Generalstreik in Nigeria - 8 Tote durch staatl. Repression
piqueter@ autonomist@, 07.07.2003 12:32
http://www.indymedia.ch/de/2003/07/12427.shtml

Seit Montag (30.6.03) stehen in Nigeria alle Räder still. Der Nigeria Labour Congress NLC rief zum Generalstreik auf, nachdem die Regierung Obasanjo, um den Forderungen des IWF zu entsprechen, erklärte, den Benzinpreis im Land - dem laut junge welt fünftgrössten Erdölexporteur weltweit - zum wiederholten Mal um mehr als 50% erhöhen zu wollen.

nigeria
people's power

Das wirkt sich bereits jetzt in vielfach verteuerten Fahrpreisen diverser Transportunternehmen aus und in Brennstoffen, die zum Kochen benötigt werden, aber für die meisten Menschen nicht mehr bezahlbar sind.

Bei Straßenblockaden und Zusammenstössen mit Polizei und Militär sind nach Medienberichten bisher zumindest 8 Menschen getötet worden. Die bürgerlichen Medien machen sich hingegen mehr Sorgen um den Erdölpreis und die bevorstehende Afrika-Rundreise von US-Präsident Bush, der nächste Woche auch in Nigeria Halt machen will - dieser bleibt angesichts von Streik und Staatsterror gelassen und kündigte an, sein "Hotelbett notfalls auch selber zu machen" (zit. Vanguard 4.7.).

Nach Angaben von Gewerkschaften und Tageszeitungen findet der Streik eine breite Basis in der Bevölkerung. In den meisten Städten, wie Lagos, Abuja und Port Harcourt, steht der Betrieb in Fabriken, Häfen, Banken, Schulen, Ämtern und Geschäften still, ebenso der Verkehr. Landesweit gibt es in mehreren Städten Demonstrationen und Straßenblockaden. (http://allafrica.com/stories/200307010001.html). Die UN-Nachrichtenagentur IRIN berichtet unter Berufung auf Polizeiangaben, dass am Montag in Lagos und in der südöstlichen Stadt Enugu die Kontrolltower des Flughafens von Streikenden besetzt wurden, um auch den Flugverkehr lahmzulegen (http://allafrica.com/stories/200307030643.html) .

Die Aussage von Präsident Obasanjo, er werde die streikenden ArbeiterInnen bis zur Ermüdung treiben, so wie auch schon beim sechsmonatigen Streik der Universitätsangestellten geschehen, wird in einer Stellungnahme des NLC als Kriegserklärung angeklagt. Obasanjo mache damit deutlich, dass er immer noch in militärischen Kategorien denke und jede Opposition im Rahmen eines Krieges verstehe, die mit allen Waffen bekämpft werden müsse (http://allafrica.com/stories/200307020182.html).

Nach Angaben der Zeitung Daily Independent wurden bis Dienstag in mehreren Städten bei Angriffen der Polizei auf Versammlungen von Streikenden vier Menschen getötet und 88 Menschen verhaftet (http://www.socialistnigeria.org/statements/2003/020703.html). Reuters (1.7.) meldet unter Berufung auf AugenzeugInnen, dass allein in der Hauptstadt Abuja acht Menschen getötet wurden.

Der NLC-Vorsitzende Adams Oshiomhole, der gegen die Repression der Polizei protestierte, wird von Reuters mit den Worten zitiert: "Die selbstherrliche und ungerechtfertigte Gewalt ... hat zur Erschiessung von vier unschuldigen und unbewaffneten DemonstrantInnen geführt." Den massiven Einsatz von scharfer Munition und Tränengas bezeichnete er als einen "deutlichen Rückfall in die dunklen Zeiten der Militärherrschaft".

Nachdem der Polizeichef zunächst den Tod von vier Menschen zugegeben hatte, zogen die Behörden diese Aussage wenig später wieder zurück - plötzlich seien Berichte über Tote bei den Protesten "unwahr" oder "nicht bekannt" (http://allafrica.com/stories/200307020562.html).

