HAMID KARZAI Eine Anmerkung zum beliebtesten Maskottchen der Besatzungstruppen, das vorgibt, Präsident zu sein
Die internationale Staatenfamilie, die sich jahrzehntelang an steigende Mitgliederzahlen gewöhnt hatte, sieht sich einem Phänomen gegenüber. "Gescheiterte Staaten" werden aus ihrem Kreis relegiert, Souveränität und Selbstbestimmung durch Besatzung und Fremdbestimmung ersetzt. Der Irak durchläuft gerade die Metamorphose vom Staat zum Protektorat. Afghanistan genießt den neuen Kolonialstatus bereits seit mehr als anderthalb Jahren, ohne dass innere Befriedung in Sicht wäre. Fortschritte gibt es dort vor allem bei der Zahl der Besatzer - die imperiale Vormacht will mehr NATO am Hindukusch.
Vor dem Irak war Afghanistan die auserwählte Landkarte für die Bombardierung, beliebtestes Ziel der Geographie des Bösen im neuen Millennium. Dank des schnellen Sieges der Invasoren gibt es jetzt Freiheit. Freiheit für die Drogenhändler. Afghanistan ist nach übereinstimmenden Aussagen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen zum weltweit größten Lieferanten von Opium und Heroin geworden. Nach deren Schätzungen hat die Drogenproduktion 2002 um das Achtzehnfache zugenommen, von 185 auf 3.400 Tonnen und erreichte einen Wert von etwa 1,2 Milliarden US-Dollar. Sogar Tony Blair musste jüngst anerkennen, dass 90 Prozent des in Großbritannien konsumierten Heroins aus Afghanistan stammen. Die Regierung von Hamid Karzai, die lediglich Kabul unter ihrer Kontrolle weiß, hat darauf jedoch keinerlei Einfluss.
Zehn von den sechzehn Ministern im Amt besitzen US-Reisepässe. Karzai selbst, ehemaliger Funktionär des US-Erdölkonzerns Unocal, lebt umgeben von Pentagon-Soldaten - sie diktieren ihm die Befehle, bewachen seine Schritte und seinen Schlaf. Die Invasoren wollten zwei Monate bleiben, so hatte es Karzai angekündigt. Aber sie sind noch immer da. Denn die unbestechlichen Kämpfer gegen Drogen in der Welt haben sich in Afghanistan niedergelassen, um freie Pflanzungen, freie Grenzen und freien Handel zu garantieren.
Über den Wiederaufbau des niedergewalzten Landes spricht niemand mehr. Ahmed Karzai, Bruder des virtuellen Präsidenten und wichtige Person in der Regierung, hat kürzlich geklagt: "Was haben sie uns gegeben? Nichts. Die Bevölkerung ist müde und ich weiß nicht, was ich den Leuten sagen soll ..."
Aus: Freitag 27
27.06.2003
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