Wenige Länder werden so sehr auf ihre ökonomische Struktur reduziert wie Kolumbien. Der südamerikanische Staat gilt als Synonym für Kokainhandel und Mafia-Macht . Während diese In-Eins-Setzung jedoch über einen langen Zeitraum mit einer allgemeinen Gleichgültigkeit für die Situation in Kolumbien einherging, lässt sich in den letzten fünf Jahren ein wachsendes internationales Interesse für das Land beobachten. Kolumbien wird zunehmend als politischer Brennpunkt mit erheblicher Bedeutung für die gesamte karibische und andine Region anerkannt. V. a. die Verabschiedung von 1,3 Milliarden US-Dollar Militär-, Polizei- und Wirtschaftshilfe durch die US-Regierung im Rahmen des Plan Colombia gilt als Beweis für die Brisanz der Lage. Auf den ersten Blick hat auch diese neue Entwicklung mit der Drogenökonomie zu tun, zumindest wird sie mit dieser legitimiert. Kolumbien wird weiterhin auf seine illegalen Exportgüter reduziert. Dabei lassen die Vertreter der Anti-Drogendiskurse - zum Teil ganz bewusst - außer acht, dass das Koka - wie der Kolumnist Antonio Caballero (2000: 130) schreibt - "praktisch keines der sozialen, politischen und ökonomischen Probleme, mit denen Kolumbien konfrontiert ist, geschaffen hat: Er hat sich darauf beschränkt, sie alle zu potenzieren und zu komplizieren." Aus diesem Grund scheint es mir geboten, vor einer genaueren Betrachtung des Plan Colombia und der US-Antidrogen-Politik zunächst die Grundlagen des kolumbianischen Konflikts zu skizzieren. Es gibt gewichtige Argumente für die von lateinamerikanischen Linken vertretene These, wonach die wachsenden Anstrengungen der USA in der Region weniger mit dem Drogenproblem als vielmehr mit den sozialen Auseinandersetzungen in Kolumbien zu tun haben. Bürgerkrieg, Plan Colombia und letztlich auch der Boom der Narco-Korruption seien demnach nur verstehen, wenn man die soziale Konfrontation betrachtet, die das Land seit seiner Unabhängigkeit erschüttert.
In Kolumbien wird häufig auf drei für die Situation entscheidende Faktoren verwiesen: die geopolitische Lage, der Ressourcen-Reichtum und der evidente Widerspruch zwischen formaldemokratischer Rechtsstaatlichkeit und den realen Gewaltverhältnissen:
Bei der Betrachtung des kolumbianischen Alltags sticht als erstes die extrem hohe Mordrate ins Auge. Mit mehr als 70 Toten pro 100.000 Einwohner gehörte Kolumbien in den 90er Jahren zu den Ländern mit der höchsten Mordrate weltweit (Ziss 1997: 214f). Wenig befriedigend sind die Erklärungen, die normalerweise für diesen Sachverhalt herangezogen werden. Ziss etwa verweist - sehr oberflächlich - auf kulturelle Begebenheiten und die Schwäche des Staates, während andere Untersuchungen das Gewaltpotenzial mit der ökonomischen Marginalisierung von großen Teilen der Bevölkerung zu begründen versuchen. Statistiken der Menschenrechtsinitiative Nunca Mas (Pérez / Reis 1998: 302f) zeigen jedoch auf, dass sich konkretere Ursachen für die Entwicklung benennen lassen. Diesen Zahlen zufolge waren 1970 noch weniger als 5000 gewaltsame Tötungen zu verzeichnen, im Jahr 1996 hingegen knapp 30.000. Dabei verlief der Anstieg bis Mitte der 80er Jahre weit gehend kontinuierlich und machte erst 1985-1988 einen Sprung. Gleichzeitig nahm der Anteil politisch motivierter Tötungen von 8,5 auf 20,4 Prozent zu (1970 hatte er noch bei einem Prozent gelegen). Diese Zahlen deuten darauf hin, dass die Gewalteskalation v. a. von zwei Phänomen beeinflusst worden ist: der Ausbreitung des Drogenhandels, der seit 1970 relativ kontinuierlich zu einer Umwälzung der Sozialstrukturen geführt hat und Gewalt als allgemein übliches Mittel der Konflitkregulation etablierte, und der Verschärfung der Opposionsbekämpfung im Rahmen des "schmutzigen Kriegs" ab 1983. Hingegen scheint die steigende Zahl von Tötungen mit bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Guerilla und Streitkräften nur sekundär zu tun zu haben. Selbst 1996, als der Konflikt in Kolumbien durch den Übergang der FARC zum Bewegungskrieg in eine neue Phase trat, lag die Zahl der Opfer bei Gefechten deutlich unter der extralegaler Hinrichtungen und Verschwundener (ebenda: 305). Da die Auswirkungen des Drogenhandels im folgenden Abschnitt behandelt werden sollen, werde ich zunächst versuchen, die repressiven Strategien der Oberschicht nachzuzeichnen. Wenn man vom Standpunkt der sozialen Bewegungen aus argumentieren will, kann man nämlich feststellen, dass die kolumbianischen Eliten in den vergangenen 100 Jahren konsequent auf gewalttätige Konfliktlösungen gesetzt haben. Zwar ist in Lateinamerika allgemein zu beobachten, dass Protestbewegungen eher unterdrückt, denn 'integriert' oder politisch ruhig gestellt wurden - für eine funktionierende Integration im Rahmen eines "fordistischen Kompromisses" fehlten und fehlen auf dem Subkontinent einfach die ökonomischen Spielräume -, doch die Brutalität der Repression ging im kolumbianischen Fall auch über das in Lateinamerika übliche Maß immer wieder hinaus. Im 20. Jahrhundert sind vier traumatische Erfahrungen auszumachen: der "Krieg der 1000 Tage" (1899-1902), der Arbeitskampf auf den Bananenplantagen der United Fruit Company 1928, der Bürgerkrieg 1948-53, der in Kolumbien selbst nur als die violencia, die 'Gewalt', bezeichnet wird, und der so genannte "schmutzige Krieg" seit 1983. Alle vier Konflikte lassen sich als Klassen-Auseinandersetzungen interpretierten. So ging es beim "Krieg der 1000 Tage", der immerhin 100.000 Menschenleben forderte, um die gewalttätige Aneignung des (durch den internationalen Kaffee-Booms immens aufgewerteten) Kleinbauernlands in den mittleren Anden durch den Großgrundbesitz (Uribe 1993). Der Bananenarbeiter-Streik 1928 war der Höhepunkt einer sich erstmals unabhängig von den großen Parteien formierenden Gewerkschafts- und Massenbewegung, der durch das Massaker eine strategische Niederlage zugefügt wurde (ebenda). Zum Ausbruch der Violencia kam es, als die konservative Parteiführung den aussichtsreichen linksreformistischen Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliecer Gaitán ermorden ließ, weil dieser u. a. für eine Agrarreform eintrat (Alape 1983) . Und schließlich gibt es heute das Phänomen des Paramilitarismus, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen regelrechten Vernichtungskrieg gegen sämtliche Oppositionsgruppen geführt hat (vgl. Giraldo 1996, Pérez / Reis 1998, Zelik 1999a). Die Untersuchung der paramilitärischen Gruppen ist von zentraler Bedeutung, wenn man die aktuelle Situation im Land verstehen will. Die Gruppen entstanden als Antwort der Eliten auf eine wachsende innenpolitische Destabilisierung. Zwar stellten die Guerillaorganisationen FARC, ELN, EPL und M-19 lange Zeit keine ernsthafte Bedrohung des Staates dar, doch Ende der 70er Jahre eskalierte die Situation: Im ganzen Land entstanden Protestbewegungen, ein heterogenes Mosaik aus Stadtteilbewegungen, Indígena- und Kleinbauern-Organisationen, marxistischen Zirkeln, linkschristlichen Gruppen und Gewerkschaften. In Verbindung mit den Stadtguerilla-Aktionen der M-19 und den Entwicklungen in Zentralamerika entwickelten diese