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Raul Zelik

Mit den Mitteln der Feindschaft

AUSNAHMEZUSTANDDie Entregelung staatlicher Gewalt in Verbindung mit den immer perfekteren Kontrolltechnologien könnte in einem autoritären Alptraum münden. Eine Warnung

Als Giorgio Agamben 2003 schrieb, dass sich der Ausnahmezustand mit dem War on Terror in "das herrschende Paradigma des Regierens" verwandele, wurde er von Kritikern belächelt. Von einer "Unbestimmtheit zwischen Demokratie und Absolutismus", wie sie der italienische Philosoph auszumachen glaubte, sei die westliche Gesellschaft noch Lichtjahre entfernt.

Mittlerweile lässt sich kaum noch leugnen, dass die staatliche Gewalt in den vergangenen Jahren systematisch enthegt worden ist. Die US-Regierung hat in Guantánamo und an anderen, geheimen Orten Räume des Ausnahmezustands errichtet, in denen - zumindest bislang - weder nationales Recht noch internationale Kriegskonventionen gelten. Folter ist von führenden Repräsentanten der USA als "robuste Verhörmethode" verharmlost und damit legitimiert worden. Ein Tabubruch, der vom "Folterverbot", den das Weiße Haus vor wenigen Wochen verkündete, nicht rückgängig gemacht wird. Gleichzeitig wird die Kriegführung immer stärker an so genannte "Private Militärdienstleister" (PMC´s) outgesourcet und damit der öffentlichen Kritik systematisch entzogen. Im Irak stellen die PMC´s mit mehreren zehntausend Mann mittlerweile das zweitgrößte Besatzungskontingent nach der US-Armee.

Auch in Deutschland sind vergleichbare Tendenzen zu beobachten. Landeskriminalämter und Geheimdienste haben bei der Verschleppung von Menschen in US-Geheimgefängnisse, also an Orte der Anomie, der staatlich etablierten Gesetzlosigkeit, kooperiert. Die Bundesregierung legt immer neue Gesetzesvorhaben auf, mit deren Hilfe die Kontroll- und Überwachungsvollmachten der Ermittlungsbehörden ausgeweitet werden. Und schließlich hat der deutsche Innenminister vor wenigen Wochen auch noch die gezielte Tötung von Terrorverdächtigen ins Gespräch gebracht. Er sprach sich damit nicht nur für die faktische Wiedereinführung der Todesstrafe, sondern auch für eine Aufhebung der Gewaltenteilung aus. Denn darüber, wer ein Terrorist ist, würden im Ernstfall das GSG-9-Kommando und seine Vorgesetzten entscheiden. Schäuble ist bei diesem Vorhaben zwar auf Widerstand gestoßen, doch er ist weiterhin Innenminister.

Die Tendenz ist also eindeutig: Wir haben es mit einer Ausweitung von staatlicher und teilweise auch parastaatlicher Gewalt zu tun, die sich in Verbindung mit den heute zur Verfügung stehenden Kontrolltechnologien in einen autoritären Alptraum zu verwandeln droht.

Giorgio Agamben hat sich in diesem Zusammenhang ausführlich mit Carl Schmitt auseinander gesetzt. Tatsächlich kann man den autoritären Staatstheoretiker und NS-Kronjuristen Schmitt als unsichtbaren Stichwortgeber für das sich entfaltende globale Sicherheitsregime bezeichnen.

Schmitt verknüpfte bereits in seiner Frühschrift, der Politischen Theologie von 1922, Staatsmacht und Ausnahmezustand paradigmatisch miteinander. Souverän sei, wer den Ausnahmezustand verhänge, behauptete Schmitt und postulierte damit - ähnlich wie Walter Benjamin -, dass sich jede Rechtsordnung aus erfolgreicher Gewaltausübung herleiten lasse. Im Widerspruch zu Benjamin hielt Schmitt dies jedoch nicht für ein Kainsmal staatlicher Macht. Ihm diente diese Beziehung vielmehr als Grundlage, um die Willkür ins Recht zurückzuholen. Mit durchschaubaren Absichten: Wenn jede staatliche Ordnung auf den Ausnahmezustand, das heißt die Ausübung von Gewalt, zurückgeführt werden kann, dann ist das Regieren mit willkürlicher Gewalt auch legitim.

