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Peoples' Global Action: Modell für internationalistische Zusammenarbeit? (Oktober 1998)
Von MAIA G. Berlin
c/o Internationalismus Referat, Unter den Linden 6, 10099 Berlin
Tel. 030 2093 2603 Fax. 030 2093 2396 email: (die Autorin kann über das PGA-Sekretariat (agpweb [AT] lists.riseup.net) erreicht werden)
Auf dem 1. Intergalaktischen Treffen für eine menschliche Gesellschaft und gegen Neoliberalismus, das auf Einladung der mexikanischen Aufstandsbewegung EZLN im August 1996 in Chiapas stattfand, wurde die Idee der ZapatistInnen aufgegriffen, neue Organisationsformen zu schaffen. Es könne nicht mehr darum gehen, die Welt durch die Machtübernahme einer linken Avantgarde zu verändern, sondern es müsse eine Veränderung der politischen Kultur schlechthin durch eine basis- und konsens-orientierte demokratische Erneuerung und die Einbeziehung der "Zivilgesellschaft" in die Entscheidungsfindungsprozesse stattfinden. Die Idee der globalen Vernetzung, einer neuen Organisationsstruktur, die Schaffung rot-schwarzer Hängematten, wurde zur Zauberformel in der zapatistischen Solidaritätsbewegung.
Vernetzung, und dann auch noch global, ist eine komplizierte Sache, geht es dabei doch nicht um einen administrativen Akt, sondern um menschliche Begegnung einerseits und den Austausch politischer Ideen andererseits. Besonders letzteres ist eine Sache, die ein enormes Maß an Toleranz und Geduld erfordert. Verschiedene Formen von Widerstand, Begriffe wie beispielsweise "Gewaltfreiheit", "Zivilgesellschaft", "Neoliberalismus" oder "liberación national" (nationale Befreiung) müssen kritisch diskutiert werden, weil oder obwohl sie in anderen Kontinenten mit einer anderen Geschichte und anders gelagerten Herrschaftsverhältnissen eine andere Bedeutung haben können. Es gehört zu den Widrigkeiten internationalistischer Arbeit, daß sich deutsche, europäische bzw. okzidentale historische Erfahrungen, Verhältnisse und Diskussionsstränge nicht ohne weiteres auf andere kulturelle Zusammenhänge übertragen lassen.
Die Idee der Vernetzung wurde auf dem 2. Intergalaktischen Treffen 1997 in Spanien weitergesponnen: Im Anschluß an das offizielle Treffen beschlossen einige Menschen, die Idee eines Bündnis gegen "Frei"-handel und die Welthandelsorganisation (WTO) zu lancieren. Dies konkretisierte sich im Februar 1998 in Genf, wo "Peoples' Global Action" (PGA) ***im Anschluß an eine Tagung der WTO*** [drei Monate vor der Ministerkonferenz der WTO; Anm. Webgruppe] gegründet wurde. PGA steht für die Idee, ein Koordinationsbündnis oder Zusammenschluß von Bewegungen, Basisgruppen und Initiativen zu sein. Dazu gehörten bisher beispielsweise die brasilianische Landlosenbewegung MST, der zivile Arm der ZapatistInnen, die FZLN, die nigerianische Ogoni-Bewegung MOSOP, und viele andere. PGA ist jedoch keine Organisation, sondern eine Aktionsplattform. Daher hat es theoretisch keine Mitgliedschaft und wird weder von Einzelpersonen, noch von Organisationen repräsentiert. Es ist das gleiche Prinzip wie bei einer "Reclaim-the-Streets-Party", wo alle - und damit keiner - für die Party gleichermaßen verantwortlich sind.
PGA ist ein Instrument der Informationsvermittlung, Koordination von Aktivitäten und gegenseitigen Unterstützung auf globaler Ebene. Ziel ist es, eine größtmögliche Anzahl von Menschen und Organisationen zu aktivem Handeln gegen "Frei"-handel zu bewegen. Die einzige feste Struktur ist das Einberufungskomitee, das anstehende Entscheidungen trifft, die jeweils nächste PGA-Konferenz organisiert (die jeweils ***parallel zu*** [einige Monate vor, Anm. Webgruppe] WTO-Ministerkonferenzen stattfindet), ein PGA-Bulletin zusammenstellt und auf jeder Konferenz neu gewählt wird.
Weitere Informationen über PGA gibts unter http://www.agp.org oder über info@agp.org
Gruppen, die sich für PGA interessieren, sollten sich mit dem auf der Gründungskonferenz entstandenen Manifest (s. u.) und den 4 Grundsätzen auseinandersetzen:
"Wenn du nur kommst, um mir zu helfen, dann kannst du wieder nach Hause gehen. Wenn du aber meinen Kampf als Teil deines Überlebenskampf betrachtest, dann können wir vielleicht zusammen arbeiten."