Bewegungen eine unerwartete Dynamik, die das System in Frage zu stellen schien. Auf Seiten der Eliten kristallisierte sich daraufhin eine Politik heraus, die der Opposition von zwei Seiten den Boden zu entziehen versuchte und dem Vorgehen unter der aktuellen Regierung Pastrana erstaunlich ähnelt: Während der Präsident Belisario Betancur (1982-1986) Friedensgespräche mit der Guerilla aufnahm, formierten sich lokale Bündnisse aus Politikern der herrschenden Parteien, Großgrundbesitzern, Industriellen, Militärs und Drogen-Capos, um die Opposition extralegal zu bekämpfen (Giraldo 1996, Alonso 1997). Die aus dieser Kooperation hervorgehenden paramilitärischen Gruppen stellten eine Weiterentwicklung der "Nationalmilizen" dar, die in den 60er Jahren im Rahmen der Nationalen Sicherheitsdoktrin gegründet worden waren (Giraldo 1996, 80). Der Armee wurden "para-institutionelle" (Medina Gallego 1992) bzw. parastaatliche Einheiten an die Seite gestellt, was drei große Vorteile mit sich brachte: eine militärische Einbindung der Bevölkerung auf Seiten der Armee, die Intensivierung der territorialen Kontrolle im Anti-Guerilla-Kampf und die Entlastung der Militärs, deren Image durch illegale Under-Cover-Aktionen (Giraldo 1996: 82) stark gelitten hatte. Die Paramilitärs übernahmen diejenigen Operationen, die in Militärdiktaturen direkt von Armee-Einheiten durchgeführt werden: Verschwindenlassen von Oppositionellen und außerlegale Hinrichtungen. Dazu gesellte sich eine 'Politik' der Massaker, mit denen seitdem die Vertreibung der bäuerlichen Bevölkerung in von der Guerilla beeinflussten oder ökonomisch interessanten Gebieten forciert wird. Nach knapp 20 Jahren Paramilitarismus gibt es in Kolumbien heute an die zwei Millionen Inlandsvertriebene, die sozialen Organisationen sind weit gehend zerstört, die Bevölkerungsmehrheit ist entpolitisiert, und die Landkonzentration hat durch eine Art Gegen-Landreform stark zugenommenn. Allein die Paramilitär-Kommandanten Castaño und Carranza sollen sich durch gewalttätige Vertreibungen seit 1990 drei Millionen Hektar Land angeeignet haben (Azzellini 1999: 125). Nun ist die Existenz paramilitärischer Verbände kein seltenes Phänomen in Bürgerkriegsländern. Das Konzept, die Bevölkerung an der Seite der Armee in den Krieg zu involvieren, ist Bestandteil der Low-Intensity-Warfare-Konzepte, wie sie von US-Militärs nach dem Vietnam-Krieg entwickelt wurden (Klare 1995). Weniger bekannt ist jedoch, dass die paramilitärischen Verbände Kolumbiens zwar oft unter inoffizieller Führung der Armee stehen , aber auch eng mit dem Drogenhandel verbunden sind. So arbeitete bereits der erste paramilitärische Todesschwadron Kolumbiens, die 1981 von Capos des Medellín-Kartells gegründete MAS-Gruppe, eng mit der örtlichen Armee-Brigade (Giraldo 1996: 83f) zusammen. Der militärische Chef des Kartells Gonzalo Rodríguez Gacha war bis zu seinem Tod 1989 einer der Anführer des Pilotprojekts im zentralkolumbianischen Magdalena-Tal. Zudem wird auch der heutige Paramilitär-Chef Carlos Castaño von US-Behörden des Drogenhandels im großen Stil beschuldigt (El Nuevo Herald, 28. 4. 2001). Für die Verbindungen zwischen Drogenhandel und Paramilitarismus gibt es zwei wichtige Erklärungen. Zum einen spielen Drogengelder offensichtlich eine Schlüsselrolle bei der Finanzierung außerlegaler Privattruppen, die nicht aus offiziellen Kassen bezahlt werden dürfen. Zum anderen hat es die quasi-mafiöse Erscheinung des Paramilitarismus (trotz der Zusammenarbeit dieser Gruppen mit den Sicherheitskräften) dem kolumbianischen Staat ermöglicht, sich vor der nationalen und internationalen Öffentlichkeit als Opfer von Extremismus und Kriminalität zu präsentieren. Das Drogen-Problem wird für einen Großteil der Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, was gleichzeitig die Aufrüstung des staatlichen Repressionsapparats zur 'Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit' notwendig erscheinen lässt. Objektiv betrachtet ergibt sich damit eine Art Arbeitsteilung: Während der kolumbianische Staat seine demokratische Erscheinung gewahrt hat, haben privat finanzierte, Kapitalinteressen verteidigende Paramilitärs "das normale Funktionieren" der Gesellschaft (Alonso 1997: 146) garantiert, den Zugang zu Ressourcen erleichtert und Arbeitsmärkte 'dereguliert', indem sie Gewerkschaften regelrecht ausgelöscht haben.
Das Verhältnis zwischen Staat und Drogenhandel ist in diesem Zusammenhang als ambivalent zu bezeichnen. Einerseits ist dieser von den traditionellen Eliten zwar immer wieder auf die beschriebene Weise im sozialen Konflikt funktionalisiert worden, andererseits überformt er jedoch auch die vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen und stellt damit die existierende Institutionalität in Frage. In der Literatur ist man sich trotz stark variierender Angaben über die Bedeutung des Drogenhandels für die kolumbianische Gesamtökonomie einig, dass keine gesellschaftliche Gruppe vor der Durchdringung durch die Schattenwirtschaft bewahrt worden ist. Die Ursprünge dieser Entwicklung reichen bis in die frühen 70er Jahre zurück. Damals, während des Marihuana-Booms, sammelten risikobereite Traficantes erste Erfahrungen mit dem Schmuggel illegaler Waren v. a. in die USA. Sie profitierten dabei von der geographischen Lage Kolumbiens, der so genannten "geduldeten Illegalität" (Lessmann 1996: 205f) und den alten Schmuggler-Traditionen, wie sie in der Region nordöstlich der (als Marihuana-Anbaugebiet genutzten) Sierra Nevada stark verbreitet sind. Aufgrund des steigenden Konsums von Kokain in Nordamerika und Europa versprach der Drogenhandel immer größere Gewinnmargen, was u. a. das Interesse der Smaragdhändler weckte. Krauthausen (1997: 109-113) zeigt am Fall des Capos Gonzalo Rodríguez Gacha auf, wie sich der Geschäftsgeist der in "illegalen und gewaltsamen Tätigkeiten" erprobten esmeralderos mit der indigen geprägten Schmugglerkultur des karibischen Wüstendepartements Guajira verband. Die Erfolgsgeschichte der Traficantes ist umso erstaunlicher, wenn man berücksichtigt, dass der Koka-Anbau in Kolumbien historisch nicht verwurzelt ist. Die Händler mussten die Kokapaste aus den traditionellen Anbaugebieten Perus und Boliviens - wo der Alkaloidgehalt der Pflanzen deutlich höher ist als in Kolumbien (Lessmann 1996:19) - importieren, verarbeiteten die Ware zu Kokain und organisierten die illegalen Verkehrswege in die Konsumentenländer. Innerhalb weniger Jahre verwandelte sich der Drogenhandel auf diese Weise in die wichtigste Devisenquelle Kolumbiens und gewann damit auch rasant an politischem und sozialem Einfluss. Dabei kristallisierten sich zwei führende Kartelle heraus: das Medellín- und das Cali-Kartell, die nicht nur verschiedene geographische, sondern auch soziale Herkünfte besaßen. Die Männer des Medellín-Kartells um Pablo Escobar hatten meist als Kleinkriminelle begonnen, das Cali-Kartell hingegen besaß gute Verbindungen zu den traditionellen Eliten (Ambos 1990: 30f) . Dementsprechend entwickelten die Gruppen unterschiedliche Strategien, um sich vor staatlicher Verfolgung zu