von Direkte Solidarität mit Chiapas, Zürich
Wieder geht in den Tiefen des Lakandonischen Urwalds in Südmexiko das Gerücht um, dass die rebellischen BewohnerInnen im Naturschutzgebiet der Montes Azules in den nächsten Wochen zwangsgeräumt würden.
Im unzugänglichen Hinterland der chiapanekischen Selva Lacandona siedeln seit den Fünfziger Jahren die ersten Indigenen. Sie migrierten aus dem Hochland, wo das Land knapp wurde und die lokalen Chiefs, sogenannte Kaziken, politische Oppositionelle zu vertreiben begannen. Die neuen Dörfer nehmen sich als kleine Fleckchen im Urwald aus. Im Jahre 1990 wurden 9822 Leute gezählt, die in rund 50 Gemeinden wohnen. Doch die mexikanische Regierung und Organisationen wie der WWF behaupten, diese Gemeinden seien eine Gefahr für die Erhaltung des Urwaldes - und für die Lakandonen, die angeblichen Ureinwohner der Selva Lacandona.
Schutzzone für die einen ...
Schon 1972 wurde ein großer Teil des Lakandonischen Urwalds unter ein präsidiales Schutzdekret namens Zona Lacandona gestellt und somit den letzten zweihundert überlebenden Lakandonen zugesprochen: ein Mega-Latifundium von 614321 Hektaren für 60 Familien. Mit diesem geschickten Schachzug der Regierung begann eine intensive Zusammenarbeit mit den sechs Gemeinden der Lacandones: Die kleine Indígena-Gruppe ist seither ein Sprachrohr der Interessen der Regierung. So sprachen sich die Lakandonen 1994 für die militärische Vernichtung der EZLN und 1996 gegen die "Abkommen von San Andrés über indigene Kultur und Rechte" aus. Die heute noch lebenden Lakandonen übernahmen den Namen von dem im lakandonischen Urwald ansässigen Volk, das im 18. Jahrhundert ausgerottet worden war. Sie selber kommen ursprünglich aus der mexikanischen Golfregion, betreiben immer weniger Landwirtschaft und widmen sich dem sogenannten Öko-Tourismus und der Jagd auf eigentlich geschützte Tierarten wie dem Jaguar. Dank der Zusammenarbeit mit der Regierung genießen sie Privilegien, die kein anderes indigenes Volk hat. So wurde ihnen die lukrative Verwaltung der archäeologischen Stätten von Bonampak und Yaxchilan übertragen. Die Dörfer der Lakandonen sind weit und breit die einzigen, die Strom haben - und den auch zum TV-Konsum per Satellitenschüssel verwenden. Ein harter Kontrast zu ihrem einträglichen Image des in weissen Stoff gehüllten, langhaarigen Ureinwohners der Selva Lacandona, der vor den (Öko-)TouristInnen über die Kosmologie der mythischen Mayawelt schwadroniert.
... Vertreibung für die anderen
Aufgrund neu entdeckter Erdölvorkommen wurde 1978 gut die Hälfte der Zona Lacandona (331200 Hektaren) umgezont. Das neu ernannte Naturschutzgebiet mit dem Namen "Reserva Integral de la Biosfera Montes Azules" (REBIMA) wurde unter die Schirmherrschaft der UNESCO gestellt. Wie schon bei der Schenkung an die Lacandonen wurden auch jetzt wieder Dörfer im neu erklärten Naturschutzgebiet geräumt. Die Kaffeefincas der Großgrundbesitzer südlich des Naturschutzgebietes wurden von der Schutzzone REBIMA nicht tangiert, dafür sorgten die Vertreter der lokalen Oligarchie in der Kommission, welche die Naturschutzzone kartographierte.
