G8-Proteste in Lausanne: Ausführlicher Bericht/Einschätzungen
von alle farben sind abstufungen von schwarz - 05.06.2003 02:28
http://www.de.indymedia.org/2003/06/53717.shtml

Ein zusammenfassender Bericht über die Ereignisse in Lausanne, mit Schwerpunkt auf Sonntag. Geschrieben von Leuten aus einem größeren Zusammenhang, der sich v.a. in Lausanne aufgehalten hat, und bei den Blockaden am Sonntag mit kleineren Bezugsgruppen in verschiedenen « Blöcken » war.

Unserer Meinung nach wurde in einigen Berichten auf indymedia teilweise etwas « unvollständig » bzw. schlecht informiert geschrieben, wir hoffen mit diesem Bericht ein « objektiveres » und umfassenderes Bild geben zu können. Deshalb auch weitere Links im Text.

Natürlich haben wir auch nicht alles gesehen und gehört, haben außerdem natürlich auch spezielle Meinungen (die allerdings auch unterschiedlich sind) und daher « bestimmte Brillen auf » und hoffen deshalb auf Ergänzungen in den Kommentaren.

Ausgangssituation und Konzept für die Blockaden am Sonntag

Auf dem ersten internationalen Treffen im März war beschlossen worden, den G8-Gipfel nicht nur mit einer Großdemonstration zu begleiten, sondern aktiv durch Blockaden zu behindern. Lausanne erschien dafür ein wichtiger Ort, da von hier die direkteste Fährverbindung nach Evian besteht, in Lausanne selbst Delegierte und Funktionäre untergebracht werden sollten und außerdem damit zu rechnen war, dass die in Genf untergebrachten G8-Teilnehmenden eher über Lausanne als über die Straßen von Genf nach Evian gebracht werden würden. Es wurde vermutet, dass die genehmigte Großdemonstration zwischen Genf und Annemasse schon als riesige Blockade ausreichen würde, aber als solche von den Behörden auch bereits eingeplant worden war...

Obwohl seit Wochen in ganz Europa Aufrufe kursierten auch nach Lausanne zu kommen
http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/evian/#de, http://www.de.indymedia.org/2003/05/51389.shtml,
war bis Samstag Abend aber nicht abzuschätzen, wie viele Leute sich am Sonntag tatsächlich an den Blockaden in Lausanne beteiligen würden.

Im Laufe des Samstag begannen sich die beiden Camps aber allmählich zu füllen: Im selbstorganisierten, malerisch am See gelegene Oulala C'Village ( http://squat.net/contre-attaque/village/village_al.htm) war die Info-Struktur von Beginn an besser, aber auch das offizielle, von den Behörden gestellte und mit Duschen, Klos, Waschbecken, großen Zelten, Bierbänken und « tischen, Feuerstellen und sogar handlichem Feuerholz sowie zu Beginn haufenweise Zivibullen ausgestatte Camp Bourdonette füllte sich ab Freitag zusehends und am Samstag fand eine größere Vollversammlung statt.

Vor allem wegen der Unklarheit über die Größe der Beteiligung an den Blockaden und den Weg, der von den Behörden für den Transport von Genf nach Lausanne gewählt werden würde (Autobahn, Landstraße und/oder Zugverbindung), konnte schließlich erst am Samstag Abend auf Basis verschiedener Bezugsgruppentreffen und Camp-Vollversammlungen ein gemeinsames Blockadekonzept beschlossen werden:

In einem gemeinsamen Demonstrationszug beider Camps sollte die breite gelbe Zone um den Hafen (der sich in der engeren roten Zone befand) erreicht werden, dann sollten entlang der gelben Zone an verschiedenen zentralen Straßenkreuzungen Blockaden errichtet werden, um den G8-Funktionären den Zugang zum Hafen zu versperren. Im ersten Teil des gemeinsamen Demonstrationszugs von den Camps zur gelben Zone sollte der Pink-Silver-Bloc mit Samba-Band und Soundsystem laufen, dahinter Teile der Fahrradkarawane und andere Bezugsgruppen und am Ende der Block « Anthrazit », ein heterogener Block verschiedener Zusammenhänge hauptsächlich aus dem oberen, offiziellen Camp Bourdonette (kein einheitlicher « schwarzer Block », wie in Berichten zu lesen war!!!).

Unabhängig von diesem Demo-Zug wollten verschiedene Bezugsgruppen in der Stadt an einzelnen Kreuzungen streng gewaltfreie Blockaden durchführen, diese Gruppen gingen aus dem ursprünglich geplanten « Aqua-Bloc » hervor.

Zusätzlich waren von kleineren Bezugsgruppen auf der Autobahn zwischen Genf und Lausanne weitere Blockaden angekündigt.