schützen. Während 'Cali' "diskretere Mittel einsetzte - die Infiltration der staatlichen Behörden und Investitionen in die legale Wirtschaft" (ebenda: 31), versuchten die 'Medelliner' aus ihrer Außenseiterposition heraus eine eigene Machtbasis aufzubauen: Pablo Escobar ließ sich zum Kongressabgeordneten wählen, finanzierte Sozialprojekte in den Armenvierteln Medellíns und rekrutierte Jugendliche aus den Banden für kriminelle Aufträge. Vor allem letzteres sollte sich als verhängnisvoll für die kolumbianische Gesellschaft erweisen. Unter den Fittichen des Medellín-Kartells entwickelte sich das sicariato, das so genannte Killerwesen. Es entstanden Schulen, in denen Tausende von Jugendlichen aus den Armenvierteln zu Berufskillern ausgebildet wurden, welche in den vergangenen Jahren von paramilitärischen Gruppen und Banden, aber auch von Geheimdiensten, Industriellen und Großgrundbesitzern angeheuert wurden. Ohne diese Jugendlichen, die schon für kleine Geldbeträge Morde ausführen und meistens nicht einmal wissen, in wessen Auftrag sie handeln, wäre der schmutzige Krieg gegen die sozialen Organisationen nicht in den vorhandenen Ausmaßen möglich gewesen . In diesem Zusammenhang ist bei verschiedenen Autoren das Missverständnis entstanden, das Cali-Kartell sei "relativ friedlich" (Menzel 1997: 178). Tatsächlich jedoch haben die Drogenhändler aus Cali nicht weniger blutrünstige Verbrechen verüben lassen als ihre Konkurrenten aus Medellín. Der Unterschied besteht darin, dass das Cali-Kartell fast immer im Einvernehmen mit den Staatseliten gehandelt hat. So wurden die Massaker von Trujillo und Riofrío (nördlich von Cali), die zwischen 1988 und 1994 mehr als 100 Menschen das Leben kosteten, von Armee-Einheiten im Auftrag der Drogen-Capos aus Cali verübt (vgl. Giraldo 1996: 49-52 und 104f). Das Verhältnis zwischen Medellín-Kartell und kolumbianischem Staat wurde hingegen Mitte der 80er Jahre immer konfliktiver. Die wachsende Autonomie der aufstrebenden Medelliner Drogenbourgeoisie wurde von den traditionellen Eliten zunehmend als Gefahr begriffen. Vor diesem Hintergrund kam es zu einer Eskalation, bei der sich kolumbianische Sicherheitskräfte, Cali-Kartell und US-Behörden auf der einen Seite und das Medellín-Kartell wiederfanden. Die Zusammenhänge dieses gängigerweise als "Drogenkrieg" bezeichneten Konflikts sind nicht ganz leicht zu durchschauen. Offensichtlich überlagerten sich verschiedene Interessen. Warum sich Medellín- und Cali-Kartell bekriegten, ist noch relativ einsichtig: zwei konkurrierende Konsortien auf einem sich gewalttätig regulierenden Markt. Widersprüchlicher ist hingegen das Verhalten der kolumbianischen Eliten. Obwohl in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Regierungsvertreter enge Beziehungen zum Drogenhandel gepflegt haben - den Präsidenten Turbay Ayala (1978-1982) und Samper Pizano (1994-1998) wurde beispielsweise vorgeworfen, Drogen-Gelder im Wahlkampf verwendet zu haben, andere Politiker wie Ex-Präsident López Michelsen sollen sich auch persönlich bereichert haben -, versuchten andere staatliche Repräsentanten den Einfluss des Drogenhandels zurückzudrängen und befürworteten in diesem Zusammenhang die Auslieferung von Drogenhändlern an die US-Justiz. Das Medellín-Kartell antwortete mit Angriffen auf Vertreter dieser Politik, gründete die so genannten Extraditables ("Auslieferbaren") und ließ zwischen 1984 und 1991 u. a. "einen aktiven und ehemaligen Justizminister, etliche Richter, einen Generalstaatsanwalt und den Chef der Antidrogen-Polizei, den populärsten Politiker des Landes sowie den Chefredakteur" der Tageszeitung Espectador ermorden (Krauthausen 1997: 120f). Darüber hinaus griffen die Extraditables auf eine Strategie des allgemeinen Terrors in den Großstädten zurück, um die Regierung zu Verhandlungen über eine Teil-Legalisierung zu zwingen.
Am schwersten einzuschätzen ist jedoch das Vorgehen der US-Behörden während des "Drogenkrieges", das die ganze Ambivalenz der Washingtoner Politik gegenüber dem Andenstaat aufzeigt. Während der Jagd auf Pablo Escobar, die 1993 mit der Exekution des Drogen-Capos in Medellín endete, formierte sich nämlich eine bizarre Allianz aus DEA, kolumbianischer Polizei, Cali-Kartell und Abtrünnigen des Medellín-Kartells. Unter dem Namen Los Pepes wurden Todesschwadrone aufgebaut, die für mehr als 1000 Morde an Angehörigen des Medellín-Kartells verantwortlich sein sollen. Befehligt wurde die Gruppe von den Castaño-Brüder Fidel und Carlos, die ebenfalls in den Drogenhandel verwickelt waren, sich von Pablo Escobar lossagten und - nach Escobars Tod - von Nordkolumbien aus den paramilitärischen Dachverband AUC aufbauten. Nach Berichten des El Nuevo Herald, der spanischsprachigen Ausgabe des Miami Herald (15. 10. 2000), gingen die Angehörigen der Pepes- Kommandos im Sitz der kolumbianischen Antidrogen-Sondereinheit Bloque de Búsqueda ein und aus und hielten über den Agenten Javier Peña, dem heutigen Subdirektor des DEA-Büros in Bogotá, auch Kontakt zu den US-Behörden. Die Verdienste der Pepes im Kampf gegen Escobar honorierte die US-Regierung u. a. mit Einreisevisa in die USA. So durfte Don Berna, einer der Chefs der berüchtigten La Terraza-Bande aus Medellín, die sowohl für die Pepes als auch für die Paramilitärs Auftragsmorde verübte, nach Angaben des Nuevo Herald 1994 zum Urlaub nach Nordamerika reisen. Gleichzeitig konnten die Verantwortlichen der Pepes-Aktionen in Kolumbien auf eine Straflosigkeit zählen, die selbst der Generalstaatsanwalt Gustavo de Greiff im Oktober 1992 als merkwürdig bezeichnete. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte vor diesem Hintergrund im Jahr 2001 Einsicht in die CIA-Akten (El Espectador, 27. 4. 2001). Dieses Vorgehen der US-Behörden lässt sich zum einen sicherlich mit der pragmatischen Überlegung erklären, dass man - wenn man den Drogenhandel schon nicht zerschlagen kann - interne Fraktionierungen vertiefen und den jeweils bedrohlicher erscheinenden Gegner auszuschalten versuchen sollte. Zum anderen ist sie aber auch ein Indiz dafür, dass die US-Verantwortlichen die geopolitische Interessenvertretung offensichtlich höher bewerten als die Drogenbekämpfung - eine These, für die es im Zusammenhang mit dem Plan Colombia eine Reihe guter Argumente gibt. Wahrscheinlich muss man außerdem von mehreren 'US-Außenpolitiken' ausgehen, die in deutlichem Widerspruch zueinander stehen. Der ehemalige DEA-Agent Cele Castillo , der sich 1992 nach 12 Jahren Tätigkeit aus der Behörde zurückgezogen hat, berichtet beispielsweise, dass Abteilungen außerhalb von DEA und CIA für die (mit Kenntnis von Reagan und Bush durchgeführten) Undercover-Aktionen während des Kriegs in Zentralamerika verantwortlich gewesen seien (Guerillanews 2001). Castillos Erklärungen ist zwar die in den USA weit verbreitete Neigung zu Verschwörungstheorien deutlich anzumerken, aber die These, dass die US-Regierung besonders brisante Operationen von Agenten außerhalb der Sicherheitsdienste durchführen lässt, besitzt einiges an Plausibilität und stimmt mit anderen Berichten über den Iran-Contragate-Skandal überein.