-- Eine australische Ureinwohnerin
Wer nach diesem Eingangszitat des Manifests eine Analyse mit Handlungsperspektiven erhofft hat, wird enttäuscht: Das PGA-Manifest ist eher eine Beschreibung dessen, was heutzutage "neoliberale Politik" geschimpft wird, und deren Folgen.
In anklagendem Ton werden die Schuldigen für die soziale und ökologische Krise, Elend, Hunger, Kriege und Unterdrückung benannt: "Kurz gesagt: Die Verantwortung für wachsende Ausbeutung liegt einzig und allein bei den Kapitalisten, und nicht bei den Menschen." Diese Polarisierung von "wir/Menschen/ArbeiterInnen/Frauen/..." als "Opfer" und "den Kapitalisten" als "Täter" zieht sich durch das gesamte Manifest und läßt die zwischen "schwarz" und "weiß" existierenden Grautöne außer acht: die mehr oder weniger starke Involviertheit jedes einzelnen in existierende Hierarchien, Machtverhältnisse, und in den Markt. Der Integrationskraft des kapitalistischen Systems mit seinen trügerischen Mitspracherechten, Agenda 21's, Nichtregierungsorganisationen etc. scheinen sich die Verfasser des Manifests zwar im Bezug auf ihre Aktionen bewußt zu sein (s. die 4 Prinzipien), das Manifest erfaßt aber mit seinen schablonenhaften Begriffen die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Verhältnisse nicht.
Obwohl auch kurze Kapitel über Geschlechterverhältnisse, indigene Völker, Natur und Landwirtschaft, Kultur, Wissen, Technologie, Bildung, Militarisierung, Migration u. a. enthalten sind, zieht sich ein roter Faden als Erklärungsansatz durch das 14-seitige Manifest: die Ökonomie. "Das Kapital" habe mit Instrumenten wie der Welthandelsorganisation WTO, dem Internationalen Währungsfond und der Weltbank "die Menschen in ein gigantisches System ein(gefügt), das allein auf Profit und Kontrolle über Mensch und Natur abzielt." Jüngstes und wichtigstes Schlüsselsystem seien die Handelsabkommen (NAFTA; MAI, etc...), die "die Macht und das legitime souveräne Recht der Menschen, ihre eigene Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik zu machen, gänzlich abschaffen." Das Kapital agiert mit Hilfe von Lobbygruppen, "die den Regierungen in Form von Empfehlungen Anweisungen geben, welche die Regierungen wiederum befolgen." Dabei bleibt die Rolle der Staaten als Garanten kapitalfreundlicher Rahmenbedingungen gänzlich unterbelichtet. Die integrierenden, mobilisierenden und bisweilen repressiven Funktionen, die Staaten erfüllen, werden teilweise benannt, letztlich werden sie jedoch zu Marionetten des Kapitals reduziert. Das Manifest grenzt sich verbal explizit von neoliberaler Politik, die durch Freihandel Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen will, ebenso ab wie von Faschisten und Nationalisten, die durch Protektionismus die heimatliche Scholle stärken wollen. Es betont zu Recht immer wieder das ungerechte Nord-Süd-Gefälle. Was dabei jedoch ausgespart wird, ist eine Position zum keynesianischen Sozialstaat: Wäre ein international zivilisierter Kapitalismus mit sozialverträglich abgefederter Ausbeutung nicht akzeptabel? Die LeserIn bleibt etwas verwirrt ob der Hauptstoßrichtung des Manifests, wenn am Ende des ersten Teils den internationalen Finanzinstitutionen die Verletzung grundlegender, international, national verankerter Menschenrechte vorgeworfen wird, so als wären diese papierenen Standards, so wichtig und verteidigungswert sie natürlich sind, ein erstrebenswerter Zustand. Der Grundtenor des Manifests ist der einer Graswurzelbewegung, die dafür eintritt, "auf gemeinschaftlichen Prinzipien basierende und autarke Ökonomien zu entwickeln und (...) eine Gesellschaft zu schaffen, die auf menschlichen Werten basiert". Problematisch ist jedoch die Diffusität der Argumentation, die sich durch ihre unklare Einschätzung der Nationalstaaten eben nur verbal, nicht durch Argumente, abgrenzt bzw. positioniert.