Und für Mittag hatte eine Piraten-Armada aus kleinen Booten und selbstgebastelten Flößen angekündigt, den Genfer See vom Strand des Oulala-Camps aus in Richtung Evian zu überqueren.

Da es bei den Aktionen der vorherigen Tage

- Auftaktdemo am Donnerstag
http://ch.indymedia.org/de/2003/05/9629.shtml, http://ch.indymedia.org/de/2003/05/9644.shtml, http://ch.indymedia.org/demix/2003/05/9694.shtml

- Nacktaktion am Samstag http://de.indymedia.org/2003/06/53468.shtml

zu keinen größeren Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war, und sich die Polizei generell sehr zurückhaltend und de-eskalierend präsentiert hatte, auch auf der Demo für Bewegungs- und Informationsfreiheit, gegen IOM, WTO und WIPO in Genf am Freitag

http://de.indymedia.org/2003/05/52809.shtml
http://de.indymedia.org/2003/05/52860.shtml

wurde nicht davon ausgegangen, dass die Polizei versuchen würde, die Camps schon am Loslaufen zu hindern.

Allerdings war klar, dass es in roter und gelber Zone eine enorme Polizei- und Militärpräsenz gibt, und ein Eindringen in die gelbe Zone unmöglich sein würde... Und am späten Samstag Abend kamen auch Infos an, dass es in Genf bei einer « Scherben-Demo » zu massivem Sachschaden und in der Folge zu größeren Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war...

« Blockade-Demo » Sonntag früh entlang der gelben Zone und wieder zurück:

Nachdem in den Nächten davor im unteren Camp oft bis in die frühen Morgenstunden gefeiert worden war, und es manchmal eher den Anschein eines Party-Ferienlagers machte, zeigten sich die Leute in der Nacht zum Sonntag überraschend diszipliniert: Das Punkkonzert endete gegen Mitternacht, danach war es an den vielen kleinen Feuern am Strand einigermaßen ruhig und die meisten gingen bald schlafen. Um 5 Uhr wurde mit Trommeln geweckt und mit nur etwas Verzögerung ging es gegen halb sieben los, um am oberen Camp den gemeinsamen Demo-Zug in die Stadt zu beginnen. Dort wartete auch schon der heterogene « Block Anthrazit » mit Soundwagen und Transparenten, Pink-Silver und Samba-Band gingen vor und insgesamt waren es ca. 2000-3000 Leute, überwiegend aus dem autonomen Spektrum, die sich auf den Weg in die Stadt machten. Begleitet unter anderem auch von einer Gruppe gut gekleideter Herren mit Masken der G8-Regierungschefs sowie eigenem « Polizeischutz » und « Pressefotograf », die immer wieder ihr Lied « We fuck the world - we fuck the children » anstimmten...

Hier auch nochmal ein paar Worte zu Pink-Silver, um Behauptungen entgegenzutreten, Pink-Silver wäre pazifistisch in Abgrenzung zum vermeintlichen « Black-Bloc ». Die einzelnen Bezugsgrupen des Pink-Silver-Blocs hatten sich in der Vorbereitung darauf geeinigt, dass aus dem Pink-Silver-Bloc selbst keine Sachbeschädigungen und Angriffe auf Personen ausgehen sollten - sprühen, malen, Barrikaden und Absperrungen errichten und das Zurückdrängen von Polizeiketten mit radical cheerleading, tactical frivolity, Samba und verstärkten Transparenten waren akzeptierte Aktionsformen. Pink-Silver erklärt sich jedoch mit allen anderen Aktionsformen solidarisch, von explizit gewaltfrei bis zu militant, und unterstützt andere Gruppen oder Blöcke falls sie z.B. eingekesselt sind. Pink-Silver will die Spaltung an der Gewaltfrage, wie sie teilweise versucht wird, nicht unterstützen oder vorantreiben. das Motto von Pink-Silver ist: IF WE CANNOT DANCE IT IS NOT OUR REVOLUTION

Bereits nach einigen Hundert Metern wartete eine Baustelle mit viel Blockade-Material, und unmittelbar danach wanderten auch schnell die ersten Müllcontainer und Straßenschilder in die Demo. Der erste Hydrant wurde aufgeschraubt und ergoss sein Wasser auf die Straße, und noch vor dem Kreisverkehr am Ende der Autobahn döste die erste Tankstelle in den frühen Sonntag Morgen, und setzte etwas unaufgeräumt ihren Schlaf auch fort, als die Demo schließlich vorbeigezogen war.

Anthrazit blieb am Kreisverkehr Maladière zurück, große Barrikaden wurden errichtet und schließlich angezündet, um die Zufahrt vom Kreisverkehr und der Autobahn an diesem Punkt in die gelbe Zone zu verhindern. Nach Auseinandersetzungen mit der Polizei zog Anthrazit aber auch entlang der gelben Zone dem Rest der Demo hinterher.