Fest steht auf jeden Fall, dass die Verbindungen zwischen Oppositionsbekämpfung und Drogenhandel in den offiziellen US-Betrachtungen kaum eine Rolle spielen. Nicht die Drogen-Paramilitär-Connection, sondern die Durchdringung der offiziellen Politik durch Drogengeschäfte, die Ausweitung der Koka-Anbauflächen in Kolumbien und die wachsenden Einnahmen der FARC-Guerilla durch die Besteuerung des Kokahandels in den von ihr kontrollierten Gebieten haben die US-Regierung in den vergangenen Jahren alarmiert. Auch diese Entwicklungen veranlassten die USA allerdings zu eher widersprüchlichen Maßnahmen. Zum größten politischen Skandal der vergangenen 20 Jahre kam es im Juni 1996, als der Leiter des DEA-Teams in Bogotá, Joe Toft, angeblich ohne Wissen des damaligen US-Botschafters Busby und entgegen der Anweisungen seiner Vorgesetzten in Washington (Menzel 1997: 148f) , Verbindungen zwischen dem neu gewählten kolumbianischen Präsidenten Ernesto Samper Pizano und dem Cali-Kartell öffentlich machte. Aus dem Mitschnitt eines Telefongesprächs wurde deutlich, dass der Drogenbaron Miguel Rodríguez Orejuela dem liberalen Kandidaten Samper 3,5 Millionen US-$ für den Wahlkampf zur Verfügung gestellt hatte. Mit der Veröffentlichung der so genannten narco-cassettes stürzte der kolumbianische Staat in die tiefste Legitimitätskrise der jüngeren Geschichte. Während die USA die Beziehungen zur Regierung einfroren, dem Präsidenten das Visum entzogen und Kolumbien die Certificación verweigerten (vgl. Menzel 1997: 147-171, Thoumi 1999), eröffnete die kolumbianische Justiz einen Prozess gegen die Wahlkampfleiter von Samper und ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten. Der Proceso 8000, der mit der Verurteilung von mehreren hochrangigen Politikern endete, brachte schließlich Samper nur deswegen nicht zu Fall, weil sich der Präsident vom kolumbianischen Kongress auf juristisch fragwürdige Weise Immunität zusichern ließ. Im Prinzip brachte der Skandal keine Neuigkeiten ans Licht. Es ist in Kolumbien seit langem zu beobachten, dass der Drogenhandel sich politische Gefälligkeiten zu erkaufen versucht. Auch das Gesamtausmaß der kolumbianischen Drogenexporte hat sich offensichtlich in den 90er Jahren nicht verändert. Thoumi zitiert Zahlen des US-amerikanischen Koordinationsbüros zur Drogenbekämpfung Office for National Drug Control Policy (ONDCP), wonach das Volumen des US-amerikanischen Kokainmarkts sogar von ca. 40 Milliarden US-$ Ende der 80er Jahre auf 30 Milliarden US-$ Mitte der Neunziger zurückgegangen sei (Thoumi 1999: 102). Wenn man weiterhin davon ausgeht, dass der Anteil der Rückflüsse nach Kolumbien nicht gestiegen sein dürfte und damit der größte Teil der Handelserlöse im Wirtschaftskreislauf der Industriestaaten verbleibt, ist eigentlich nur eine wesentliche Veränderung der Situation zu beobachten: die Ausweitung der kolumbianischen Anbauflächen. Die Drogenbekämpfung in Peru und Bolivien, die gezielte Verbreitung von Kokasetzlingen in abgelegenen Regionen Kolumbiens durch die Traficantes (Lessmann 1996: 191f) sowie die Verschlechterung der sozialen Situation in Kolumbien durch die neoliberale Öffnungspolitik, die die einheimischen Kleinbauern schlagartig der agroindustriellen Konkurrenz aus Nordamerika aussetzte (zu den allgemeinen Folgen der Öffnungspolitik vgl. Ahumada 1996), haben dazu geführt, dass Koka zunehmend in Kolumbien selbst gepflanzt wird. So gehen die US-Behörden von einer Vergrößerung der Anbauflächen von 27.000 ha im Jahre 1988 (U. S. Congress House Committee zit. nach Lessmann 1996: 191) auf mehr als 100.000 ha im Jahre 1998 (US-State Departement zit. nach Azzellini 1999: 114) aus, wobei sich die Pflanzungen auf die schwer zugänglichen Gebiete Amazoniens und der Llanos Orientales konzentrieren. Die Bauern, die sich in diesen Regionen für den Kokaanbau entscheiden, sind dabei zweifellos die schwächsten Glieder in der internationalen Wertschöpfungskette des Kokains. Vor Krieg, Vertreibungen oder Armut in die abgelegenen Waldgebiete geflohen, bauen sie den Drogen-Rohstoff an, weil dieser das einzige Agrarprodukt ist, bei dem die Käufer selbst für den Abtransport zahlen und mit dem sich deshalb auch in isolierten Regionen ein bescheidenes Dasein fristen lässt. Die Auswirkungen des Anbaus sind dabei zweischneidig: Zwar hat das Koka viele Kleinbauern vor der Zwangsmigration in die Großstädte bewahrt, andererseits jedoch sind die Nebenwirkungen nicht zu unterschätzen: Abholzung des Regenwalds und Verschlechterung der Bodenqualität, Vergiftung des Trinkwassers durch Chemikalien, soziale Auflösungserscheinungen in den dörflichen Gemeinschaften, Verbreitung einer "Kultur des schnellen Geldes und des Konsums" (Lessmann 1996: 192), Verdrängung von Indígenas und traditionell wirtschaftenden Kleinbauern, Zunahme von Gewalt und polizeilicher Repression. Für die US-Administration beunruhigend sind jedoch nicht diese Veränderungen der ländlichen Sozialstruktur, sondern die Tatsache, dass sich der Anbau in Gebiete unter Kontrolle der FARC-Guerilla verlagert hat. Im Gegensatz zur ELN, die sich aus politischen Gründen vom Kokaanbau fernhält, in ihren Einflussgebieten Substitutionsprojekte durchzuführen versucht und selbst keine Steuern aus dem Kokahandel bezieht , greifen die FARC v. a. in den vom Koka-Anbau geprägten südkolumbianischen Departments aktiv in den Handel ein. Sie besteuern die Geschäfte, garantieren Preise, schützen die Kleinbauern vor der Gewalt der Traficantes und unterhalten wohl auch eigene Pflanzungen. Angebliche oder tatsächliche Verbindungen der Guerilla zum Kokahandel werden von der Regierung in Washington schon seit eineinhalb Jahrzehnten als Legitimation für ihre Interventionsbestrebungen in der Region heran gezogen. So schuf der damalige US-Botschafter Lewis Tamb 1984 - parallel zu den Drogenaktivitäten des US-Geheimdienstes im Rahmen des Iran-Contragate-Skandals - den Kampfbegriff "Narco-Guerilla", mit dem "die politischen Ziele der Aufständischen durch deren angebliche Nähe zu 'gewöhnlichen Kriminellen' diskrediert" werden sollten (Lessmann 1996: 222). Tamb, Aktivist der konservativen Rechten, hatte 1980 für die erste Reagan-Administration das Santa Fe I-Dokument mitverfasst, in dem die US-Hegemonieansprüche in der Region unterstrichen und Strategien zur Aufrechterhaltung des Status Quo entworfen worden waren, und verfolgte mit der Wortschöpfung ziemlich offensichtliche politische Ziele. Doch trotz seines propagandistischen Charakters setzte sich der Begriff fest. Seit dieser Zeit kursieren in der internationalen Öffentlichkeit immer wieder neue Phantasiezahlen über angebliche Drogeneinnahmen der kolumbianischen Guerilla. Menzel (1997: 161) nennt beispielsweise für 1994 folgende Summen: FARC 336 Millionen US-$, ELN 240 Millionen US-$ und EPL 36 Millionen US-$ und behauptet: "In general the guerillas were earning more than the National Coffee Foundation's $ 460 million for the same year." Mit ähnlichen Größenordnungen arbeitet auch die konservative Rand Corporation (2001) in ihrer für die US-Luftwaffe erstellten Studie. Die Zahlen sind, zumindest was die beiden kleineren Organisationen angeht, völlig aus der Luft gegriffen. Nichtsdestotrotz liegt auf der Hand, dass das erstaunliche militärische Wachstum der FARC ohne die Einnahmen aus der Besteuerung des Koka-Handels nicht möglich gewesen wäre. Anders als die ELN verfügen die FARC über eine hervorragende Ausstattung ihrer Truppen und gewaltige Ressourcen für den Aufbau neuer Einheiten. Und diese Tatsache beunruhigt die Verantwortlichen in Washington weitaus mehr als die Entwicklung der Kokain-Gesamtproduktion oder des Konsums in den USA selbst.
