Sonntagszeitung, 1.6.03

Mobilisierung der Globalisierungskritiker für heutige Demonstration ist fehlgeschlagen

VON CHRISTIAN MAURER

Lausanne/Genf/Annemasse F - Bis zu 300000 Globalisierungsgegner wurden noch vor wenigen Wochen zu Großdemonstrationen in Lausanne, Genf und Annemasse gegen den G-8-Gipfel erwartet. Die Riesenzahl diente den Behörden als Rechtfertigung für ein noch nie da gewesenes Aufgebot an Soldaten und Polizisten aus der ganzen Schweiz und Deutschland: Rund 12 000 Mann stehen im Einsatz.

Nachdem die Schätzungen bereits letzte Woche mit « bis 90 000 » deutlich tiefer ausfielen, wurde gestern Abend nochmals nach unten korrigiert: « 20 000 bis 30 000 wären bereits ein Riesenerfolg », sagt der grüne Politiker Antonio Hoodgers vom Forum social lémanique (FSL), das die heutige Demonstration auf Schweizer Seite vom Englischen Garten am Genfersee bis zur Grenze bei Thonex (siehe Karte) organisiert. « Höchstens 30 000 », schätzt auch Urs Rechsteiner von der Genfer Kantonspolizei. Trotz den 60 bis 100 Bussen, die heute noch mit Demonstranten erwartet werden.

G-8-Gegner halten ihre Bewegung für unübersichtlich und unkoordiniert

« Die Mobilisierung hat nicht funktioniert », sagt ein Berner Junglehrer und G-8-Gegner selbstkritisch. Anders als vor zwei Jahren für die Anti-G-8-Kundgebungen in Genua sei die Protestbewegung unübersichtlich und unkoordiniert. « Niemand weiss, wo etwas läuft. » Das sei die Folge der Grabenkämpfe zwischen Genfer und Lausanner Demo-Organisatoren. « Jeder dachte, er müsse die grössere und schönere Demo organisieren. » Bernd, mit einem von der Antiglobalisierungsbewegung Attac gemieteten Sonderzug von Berlin nach Genf gereist, bestätigt: « Keine Ahnung, wo ich hin soll. » So blieb er kurz im Camp von Annemasse, fuhr dann nach Genf um enttäuscht zu fragen: « Und in Lausanne, läuft da mehr? »

Nein. Das offizielle Lausanner Camp Bourdonnette wurde mit 200 000 Franken für 5000 Personen hergerichtet doch gestern standen dort lediglich etwa 100 Zelte für 250 Personen. Im Genfer Sportstadion Bout-du-Monde, wo bis zu 40 000 Anti-G-8-Camper erwartet wurden, verloren sich gestern Nachmittag 2000 Menschen. « Wir haben viel mehr Leute erwartet », sagt das Empfangsteam vom Genfer Sozialamt beim Sportstadion Bout-du-Monde. « Die Leute müssen sich etwas verloren vorkommen », meint Hoodgers. Auf dem Flugplatz von Annemasse warteten gestern etwa 6000 Menschen auf ein Konzert des Anti-Establishment-Stars Manu Chao.

Im Lausanner Alternativcamp « Oulala cvillage » sind Fremde, ob Spaziergänger oder Medienleute, nicht erwünscht. « Wir sind nicht im Zoo », giftelt eine junge Frau mit Rastalocken. Dennoch, über dem Zeltdorf weht ein Hauch von Frieden und Happening. Wie auch im Alternativdorf « Zaage » am Flüsschen Arve bei Genf, wenige Hundert Meter vom offiziellen Großcamping entfernt. Besucher, die nicht dem Look des Globalisierungsgegners entsprechen, werden zwar misstrauisch beäugt. Doch wer sich zu einem kurzen Gespräch entschliesst, trifft auf versöhnliche Stimmung. « Wir sind wirklich überrascht, die Polizei provoziert tatsächlich nicht », kommentiert ein eher aggressiv wirkender Militanter die unbewilligte Demonstration vom Freitag durch das Quartier der internationalen Organisationen in Genf.

Deeskalation bei den Militanten? Offensichtlich. Denn die bisherigen Demonstrationen verliefen ohne grössere Zwischenfälle. « Es passierte sehr viel weniger, als erwartet wurde », sagt Daniel Bollomey von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, welche die Lausanner Demonstration mit rund 30 Beobachtern begleitet hat und heute mit etwa 60 Beobachtern präsent sein wird.

« Wir müssen zeigen, dass der Protest friedlich und fröhlich ist »

Das Forum social lémanique hat für die heutige Demonstration einen Ordnungsdienst mit über 200 Personen aufgezogen. Sogar an der unbewilligten Demonstration vom Freitag entstand spontan ein informeller Ordnungsdienst, der Vermummte mehrmals von sinnloser Gewalt abhalten konnte. « Wir wollen keinen Ärger, sondern möglichst viele Leute am Sonntag », erklärt ein junger Bewegter aus Frankreich, der eben noch einen etwa gleichaltrigen Maskierten mit einem Stein in der Hand zusammen-gestaucht hat. « Wir müssen zeigen, dass der Protest gegen die Mächtigen friedlich und fröhlich ist sonst kommt keiner », sagt seine Freundin. Sie hat Kolleginnen, die aus Angst vor Ausschreitungen und Gewalt nicht nach Genf gekommen sind.


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