Disobbedienti, Bewegung, Evian
by Disobbedienti; Übersetzung G.Melle 9:56am Sat Jun 14 '03
http://www.austria.indymedia.org/display.php3?article_id=25679

Dieser offene Brief der Bewegung der Disobbedienti zur Mobilisierung gegen den G8 in Evian erschien am Samstag (7.6.) in der Tageszeitung Liberazione, die in den vergangenen Tagen schwerwiegende Anschuldigungen gegen die Bewegung veröffentlichte, die von Bernocchi (Cobas) und anderen Mitglieder des Sozialforums unterzeichnet wurden.

Offener Brief der Disobbedienti 6.6.2003

Wenn es etwas gibt, was die kürzlichen Aktionen zum G8 in Evian kennzeichnen, ist es die Tatsache einer weiterhin starken und sicherlich nicht befriedeten Bewegung.

Es ist eine Bewegung, welche die Logik einer Rückkehr zur reinen Anwesenheit nicht akzeptiert hat und sich nicht darauf beschränkte, bloß zu demonstrieren, sondern die versuchte, die Tätigkeiten des Kriegsrates, der im Innern einer riesigen, militarisierten roten Zone tagte, zu behindern und zu blockieren. Wir haben während der G8-Tage tausende junge Menschen getroffen, die nicht organisiert waren und spontan nach Genf, Annemasse und Lausanne gefahren sind. Sie kennzeichnete eine starken Radikalität und sie waren bereit sich gegen die Mächtigen der Welt aufzulehnen.

Sie waren nicht nur interessiert an Debatten über die Zukunft der Welt, sondern auch aufmerksame Teilnehmer an den Workshops zu den Aktionsformen und sie waren begierig, sich dem konkreten Problem zu stellen, wie der Gipfel verhindert werden kann. Dieser radikale und rebellische Geist ist einigen "bekannten Leadern" nicht entgangen und wie andere auch haben sie den Vorschlag der französischen Organisationen aufgenommen, einen nützlichen Ordnungsdienst zu bilden, um die Jugendlichen "pädagogisch" zu beeinflussen, um ihrerseits jede Aktion während der Manifestation über die Grenze zu verhindern.

Schade, vor allem, weil es in Genua nicht so war. In Genua waren wir alle davon überzeugt -nicht war Compagni?-, überzeugt und entschlossen, in die rote Zone einzudringen. Wenn auch mit unterschiedlichen Konzepten haben wir damals eine Erfahrung des Protests geteilt, die sich nicht nur darauf beschränkte, zu demonstrieren, sondern die Botschaft von Seattle interpretierte und auf dem Weg des Widerstandes gegen die globalen Mächte weiterging.

Von Genua nach Evian wurde eine große Wegstrecke zurückgelegt und es gibt viele, die Genua gerne vergessen möchten. Darunter befinden wir uns nicht und wir wollen verhindern, dass ein Graben gezogen wird, zwischen den friedlichen Demonstranten und jenen, die zum aktiven Widerstand und Ungehorsam bereit sind. In Genua wurde die Bewegung von einer urwüchsigen Dynamik überrascht, die sich als "black" definierte und hinter der sich Gruppen verbargen, die nicht den G8 bekämpfen, sondern die Bewegung treffen wollten. Wir, diejenigen vom Stadion Carlini und der Via Tolomaide, spürten wesentlich weniger von diesen Problemen, weil wir uns zum Ungehorsam entschlossen hatten und bereit waren, ihn zu praktizieren. Wir waren dennoch beeindruckt von diesem Mechanismus, der sich noch nie in diesen Formen zeigte. Unsere Beurteilungen sind von dieser Erfahrung gezeichnet. Auf diesem Gegengipfel haben wir eine andere Bewegung erlebt: in ihrer Reife zu rebellieren, sich aber auch mit der Stadt in Beziehung zu setzen. Bernocchi, der vielleicht zu sehr mit den unzähligen Versammlungen in den geheimen Zimmern mutmaßlicher Leitungen der Bewegung beschäftigt war, hat nur die Casseurs gesehen (u.a. ein soziales Problem, das es verdient ernsthaft analysiert zu werden). Aber es gab noch einiges andere auf den Straßen von Lausanne, Genève und Annemasse: Blockaden, Sanktionen von unten, Barrikaden und die Street Parade.