Pink-Silver und andere Teile der Demo waren inzwischen durch die Straßen Richtung Osten gezogen, an den Kreuzungen waren rechts (an den Zugängen in die gelbe Zone) teils kleinere teils größere Polizeiabsperrungen zu sehen, und auch links oben auf den nördlichen Straßen war Polizei unterwegs. Eine zweite Tankstelle wurde etwas unsanft aus dem Schlaf geweckt, teilweise entglast, und zum Umsonstladen umfunktioniert, später wurden daraus in der Demo, an PassantInnen (vgl. http://de.indymedia.org/2003/06/53672.shtml) sowie während der Einkesselung an die Eingekesselten Kekse, Bonbons, Schokolade, Getränke und Zigaretten verteilt...

Vor dem Gebäude von « Phillip Morris », stand schwer bewaffnete Polizei, die mit Herzen, Luftballons und Konfetti geschmückt wurde.

Überall streckten AnwohnerInnen etwas verwundert ihre Köpfe aus den Fenstern und wurden freundlich durch Winken und « Bon Jour »-Rufe begrüßt. Die Stimmung war gut, Mauern wurden mit Sprüchen besprüht, Straßenschilder mit « STOP G8 »-Tags umgewidmet, Werbeplakate subvertiert, was am Straßenrand lag und tragbar war, wurde mitgenommen und auf Kreuzungen wieder abgelegt.

Unmittelbar über dem Hafen hielt Pink-Silver an, ein Spokescouncil (Bezugsgruppendelegierten-Treffen) wurde abgehalten und schließlich beschlossen weiterzugehen, da hier für eine Blockade andere Bezugsgruppen zurück bleiben wollten. Pink-Silver zog weiter, zurück blieben zunächst ca. 200 Leute, teilweise mit Fahrrädern, die begannen, nach oben und unten die Kreuzung mit Blumenkübeln, Absperrgittern, Müllcontainern, Werbetafeln,... zu sichern. Zwei Hydranten wurden aufgeschraubt, das Wasser floss in rauen Mengen rechts und links die Straße hinunter auf die Polizeiabsperrung zu, wo es zu nassen Polizeischuhen geführt hat.

Von oben kamen dann auch tatsächlich Männer in Anzug und gelbem Band mit Pass um den Hals. Die ersten beiden wurden noch durchgelassen, mit den nächsten wurde geredet und ihnen freundlich aber entschieden erklärt, dass dies eine Blockade sei, und dass sie deshalb nicht durchkommen könnten. Darunter war auch ein deutscher Journalist, der sich sehr aufgeregt hat und meinte, er müsse unbedingt die Fähre noch bekommen, und dass es hier das totale Chaos sei, die Polizei könne kein Deutsch und würde ihm nicht weiterhelfen. Mindestens eine weitere größere Gruppe von Funktionären kam nur kurz auf die Blockade zugelaufen und drehte dann schnell wieder um in Richtung Polizeiabsperrung. An diesem Punkt war es also zumindest für kurze Zeit tatsächlich gelungen, zu blockieren und G8-Funktionären direkt « face to face » den Weg zu versperren!!!

Kurzer Film dazu: http://de.indymedia.org/2003/06/53409.shtml

Es trafen dann immer mehr Leute ein, die vorher mit Anthrazit zurückgeblieben waren. Dabei war auch ein Tripod aus Holzstangen, der umgehend auf der Kreuzung aufgestellt wurde und an dem eine Person hinaufkletterte. Leider geriet die Situation dann außer Kontrolle, da plötzlich Polizisten aus dem Innenhof eines Hotels kamen, das sich direkt an der Kreuzung befindet. Mit Leuchtspurraketen, Steinen, Flaschen, Holz und anderem werfbarem Material wurden sie zunächst in den Hotelhof zurückgedrängt. Daraufhin schossen sie Tränengas auf die Kreuzung, das allerdings durch den Wind sofort in den Hotelhof geweht wurde... Die Kreuzung blieb gasfrei, das Hotel und die Polizisten waren kurzfristig völlig eingenebelt. Nach einigen Minuten kam aber mehr Polizei auch von oben und unten, es wurden auch Gummigeschosse eingesetzt und die Kreuzung und der Tripod waren schließlich nicht mehr zu halten.

Der Weg wurde Richtung Osten fortgesetzt, vorbei auch an einem Museum, das von Militärs und Polizei mit Maschinengewehren bewacht wurde.

Von Pink-Silver wurden währenddessen an einer Absperrung, hinter der die Polizei ein weiteres Gebäude schützte, wieder Polizisten mit rosa Konfetti beworfen und Schilder mit rosa Herzchen verschönert.