Der Ausnahmezustand ist nicht der einzige Schmittsche Begriff, der sich heute politisch zu manifestieren scheint. 1933 legte Schmitt in Der Begriff des Politischen sein Konzept einer Freund-Feind-Unterscheidung vor, mit deren Hilfe radikal zwischen dem Eigenen und dem Anderen differenziert und somit eine Unversöhnlichkeit nach außen hergestellt werden kann, die nach innen für Kohärenz sorgt. Im Antiterrorkrieg ist zwar nicht mehr wie in den Zeiten Schmitts von "der Volksgemeinschaft" die Rede. Im Gegenteil betont der hegemoniale herrschaftliche Diskurs heute, dass es sich beim Terrorismus um eine Menschheitsgeißel handelt, also die gesamte Weltbevölkerung sich in einem "gerechten Krieg" gegen das Andere befindet. Doch ansonsten folgt das globale Ordnungsprinzip einer durchaus vergleichbaren Logik. Dem Kalten Krieg zwischen den Blöcken waren Instanzen der Vermittlung eingeschrieben, im War on Terror ist nur noch von unversöhnlicher Feindschaft die Rede.

Das Fatale daran ist nicht, dass man sich jedem Kompromiss mit dem islamischen Fundamentalismus verweigern würde - daran gäbe es wahrlich nichts auszusetzen. Fatal ist die Wirkung nach innen. Das radikalisiert dichotomische Denken zieht einen spezifischen Begriff von Gesetz nach sich. So plädieren prominente Rechtswissenschaftler wie der Bonner Jurist Günther Jakobs heute dafür, die Gegner der Ordnung nicht mit Mitteln des Rechts, sondern mit Mitteln der Feindschaft zu bekämpfen. Der Staat soll sozusagen autorisiert werden, gegen Personen und Personengruppen den selektiven Ausnahmezustand zu verhängen. Rechtssubjekte mutieren zu nacktem Leben - eine Figur, die Giorgio Agamben mit dem römischen Begriff des "Homo Sacer" zu fassen versuchte. Ein Leben, das sich im Besitz der Götter befindet und straflos getötet werden kann.

Schließlich ist der unsichtbare Carl Schmitt, der nur selten als Inspirationsquelle genannt wird, auch als außenpolitischer Stichwortgeber präsent. Im Auswärtigen Amt sowie im Verteidigungsministerium wird neuerdings viel über die "asymmetrische Bedrohung" des Westens durch nicht-staatliche Akteure (Terroristen, Guerillas, Banden etcetera) gesprochen. Über eben jenes Thema hatte Schmitt auf Einladung des frankistischen Instituto de Estudios Políticos bereits 1962 in Spanien referiert. Der kommunistische Aufständische, so Schmitt in seiner Theorie des Partisanen, mache eine Irregularisierung der staatlichen Kriegführung notwendig. Napoleons Diktum, dass man Partisanen nur mit Partisanenmethoden bekämpfe könne, gewinne neue Aktualität.

In der aktuellen Debatte über "asymmetrische Konflikte" wird so getan, als müsse die westliche Staatengemeinschaft die Anwendung irregulärer, entregelter Kampfformen erst noch erlernen. Tatsächlich jedoch hat sie auf die Herausforderung des Partisanen, Guerillero oder Terroristen schon vor Jahrzehnten Antworten entwickelt. Es ist ja keineswegs nur der "internationale Terrorismus", wie es heute nebulös heißt, der Zivilisten systematisch in Kriegsziele verwandelt. Die Kriegführung Frankreichs in Algerien, der USA in Vietnam und natürlich ganz besonders Nazi-Deutschlands in Osteuropa beruhte auf einem strukturell entregelten Angriff auf die Zivilbevölkerung. Dabei fanden auch offen terroristische Kriegsmittel wie die Autobombe oder das Massaker Eingang ins Repertoire (verdeckter) staatlicher Kriegführung.

