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Ein Rechtshilfeprojekt in Boliviens Kokaregion
http://www.oneworldweb.de/tdh/reportage/chapare.html

« Koka ist nicht gleich Koka », sagen die Bauern. « Das Kauen von Koka-Blättern unterdrückt den Hunger. » Koka stillt nicht nur den Hunger. Aus der Pflanze läßt sich auch Tee, Zahnpasta und sogar Hustensaft machen. Dennoch will die bolivianische Regierung bis zum Jahr 2002 sämtliche illegalen Koka-Felder zerstören lassen. Der Konflikt, um den es geht, spielt sich -fast unbeachtet von der Öffentlichkeit im Chapare, dem Hauptanbaugebiet für Koka in Bolivien, ab. Aus dem Schlagabtausch mit Worten ist mittlerweile ein gewalttätiger Konflikt geworden, der bereits Todesopfer gefordert hat.

Der Plan heißt « Für die Würde »

Das tropische Tiefland Chapare wird seit Mitte der 80er Jahre vor allem von Migranten aus den Regionen von Potosí, Ururo und Chuqusaca bewohnt. Viele Familien kamen hierher, als die staatlichen Minen schlossen und die meisten Arbeiter ihre Jobs verloren. Die Möglichkeit, im Chapare Koka anzubauen, versprach eine neue Lebensgrundlage. Mit dem Kokaanbau kamen aber auch die Probleme. Seither schwelt der Konflikt um das grüne Kraut, Rohstoff zur Herstellung der Droge Kokain. Es ist vor allem die Koka aus dem Chapare, die, auf einer Fläche von über 40.000 Hektar angebaut, für den internationalen Drogenhandel bestimmt ist.

Die bolivianische Regierung steht unter Erfolgsdruck. Es sind vor allem die Vereinigten Staaten, die die Überweisung von Entwicklungs- und Militärhilfe an Erfolge bei der Drogenbekämpfung knüpfen. Doch die amerikanischen Anti-Drogen-Polizei (DEA), eigens zur Unterstützung bei der Drogenbekämpfung nach Bolivien entsandt, kann kaum Erfolge vermelden. Monat für Monat werden die Kokafelder im Chapare größer. Die Kampfansage des bolivianischen Präsidenten Hugo Banzer, unter dessen Diktatur (1971 bis 1978) die Kokainherstellung begann, richtet sich denn auch vor allem gegen die Kokabauern im Chapare. Grundlage dafür ist ein mit amerikanischer Unterstützung entwickelter Plan mit dem harmlosen Titel « Por la Dignidad » (zu deutsch: Für die Würde). Der Plan sieht nicht nur die Vernichtung der Anbauflächen vor. Wird das Programm mit aller Härte durchgezogen, müssen über 15.000 Menschen mit ihrer Umsiedlung oder Vertreibung aus der Region rechnen. Die Gesamtkosten des Projektes werden auf 952 Millionen US-Dollar beziffert. Zwar ist die Finanzierung noch nicht gesichert, dennoch werden im Chapare täglich Fakten geschaffen: Die Regierung Banzer ist 1998 dazu übergegangen, neben Polizei- und Anti-Drogeneinheiten (UMOPAR) auch das Militär einzusetzen. Zerstört werden seither nicht nur die illegalen Drogenfelder, sondern immer häufiger auch die Yuccapflanzungen, das Grundnahrungsmittel der Bauern.

Menschenrechtsverletzungen

Willkürliche Verhaftungen, Folter und Mißhandlungen sind im Chapare an der Tagesordnung. Im April 1998 wurde eine Mutter von sieben Kindern erschossen. Sie hatte die Polizisten auf Knien angefleht, ihre Ernte zu verschonen. Bei einer Demonstration von Bauern griff die Armee brutal ein. Es gab 13 Tote, darunter auch ein vierjähriges Kind. Zahlreiche Frauen wurden geschlagen, vergewaltigt und zum Teil schwer verletzt. Mehrere Mädchen wurden auf dem Weg zur Schule von Soldaten belästigt.