Als versucht wurde, an einer Absperrung einen Stacheldraht zu entfernen, wollte die Polizei das mit einem größeren Wasserschlauch verhindern. Die als Regierungschefs der G8-Staaten Verkleideten gaben den Polizisten Befehle, wer als nächstes nassgespritzt werden sollte... Mitgenommene Werbetafeln wurden als Schilde gegen das Wasser eingesetzt und ein Teil des Stacheldrahts landete nachher auf der Straße als Barrikade.

Die Samba-Band sorgte für gute Stimmung und gab schließlich das Zeichen zum Weiterziehen für die mobile Pink-Silver Blockade.

Als der Pink-Silver-Bloc die gelbe Zone fast umrundet hatte, stieß er auf eine Polizeiblockade mit Wasserwerfer, wo wegen der Polizeiübermacht schnell mit dem Errichten von Barrikaden begonnen wurde, um ein offensiveres Polizeivorrücken zu verzögern.

Nach relativ kurzer Zeit und nach nur einer Vorwarnung wurden mehrere CS-Gasgranaten und mit Tränengas versetzte Wasserstrahlen in die Demonstration geschossen, die sich daraufhin zerstreute. Die meisten flüchteten zurück und an einem Bach entlang oder auf Parallelstraßen nach Norden bis zur Kreuzung, Place Mont Oliviers, von einem Hubschrauber am Himmel kurz verfolgt.

Auf einer Kreuzung (Place Mont Oliviers) sammelten sich langsam alle wieder, es wurde verschnauft, die Radical Cheerleaders tanzten auf der Kreuzung, in einem Cafe am Straßenrand wurden Wasserflaschen aufgefüllt und auch von einem Balkon wurde Wasser heruntergegeben. Nach etwa einer halben Stunde waren wieder mehrere Hundert auf der Kreuzung versammelt.

Der Pink-Silver-Bloc, der insgesamt relativ gut informiert und organisiert war, versuchte über Spokescouncil Entscheidungen über das weitere Vorgehen zu treffen. Es wurde beschlossen, einige für eingekesselt gehaltene Leute in Richtung gelber Zone zu befreien, was die Polizei aber mit Gasgranaten verhinderte, noch bevor die Möglichkeit dazu bestand.

Der vermeintliche Kessel waren ca. 100 Nicht-Pink-Silver-Leute, die nach einer intensiven Gasattacke und einem Vormarsch der Polizeireihen und Wasserwerfer erfolglos versucht hatten, diese mit einer größeren brennenden Barrikade und der Verteidigung derselben mit Steinen zu stoppen. Nach einem weiteren Zurückgedrängtwerden in einen nur noch in die gegenüberliegende Seite offenen Kessel, klappte es aber, eine Gegenattacke anzutäuschen und dann kollektiv kurz vor den Polizeireihen seitlich über Hinterhöfe zur Kreuzung Place Mont Oliviers durchzukommen und zu den dortigen Gruppen und Pink-Silver zu stoßen.

Pink-Silver beschloss dann aufzubrechen, Richtung Westen schlossen sich dann alle anderen Gruppen von der Kreuzung auch an.

Da der Konvoi der GipfelteilnehmerInnen sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg von Genf nach Lausanne befand und die auffällig große Polizeipräsenz vor der östlichsten Zufahrt zur roten Zone dafür sprach, dass diese Route genutzt werden würde, war es schade, dass nicht von diesem Sammelpunkt aus noch mal ein weiterer Versuch unternommen wurde, auf dieser Route vorzudringen. Die zu diesem Zeitpunkt versprengten und unkoordinierten autonomen Kleingruppen folgten aber Pink-Silver in Richtung Westen.

Ab diesem Punkt begann dann die Polizei den ganzen Zug gezielt mit Tränengas vor sich her zu treiben. Immer, wenn zulange angehalten wurde, flogen Gasgranaten.

Oberhalb des Parks « Place de Milan » brach das einzige Mal kurz Panik aus, als sehr viel Gas und Schockgranaten geschossen wurde, und Leute anfingen zu rennen, obwohl die Straße sehr eng war, und es nicht alle über einen Zaun mit Gebüsch schaffen konnten. Es retten sich dann aber doch noch alle in den Park, die Polizei schoss weiter Tränengas, das auch Kinder und Erwachsene auf einem Spielplatz im Park abbekamen...

Im Park wurde sich erneut gesammelt, von hier ging es den Weg zurück, der jetzt von der Polizei gut abgesichert war. An den Kreuzungen standen Polizisten mit Gasgranatenwerfern und von hinten wurde immer wieder Gas geschossen, um die Demo anzutreiben.