Mit dem zapatistischen Aufstand bekam die Selva Lacandona und mit ihr die REBIMA eine neue Dimension: die Montes Azules gelten als das wichtigste Rückzugsgebiet der EZLN, ja als ihre eigentliche Basis. Die heute von der Räumung bedrohten 49 Dörfer sind fast ausschliesslich von Zapatistas und von Mitgliedern der linken Bauernorganisation ARIC-Independiente bewohnt. Die mexikanische Regierung schaffte es bisher mit ihrer Aufstandsbekämpfungs-Politik nicht, sich in dieser unwegsamen Region festzusetzen. So besetzte die mexikanische Bundesarmee im August 1999 per Helikopter einen Landstrich ausserhalb der Gemeinde Amador Hernandez am Eingang zu den Montes Azules: Die Dorfbevölkerung demonstrierte während 16 Monaten täglich ihren Unmut über die militärische Besetzung und schliesslich wurde dieser einzige Posten der Militärs in den Montes Azules (im Zusammenhang mit den Minimalforderungen der EZLN zur Wiederaufnahme möglicher Friedensverhandlungen) von der Regierung Fox geräumt.
Vom Naturschutz zur unregierbaren Zone
Die Regierung Zedillo (1994-2000) biss sich die Zähne aus an dem Vorhaben, die Gemeinden der Montes Azules zu räumen. Amador Hernandez war ein Punktesieg für die zapatistische Bewegung. Auch im Frühjahr 2000, als in Chiapas viele Waldbrände wüteten, scheiterte der Umsiedelungsplan. Acht Umweltschutzorganisationen, darunter der WWF-USA und der CI (Conservation International), forderten von der mexikanischen Regierung offen die Räumung der indigenen Gemeinden "zum Schutze des Urwaldes". Diese acht Organisationen sind an den Verwaltungskosten der REBIMA beteiligt und drohten der mexikanischen Regierung mit einem Finanzierungsstopp, falls die Dörfer nicht geräumt würden. Satellitenbilder bestätigten jedoch, dass die Feuer nicht in der REBIMA wüteten, sondern in Regionen, wo die mexikanische Bundesarmee massiv präsent war. Die sogenannten Lakandonen sind auch unter der Regierung Fox willkommen, um die Besiedlung der Montes Azules durch Indigene anderer Herkunft als Bedrohung des Ökosystems darzustellen: Am 12. September 2001 organisierten die Lakandonen mit Unterstützung des oben erwähnten Conservation International (CI) eine Pressekonferenz, an der sie eine Sammelklage gegen 16 Dörfer der Montes Azules präsentierten. Sie klagen ihre Nachbarn der "Schädigung der Ökologie" an - ein Delikt, das in Chiapas mit bis zu 8 Jahren Gefängnis bestraft wird. Nur einen Tag darauf, am 13. September, wurde in der chiapanekischen Hauptstadt Tuxtla Gutierrez die "Mesa Ambiental" eingerichtet, eine Kommission, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Gemeinden in der Naturschutzzone "umzusiedeln". Und seit April 02 ist im chiapanekischen Regionalparlament das neue Forstwirtschaftsgesetz in Verhandlung. Der Vorschlag der Regierung Salazar sieht vor, illegalen Holzschlag und die Urbarmachung von Agrarland gleichermassen zu bestrafen, nämlich mit bis zu 30 Jahren Gefängnis. In einer ersten Abstimmung wurde der Gesetzesvorschlag abgelehnt, da diese Kriminalisierung von Kleinbauern keine Mehrheit gefunden hat. Neben den umweltschützerischen Argumenten kommt nach dem 11. September 01 der Begriff der "Unregierbarkeit" dieser Region hinzu, wie Adolfo Aguilar Zinser sagte, seines Zeichens Repräsentant von Mexiko im Sicherheitsrat der UNO. Die Montes Azules gehören zu den "Regionen von höchster Priorität, um die Ordnung und den Rechtsstaat wiederherzustellen", betonte Ignacio Campillo Garcia, Funktionär der Umweltschutzbehörde Profepa. Selbstverständlich werde auch die Bundesarmee soweit nötig bei den geplanten Räumungen hinzugezogen, ergänzte er. Mittlerweile wurden die Drohungen einer gewaltsamen Räumung zumindest von der chiapanekischen Lokalregierung zurückgenommen. Die Bevölkerung soll in Verhandlungen dazu gebracht werden, wieder in ihre "Herkunftsgemeinden" zurückzukehren, da sie dort laut den Regierungs-Funktionären ja meistens Land besässen. Tatsache ist, dass sie aufgrund von Landknappheit und politischer Repression ihre angestammten Gemeinden verlassen haben oder daraus vertrieben wurden. Ihr Land, wenn sie überhaupt noch welches hatten, wird längst anderweitig genutzt. "Gerade die Regierung hat durch die Militarisierung der Gemeinden für die zunehmende Besiedelung der Naturschutzgebiete beigetragen", denunziert der Rat des autonomen Bezirks "Ricardo Flores Magon". Ebenso verurteilt er die heuchlerischen Umweltargumente, die für die Legitimierung einer Räumung herbeigezogen werden: "Die Regierung hat diesen Boden seit vielen Jahren geplündert, sie hat die Holzschlagfirmen und der Pemex [staatliches Erdölunternehmen] den Eintritt gewährt und sagt heute, dass sie sich Sorgen um die Umwelt macht."
