Neues Deutschland, 2.6.03

Tränengaswolken zogen auf die Kuhweide...

Demonstranten blockierten Zufahrtstraßen nach Evian/G8-Gipfeltreffen startete mit Verzögerung

Von Susanne Götze

Rund 3000 Aktivisten blockierten gestern in Genf, Annemasse und Lausanne Kreuzungen und Zufahrtstraßen. Am Sonntagmorgen setzte die Polizei in der Nähe von Evian Tränengas ein, als G8-Gipfelgegner eine Zufahrtstraße blockierten. Ergebnis: Die Demonstranten blieben.

Um vier Uhr morgens am Sonntag wurden die Protestler aus ihren Zelten getrommelt und versammelten sich noch etwas verschlafen mit Transparenten und bunter Verkleidung am Eingang des « Intergalaktischen Camps » im französischen Annemasse. Schon seit Tagen wurde im Camp diskutiert, wie das Gipfeltreffen der stärksten Industrienationen am effektivsten zu blockieren sei. Da ein « Sturm auf die Rote Zone » wie in Genua dieses Mal aufgrund der regionalen Gegebenheiten nicht möglich war, musste ein Konzept her, wie man die acht Regierungschefs trotzdem auf den Widerstand der Straße aufmerksam machen kann.

Grundlage der Überlegungen war die Tatsache, dass nur zwei große Zufahrtstraßen nach Evian existieren, auf denen das technische Zubehör sowie das Dienstpersonal in die französische Stadt transportiert wurde. Eine der strategisch wichtigen Straßen führte am « Intergalaktischen Camp » in Annemasse vorbei, wo die 800 « Gipfelstürmer » in aller Frühe ihren Marsch begannen.

Nachdem anfangs überhaupt keine Polizei zu sehen war, tauchten nach etwa zehn Kilometern zwei bis drei Polizeiwagen auf. Die erwartete Auseinandersetzung blieb aber vorerst aus. So zogen die Demonstranten mit Trommeln und Sprechchören weiter in Richtung Evian. An idyllischen Bergdörfern vorbei wanderte der Protestzug die leere Straße entlang, auf der sich am Sonntagmorgen kaum ein Auto verirrt. Bei Sonnenaufgang blickten einige Dorfbewohner verschlafen aus ihren Fenstern, einige winkten dem Fahnen schwenkenden und tanzenden Demozug ermutigend zu. So etwas hat es hier sicherlich noch nie gegeben.

Die friedliche Stimmung änderte sich schlagartig, als am Ende der Straße - am Rande eines kleinen Dorfes - Wasserwerfer und Polizeiwagen dem Protestzug mit Absperrungen ein jähes Ende bereiteten. Die Trommeln und Pfiffe wurden lauter und heizten die gespannte Stimmung weiter an. « No G8« , riefen zahlreiche Stimmen aus der Menge. Buhrufe kamen hinzu, geballte Fäuste streckten sich gen Himmel, als gleich zwei Polizeihubschrauber am Horizont auftauchten. Ein Großteil der Protestierenden begann sich auf die Blockade einzurichten und machte es sich auf der Straße gemütlich. Die Bauzäune wurden positioniert und Holz aus dem anliegenden Wald angeschleppt, um ein Feuer zu machen.

Dann begann die Polizei mit Tränengas auf die Menge zu schießen, die erst erschreckt zurückwich, um dann die rauchenden Kapseln zurückzuwerfen. Die Ansammlung teilte sich nun in einen größeren Teil, der sich etwas zurückzog, und in den vermummten schwarzen Block, der die Stellung an der Blockade hielt. Die Demonstranten hatten Glück, der Wind drehte und die Tränengasschwaden zogen auf die anliegende Kuhweide.

Nach einigem Hin und Her festigte sich der Demonstrationszug wieder, der nun gemeinsam gegen die immer wiederkehrenden Versuche der Polizei, die Blockade zu brechen, Widerstand leistete. Die Protestierer wurden durch das nahe gelegene Camp mit Essen versorgt und blieben ständig in Verbindung mit den selbst organisierten Sanitäter- und Rechtsanwaltsteams.

Sicherlich war die Solidarität der Demonstranten untereinander ein wichtiger Grund, warum die Blockaden so lange dem Aufgebot der Polizei standhielt. Autonome und attac-Anhänger standen zusammen im Tränengasnebel. So hielt die Blockade über zehn Stunden den Verkehr nach Evian auf und zahlreiche entnervte Autofahrer mussten wieder umkehren. Darunter sollen auch die Übersetzer für den G8-Gipfel gewesen sein.

Aufmerksamkeit haben die Demoteilnehmer in jedem Falle erregt, und es scheint ihnen gelungen zu sein, den Widerstand sogar bis an den Tisch des G 8-Gipfeltreffens zu tragen, das wegen der Verzögerungen mit zwei Stunden Verspätung beginnen musste. Insgesamt blockierten in Genf, Annemasse und Lausanne rund 3000 Aktivisten Kreuzungen und Zufahrtstraßen. In den letzten Tagen hatte es zwar schon bei kleineren Demonstrationen einige Ausschreitungen am Rande gegeben, die sich aber hauptsächlich auf Sachschäden beschränkten. Trotz allem - der Sonntag stellte den Höhepunkt der gesamten Aktionen gegen den G8-Gipfel dar.


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