Unterwegs wurden von AnwohnerInnen noch Erdbeeren an die Demo verteilt.

Vorbei an der zweiten Tankstelle, bei der erneut Scheiben klirrten, ging es wieder zum Kreisverkehr an der Autobahnauffahrt. Auf der Straße war an Löchern im Beton zu erkennen, wo vorher die Barrikaden gebrannt hatten.

Da die Auffahrt zur Autobahn zunächst völlig unbewacht war, versuchten einige Leute in die Autobahn einzubiegen, wurden jedoch durch herbeirennende Polizisten sofort mit Gas und Gummimunition beschossen, und es kam vermutlich auch zu Festnahmen. Der Rest der Demo bog deshalb wieder die Straße zur ersten Tankstelle ein, die wenigen, die auf die Autobahn gerannt waren, kamen durch Hintergärten auch wieder zum Rest zurück.

Die Polizei blieb dann immer weiter zurück, die Situation und Stimmung entspannte sich, bald kam das obere Camp in Sicht.

Es war gegen 11.30 Uhr, einzelne Bezugsgruppen überlegten bereits, jetzt erst mal am unteren Camp baden zu gehen, sich zu erholen, um dann gegen später vielleicht noch an der angekündigten Nachmittags-Demo der linken Organisationen teilzunehmen, falls diese stattfinden sollte.

Allerdings standen plötzlich 15 Polizisten an der Straße, die unmittelbar an der Kreuzung vor dem oberen Camp, unter der Autobahn durch, in Richtung unteres Camp führt. Es wurde versucht an den Polizisten vorbeizugehen, die gaben aber unmissverständlich zu verstehen, dass sie niemanden durchlassen wollten. Es wurde versucht, zu erklären, dass nur ein Teil der Leute aus dem oberen Camp ist, und die anderen zum unteren Camp wollen. Als dann immer mehr Polizei, zwei Wasserwerfer, unzählige Mannschaftswagen (auch aus Deutschland!), Rettungswagen,... auffuhren, wurde immer klarer, dass das noch nicht das Ende war. Der Großteil der Leute zogen sich auf's Camp zurück, und begannen sich für ein Plenum zu versammeln, andere ließen sich auf der Straße vor dem Camp und auf der Wiese zum Freibad hin nieder.

Einkesselung und Festnahmen im Camp Bourdonette

Schließlich rückten aber auch von oben Polizisten mit kleineren Kampfschildern an und trieben alle in's Camp, das inzwischen auch von hinten und oben vom Wald her umstellt wurde. Viele ergriffen noch die Möglichkeit über den Wald oder das Feld abzuhauen, andere blieben, weil sie eine Falle befürchteten und nicht einzeln abgegriffen werden wollten.

Die Polizei forderte von allen Anwesenden die Papiere zu sehen, was in Solidarität zu den Menschen ohne Papiere kollektiv verweigert wurde. Ein paar hundert Menschen setzen sich auf den Boden, von der Polizei locker eingekesselt. Von da an wurden ca. alle 20 Minuten einige Leute aus dem Kessel geholt, manche Leute gingen freiwillig mit, andere ließen sich wegtragen. Die Polizei ging bei den Abtransporten nicht mit übermäßiger Gewalt vor und verhielt sich einigermaßen korrekt. Trotz der brütenden Hitze (2 Personen mussten medizinisch versorgt werden), war die Stimmung im Kessel sehr solidarisch und kämpferisch: Getränke, Essen, Sonnencreme und Rauchbares wurden geteilt, Wasserflaschen verteilt, Antirepressionsinfos durchgegeben. In den verschiedensten Sprachen wurde gesungen und Parolen gegen den G8, Polizeistaat, Grenzen, Abschiebungen und zur Freilassung von politischen Gefangenen gerufen, es gab eine "Direktschaltung" zum G8 mit einer sehr guten Bush- und Chirac-Parodie. Ein paar Leute spielten Polizei beim Wegtragen von Sitzenden und einer marschierte in Monty Python Manier (ministery of silly walks) mit Trillerpfeife vor den Polizisten auf und ab. Während des Kessels waren Leute vom legal-team aus Genf, der legal-observer, Parlamentarier aus Genf und viele Medien gekommen.

Um ca 17:30 Uhr zog dann die Polizei plötzlich den Kessel ab, vermutlich aufgrund der langen Dauer und der Illegalität des ganzen, oder auch wegen der Demo, die aus der Stadt kam. Alle Übriggebliebenen waren verwundert und frei.

Der Platz auf dem die Leute gesessen waren, war anschließend übersät mit Schutzbrillen, Atemschutz- und Gasmasken, Handschuhen, Karnevalsmasken und anderen schwarzen und pink-silver Utensilien, die die Eingekesselten bei einer Festnahme nicht bei sich haben wollten...