Bis Mitte der 70er Jahre verfolgten die USA in Kolumbien eine ähnliche Politik wie im Rest Lateinamerikas. Geprägt von Antikommunismus und Kalten-Kriegs-Diskursen bemühte sich Washington um die Sicherung ökonomischer und geostrategischer Interessen auf dem Kontinent. Das Drogenproblem wurde erstmals unter Präsident Nixon zum Sicherheitsrisiko erklärt und gewann dann rasant an Bedeutung. Die sich herausbildende Drogenhysterie lässt sich, so Guáqueta / Thoumi (1997), wohl am ehesten mit den prohibitionistischen Traditionen der weißen, puritanisch dominierten US-Mittelschichten erklären und ist mit rassistischen Ideologiefragmenten versetzt: Die 'fremden', nicht-europäischen Drogen werden besonders gefürchtet und bekämpft. Eine von Nixon berufene Spezialistenkommission sprach sich 1973 erstaunlicherweise zwar trotz der eher konservativen Einstellung ihrer Mitglieder für eine Entkriminalisierung des Konsums aus (ebenda: 15), doch in den Anbauländern gingen die USA mit größter Schärfe vor. Schon 1969 hatte Nixon im Rahmen der Operation Interceptdie Schließung der Grenzen nach Mexiko angeordnet (Lessmann 1996: 33). 1974 machte der US-Kongress die Erteilung von Handelsbegünstigungen von der Kooperation der betreffenden Staaten mit den US-amerikanischen Antidrogen-Programmen abhängig: die Geburtsstunde der Certificación. Weitere vier Jahre später zeigte sich in Kolumbien dann erstmals das eigentliche Gesicht des "Antidrogenkriegs". In der nordkolumbianischen Sierra Nevada, einem der wichtigsten Marihuana-Anbaugebiete der 70er Jahre, wurden auf Druck der USA Herbizideinsätze gegen Pflanzungen geflogen. Dabei schreckte man auch nicht davor zurück, das in den USA aus dem Verkehr gezogene Paraquat ("Agent Orange") einzusetzen (Caballero 2000: 119). Das Ergebnis war katastrophal: 150.000 Hektar Bergwald, 70 Prozent der Waldfläche der Sierra Nevada, wurden durch den illegalen Anbau bzw. die darauf folgenden Herbizideinsätze vernichtet. Die Verdrängung des Marihuanas aus der Sierra Nevada setzte zwar keineswegs die Märkte in den USA trocken, aber sorgte dafür, dass sich Pflanzungen in die USA verlagerten. Gleichzeitig begann in Kolumbien der Siegeszug des Kokains. Zur zentralen Figur im Sicherheitsdiskurs der US-Administration wurde die Drogenbekämpfung jedoch erst Mitte der 80er Jahre. Im gleichen Maß, wie die vom Warschauer Pakt ausgehende "kommunistische Gefahr" an Schrecken verlor, gewann das Thema Drogen an Bedeutung. So wurden unter Reagan die Gesetzgebung verschärft (zum Anti-Drug-Abuse Act Lessmann 1996: 41-43), milliardenschwere Antidrogen-Programme verabschiedet (vgl. Menzel 1997: 27f), die Kontrolle von Luftraum, See- und Landgrenzen intensiviert und die Drogenhysterie innenpolitisch weiter geschürt. Die Folge war die spürbare Militarisierung der Antidrogen-Politik. Bei den Operationen Blast Furnace und Snowcap 1986 und 1987 in Bolivien führte die DEA erstmals gemeinsam mit Elitesoldaten der Special Operation Forces quasi-militärische Aufgaben durch. Koordiniert wurden die Aktionen von der US Intelligence Community, das heißt den Geheimdiensten CIA und DIA, sowie dem Center for Low-Intensity-Conflicts des US-Verteidigungsministeriums (Lessmann 1996: 50). Auf diese Weise wurden den Geheimdienstkonglomeraten neue Aufgaben zuteil, die jenen eine Existenzberechtigung über den Realsozialismus hinaus verschaffen sollte, und die Regierungen der Industriestaaten erhielten neuen Stoff für ihre große Erzählungen von der Gefährdung der nationalen Sicherheit. Dieser Paradigmenwechsel vom Antikommunismus zur Drogenbekämpfung zog sich über fast zehn Jahre hin. 1988/1989 schuf die US-Regierung für ihren "Antidrogen-Krieg" erstmals eine Art vereinigtes Oberkommando, das Office for National Drug Control Policy mit dem so genannten 'Drogenzar', einem Beamten mit De facto-Kabinettsrang, an der Spitze. Es folgte die Verabschiedung der "Anden-Initiative", die neue Operationen in Peru, Bolivien und Kolumbien, die Ausbildung von lateinamerikanischen Militärs u. a. in Antiguerilla-Taktiken sowie Wirtschafts-und Militärhilfen in Höhe von 2,2 Milliarden US-Dollar für die Jahre 1990-94 beinhaltete (ebenda: 55). Während Agenten von DEA und CIA in Kolumbien ein undurchsichtiges, paramilitärisches Bündnis zur Bekämpfung des Medellín-Kartells schmiedeten, wurde die Militarisierung der Antidrogen-Politik in den USA selbst immer weiter institutionalisiert: Eingebunden in das Konzept wurden nun auch das Militärkommando Süd (Southcom), die Special Operation Forces sowie das Center for Low-Intensity-Conflicts, was innenpolitisch mit dem Verweis auf Lewis Tambs Narco-Guerilla-These begründet wurde. Die Ziele der US-Politik waren und sind dabei - wie schon erwähnt - überaus widersprüchlich. Es ist davon auszugehen, dass der Großteil der politischen Klasse in den USA tatsächlich von der Notwendigkeit der Drogenprohibition überzeugt ist. Die Illegalisierung der Drogen jedoch ruft Probleme hervor, die den Antidrogen-Kampf umso unvermeidbarer erscheinen lassen: Kriminalität, Wachsen der Schattenökonomie, Krankheiten durch gepanschte Drogen und verunreinigtes Besteck, Anstieg der Gewalt in den Großstädten etc. - alles Probleme, die bei einer medizinisch kontrollierten Abgabe der Drogen nicht auftauchen würden. Die vor dem Hintergrund einer boomenden Schattenökonomie und explodierender Kriminalitätsraten notwendig erscheinende Militarisierung der Anti-Drogen-Operationen wiederum führt zu einer Vermischung mit sicherheits- und geopolitischen Aspekten, die die Koka-Bekämpfung in den Hintergrund rücken lässt. Wenn beispielsweise das Office for National Drug Control Policy von einem hochrangigen General wie dem Vietnamveteranen Barry McCaffrey geleitet wird , ist es nicht verwunderlich, wenn die Rückeroberung strategisch wichtiger Gebiete aus den Händen der Guerilla höher bewertet wird als die Bekämpfung der den Drogenexport kontrollierenden, rechten Paramilitärs. Paradoxerweise konterkariert sich also die militarisierte Anti-Drogen-Politik schließlich selbst. Der Drogenhandel wird nicht mehr bekämpft, sondern sicherheitspolitisch funktionalisiert: sei es zur Finanzierung von lateinamerikanischen Verbündeten wie im Fall der nicaraguanischen Contra oder aber im innenpolitischen Diskurs. Amendt (1996) vertritt daher die These, dass DEA und CIA fast zwangsläufig immer wieder heftige Interessenkonflikte austragen hätten müssen. Die Verbindungen von DEA-Beamten in Kolumbien zu den paramilitärischen Pepes und dem Chef der kolumbianischen Todesschwadrone Carlos Castaño legen jedoch nahe, dass auch die Antidrogen-Behörde bisweilen politische Ziele höher bewertet als die Drogenbekämpfung. Die Angelegenheit lässt sich nicht einfach als Interessenkonflikt zwischen zwei Behörden interpretieren. Die Widersprüche durchziehen die einzelnen Institutionen selbst.
