treffen geben werde: "Wir werden solange weitermachen, bis die WTO tot ist." Dieses Zitat nahm die linke Tageszeitung "Le Courrier" (Genf) auf, die täglich und schon Monate vorher über PGA berichtete, um das Resultat der Konferenz zu formulieren und es soll auch für uns der treffende Abschluß sein.

aus: TATblatt Nr. +94 (6/98) vom 26. März 1998
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