Zur Camp Einkesselung in Lausanne
http://de.indymedia.org/2003/06/53431.shtml

Bericht und Fotos von der Einkesselung des Camps und den Festnahmen http://de.indymedia.org/2003/06/53251.shtml

Währendessen im unteren Camp:

Während der Kessel und die Festnahmen im oberen Camp noch liefen, kamen 10 Polizisten auf das untere Camp, um Leute zu suchen, was in einem Handgemenge und einer Festnahme endete. Auch begannen wilde Gerüchte zu kursieren, z.B. wurde erzählt, dass es bereits zwei Tote gegeben hätte,... Die Situation war merklich angespannt und wurde durch das Eindringen der Polizei noch angeheizt. Glücklicherweise entspannte sich die Lage nach Beendigung des Kessels im oberen Camp und nachdem wieder mehr Leute im Camp ankamen.

Nachmittagsdemo:

Die Veranstalter der seit langem geplanten Nachmittagsdemo hatten sich anscheinend trotz Verbot und ihren vorherigen Aussagen, sie würden die Demo nicht machen, wenn die Blockaden am Vormittag gewalttätig verliefen, doch entschlossen, die Demo durchzuführen. Schätzungsweise mehr als 3000 Leute kamen gegen 17:30 Uhr aus der Stadt in Richtung oberes Camp/Bourdonette, blieben dann aber auf einer großen Kreuzung, ganz bis zum Camp ging nur ein kleinerer Teil. Ganz vorne einige Kinder und Jugendliche, vermummt und mit Steinen (der Nachwuchs, der den « großen » schwarzen Block befreien wollte« ).

Brückenaktion, Blockade bei Morges, Piraten-Armada:

An mindestens zwei Stellen auf der Autobahn zwischen Genf und Lausanne fanden am Morgen weitere Aktionen statt.

Bei Morges, einem kleinen Ort ca. 15 km von Lausanne Richtung Genf, der über einen Fährhafen verfügt, und bei dem es eine Stelle gibt, wo Autobahn, Landstraße und Schienen in unmittelbarer Nähe verlaufen, wurde von teilen einer Fahrradkarawane eine Blockade durchgeführt. Hierbei wurde eine Person festgenommen.

Weiter südlich Richtung Genf blockierten AktivistInnen die Autobahn mit einer Abseilaktion. Die Autobahn, die an dieser Stelle als Brücke in 15 bis 20 Meter Höhe über ein Tal mit einem Bach verläuft, wurde mit einem Kletterseil gesperrt, das quer über die Fahrbahn hing. An den beiden Enden seilten sich zwei AktivistInnen ab. Um nicht hochgezogen werden zu können, wollten die beiden sich unten noch näher aneinanderziehen, bzw. durch ein weiteres Seil verbinden. Oben wurde die Blockade durch mehrere Personen und mit Transparenten gesichert, und die Autos angehalten. Der genaue Ablauf der Aktion und des Vorgehens der Polizei ist noch nicht klar, jedenfalls schnitt ein Polizist das Seil, an dem die AktivistInnen hingen, durch (!!!), der Aktivist am einen Ende stürzte in die Tiefe und verletzte sich schwer, die Aktivistin am anderen Seilende konnte gehalten und schließlich hochgezogen werden...

Fotos vom Brückenvorfall und bestätigte Informationen:
http://de.indymedia.org/2003/06/53237.shtml
Augenzeugenbericht eines argentinischen indymedia-Aktivisten:
http://de.indymedia.org/2003/06/53588.shtml

Am unteren Camp stießen am frühen Mittag mehrere Boote und selbstgebaute Flöße in den Genfersee. Sie lieferten sich mit der Wasserpolizei über mehrere Stunden friedliche Schlachten und Verfolgungsjagden und wurden schließlich zurück an den Strand geschleppt oder kehrten freiwillig um. Unterstützt wurden sie von zahlreichen Landratten, die am Strand zurückgeblieben waren und die PiratInnen laut anfeuerten und hochleben ließen...

Versuch einer ersten Einschätzung der Blockaden und Aktionen:

Dafür, dass es im Vorfeld eine massive Hetze von Medien und Behörden in Lausanne gab, und dafür, dass sich nur maximal 3000 Leute an den Blockaden beteiligten, finden wir, waren die Blockaden, und auch die Aktionen in den Tagen davor, ein Erfolg.

Eine Dynamik, die schon in den Tagen vor Sonntag eine massive Polizeirepression ermöglicht hätte (vgl. No Border-Camp in Straßburg), wurde bewusst verhindert. Es gab eine Vielzahl unterschiedlicher Aktionen, Großdemonstrationen und Kleingruppenaktionen, Spaßaktionen, gewaltfreie und militante Ansätze.