Das Investitionsklima im Naturschutzgebiet
Der oben zitierte Umweltschutz-Funktionär Campillo Garcia, äusserte gegenüber potentiellen Investoren im Zusammenhang mit dem Entwicklungsprojekt Plan Puebla-Panama (PPP), dass die Regierung ihnen eine "starke, gut geschmierte Infrastruktur" in der Region der Selva Lacandona zur Verfügung stellen müsse. Dies geschehe, indem "wir einen adäquaten juristischen Rahmen zur Überwachung [der Region] garantieren können". Die Beamten möchten sozusagen den rohstoffreichen Dschungel von den Leuten "säubern", um ein günstiges Klima für Investoren bieten zu können. So sind rund um die Montes Azules zahlreiche Großprojekte im Zusammenhang mit dem PPP geplant, wie neue Bohrtürme in der Grenzregion Marques de Comillas, ein transnationales Staudammprojekt bei Boca del Cerro ebenfalls im Grenzgebiet, dem auch tausende Ländereien auf guatemaltekischer Seite zum Opfer fallen würden. Und entlang der Grenze soll eine Autobahn erstellt werden, die mit der Errichtung einer freien Produktionszonen einhergehen soll. Auch das Naturschutzgebiet selber ist Objekt neoliberaler Raffgier: Neben der Exploration der Erdöl-, Erdgas- und Uranvorkommen, den illegalen Geschäften wie dem Schlagen von Edelhölzern und er Jagd auf geschützte Tierarten sind insbesondere Biotech-Firmen am Gebiet interessiert. Die Montes Azules sind ein bevorzugtes Feld für die Erforschung der biologischen Vielfalt, verbunden mit Biopiraterie-Projekten von Pharmamultis in Zusammenarbeit mit transnationalen "Umweltschutz"-Gruppen. Die Liste der Vorhaben ist lang, Beispiel Savia/Pulsar: Der mexikanische Gentech-Konzern Savia (früher Pulsar) arbeitet zusammen mit Monsanto in diesem Gebiet an der Erforschung der biologischen Vielfalt; nebst Versuchen mit gentechnisch verändertem Kaffee und Mais. Savia gehört dem strammen Anti-Kommunisten und Contrafreund Alfonso Romo, einem engen Wirtschaftsberater von Präsident Fox. Und der Name Savia/Pulsar taucht auch auf bei den großen Sponsoren von Conservation International, neben klingenden Namen wie McDonalds, Disney, Exxon und Ford. Exxon wiederum ist ein Kunde von Petroconsultans, dieser Firma mit Sitz in Perly bei Genf, die die Erdölvorkommen in der Selva Lacandona kartographierte. Und seltsamerweise sind die Forschungsstätten von Pulsar, Laguna El Suspiro und El Ocotal die am stärksten militarisierten Orte in dieser Region. So wäscht eine Hand die andere.
Wichtige Quellen: Hermann Bellinghausen in La Jornada vom 16., 18. u. 21. März 02. Denuncia des autonomen Rates des Bezirkes Ricardo Flores Magon vom 23. 2. 02 (siehe www.chiapas.ch Rubrik "comunicados") Jornada-Artikel vom Frühjahr 2000. Ciepac: www.ciepac.org/analysis/pulsar.htm
Dies ist ein Artikel der Direkten Solidariät mit Chiapas, Zürich für den Correos de Centroamérica Nr. 130 vom Mai 02.