Es gab eine Vielzahl an Formen, die sich gegenseitig respektierten und auch von allen Demonstranten/innen respektiert wurden. Und dies jenseits aller Phobien der "Hauptquartiere", welche die risikoreichen Grenzen einer Trennung zwischen der Durchführung des Programms und der direkten Aktion markierten. Aber, nochmals, in einer anerkannten und resistenten Dimension der globalen Bewegung, ist es die Basis, die diese Grenze durchbrechen kann. Und das haben wir mit aller Bescheidenheit enthusiastisch versucht -selbst bei der generellen Verspätung der italienischen Bewegungen, sich in die Proteste einzuordnen- und wir haben uns überall da eingebracht, wo es schien, dass etwas Nützliches unternommen würde, um den Gipfel der Mächtigen zu behindern und um diese Bereitschaft der Bevölkerung und der Welt mitzuteilen.

Andere hingegen scheinen vielleicht den Geschmack verloren zu haben, Bewegung innerhalb der Bewegungen zu sein und zu ihrer Stärkung hinsichtlich einer möglichen Welt, unter vielen und unterschiedlichen Welten beizutragen, um aus der eigenen "Insel des Widerstandes" ein Boot zu machen, das andere trifft und neue entdeckt wie die Zapatisten schreiben. Man schlittert so in eine erstickende Dynamik der reinen Anwesenheit - dasselbe also, was auch die Krise der politischen Institutionen ausmacht. Und es endet damit, dass der Aufbau eines Ordnungsdienstes beschworen wird, um die "Abweichler" zu schlagen.

Innerhalb der Bewegung gegen den Krieg verspürten wir das Bedürfnis, die gleichen Fragen zu stellen, vielleicht unbeholfen: Das Fragezeichen, wie der Krieg aufzuhalten sei, wurde komplett umgangen, worauf alle Indizien zu den Irrfahrten der "Leitungsgruppen" hinwiesen. Die Tatsache, dass es der öffentlichen Weltmeinung nicht gelungen ist, die Kriegsregierungen zu stoppen, wurde als unvermeidbarer und unabdingbarer Tatbestand betrachtet. Das Resultat davon war, dass die Bewegung nicht nur mit unmittelbaren Antworten kurz gehalten wurde, sondern dass man sich auch taub stellte gegenüber den Fragen, wie der Kampf gegen einen anhaltenden Krieg zu führen ist, der über den vergänglichen Sieg der Achse des Guten gegen den Irak hinausgeht. Auf diese Art ist die "Nachkriegszeit" ebenso betrachtet worden wie schon zu Beginn der Attacke: in einer Optik, welche die Bewegung auf ein reines Becken des Konsenses reduzieren wollte. So ist es aber nicht gewesen, wie der Bruch der blairianischen Linken mit den Bewegungen zeigt, als sie für den "Wiederaufbau" von Bush stimmten. Und wie es auch die Proteste von Evian zeigen.

Dieser Gegen-G8 sagt uns, dass die Träume zum sterben hartnäckig sind und dass es der Rebellen viele gibt. Sie sind sehr verschieden und sicherlich gibt es viele Probleme: aber sie können nicht alle auf eine homologierende politische und pädagogische Lesart zurückgeführt werden. Auch und v.a. weil es die "Leader" sind (die sich mehr oder weniger "antagonistisch" definieren), die eine solche Lesart aufzuzwingen versuchen. Wir vielmehr, versuchen eine offene und ungelöste Frage aufzugreifen: wie sind weiterhin neue europäische und globale Netze zu flechten, die diese Pluralität produktiv und nicht steril, die diesen Widerstand zum Prozess der Transformation und nicht der Bekundung machen.

Von der Bewegung der Frauen und Männer der Disobbedienti:

Barbara Barbieri, Francesco Caruso, Luca Casarini, Anubi D'Avossa Lussurgiu, Gian Marco De Pieri, Alessandra Ferraro, Nicola Fratoianni, Guido Lutrario, Francesco Raparelli, Enrica Sarto, Marta Stefanelli

veröffentlicht bei Carta (www.carta.org)

www.melle.at


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