Geopolitiker in den USA haben schon Mitte der 80er Jahre auf die drohende Destabilisierung der Situation in Kolumbien hingewiesen. In dem (zum Amtsantritt der ersten Bush-Administration erarbeiteten) Santa Fe II-Dokument 1988 hieß es beispielsweise: "Wenn die aktuellen Tendenzen fortbestehen, wird Kolumbien sich bis Mitte der 90er Jahre, wenn nicht sogar früher, in ein neues El Salvador verwandeln." (Santa Fe 1989: 106) Verknüpft wurde die politische Gefahr schon damals mit dem Drogenhandel: "Kolumbien wird ... eine Erhebung erleben, die die Vereinigten Staaten durch den zunehmenden Fluss von Drogen, der unsere Küsten als Folge hiervon erreichen wird, direkt betrifft." (ebenda: 107) Obwohl man die Qualität der Santa Fe-Berichte nicht überschätzen sollte, kann man festhalten, dass sich die Voraussagen des Papiers teilweise erfüllt haben. Seit Mitte der 90er Jahre ist die Krise des kolumbianischen Establishments nicht mehr zu übersehen. Drei für die Investitionssicherheit im Land bedrohliche Entwicklungen haben sich dabei gegenseitig verstärkt: i) Das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Samper Pizano sowie die Ermittlungen gegen zahlreiche Kongressabgeordnete 1995-1998 machten deutlich, wie eng die Verbindungen zwischen Drogenhandel und der politischen Klasse Kolumbiens sind (Menzel 1997: 147-156), und stürzten den Staat damit in eine schwere Legitimationskrise. ii) In den Dschungelgebieten Süd-und Ostkolumbiens sind die FARC zu neuen Operationsformen übergegangen. Anstatt die Politik der Nadelstiche fortzusetzen, zieht die Organisation neuerdings größere Einheiten zusammen und greift Militärbasen an . Im Rahmen dieses Übergangs zu Taktiken des Bewegungskriegs vernichteten die FARC zwischen 1996 und 1998 mehrfach Elite-Verbände der kolumbianischen Armee und nahmen mehr als 400 Soldaten und Polizisten als Kriegsgefangene, was zu einem rasanten Verfall der Moral in der Truppe geführt hat. iii) Trotz des unglaublich hohen Repressionsniveaus kam es zu neuen sozialen Erhebungen. 1996 erschütterten Proteste von 150.000 Koka-Kleinbauern das Land, wenig später folgten Gefängnisaufstände und 1997/1998 mehrere zum Teil wochenlang andauernde Streiks im öffentlichen Sektor sowie ein Generalstreik. Vor diesem Hintergrund wuchs 1995/1996 die Nervosität in Washington, wo man zu diesem Zeitpunkt die Beziehungen zur Samper-Regierung wegen deren Verbindungen zum Cali-Kartell eingefroren hatte. Thoumi, der verschiedene US-Politiker interviewte, ist der Meinung (1999: 142-159), dass bei den US-Verantwortlichen damals eine sehr simplistische, auf das Drogenproblem reduzierte Sicht der Dinge vorgeherrscht habe. Themen wie Menschenrechtsverletzungen oder die Dynamik des bewaffneten Konflikts hätten kaum eine Rolle gespielt. Für viele Kongressabgeordnete und Senatoren mag diese Einschätzung stimmen, aber die Politik der in Kolumbien tätigen US-Behörden lässt sich damit nicht zufriedenstellend erklären. Wenn die Sorgen der US-Regierung tatsächlich vorrangig dem Drogenproblem gegolten hätten, dürfte sich die in diesem Zusammenhang entstandene Strategie nicht ausschließlich gegen die Guerilla richten. Bemerkenswerterweise haben sich die US-Sicherheitsorgane seit 1997 - als die kolumbianische Tagespresse einen CIA-Bericht zitierte, wonach die Machtübernahme der Guerilla innerhalb von fünf Jahren möglich sei - in Bogotá die Klinke in die Hand gegeben und dabei vor allem auf die Modernisierung der kolumbianischen Armee gedrängt. 1998 waren u. a. im Land: Verteidigungsminister William Cohen, der Chef der DEA Thomas Constantine, FBI-Direktor Louis Freeh, SOUTHCOM-Kommandant Charles Wilhelm sowie der damalige Leiter der Office for National Drug Control Policy, "Antidrogen-Zar" Barry McCaffrey. V. a. Wilhelm und McCaffrey forderten mehrfach eine verstärkte militärische Präsenz der USA in der Region (vgl. Zelik 1999b). Sie forcierten den Aufbau neuer Einheiten der kolumbianischen Armee, die von den US-Ausbildern mitgeleitet werden, und warben bei den als engen Verbündeten der USA bekannten Staatspräsidenten von Peru und Argentinien, Alberto Fujimori und Carlos Menem, für eine multinationale Eingreiftruppe in Kolumbien (vgl. Daza 2000: 14). Gleichzeitig kam es in Kolumbien selbst zu einer Wende der Regierungspolitik, die einige Parallelen zu den Entwicklungen Anfang der 80er Jahre aufweist. Mitte 1998 akzeptierte der neu gewählte Präsident Andrés Pastrana die von den FARC für die Aufnahme von Friedensgesprächen gestellten Bedingungen (Molano 2000, 94), was Pastrana auch bei kritischen Beobachtern im In- und Ausland den Ruf eines Friedenspolitikers bescherte (vgl. Ignacio Ramonets Leitartikel in der Le Monde Diplomatique 8/1998). Während die Regierung Friedensgespräche mit den FARC aufnahmen, intensivierten Armee und Paramilitärs - wie schon in der Amtszeit Betancurs 1982-1986 - den schmutzigen Krieg gegen die Opposition. Allein 1999 kam es zu 500 Massakern mit fünf oder mehr Toten, so viele wie noch nie zuvor in der Geschichte Kolumbiens. Zudem wurden die Bewohner einer ganzen Stadt, nämlich des als Gewerkschaftsbastion geltenden Erdölzentrums Barrancabermeja, pauschal mit dem Tode bedroht. Doch nicht nur die paramilitärische Rechte, auch Pastrana selbst trug zur Polarisierung der innenpolitischen Lage bei, als er eine neue Runde in der neoliberalen Kürzungs-und Privatisierungspolitik einläutete. Die Bogotaner Wirtschaftswissenschaftlerin Consuelo Ahumada (1996, 2000) zeichnet eine düstere Bilanz von 14 Jahren neoliberaler Öffnungspolitik, die Pastrana zwar nicht alleine zu verantworten, aber doch mit Vehemenz weiter vorangetrieben hat. So erreichte das Verhältnis Schuldendienst / kolumbianischer Staatshaushalt während seiner Amtszeit die Rekordmarke von 36,2 Prozent, was, so Ahumada, nicht auf hohe Staatsausgaben, sondern auf die Devisenprobleme des Landes zurückzuführen gewesen sei. Durch die Öffnungspolitik, d. h. die Beseitigung der Zollgrenzen, sei die kleine und mittlere Agrar- und Industrieproduktion Kolumbiens im Verlauf der 90er Jahre regelrecht zusammengebrochen. Dies wiederum habe zu einem Anwachsen des Zahlungsbilanzdefizits geführt und eine Neuverschuldung notwendig gemacht (Ahumada 2000: 18). Pastrana setzte diese desaströse Markt-Liberalisierung weiter fort und unterwarf sich den neuen 'Sanierungsprogrammen' des IWF, die die Kaufkraftentwicklung und damit den Zustand Binnenökonomie insgesamt negativ beeinflussten. Er drosselte die Ausgaben im öffentlichen Sektor (ebenda: 21), ordnete die Entlassung von mehr als zehn Prozent der 110.000 öffentlichen Angestellten an (ebenda: 27), und setzte neue Einschnitte im Gesundheits- und Erziehungswesen durch. Er ließ das Pensionsalter um fünf Jahre hochsetzen (ebenda: 30), leitete die Privatisierung staatlicher Krediteinrichtungen sowie der wichtigsten Strom- und Kohle-Unternehmen ein (ebenda: 26) und erlaubte, dass es in Schlüsselbereichen