Viele Bewohner des Chapare bezweifeln denn auch, daß es der Regierung wirklich um Drogenbekämpfung geht. « Was die hier machen », so Leonilda, Sprecherin der in der Cocalero-Gewerkschaft organisierten Frauen, « ist Vernichtung pur. Und dazu haben sie die Armee geholt. » Die Schuld an der Eskalation im Chapare trage allein die Regierung. « Koka », so sagt sie, « ist für uns eine heilige und medizinische Pflanze. Sie gehört zu unserer Kultur. Wir produzieren für unseren Eigenbedarf und für den Markt. Es sind die Mafioso aus dem Norden, die mit Chemikalien aus Koka eine Droge gemacht haben. Damit haben wir nichts zu tun. » Gegen die Gewalt der Drogenpolizei und Militärs müsse man sich deshalb wehren, meint Leonilda.

Überlebenskampf

Für viele Bauern ist es ein Überlebenskampf. Der populistische Führer der Kokabauern, Evo Morales, spricht gar davon, Präsident Banzer wolle über 60.000 Campesino-Familien ins Unglück stürzen. Eine Reihe von Cocaleros droht deshalb mit bewaffnetem Widerstand. Nicht selten trifft die Gewalt auch die, die mit dem Konflikt am wenigsten zu tun haben: die Ureinwohner des Chapare, ethnische Minderheiten, die von den Kokabauern gewaltsam aus ihren Dörfern vertrieben werden. Auf den Anbau der ertragreichen Koka wollen die Bauern trotz der zunehmenden Militarisierung des Chapare nicht verzichten. Auch Hermena, selbst in der Gewerkschaft tätig, will weiter auf den Kokafeldern arbeiten. « Für 100 Apfelsinen bekomme ich zwei Bolivianos, für fünf Ananas einen Boliviano. Das reicht nicht, um meine Kinder zu versorgen. » Ein Boliviano sind ca. 30 Pfennige. « Mit Koka », so fügt sie hinzu, « kann ich aber das Fünffache verdienen. Und selbst das reicht häufig nicht, die Kinder zu ernähren. » Alle Strategien, die Cocaleros durch Entschädigungszahlungen zum alternativen Anbau von tropischen Früchten zu bewegen, schlugen bisher fehl; statt dessen wächst im Chapare mehr Koka, als je zuvor. Die Folge: Die Spirale der Gewalt dreht weiter.

Nicht-Regierungsorganisationen berichten von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. Mittlerweile werden auch sie in ihrer Arbeit behindert. So geschehen im letzten April, als eine Delegation der bolivianischen Menschenrechtsorganisation die Vorfälle während des Generalstreiks untersuchen wollte. amnesty international berichtet von Fällen, bei denen Familien lange nach vermißten Angehörigen suchen mußten, weil Polizei und Armee Auskünfte über den Verbleib verhafteter Personen verweigerten. Ein juristisches Grundprinzip, die Unschuldsvermutung, gilt im Chapare nicht. Wer eines Drogendeliktes bezichtigt wird oder im Verdacht steht, den Drogenhandel zu unterstützen, muß laut Gesetz seine Unschuld beweisen. Unter den Opfern des Drogenkrieges, so berichten Menschenrechtsorganisation, sind immer häufiger Frauen und Kinder.

