Präsident Álvaro Uribe steht morgen vor seiner ersten innenpolitischen Bewährungsprobe: einer umstrittenen Volksabstimmung. In Bogotá könnte ebenfalls morgen erstmals ein Linker zum Bürgermeister gewählt werden
von GERHARD DILGER
Rund 70 Prozent Zustimmung signalisieren jüngste Meinungsumfragen für Kolumbiens Präsidenten Álvaro Uribe. Zwar sind an solchen Zahlen Zweifel angebracht, doch fest steht: Seit Anfang der Neunzigerjahre hat kein Staatschef derart breiten Rückhalt beim politischen und publizistischen Establishment wie Uribe. An diesem Wochenende steht dem Hardliner, der bisher seine Politik dem Krieg gegen die Guerilla untergeordnet hat, die erste innenpolitische Bewährungsprobe seit seiner Wahl im Mai 2002 bevor.
Morgen steht ein 15-Punkte-Referendum zur Abstimmung, das Uribe im Wahlkampf als Abrechnung mit der politischen Klasse angekündigt hatte. Korrupte Politiker sollten leichter abgestraft werden können, partizipative Elemente gestärkt werden. Doch nach einem langen Aushandlungsprozess im Kongress und vor dem Verfassungsgericht hat sich das Maßnahmenpaket teilweise ins Gegenteil verkehrt und eine starke neoliberale Schlagseite erhalten. So will der Präsident die Gehälter der Staatsangestellten auf zwei Jahre einfrieren und die Renten kürzen lassen.
Da kaum einer Überblick über die Auswirkungen der 15 Punkte hat, ist das Referendum vor allem eine Prestigefrage für Uribe. Neulich tauchte er im kolumbianischen "Big Brother" auf und stilisierte die Abstimmung zum "Plebiszit gegen den Terrorismus". Gültigkeit bekommt sie erst, wenn mindestens 25 Prozent WählerInnen daran teilnehmen, das sind 6,2 Millionen. Der liberale Politologe Hernando Gómez befürchtet, bei einem Sieg Uribes drohe als nächstes eine Verfassungsänderung, die dem Präsidenten den Weg zur Wiederwahl ebnen soll. Das wäre ein "entscheidender Schritt zur Abschaffung der Demokratie", sagt Gómez und verweist dabei auf Alberto Fujimori, Carlos Menem und Hugo Chávez, die ihre anfängliche Popularität für autoritäre Projekte nutzten.
Morgen werden zudem die Bürgermeister und Gouverneure gewählt. Besonders spannend ist die Entscheidung in Bogotá. Die Stadt hat unter den letzten Bürgermeistern Antanas Mockus und Enrique Peñalosa einen großen Modernisierungssprung gemacht hat: Mockus machte in seiner ersten Amtszeit ab 1994 die "Bürgerkultur" zu seinem Markenzeichen, organisierte Kampagnen für die Zivilisierung des Verkehrs und die Entwaffnung, legte Fahrradwege an und sanierte den Haushalt. Der Technokrat Peñalosa führte das Schnellbussystem "Transmilenio" ein. Nach seiner Wiederwahl 2000 setzte Mockus weiter auf Pädagogik und Transparenz. Während sich der Krieg im ganzen Land verschärfte, fiel in Bogotá die Mordrate in den vergangenen zehn Jahren um die Hälfte.
Doch indirekt hinterließen Krieg und Wirtschaftskrise auch dort Spuren: Hunderttausende Vertriebene sind in die Armenviertel geströmt, die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer tiefer. Die soziale Schieflage wurde zum Wahlkampfthema Nummer eins, und seit kurzem liegt der Linke Lucho Garzón in den Umfragen vor dem Uribe-Kandidaten Juan Lozano. Mit dem Referendum wird der Wahlausgang in Bogotá und den Großstädten Cali, Medellín und Barranquilla zu einem Test für die demokratische Linke, die in den letzten Jahren Boden gut gemacht hat.
Ihr größter Trumpf dabei ist der humorvolle und undogmatische Garzón, der sich seit Jahren für eine Verhandlungslösung mit der Guerilla einsetzt und bei den letztem Präsidentenwahlen auf dem dritten Platz landete. Er möchte an die Mockus-Linie des "Bürgerwiderstands" gegen Gewalt von links und rechts anknüpfen und verkörpert damit die deutlichste Alternative zu Uribe. Ein Sieg Garzóns, so der Starkolumnist Antonio Caballero, wäre ein Aufbruchssignal: "Er würde zeigen, dass in Kolumbien das möglich ist, was man jahrzehntelang mit Schüssen auslöschen wollte: eine zivile Linke."
Garzón-Anhänger werben dafür, das Uribe-Referendum zu ignorieren. Die Farc-Guerilla ruft zu einem Boykott des Referendums und einer "großen Wahlfarce" auf. Das und die Bombenanschläge der vergangenen Tage hat die Regierung in Alarmbereitschaft versetzt: 150.000 Polizisten und Soldaten sollen für einen reibungslosen Ablauf der Urnengänge sorgen.
taz Nr. 7191 vom 25.10.2003, Seite 10, 152 Zeilen (TAZ-Bericht), v GERHARD DILGER