Tagesspiegel, 2.6.03
Die Widersprüchlichen
Ein prüfender Blick auf die Globalisierungskritiker
Von Dagmar Dehmer
Schuld sind der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Welthandelsorganisation (WTO). So sieht es zumindest das globalisierungskritische Netzwerk Attac, das am Vorabend des G-8-Gipfels im französischen Evian am Sonntag ein Tribunal gegen diese internationalen Finanz- und Handelsinstitutionen veranstaltete. Aus der Sicht der Demonstranten am Genfer See ist der weltweite Freihandel kein Segen, sondern die Ursache für die wachsende Armut in vielen Entwicklungsländern. Deshalb ist das Gipfeltreffen der Staatschefs der sieben wichtigsten Industrienationen der Welt plus Russland für die Globalisierungskritiker ein Grund, wieder auf die Straße zu gehen.
Der Marburger Politikprofessor Claus Leggewie hat mit seinem Buch "Die Globalisierung und ihre Gegner" eine präzise Beschreibung der Protestbewegung vorgelegt. Er untersucht die Motive rechter Globalisierungsgegner, wie der deutschen rechtsradikalen NPD. Von solchen rechtsgerichteten Politikern, die ihre Anhängerschaft bei den "Globalisierungsverlierern" finden, grenzen sich linke Kritiker wie Attac scharf ab. Das Spektrum der Globalisierungsskeptiker ist damit aber noch lange nicht beschrieben. Denn auch innerhalb der von Attac so heftig angegriffenen Institutionen regt sich Kritik am schrankenlosen Markt. Eine Wirtschaft ohne Kontrolleure halten sie für gefährlich. Und die Politik hat sich aus ihrer Sicht freudig selbst entmachtet. Der wirkungsvollste Kritiker von innen ist aus Leggewies Sicht der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, der "selten widerlegt" worden sei.
Gleichzeitig entdeckt der Politologe eine Wiederauferstehung der linken, intellektuellen Kritik. Schließlich werden der Schweizer Soziologe Jean Ziegler, der amerikanische Sprachwissenschaftler Noam Chomsky oder die indische Schriftstellerin Arundhati Roy von den Globalisierungskritikern wie Popstars gefeiert. Außerdem wäre Attac ohne die theoretische und polemische Vorarbeit des französischen Soziologen Pierre Bourdieu vermutlich gar nicht entstanden. Daneben sind aber auch Gewerkschaften, Kirchen und Nicht-Regierungs-Organisationen wirksame Akteure der Globalisierungskritik.
Leggewie, der selbst dem wissenschaftlichen Beirat von Attac angehört, untersucht die Protestbewegung mit viel Sympathie - und im Stil leider sehr akademisch. Dennoch ist er nicht blind für die Widersprüche in der Argumentation der Globalisierungskritiker. "Davor, welches Mittel man gegen den Terror einsetzen soll, da er nun unbestreitbar in der Welt ist, drücken sich Roy und die meisten Globalisierungskritiker herum", bemängelt er. Außerdem kann er sich mit dem platten Antiamerikanismus der Bewegung schon deshalb nicht anfreunden, weil die aktivsten Globalisierungskritiker aus der Graswurzelbewegung in den USA kommen.
Das Buch bietet eine interessante Analyse der globalisierungskritischen Bewegung und ihrer Argumente sowie Porträts ihrer Akteure. Außerdem liest es sich in Teilen wie ein Geschichtsbuch der Gegenwart und erhellt, warum das Scheitern des WTO-Gipfels in Seattle 1999 zur Geburtsstunde der Bewegung geworden ist. Aber ein Genuss ist das Werk nicht gerade - eher harte Lesearbeit.
Claus Leggewie: Die Globalisierung und ihre Kritiker. Verlag C.H. Beck, München 2003. 206 Seiten. 9,90 Euro.
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