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taz, 24.10.2000
Kriegsplan Colombia

In Kolumbien vermengen die USA eine kontraproduktive Antidrogenstrategie
mit alten Rezepten der Aufstandsbekämpfung. Ein Plädoyer für eine mögliche
Friedensinitiative

"Ich glaube, der erste Schritt zu einer realistischen Lösung des
Weltdrogenproblems ist es, das Scheitern der derzeit eingesetzten
Bekämpfungsmethoden anzuerkennen. Mehr als die Drogen selbst haben diese
Methoden die größten Übel in den Produktions- und den Konsumentenländern
verursacht, verkompliziert und verschlimmert." (Gabriel García Márquez)

Der Plan Colombia erhitzt weiter die Gemüter. In der vergangenen Woche
trafen sich in Manaus, im brasilianischen Amazonasgebiet, die
lateinamerikanischen Verteidigungsminister. Sie sollten auf den
Antidrogenplan eingeschworen werden. Doch die Regierungsvertreter aus
Kolumbien und den USA reisten mit leeren Händen ab. US-Staatssekretär
James Bodner kündigte trotzig an, die umstrittene Antidrogenstrategie
werde "mit oder ohne internationale Solidarität umgesetzt". Mit großem
propagandistischem Getöse hatte Bill Clinton Ende August im
kolumbianischen Cartagena den Startschuss zum Plan Colombia gegeben. Über
80 Prozent der bisher bewilligten 1,3 Milliarden Dollar US-"Hilfe" an den
Andenstaat fließen in die Antidrogenbataillone und ihre neuen
Hubschrauber. Der "Drogenkrieg", den George Bush senior vor zehn Jahren an
gleicher Stelle eingeläutet hatte, geht in eine neue Runde.

Dabei ist der repressive Ansatz zur Drogenbekämpfung ganz offensichtlich
gescheitert. So wurden in den letzten Jahren Kokaflächen in Peru und
Bolivien vernichtet - mit dem Ergebnis, dass sich der Anbau lediglich nach
Kolumbien verlagert hat. Dort wiederum werden die Kokafelder zwar mit
hochgiftigen Chemikalien besprüht - was aber nur dazu führt, dass immer
weitere Teile des kolumbianischen Amazonasgebiets zum Koka-Anbau
herangezogen werden. Und schließlich: Die großen Kartelle von Medellín und
Cali konnten zerschlagen werden - doch an ihre Stelle traten viele kleine
Händlerringe. Fantastische Gewinnspannen sorgen dafür, dass der Kokain-
und Heroinexport ungebrochen floriert. Dabei werden ständig neue Märkte
erschlossen.

Dennoch konzentrieren sich die militärischen Attacken weiter auf das
"schwächste Glied der Kette" - die Kleinproduzenten von Koka und
Schlafmohn. Doch die werden dadurch erst recht in die Hände der 20.000
Guerilleros der "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (Farc) getrieben.
Seit fast 40 Jahren streben die Rebellen angeblich den Sozialismus an,
doch erst massenhafte Entführungen und vor allem das Drogengeschäft haben
sie zu einer schlagkräftigen Truppe anschwellen lassen. Als Gegenleistung
für ihre "Revolutionssteuern" schützen sie die Kokafelder und die
Kurierflugzeuge, mit denen das Kokain ins Ausland geschafft wird.

Mit dem Plan Colombia setzen die USA auf die Verschärfung eines Jahrzehnte
währenden Krieges. Bereits jetzt fordert die politische Gewalt in
Kolumbien jährlich 3.000 Tote, und zwei Millionen Menschen gelten als
Flüchtlinge im eigenen Land. Nach Panama und Venezuela muss sich nun auch
Ecuador auf kolumbianische Vertriebene einstellen.

Und noch eine weitere Kontinuität zeigt sich: Das Treiben der Paramilitärs
ist für die USA noch immer kein Thema. Diese Akteure einer veritablen
"Gegenagrarreform" räumen ganze Landstriche durch Massaker und
Vertreibungen. Auch Menschenrechtler, Gewerkschafter und andere Aktivisten
fallen ihrem schmutzigen Krieg zum Opfer. Dabei helfen Armee und Polizei
oft nach. Finanziert werden die Todesschwadronen von Teilen der
traditionellen Oligarchie, aber eben auch von der Drogenmafia. Präsident
Andrés Pastrana lässt sie trotzdem gewähren, denn von den Paramilitärs hat
die Guerilla noch am meisten zu befürchten. Und Clinton setzt sich "im
nationalen Interesse" über die Menschenrechtsklausel des Plan Colombia
hinweg.

Hintergrund für das verstärkte Engagement der USA in Kolumbien ist die
vorhandene unmittelbare Kontrolle über den Hinterhof: Die US-Streitkräfte
unter der Regie des "Southern Command" haben Zentralamerika in ihrem Sinne
befriedet und den Panamakanal geräumt. Nun können sie sich ganz der
instabilen Andenregion widmen: In Venezuela klopft Präsident Hugo Chávez
antiimperialistische Sprüche, Ecuadors Wirtschaft kriselt nach der
Dollarisierung mehr denn je, Perus Zukunft ist ungewiss, und die
kolumbianische Regierung hat offenbar kein funktionierendes Rezept, um
Bürgerkrieg, Wirtschaftskrise und Drogenanbau Herr zu werden. Durch den
"Drogenkrieg" legitimieren die USA ihre militärische Präsenz in der
Region.

