Eine tote Großstadt. Die Außenbezirke tot, Busse und Straßenbahnen fast leer. In der quadratkilometergroßen City an einem normalen Arbeitstag außer aber- und abertausenden von PolizistInnen kaum Menschen. Immer wieder Radpanzer, Wasserwerfer, Polizeifahrzeuge.
Aus ganz Deutschland wurden Polizeikräfte zusammengezogen, von Garmisch bis nach Hamburg. Es sollen 17.000 und mehr gewesen sein.
Überall geschlossene Fenster und Türen. Die allermeisten Geschäfte geschlossen. Nur einige wenige (aber immerhin!!!) Proteste in Fenstern, Schaufenstern und Türen. Ketten von Polizeiposten entlag ganzer Straßenzüge, Sperrgitter, PolizistInnen auf Schritt und Tritt.
>>>>Das Rätsel: Wo waren die Mainzer?
Die Stadt incl. Frankfurter Flughafen, Eisenbahnstrecken, Autobahnen, Landstraßen und Feldwegen auf 100 Quadratkilometer ab 7 Uhr morgens hermetisch abgeriegelt. Im Fernsehen wird in der Nacht von Fällen berichtet, in denen nicht einmal Kranke ins Krankenhaus gebracht werden konnten
Dennoch sickern seit dem Vortag, die ganze Nacht und auch den ganzen Vormittag des 23.02. hindurch DemonstrantInnen in die Stadt. Sie schlendern einzeln oder in kleinen Gruppen durch die leeren Straßen. Sie werden immer wieder kontrolliert oder gar direkt von einem Pulk PolizistInnen begleitet.
Ca. 10.30 Uhr rollt der Präsident heran. Aus einer Entfernung von ca. 500 Metern kann mensch am Rheinufer die Brücke sehen, über die er fahren wird. In der Luft 5 Hubschrauber, darunter mind. ein Kampfhubschrauber. Im Wasser drei Polizei- und zwei Kampfboote. Und da geschieht es. Ein klitzekleiner Kahn taucht quasi aus dem Nichts auf, ein Protesttransparent an der Seite. Die gesamte Armada nimmt sofort die Verfolgung auf. Insbesondere die beiden schnellen Kampfboote wollen den Kahn rammen und versenken. Da er klein ist, ist er wendiger, doch nach ein paar Minuten ist es vorbei.
So gegen 12 Uhr sind etwa zehntausen DemonstrantInnen in der Stadt. Greenpeace entfaltet vom Dach des Hauptbahnhofs ein riesiges Protesttransaperent. Die Polizei stürmt das Dach. Nach wenigen Minuten das Transparent eingeholt.
Ca. 13.30 Uhr beginnt die Demonstration. Ein Lautsprecherwagen der Polizei wünscht "Ihrer Dermonstration einen guten Verlauf". Ein Flugblatt der Polizei hält Demonstrieren für "eines der bedeutendsten Grundrechte unserer Demokratie" und schreibt: "Ihrer Polizei ist es ein besonderes Anliegen, sowohl Sie als auch die Gäste des Staatsbesuchs vor Gewalt und Unfriedlichkeit zu schützen."
15 bis 20.000 DemonstrantInnen sind es jetzt. Begleitet links und rechts von Polizeiketten. Sehr bunt, sehr jung, sehr laut, sehr politisch, sehr einfallsreich, sehr friedlich. Es geht durch die City, durch menschenleere Straßen.
Nur wenige Mainzer hinter geschlossen Fensterscheiben. Doch immer wieder ein geöffnetes Fenster mit roter Fahne oder Protesttransparent.
Im Zug erkennbar Grüne, PDS, BUND, JungsozialistInnen, Attac, Falken, Antifa, DKP, Greenpeace, SAV, Kinderschutzbund, Linksruck und viele andere Gruppen und Grüppchen. Aus ganz Deutschland. Aus dem Inland und dem Ausland. Aus Europa und auch aus anderen Kontinenten. Auch aus den USA!
IranerInnen protestieren gegen den drohenden Krieg gegen den Iran.
Und: Wenn ich nicht eine Fahne übersehen habe, ganze drei Gewerkschaftsfahnen waren dabei.
Die Präsidentengattin trifft bei Ihrem Museumsbesuch - natürlich in einiger Ferne und gut abgeriegelt hinter Polizei und drei Zonen Sicherheitsgittern - auf die Demo und wird lautstark ausgepfiffen.
Auch beim Mittagessen mit dem Präsidenten im Schloss-Saal sind die Pfiffe der Demo zu hören (wie im Fernsehen dokumentiert war).
Bei der Abfahrt des Präsidenten nochmals eine Aktion, der Versuch einer Blockade, die ebenfalls in Minuten gewaltsam von der Polizei beendet wird.
Die Arbeitgeber verkünden, dass Zuspätkommen selbstverständlich geahndet werde. Die Polizei verkündet, das Risko liege bei den "Abeitnehmern", schließlich müssten sie auch bei Blitzeis dafür sorgen, dass sie pünktlich zur Arbeit erscheinen.
Opel verordnet der Belegschaft einen Zwangsruhetag, der kollektiv am Samstag nachgearbeitet werden muss.
Und die Gewerkschaft? Bsirske bei Tisch mit Kanzler und Präsident. Der DGB Mainz hat ein Schild an der Türe: Am 23.02. geschlossen. Kein organisierter Protest gegen Kriegsherren und Folterer, keine Solidarität, keine Verpflegungspakete für DemonstrantInnen. Da ging mancher Ladenbesitzer in Mainz weiter, der Protest ins Fenster hängte.
Und vor allem: Keine Proteste der Gewerkschaften gegen die Willkür-Maßnahmen gegen Zehntausende ArbeiterInnen und Angestellte.
Für die Wirtschaft ein Hundertmillionenverlust.
Für uns SteuerzahlerInnen ebenfalls. Der Besuch nebst Polizei-Einsatz kostet.
Lufthansa klagt wegen Dutzender zwangsgestrichener Flüge.
In der Presse war einige Tage vor Mainz zu lesen: Um Strategien gegen zu befürchtenden Aufruhr wegen sozialer Verelendung zu entwickeln, tagten die Geheimdienste, die Bundeswehr und die Polizei.
Mainz war ein Vorgeschmack. Mainz war eine Bürgerkriegsübung.
Und dennoch: 15 bis 20.000 DemonstrantInnen waren da!
(Die Polizeipropaganda spricht von 7.000.)
Axel Köhler-Schnura
Düsseldorf