epd, 29.5.03
Kehrseite der Globalisierung
Der G-8-Gipfel in Evian soll sich auch mit der Solidarität zwischen Nord und Süd befassen - Proteste geplant
Von Jan Dirk Herbermann (epd)
Genf (epd). Der Weltwirtschaftsgipfel von Evian könnte die Irak-Debatte und das europäisch-amerikanische Verhältnis beleben: Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wird in dem französischen Badeort am Genfer See US-Präsident George W. Bush wahrscheinlich die Hand schütteln. Und auch Frankreichs Staatschef Jacques Chirac muss dem Mann aus Washington als guter Gastgeber Respekt zollen.
Noch steht der gesamte Themenkatalog für das Treffen der acht wichtigsten Industrienationen (G-8) von Sonntag (1. Juni) bis Dienstag nicht fest: Bei der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Russland und den USA wird bis zuletzt um die Details gefeilscht. Zugleich melden sich rund um den Globus schon die Kritiker zu Wort.
Bush will die Bekämpfung des Terrors in den Mittelpunkt rücken. Darüber hinaus soll der Wiederaufbau des Irak zur Sprache kommen. Und der Mann aus dem Weißen Haus will sich als einfühlsamer Staatsmann feiern lassen: Welches andere Land außer den USA hat zur Aidsbekämpfung schon 15 Milliarden US-Dollar versprochen?
Chirac schlägt zunächst versöhnliche Töne an: "Der G-8-Gipfel soll zeigen, dass sich die Nationen verstehen können und wollen." Er lud deshalb auch Spitzenpolitiker aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu einem Vorgipfel ein. So werden unter anderem die Präsidenten Brasiliens, Südafrikas und Chinas erwartet.
Chirac will die Entwicklungspolitik nach vorn rücken. Vier Themen sollen diskutiert werden: Solidarität - vor allem mit Afrika -, Verantwortung der großen Konzerne, Sicherheit vor Terrorismus und Dialog mit der Zivilgesellschaft. Die Globalisierungskritiker reiben sich die Augen: "Das ist nicht, wie man meinen könnte, die Tagesordnung eines Gegengipfels", heißt es beim Netzwerk attac.
Dass auf dem G-8-Gipfel die Globalisierung beleuchtet wird, ist klar. So reist der Chef der Welthandelsorganisation (WTO), Panitchpakdi Supachai, an. Er wird die Wirtschaftsmächte zu mehr Bemühen in den Liberalisierungs-Gesprächen der WTO aufrufen. Die WTO verhandelt über den Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen in der Landwirtschaft, bei Industriegütern und bei Dienstleistungen.
Geringere Hürden für den Warenaustausch, so verspricht Supachai, werde auch den Entwicklungsländern nützen. Die Gespräche bei der WTO in Genf stecken aber fest. Vor allem die protektionistischen Agrarsubventionen der Industrieländer behindern den Fortschritt. Die Amerikaner wollen auch für ihre genmanipulierten Lebensmittel mehr Freihandel.
Schon hat der Gipfel Proteste provoziert. In der Region um Evian wollen bis zu hunderttausend Menschen ihrem Unmut Luft machen. Organisatoren wie attac fordern "eine radikale Abkehr von der neoliberalen Politik der G7/G8". Stattdessen solle eine "Orientierung an den Leitlinien von sozialer Gerechtigkeit, Demokratie und ökologisch verantwortlicher Entwicklung" erfolgen.
Das "Diktat der entfesselten Marktkräfte" mache die Reichen immer reicher und lasse das Heer der Armen weltweit anschwellen: "Etwa die Hälfte der Menschheit muss mit weniger als zwei Dollar täglich leben." Ginge es nach attac, müssten die Länder des Nordens ihre Einfuhrhürden für Produkte aus dem Süden radikal schleifen. Für die G-8 haben die attac-Aktivisten auch einen Vorschlag: Die Gruppe sollte sich am besten ganz auflösen.
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