Dabei wählen sie altbekannte Mittel: Im Rahmen des Plan Colombia steigt
die Zahl der US-Militärberater in Kolumbien von 500 auf 800, im
vergangenen Jahr wurden neue US-Luftwaffenstützpunkte in Ecuador und auf
den holländischen Karibikinseln Aruba und Curação eröffnet, ein weiterer
in Zentralamerika soll folgen. Direkte militärische Eingriffe will man
jedoch vermeiden - und die werden in Kolumbien auch nicht nötig sein,
solange die Regierung Pastrana die Vorgaben aus Washington umsetzt. Für
den unpopulären Präsidenten ist die US-Intervention die einzige Garantie,
um die letzten zwei Jahre seiner Regierungszeit zu überstehen. Parallelen
zum Krieg in El Salvador in den 80er-Jahren liegen auf der Hand. Thomas
Pickering, Ex-Botschafter in San Salvador, ist heute Staatssekretär im
Außenministerium und einer der Chefarchitekten des Plan Colombia. Bei den
Nachbarn schrillen die Alarmglocken. Brasiliens Regierung reagiert
allergisch auf die US-Präsenz im Amazonasbecken, besonders auf Planspiele,
die Kokapflanzen mit genmanipulierten Pilzen zu besprühen. Allerdings ist
den Nachbarländern noch nicht viel Konstruktives eingefallen, obwohl auch
dort infolge des Rauschgifthandels Korruption und Kriminalität zunehmen.
Auftrieb haben Brasiliens Militärs bekommen: Seit Jahren drängen sie auf
eine stärkere Präsenz in der Amazonasregion, die nun bewilligt wurde -
weil Drogenhändler, Guerilleros und Flüchtlinge nur so vom Grenzübertritt
abgehalten werden könnten. Auch Europas Regierungen üben sich derweil in
halbherziger Zurückhaltung. Mit den USA, noch dazu in deren Hinterhof,
möchte man sich nicht anlegen. Deswegen fließen die Euros zur sozialen
Abfederung des Plan Colombia, wenn auch spärlich. Bisher haben Spanien und
Norwegen zusammen 120 Millionen Dollar zugesagt, ebenso viel hat die
EU-Kommission angekündigt. Das ist erheblich weniger als die von
Washington gewünschte Milliarde.

Eigentlich wäre es die Stunde der Diplomatie: Europäer und
Lateinamerikaner müssten ihren diskreten Widerstand in eine
Friedensoffensive umwandeln. Sie sollten - ähnlich wie die Sozialistische
Internationale und einige lateinamerikanische Länder im Zentralamerika der
80er-Jahre - die zähen Friedensverhandlungen vorantreiben. Ein
Waffenstillstand müsste dabei ganz oben auf der Tagesordnung stehen, damit
die Logik der Militaristen zurückgedrängt und Freiräume für die
KolumbianerInnen zwischen den Fronten geschaffen werden können. Schnelle
Erfolge sind allerdings nicht zu erwarten. Denn vom Status quo profitieren
zum einen die USA, Drogenmafia, Militärs und das politische Establishment,
das im Krieg keine demokratische Opposition zu befürchten braucht. Zum
anderen lebt auch die militärisch starke, aber politisch einfallslose
Guerilla gut damit. Solidarität verdient die Zivilbevölkerung zwischen den
Fronten - Kleinbauern, Schwarze, Indígenas.

Ein Rückgang der Gewalt würde auch die Erfolgsaussichten für ein dringend
notwendiges Umsteuern in der Antidrogenpolitik erhöhen. Die Legalisierung
von Produktion, Handel und Konsum ist zwar derzeit illusorisch, aber es
gäbe viele Punkte, an denen schrittweise Veränderungen angestrebt werden
könnten. In jedem Fall müsste man sich auf den lukrativsten, von der
organisierten Kriminalität beherrschten Teil des Geschäfts konzentrieren.
Doch daran verdienen auch Multis, Banken und Staatshaushalte des Nordens
Milliardenbeträge - über Chemikalienlieferungen, Geldwäsche und
Beschlagnahmungen.

Im Umgang mit den Konsumenten in den Industrieländern hat das pragmatische
Prinzip der "Schadensbegrenzung" die rein prohibitiven Rezepte bereits
zurückgedrängt. Analog dazu müsste sich auch der Umgang mit den
Kleinproduzenten in den Andenländern wandeln. Die sozial und ökologisch
verheerenden Besprühungen sollten eingestellt und durch manuelle
Eradikationsprogramme ersetzt werden. So könnte man die Kleinbauern für
Programme zur schrittweisen Substitution des Koka- und Schlafmohnanbaus
gewinnen - vorausgesetzt, man verschafft ihren legalen Produkten
verbesserte Absatzchancen. Solche Programme gibt es, aber im Rahmen des
"Drogenkriegs" können sie nicht funktionieren.

GERHARD DILGER

taz Nr. 6278 vom 24.10.2000, Seite 10, 299 Zeilen, Kommentar
GERHARD DILGER

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