Schade, dass es am Sonntag ausschließlich radikalere und jüngere Gruppen waren, eine Vermischung mit den institutionalisierten Linken (linke Parteien, Gewerkschaften,...) und einer kritischen Bevölkerung in Lausanne fand nur auf der Demo am Donnerstag statt.

Dass die Nachmittagsdemo am Sonntag aber noch stattfand und in Richtung eingekesseltes Camp zog sehen wir als wichtiges Zeichen einer Linken in Lausanne, die sich, trotz Distanz und Vorbehalten gegen entschlossenere und militantere Aktionsformen, doch noch solidarisch zeigen konnte.

Das Vorgehen während den Blockaden und der « Blockade-Demo » fanden wir insgesamt überraschend überlegt und « diszipliniert »: Die symbolischen Angriffe auf Tankstellen und die Umverteilungsaktionen waren gezielt, unseres Wissens nach wurden keine Autos, Läden (außer einer Metzgerei und einem Bürogebäude) oder Wohnhäuser beschädigt. Vielleicht lag das aber auch daran, dass auf dem Weg der Demo v.a. Wohnhäuser und keine Läden lagen, in der Innenstadt wäre die Demo u.U. anders verlaufen... Die im Vorfeld von Politikern, Presse und Geschäftsleuten herbeigeredeten massiven Ausschreitungen und Zerstörungen der Lausanner Innenstadt sind somit glücklicherweise ausgeblieben, trotzdem wird das Bild in den Medien natürlich geprägt sein von « Zerstörungen », aber das ist bei solchen Anlässen und bei einem solchen Mediendiskurs im Vorfeld auch der Fall, « wenn nur ein Mülleimer umfällt »... Und ohne Sachzerstörung wäre zumindest in den deutschen Medien noch weniger, das heißt wohl gar nicht, berichtet worden.

Außerdem waren Seattle, Prag und andere « Gründungsmythen » der sog. « Antiglobalisierungsbewegung », auf die sich ja fast alle Teile der Bewegung positiv beziehen, auch maßgeblich durch militante Auseinandersetzungen geprägt!

Insgesamt fanden wir die Stimmung entschlossen und kämpferisch, (auch wenn in einigen Situationen vielleicht auch mehr möglich gewesen wäre...), durch pink-silver und Samba aber auch entspannt und fröhlich.

Trotz Gas- und Schockgranateneinsatz blieb die Demo geordnet und die Leute gaben aufeinander Acht, es kam nicht zu überstürzten Aktionen oder panikartiger Flucht.

Allerdings schien es für die Polizei keinen Unterschied zu machen, ob gewaltfrei oder militant, pink-silver, grau oder schwarz. Wenn jemand den Absperrungen zu nahe kam, oder eine falsche Straße betreten wurde, wurde sofort mit Tränengas geschossen. Dadurch gab es eigentlich auch keinen « sicheren » Teil oder Abschnitt in der Demo oder während den Blockaden. Pink-Silver hat mehr Gas abbekommen als einzelne andere, « militantere » Teile der Demo. Für Leute, die sich pink-silver angeschlossen hatten, weil sie dachten, dass es dort « friedlich » zugehen würde, war dies unerwartet und überraschend.

Zu den auch bereits schon angestellten Vermutungen, es wären als schwarzer Block verkleidete Polizisten mitgelaufen, können wir nur sagen, dass wir dies für diese Demo (anders als in Genua) ausschließen und Spekulationen darüber auch nicht für weiterführend halten. Entschiedenes, auch militantes Vorgehen ist bewusstes Mittel eines Teils der Demonstration gewesen, dies benötigt keine derartigen Infragestellung...

Wenn mehr Leute nach Lausanne gekommen wären, hätten die Blockaden besser organisiert und auch länger gehalten werden können (vgl. Prag, wo ca. 12 000 Menschen in 3 Zügen zum Konferenzzentrum zogen und sich dann rund um das Gebäude verschiedene Blockaden, mit unterschiedlichem Konfrontationsniveau bildeten, die sehr effektiv waren).

Da in Lausanne aber so wenig Leute waren, konnte keine Blockade gegen die entschlossene Polizei länger aufrecht erhalten werden, oder die Polizei von zu besetzenden Kreuzungen abgedrängt werden.

Und da nur die gesamte Demonstration Schutz für alle bot, kam es auch (z.B. vor dem Hotel beim Aufstellen des Tripods) zu Situationen, wo kleine Aktionsgruppen durch nachrückende Demoteile behindert wurden (andererseits konnte der Tripod sicherlich auch bis zu der Stelle nur im Schutz der großen Demo mitgenommen werden).