der kolumbianischen Wirtschaft zu Privatisierungen kam, die in den Bereich des Betrugs gehen (ebenda: 50) . Gleichzeitig bemühte sich Pastrana, von seinem Image als Friedenspräsident profitierend, um die Finanzierung eines Modernisierungsprojekts im Rahmen eines internationalen "Marshall-Plans". Aus diesen Anstrengungen entstand 1999 unter starker Mitwirkung der US-Administration (Córdoba, Morales, Acosta 2000) der so genannte "Plan Colombia - Plan für Frieden, Wohlstand und Stärkung des Staates" (Presidencia de la República 1999). Mit dem 7,558 Milliarden US-$ umfassenden Programm (davon 4 Milliarden Dollar aus dem kolumbianischen Staatshaushalt) (Córdoba et al.: 2000) reagierte Pastrana auf die Forderungen Washingtons nach einem globalen Konzept für Drogenbekämpfung und Weltmarktintegration (Daza 2000: 8). In der deutschsprachigen Fassung des Plans ist von Strategien für die zehn Bereiche Wirtschaft, Finanz- und Steuerwesen, Friedenspolitik, nationale Verteidigung, Menschenrechte, Rauschmittel, alternative Entwicklung, gesellschaftliche Beteiligung, menschliche Entwicklung und internationale Orientierung die Rede (Presidencia de la República 1999: 7-9). Der Plan bekennt sich dabei zu drei völlig widersprüchlichen Zielen: Erstens zur Stärkung des Friedensprozesses (was die politische Anerkennung der Guerilla impliziert), zweitens zu einer weiteren Öffnung der Wirtschaft für internationales Kapital und drittens zu einer Antidrogen-Politik, die noch stärker als bisher auf militärische Mittel setzt. Jedem, der die kolumbianische Situation einigermaßen kennt, muss klar sein, dass die drei Ziele nicht kompatibel sind: Die Guerillaorganisationen haben mehrfach klar gestellt, dass es nur dann einen Friedensvertrag mit ihnen geben wird, wenn Sozialkürzungen, Entlassungen und die Deregulierung der Märkte gestoppt und keine repressiven Maßnahmen gegen die Koka-Kleinbauern mehr ergriffen werden. Der Eindruck, dass das vorgelegte Dokument v. a. PR-Funktionen erfüllen soll, die angesprochenen sozialen Reformprojekte allerdings nicht besonders ernst genommen werden, drängt sich einem auch aus zwei anderen Gründen auf. Da ist zum einen die Tatsache, dass gleichzeitig drei verschiedene Versionen des Plans kursierten, wobei die für den US-amerikanischen Kongress bestimmte Fassung die militärischen Aspekte, die für die EU bestimmte Fasssung hingegen die Verteidigung der Menschenrechte betonte (Navarro 2001: 8); zum anderen der konkrete Finanzschlüssel, wie er im kolumbianischen Kongress schließlich präsentiert wurde. Nach den von den Abgeordneten Córdoba, Morales und Acosta (2000) veröffentlichten Zahlen sind 63,6 Prozent des Gesamtpakets für Verteidigung, Polizei und Justiz vorgesehen, hingegen nur 21,7 Prozent für Demokratisierung und soziale Entwicklung, 14 Prozent für die Wirtschaftspolitik und gar nur 0,7 Prozent für den Friedensprozess. Wenn man dazu noch berücksichtigt, dass völlig in den Sternen steht, ob der kolumbianische Staat überhaupt in der Lage sein wird, seinen Anteil am Gesamtpaket zu tragen, bleiben als verlässliche Zahlungen v. a. die 1, 3 Milliarden US-$, die der Kongress in Washington im Jahr 2000 bewilligt hat. Vor diesem Hintergrund ist es gar nicht so falsch, wenn in der öffentlichen Debatte inzwischen unter der Bezeichnung Plan Colombia nur noch das US-Paket verstanden wird, von dem etwa 80 Prozent, nämlich rund 1,1 Milliarden Dollar für Militär-, Polizei- und Justizhilfe vorgesehen sind (Vargas 2000) . Der Einfluss der US-Administration auf den Plan und ihre militärstrategischen Absichten zeigen sich an einer ganzen Reihe von Punkten: Der Plan wurde dem US-amerikanischen Kongress zur Entscheidung vorgelegt, bevor er in Kolumbien überhaupt bekannt war, er entstand zeitgleich mit einer vom Pentagon beim Söldnerunternehmen MPRI bestellten Studie über den Zustand der kolumbianischen Armee (MPRI 2000) und wird von US-Militär-Programmen für die Nachbarstaaten Peru, Ecuador und Panama in Höhe von 400 Millionen US-$ begleitet (Navarro 2000: 2). Dazu kommen konkrete Schritte in Richtung einer militärischen Intervention der USA. Von den US-Luftwaffenstützpunkten in Manta (Ecuador) und Aruba (niederländische Antillen) fliegen US-Aufklärungsflugzeuge permanent Einsätze, um Funkverbindungen der Guerilla mitzuschneiden und Truppenbewegungen der Aufständischen zu überwachen (El Espectador 27. 7. 1999). Diese Informationen werden aus Misstrauen gegenüber der kolumbianischen Armee zwar nicht direkt an die Militärs vorort weitergegeben, sondern im Hauptquartier Fort Bragg, Georgia, zentralisiert, doch offensichtlich kann die kolumbianische Armee bei Anti-Guerilla-Operationen auf sie zurückgreifen. Desweiteren sind eine nicht öffentliche Zahl von US-Geheimdienstspezialisten sowie mindestens 300 US-Ausbilder in Kolumbien tätig, die für den Aufbau und die Leitung von so genannten Batallones Antinarcóticos - Antidrogen-Sondereinheiten, die vorrangig im Anti-Guerilla-Kampf ausgebildet werden und im Kerngebiet der FARC operieren - zuständig sind. Ein weiterer Teil der Militärhilfe wird bemerkenswerterweise über Söldner-Unternehmen im abgewickelt. Eine Schlüsselrolle spielt hierbei die in Virginia ansässige Firma MPRI, die schon 1995 die kroatischen Militärs im Jugoslawienkrieg beriet und in deren Direktorium eine Reihe hochrangiger ehemaliger US-Offiziere, darunter der Ex-DIA-Chef Ed Soyster und General a. D. Vernon Lewis (vgl. MPRI 2000) sitzen. Derartige Privatunternehmen - ein weiteres Beispiel ist die Firma DynCorp, die Herbizideinsätze gegen Kokapflanzungen fliegt - werden von der US-Regierung offensichtlich immer häufiger für Militäroperationen angeheuert. Barry Mc Caffrey äußerte sich in diesem Zusammenhang gegenüber der Dallas Morning News (27. 2. 2000): "Ich bin ein Bewunderer des Outsourcing, es gibt sehr wenige Dinge, die man nicht nicht outsourcen kann", und in der Military Review, einem Diskussionsforum für militärstrategische Debatten, äußerte US-Offizier Thomas Milton (1998): "In den USA gibt es Unternehmen, die nicht nur zugunsten von US-Interessen arbeiten, sondern sogar Teil der vom Verteidigungsministerium erarbeiteten Pläne sind. Fast alle diese Unternehmen haben Ex-Militärs in ihren Reihen. Die Sicherheitsunternehmen sind zu einem integralen Bestandteil der Pläne und Operationen des Verteidigungsministeriums geworden." Die größten Proteste rief in den Andenstaaten jedoch die Tatsache hervor, dass im Rahmen des Plan Colombia die ökologisch desaströse Fumigationspolitik forciert und durch den Einsatz des als biologische Waffe kategorisierten Fusarium Oxysporum-Pilzes (Navarro 2001: 16) sogar noch intensiviert werden soll. Nach Schätzungen der Abgeordneten Cordoba (et al. 2000) werden 590.000 Bauern in den südkolumbianischen Departments Putumayo und Caquetá direkt oder indirekt von den Sprühungen betroffen sein. Selbst das kolumbianische Präsidentamt geht von 210.000 möglichen Vertriebenen allein im Departement Putumayo aus (zit. nach Navarro 2001: 25), was dazu geführt hat, dass die Versorgung von Flüchtlingen im Plan Colombia ausdrücklich im Etat mit berücksichtigt worden ist. Die ökologischen Folgen dieser Maßnahmen für das Amazonasbecken sind kaum zu kalkulieren. Die Herbizideinsätze in Nordkolumbien haben, so der heutige Umweltminister Mayr 1995, nicht nur zur Zerstörung von Flora und Fauna, sondern auch zum Versiegen von Flüssen geführt. 