Ein anderer Kritikpunkt ist die Frage, wie die verschiedenen Widersprüchlichkeiten einer kapitalistischen Gesellschaft in Verbindung zueinander stehen. So wichtig die Ökonomie als gesellschaftliches Subsystem auch ist, so kann sie doch nicht als alleinige Erklärung dienen. Das Manifest scheint jedoch beispielsweise geschlechtsspezifische Unterdrückung einzig aus der Ausbeutung von Frauen als Arbeitskräften und, am Rande hinzugefügt, Sexsymbolen erklären zu wollen: "Die Beseitigung des Patriarchats sowie aller anderen Arten von geschlechtsspezifischer Unterdrückung setzt eine eindeutige Haltung gegen den Weltmarkt voraus." Ein solcher monokausaler Ansatz stößt jedoch spätestens bei Themen wie Gewalt gegen Frauen oder dem Diskurs über Geschlecht (Sex & Gender) an seine Grenzen. Anstatt die Verknüpftheit der verschiedenen Kämpfe aufzuzeigen, werden im Manifest "Nebenwidersprüche" zur Illustration des "Hauptwiderspruchs" herangezogen.
Die nächste PGA-Konferenz, bei der das Manifest diskutiert bzw. verbessert werden soll, findet nächsten Frühjahr in Bangalore, Indien, statt.
Fragen zum Manifest an agpweb (AT) lists.riseup.net.
Am 18. Mai diesen Jahres erlebte Genf eine bürgernahe Geburtstagsfeier der Welthandelsorganisation (WTO). Ca. 8000 (!) Menschen waren [zwei Tage zuvor; Anm. Webgruppe] der PGA-Einladung gefolgt und zeigten emotionale Betroffenheit: Im Anschluß an eine Demonstration zum Hauptsitz der WTO kam es zu Ausschreitungen mit Sachschäden in Höhe von mehreren Hunderttausend Franken. Zeitgleich fanden in 21 Ländern Global Street Parties statt. Besonders stark ist die Anti-WTO-Bewegung in Indien, wo in Hyderabad ca. hunderttausend Menschen auf die Straße gingen. In beeindruckenden Bildern hat dies der Dokumentarfilm ***eines französischen Privatsenders*** [des französischsprachigen staatlichen Schweizer Fernsehens, der zwei Monate später über die Wiederausstrahlung durch einen französischen Privatsender weltweite Verbreitung fand, [Anm. Webgruppe] festgehalten, der hoffentlich bald im Krähenfuß zu sehen sein wird.
Durch den WTO-Geburtstag ist PGA endgültig ins Auge der Staatsschützer geraten: Als eine PGA-nahe Organisation im August diesen Jahres in Genf ein Seminar zum Thema "Globalisierung und Widerstand" veranstaltete, wurden sämtliche TeilnehmerInnen von der Polizei ***erkennungsdienstlich behandelt*** [zwecks Identitätsüberprüfung auf den Posten mitgenommen; Anm. Webgruppe], Computer, Disketten und private Aufzeichnungen beschlagnahmt. Dem folgten zahlreiche Hausdurchsuchungen ***in der Genfer Besetzer-Szene*** [bei Genfer AktivistInnen; Anm. Webgruppe].
Vielleicht ist es erstmal wichtig, die Grenzen des PGA-Projektes zu erkennen: es ist kein Ersatzinstrument für die Auseinandersetzungen (Kämpfe) vor Ort, sondern lediglich eine Koordinationsplattform. Es muß also zuerst etwas zum Koordinieren und Vernetzen da sein, wenn PGA mehr werden soll als eine Projektionsfläche oder eine Fluchtbewegung. Wenn die Organisierung auf lokaler Ebene vorhanden ist, kann es sinnvoll sein, auf internationaler Ebene Erfahrungen auszutauschen, die eigenen Positionen zu prüfen, über den nationalen/europäischen Tellerrand zu schauen und Bündnispartner zu suchen. Dies ist die Chance, die PGA bietet.
Sowohl das Manifest als theoretischer Unterbau als auch der aktionistische Teil von PGA bedürfen aber weiterer Diskussion, Absprache und Verbesserung. Das Manifest müßte in seiner politischen Stoßrichtung präzisiert werden, ohne hier für eine Universallinie plädieren zu wollen, die es auf internationaler Ebene sowieso nicht gibt. Noch bleibt zu hoffen, daß sich aus dem gegenseitigen Kennenlernen in dem noch jungen Bündnis noch einiges ergeben wird. Es gibt für die beteiligten AktivistInnen also viel zu tun bis Bangalore. Ihr Erfolg wird auch davon abhängen, wieviele Leute sich an der Diskussion um PGA beteiligen werden und genug Kraft und Phantasie mitbringen, um sich auf das Experiment einzulassen.
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