Wenn sich im Vorfeld schon mehr Gruppen an den Blockadevorbereitungen und « absprachen beteiligt hätten, wäre auch ein Streckenkonzept wie bei den Castortransporten in Deutschland möglich gewesen, gerade auch entlang der 60 km langen Strecke zwischen Genf und Lausanne. Dabei hätte auch mehr Raum und Rücksicht gewaltfreie Blockaden, die sehr effektiv hätten sein können, gefunden werden können.

Insgesamt hatten die Blockaden so eher etwas von einer bunten, « marodierenden » Wanderblockade, angesichts der Bedingungen war dies aber unserer Meinung nach die angemessene Form, auch wenn Details hätten besser abgesprochen werden können.

Daneben sind die selbstorganisierten Strukturen als positive Erfahrung zu nennen. Von unten aufgebaut, teilweise chaotisch, aber schlussendlich doch tragfähig, zeigten sich Offenheit und Autonomie für einzelne Ansätze bei gleichzeitiger Verantwortung für das Ganze und Bereitschaft und Wille für ein gemeinsames Vorgehen (im besetzten Camp Oulala C'Village und ab Samstag wenigstens ansatzweise auch im oberen Camp Bourdonette, bei Campvollversammlungen, Bezugsgruppen- und Delegiertentreffen , bei Aktionstrainings, in der Antirepressionsgruppe, bei Indymedia,...). Die großen Versammlungen im Oulala C'Village-Camp wurden in mehrere Sprachen übersetzt und es wurde versucht, Gerüchten durch Zusammentragen von möglichst viel bestätigten Informationen und viel Austausch zwischen Bezugsgruppen zu begegnen, und allen die Möglichkeit zu geben, sich zu beteiligen.

Im Gegensatz zu Annemasse konnte es in Lausanne dabei aber leider nicht oder nur sehr beschränkt zu einem inhaltlichen und aktionstechnischen Austausch zwischen unterschiedlichen Teilen der « Bewegung der Bewegungen » kommen, da in Lausanne die libertären, autonomen Gruppen und Gruppen aus dem Netzwerk von Peoples' Global Action eher unter sich blieben, während attac, linke Parteien, Gewerkschaften, und andere Gruppierungen nach Genf mobilisierten... Dafür konnte mal wieder gezeigt werden, dass es auch gut ohne die großen linken Organisationen geht (auch wenn Isolierung nicht das Ziel sein kann... ;-) )

Wir hoffen auf weitere Berichte und politische Einschätzungen der gesamten Evian-Ereignisse in den nächsten Tagen und Wochen, sowie auf Überblicke über die Medienberichterstattung, da wir den Eindruck haben, dass die Proteste z.B. in den deutschen Medien kleingeredet wurden, während in anderen Ländern mehr und anders berichtet wird.

!!!alle Farben sind Abstufungen von schwarz!!!

Weitere Berichte:

Kurz-Zusammenfassung der Ereignisse von Sonntag:
http://de.indymedia.org/2003/06/53252.shtml

Presseerklärung der Lausanner Antirepressionsgruppe vom 3.6.2003:
http://de.indymedia.org/2003/06/53554.shtml

Fotos und kurzer Bericht von den Blockaden in Lausanne:
http://www.de.indymedia.org/2003/06/53145.shtml

5 minütiger Film über verschiedene Teile der Blockadedemo:
http://www.de.indymedia.org/2003/06/53164.shtml

Eindrücke vom "schwarzen block" in Lausanne:
http://de.indymedia.org/2003/06/53672.shtml
http://de.indymedia.org/2003/06/53697.shtml

Persönlicher Bericht von den Aktionen in Lausanne am Sonntag und Montag:
http://austria.indymedia.org/front.php3?article_id=25182&group=webcast

Individueller Rückblick mit vielen Fragen:
http://de.indymedia.org/2003/06/53572.shtml

Ein Bericht mit unserer Meinung nach etwas undifferenzierten Aussagen und (unwahren) Fakten, auch zum Verhältnis pink-silver, Militanz und vermeintlichem ?black bloc?, mit einigen guten Kommentaren und einigen Fotos:
http://de.indymedia.org/2003/06/53452.shtml

Übersicht über alle Artikel zu den G8-Protesten bei indymedia Österreich:
http://at.indymedia.org/front.php3?article_id=25042

G8: Sonntags-Demo Lausanne: ZeugInnenaufruf
http://switzerland.indymedia.org/de/2003/06/10838.shtml

Bericht/Reflexionen zum VAAG-Camp in Annemasse und den Anti-G8-Aktivitäten insgesamt:
http://de.indymedia.org/2003/06/53651.shtml

immerfort: Berichte über globalisierte Proteste und mehr bei Peoples' Global Action
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