10 von 35 in der Sierra Nevada entspringende Gewässer verschwanden in Folge der durch die Herbizideinsätze verursachten Aridisierung (zit. nach Córdoba et al. 2000). Insgesamt sollen schon 1998, also noch vor der Intensivierung der Fumigationen, 150.000 Hektar tropischer Wald durch Herbizide schwer beschädigt worden sein (zit. nach Azzellini 1999: 119). Völlig unberechenbar ist schließlich die Wirkung des Fusarium Oxysporum, auf dessen Einsatz Washington trotz aller Kritik weiterhin drängt (Navarro 2001: 18). Nach Angaben der Umweltorganisation Acción Ecológica kann der Pilz 20-40 Jahre lang im Boden überdauern, ist gegen alle chemischen Subastanzen resistent und befällt auch andere Pflanzen als Koka (ebenda: 16). Letztlich werden die im Plan Colombia vorgesehenen Maßnahmen damit auf die Zerstörung von bäuerlichen Strukturen in den betroffenen Gebieten hinauslaufen, was wiederum nicht zu einer spürbaren Reduzierung des Drogenanbaus führen dürfte, sondern nur zu dessen Verlagerung. Die mittellosen Bauern werden noch tiefer in den Urwald hineingehen, um dort das einzige Produkt anzubauen, das ihnen in den abgelegenen Gebieten die Subsistzenz sichert: Koka. Vargas (1999) kommt wie Caballero (2000) aus diesem und anderen Gründen zu dem Schluss: "Der Plan Colombia entbehrt einer Antidrogen-Strategie. Er ist nichts anderes als die Wiederauflage von Bemühungen, die 25 Jahre lange gescheitert sind. Ein Vierteljahrhundert, in dem parallel zur Politik der Cero Tolerance das Drogengeschäft sein größtes Wachstum erreicht hat, das heißt, in dem die Antidrogen-Politik dazu beigetragen hat, den illegalen Kreislauf rentabler zu machen." Die bereits jetzt zu beobachtenden Folgen des Plan Colombia sind desaströs und weisen Züge einer Kriegsführung gegen die Bevölkerung auf. Die Gesundheit der Bewohner in den von Herbizideinsätzen betroffenen Gebieten ist stark beeinträchtigt, Indígena-Organisationen berichten von schweren Durchfallerkrankungen v. a. bei Kindern. Große Waldreserven werden zerstört, das Amazonas-Becken vergiftet, Hunderttausende (darunter auch viele Bauern, die kein Koka pflanzen) ihrer Lebensgrundlage beraubt und dabei doch die eigentlichen Profiteure der Drogenökonomie, z. B. die Finanzinstitute, in denen das Geld gewaschen wird, schonen. Man kann diese Politik, wie die meisten Autoren, auf mangelnde Sachkenntnis der Verantwortlichen in den USA zurückführen. Doch mindestens ebenso richtig ist der Hinweis, dass der Plan Colombia von Anfang an als Aufstandsbekämpfungsstrategie konzipiert worden ist.
Besondere Bedeutung hat dieser Aspekt vor dem Hintergrund, dass die amerikanischen Staatschefs im Rahmen des FTAA / ALCA -Abkommens die Einrichtung einer kontinentalen Freihandelszone bis zum Jahr 2005 anstreben. Kolumbien wird dann zum wichtigen Durchgangsland für den Güterverkehr zwischen Zentral- und Südamerika und noch interessanter für ausländische Investitionen, aber eben auch zum Risiko für die Stabilität der gesamten Region. Trotz der massiven Repression der vergangenen zwei Jahrzehnte gibt es im Land nach wie vor eine vergleichsweise starke Opposition gegen die kapitalistische Durchdringungs- und Verwertungspolitik. Gewerkschaften streiken gegen Privatisierungen, Indígenas wehren sich gegen die Ausbeutung von Bodenschätzen auf ihrem Territorium, Guerillaorganisationen besteuern transnationale Unternehmen und sabotieren die Erdölindustrie. So hat der Ölmulti Occidental im Juli 2001 die Investitionen in Kolumbien ausgesetzt, nachdem die ELN-Guerilla in den ersten sechs Monaten des Jahres mehr als 100 Anschläge auf die Pipeline Caño Limón-Coveñas verübt und damit den Ölexport aus dem nordostkolumbianischen Arauca völlig lahm gelegt hat. Zeitgleich streikten die Angestellten des öffentlichen Sektors zum wiederholten Male gegen die Privatisierung des Erziehungs- und Gesundheitswesens. Die Beseitigung solcher Investitions-Hindernisse, die den Erfolg der FTAA-Freihandelszone nachhaltig beinträchtigen könnten, ist ein wichtiges, vielleicht sogar das wichtigste Ziel des Plan Colombia. Durch die Zerstörung von Koka- und Nahrungsmittelpflanzungen und die Vertreibung von Hunderttausenden von Kleinbauern wird die Guerilla politisch und ökonomisch geschwächt und damit die Opposition im ganzen Land zurück gedrängt werden . Gleichzeitig wird der Militär- und Repressionsapparat weiter ausgebaut. In einer neueren, von der Rand Corporation erstellten Studie ist denn auch die Rede davon, Drogen- und Guerillabekämpfung gegebenenfalls voneinander zu trennen und Sicherheitsaspekte stärker zu betonen. Dies schließe ausdrücklich auch die Möglichkeit einer direkten Intervention der USA ein, falls sich die Situation auf anderem Wege nicht stabilisieren lasse. "If despite those effects, security conditions continue to deteriorate, and the United States is confronted with an impending Columbian government collapse, the U.S. goal would be to ensure the survival and stability of governments in neighboring countries. The United States must work with those governments with which it has shared interests - Peru, Ecuador, Panama, and possibly Brazil and some of the Southern Cone countries - to isolate the guerilla controlled areas of Columbia. It could involve an increase of U.S. military presence." (Rand Corporation 2001: 93) Vor diesem Hintergrund ist die Lateinamerika weit verbreitete Kritik, der Plan Colombia sei nur "ein erster Schritt in Richtung eines neuen Vietnams", mehr als eine propagandistische Parole. Es gibt zahlreiche Indizien für eine derartige Entwicklung. Bemerkenswerterweise unterstützt die EU den Plan trotz aller verbalen Distanzierungen. So kritisierten die europäischen Regierungen auf der "Geberkonferenz" im Mai 2001 den Plan zwar als zu militaristisch, und EU-Kommissar Chris Patten bezeichnete Kolumbien gar als Präzedenzfall für eine von den USA unabhängigere Außenpolitik, doch der kolumbianischen Regierung stellte man dennoch ingesamt 300 Millionen Euro für verschiedene Entwicklungsprojekte zur Verfügung. Kolumbianische Kleinbauern-, Schwarzen- und Indígena-Organisationen fürchten, dass mit diesem Geld die Industrialisierung der Landwirtschaft beschleunigt und kriegsbegleitende Sozialmaßnahmen finanziert werden sollen. Wie schon in den 80er Jahren in Zentralamerika scheinen auch in Kolumbien militärische, politische, wirtschaftliche und soziale Aspekte der Kriegsführung Hand in Hand zu gehen.