Andreas Behn
Überraschend gab es bei der Ministerkonferenz zur Schaffung einer Gesamtamerikanischen Freihandelszone von Alaska bis Feuerland (auf Englisch FTAA, Spanisch ALCA abgekürzt) bereits am ersten Tag eine Einigung über das weitere Vorgehen. Die in Miami versammelten 34 Handelsminister - außer Kuba waren alle wichtigen Staaten des Kontinents vertreten - unterschrieben am Donnerstag (Ortszeit) die Abschlußerklärung, womit die geplante Einrichtung der ALCA bis Januar 2005 ein großes Stück näher gerückt ist. Allerdings ist der Deklarationsentwurf an vielen Stellen wenig konkret und überläßt den einzelnen Ländern viel Gestaltungsspielraum, was im Gegensatz zu den einst ambitionierten Vorstellungen Washington eher als "ALCA light" bezeichnet werden kann.
Während im Konferenzzentrum Konsens demonstriert wurde, protestierten im Zentrum der Hauptstadt Floridas an die 30 000 Globalisierungsgegner gegen die Freihandelspläne. Die Freihandelszone werde die Wohlhabenden und die großen Unternehmen noch reicher machen, während in der ganzen Region immer mehr Arbeitsplätze verlorengingen und die Armut weiter zunehmen werde, so der Tenor der Demonstration, die in einem farbenprächtigen, machtvollen Zug durch die Straßen Miamis zog. Die Aktivisten, unter ihnen viele Gewerkschafter und Bauern, standen Tausenden Polizisten gegenüber, die mit über acht Millionen Dollar zehn monatelang extra für diesen Einsatz ausgebildet worden war: Die Schmach von Seattle, als 1999 energische Demonstrationen eine Konferenz der Welthandelsorganisation WTO erreichten, sollte sich nicht wiederholen. Deswegen wurde das Zentrum der Stadt weitläufig abgesperrt und der öffentliche Nahverkehr fast den ganzen Tag unterbrochen. Für Freitag (nach jW-Redaktionsschluß) waren weitere Proteste geplant.
Kanadas Handelsminister Pierre Pettigrew bezeichnete die Einigung als "Büfett". "Jedes Land muß entscheiden, wieviel es von jedem Teller essen möchte", ergänzte der US-Handelsrepräsentant Robert Zoellick. Grundlage der schnellen Einigung war eine Textvorlage, die das Vorbereitungskomitee kurz vor Beginn der Ministerkonferenz vorgelegt hatte. Diese beinhaltete bereits eine neue Ausrichtung, die vor allem die Differenzen zwischen Brasilien und den USA, den beiden Schirmherren der Verhandlungen, abschwächte.
Das Dokument spricht nicht mehr - wie ursprünglich seitens Washingtons geplant - von einer allumfassenden Freihandelszone, die alle handelsrelevanten Themen für alle Mitglieder der ALCA gleichermaßen regelt. Statt dessen deutet der Text eine Kompromißlinie bezüglich der Struktur der ALCA an. Demzufolge soll es den einzelnen Ländern überlassen werden, bei jedem Thema separat zu entscheiden, wie weit sie sich den Freihandelsnormen unterwerfen. Die USA scheinen ihren Widerstand gegen eine solche ALCA-light aufgegeben zu haben. Zum einen wird vermutet, daß es der Regierung Bush wichtiger ist, vor der kommenden Präsidentschaftswahl einen erfolgreichen ALCA-Abschluß zu präsentieren, als auf der harten Linie seiner Wirtschaftsliberalen zu beharren. Andererseits gaben die USA nicht zuletzt angesichts des Scheiterns der letzten WTO-Ministerkonferenz in Cancún mehrfach zu verstehen, daß sie bei stagnierenden Verhandlungen lieber auf bilaterale Abkommen setzen werden, in denen sie ihre Positionen leichter Durchsetzen können. US-Handelsrepräsentant Zoellick schmollte bei seiner Ankunft in Miami erneut, daß er viel lieber mit kooperationsbereiten Staaten verhandele.
Derzeit haben die USA bilaterale Abkommen mit Kanada, Mexiko und Chile, mit weiteren elf Staaten sind Verhandlungen geplant oder am laufen. Die Miami-Deklaration trägt diesem Willen Rechnung, indem sie klarstellt, daß es zwei Integrationswege, nämlich regionale und bilaterale Verträge nebeneinander geben könne, sofern die Vereinbarungen zwischen einzelnen Ländern nicht den Richtlinien der größeren ALCA widersprechen.