In diesem Sinne birgt die Entwicklung, die heute - von sicherheitspolitischen Diskursen angetrieben - zu beobachten ist, nichts prinzipiell Neues. Carl Schmitts Argumentation ist in einer Hinsicht nicht ganz falsch: Der Ausnahmezustand, die Anwendung willkürlicher Gewalt, ist eng mit der staatlichen Rechtsordnung verwoben. Auch in den westlichen Demokratien lässt sich das feststellen: In der Bundesrepublik Deutschland wurde mehrfach - beispielsweise im Jahr 1977 - mit Kategorien des Feindstrafrechts operiert. Spezialeinheiten der NATO-Staaten wurden über Jahrzehnte in "irregulären Techniken" unterrichtet. Die von US-Militärs in Lateinamerika verwendeten "Handbücher zur Aufstandsbekämpfung" sahen das Training von Praktiken wie Bombenanschläge, Folter, Entführung und Mord an Oppositionellen vor. Und selbst sozialdemokratisch geführte Staaten machten sich diese Mittel zu eigen: Sowohl die britische als auch die spanische Regierung protegierten in den siebziger und achtziger Jahren rechte Todesschwadronen, um das staatliche Gewaltmonopol mit illegalen Mitteln durchzusetzen.

Das qualitativ Neue an der Entwicklung besteht also nicht darin, dass das Recht suspendiert werden soll, um Ordnung zu behaupten. Das Neue besteht darin, dass diese Politik mit ungekannter Offenheit verteidigt wird: Die Macht des Staates wird zur unhinterfragbaren Maxime, seine Gewalt zum Recht erhoben. Das ist auch deshalb Furcht erregend, weil die robuste westliche Staatlichkeit in einem Ausmaß über Gewaltmittel und Kontrolltechnologien verfügt, wie es in der Geschichte der Menschheit bislang unbekannt war. Die Entgrenzung herrschaftlicher Gewalt bringt auf diese Weise eine monströse Totalität hervor, der sich nicht mehr entkommen lässt. Interessanterweise werden terroristische Anschläge, um deren Bekämpfung es doch angeblich geht, durch dieses Sicherheitsregime nicht verhindert. Die Ausdehnung souveräner Macht zieht neue Radikalisierungen nach sich, die in der heutigen globalen Konstellation in erster Linie religiösen oder ethnisierenden Mustern folgen und somit ihrerseits auf eine "politisch entgrenzte" Gewalt hinauslaufen. Da die Knotenpunkte der Macht immer perfekter geschützt sind, wird der terroristische Angriff immer wahlloser und diffuser. Es ist so banal wie verhängnisvoll: Wer mit den Mitteln Carl Schmitts Ordnung herzustellen sucht, feuert in doppelter Hinsicht jenen Prozess an, durch den der Schrecken als zentrales politisches Mittel etabliert wird.

Giorgio Agamben war skeptisch, ob sich diese Entwicklung durch die Verteidigung des Rechtsstaats stoppen lässt. Er vertrat die These, dass es kein einfaches Zurück mehr gebe, wenn sich die der Macht innewohnende Gewalt erst einmal offenbart habe. Der Begriff des Rechts selbst werde in Frage gestellt, wenn der willkürliche Kern der Ordnung zum Vorschein komme. Man müsse, so Agamben alarmiert, dennoch alles unternehmen, um "das Funktionieren der Maschine zu unterbrechen, die den Okzident derzeit in den weltweiten Bürgerkrieg führt." Sich der unhinterfragten Renaissance Carl Schmitts in Politik und Theorie zu widersetzen, wäre zumindest ein Anfang.


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