Die Frauen stärken

Dr. Julieta Montaño, Direktorin der Oficina Jurídica para la Mujer, einem von terre des hommes unterstützten Rechtshilfeprojekt, kennt die Situation der Frauen aus ihrer langjährigen Arbeit. 1984 nahm die Oficina Jurídica para la Mujer ihre Arbeit in Cochabamba auf. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Verbesserung der sozialen, politischen und kulturellen Rechte der Frauen. « Die Frauen im Chapare », berichtet die renommierte Rechtsanwältin Montaño, « haben nicht nur unter der staatlichen Repression zu leiden. Sie haben zudem auch noch die ganz gewöhnlichen Probleme zu ertragen und zu lösen: Väter, die die Alimente für ihre Kinder nicht zahlen; Männer, die ihre Frauen mißhandeln oder vergewaltigen; Streitigkeiten um Landtitel. Oder Ärger mit Lehrern, die den Mädchen vorschreiben wollen, in städtischen Kleidern statt in der traditionellen Pollera zur Schule zu kommen. » Um den Frauen zu ihrem Recht zu verhelfen, werden Rechtspromotorinnen ausgebildet. « Die Frauen », so Dr. Montaño zur Arbeit im Chapare, « sollen die Gesetze und ihre Rechte kennen, um selbst Schritte zur Rechtsverteidigung zu unternehmen. Denn sie und ihre Kinder müssen oftmals die Entscheidungen ausbaden, die Männer getroffen haben. » Dabei betont sie, daß die Lösung dieser Alltagsprobleme häufig durch die Konflikte überlagert werden, die durch den Kokakrieg entstanden sind. Die Mitarbeiterinnen der Oficina Jurídica para la Mujer wissen: Das unterscheidet die Situation im Chapare von der in anderen Regionen des Landes. So häufen sich Anzeigen von Frauen, die über willkürliche Verhaftungen, Konfiszierung ihres Hausrates, von Beleidigungen, Mißhandlungen und Vergewaltigungen berichten.

Mit finanzieller Unterstützung von terre des hommes bildet die Oficina Jurídica para la Mujer im Chapare 90 Rechtspromotorinnen aus. « Die Teilnehmerinnen », beschreibt Dr. Montaño, « sollen am Ende der Ausbildung imstande sein, bei Rechtsverletzungen selbständig die nötigen Schritte der Anklage zu gehen. Sie sollen ihr Wissen aber auch an andere Frauen weitergeben. Ob in den Basisorganisationen, in den Dörfern und Gemeinden, oder in den Gewerkschaften, überall müssen Frauen erst um ihre Anerkennung kämpfen. » Zur Unterstützung ihrer Arbeit erhalten die Promotorinnen kleine Lehrheftchen und Unterrichtsmaterialien, die sie in den verschiedenen und teilweise sehr abgelegenen Gemeinden des Chapare verteilen. Später werden die Erfahrungen gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen des Rechtshilfebüros ausgewertet und neue Initiativen auf den Weg gebracht.

Das Rechtshilfebüro hat aufgrund der nun 14jährigen Arbeit sehr große Erfahrungen sammeln können. « Unsere Erkenntnisse », beschreibt Rechtsanwältin Montaño, « sind ambivalent. Einerseits müssen wir uns permanent gegen Polizei, Richter, Staatsanwälte und Politiker wegen Menschenrechtsverletzung wehren. Auf der anderen Seite bemühen wir uns, juristische und institutionelle Reformen auf den Weg zu bringen. » Das Rechtshilfebüro ist wegen der kompromißlosen Verteidigung der Frauenrechte in der bolivianischen Öffentlichkeit sehr bekannt. Dieser Bekanntheitsgrad soll denn auch helfen, die Menschenrechtsverletzungen im Chapare öffentlich zu machen.

Guigermina, 38 Jahre alt, hat den Ausbildungskurs zur Rechtspromotorin gerade abgeschlossen. Bisher konnte sie weder lesen noch schreiben. Für sie wie für viele ihrer Kolleginnen, die ebenfalls nie zur Schule gehen konnten, hat der Kurs einen wichtigen Nebeneffekt. « Acht von uns », sagt sie stolz, « können jetzt schreiben. Und mit dem Bleistift können wir uns jetzt gegen die Verbrechen zur Wehr setzen. »

hu/re


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