Die Tageszeitung Vanguard (2.7.) berichtet, dass bei den brutalen Angriffen der Polizei neben unzähligen Streikenden und PassantInnen auch mehrere JournalistInnen, u.a. von internationalen Agenturen wie AFP, verletzt und ihre Kameras zerstört wurden, eine Korrespondentin des Vanguard wurde verhaftet (http://allafrica.com/stories/200307020531.html). Der Tageszeitung Thisday (2.7.) zufolge verprügelten Polizisten einen Reporter von Associated Press so schwer, dass er jetzt im Koma liegt (http://allafrica.com/stories/200307020395.html).

Laut Vanguard (3.7.) kam es am Mittwoch in Lagos und Abuja zu massiven Konfrontationen zwischen DemonstrantInnen und der Polizei. In Abuja löste die Stürmung eines Marktplatzes eine Massenpanik aus, bei der zahlreiche Menschen verletzt wurden (http://allafrica.com/stories/200307040035.html).

Die junge welt (3.7.) schreibt: "Als die Polizei am Montag eine Demonstration von über 1000 Streikenden vor den Regierungsgebäuden in Abuja angriff, wurden mindestens drei Journalisten und eine unbekannte Zahl von Gewerkschaftern verletzt. « Die Polizei hat viele unserer Leute verprügelt. Ich wurde selbst mit Tränengas besprüht », berichtete Adams Oshiomhole, der Vorsitzende des nigerianischen Gewerkschaftsdachverbandes NLC." (http://www.jungewelt.de/2003/07-03/006.php).

In Port Harcourt (Niger-Delta) wurde eine Demonstration von 3.000 SchülerInnen und StudentInnen, die eine Hauptstraße blockierten, von der Polizei mit scharfer Munition und Tränengas angegriffen - Verletzte soll es dabei laut Reuters (3.7.). nicht gegeben haben. Hingegen berichtet IRIN (3.7.), dass bei der Demonstration in Port Harcourt mindestens drei Menschen von der Polizei erschossen wurden (http://allafrica.com/stories/200307030643.html).

Die Preiserhöhung, die auch Diesel und Kerosin betrifft, wird von der Regierung Obasanjo damit gerechtfertigt, dass der Benzinpreis "ohnehin niedrig" sei und nur auf diesem Weg eine regelmässige Versorgung mit Brennstoffen und neue Kapitalinvestitionen möglich seien. Die trotzkistische Democratic Socialist Movement DSM stellt dazu fest, dass diese Argumentation von den Befürwortern der neoliberalen Liberalisierungspolitik seit Jahren wiedergekaut werde, welche die Politik sämtlicher (bis 1999 fast ausschliesslich Militär-) Regierungen kennzeichne, seit der Durchsetzung der IWF-Strukturanpassung 1986 unter General Babangida. Folgerichtig begründet die DSM ihre Unterstützung für den Streik damit, dass die Preiserhöhungen einen weiteren Schlag gegen die verarmte Mehrheit der Bevölkerung und die ArbeiterInnenklasse Nigerias bedeuten, während allein die herrschende Klasse und die mit ihnen verbündeten Erdölkonzerne (Shell, Chevron, Mobil, Total-Elf u.a.) davon profitieren (http://www.socialistnigeria.org/paper/2003/july-aug/3.html).

Nachdem der Gewerkschaftsdachverband NLC die Preiserhöhung für unannehmbar erklärt hatte, wurde für den 30.6. der Generalstreik angesetzt. Der NLC beharrte zunächst auf der Beibehaltung des alten Preises von 26 Naira, der ohnehin unter der Regierung Obasanjo schon mehrmals hinaufgesetzt wurde. Schon 2000 und 2002 reagierte der NLC darauf mit Streiks, die aber nach Aushandlung von Kompromissen, sprich: Hinnahme von geringeren Preiserhöhungen durch den NLC, schnell wieder abgeblasen wurden. Der Generalstreik vom Januar 2002 wurde nach zwei Tagen abgebrochen, nachdem ein Gericht den Streik für "illegal" erklärt hatte (http://www.labournet.de/internationales/ng/nigeria.html).

Die Verhandlungen zwischen NLC und Regierung sind bisher ergebnislos verlaufen, dennoch ist der NLC bereits von seiner ursprünglichen Forderung abgerückt und zeigt sich "gesprächsbereit" über eine geringere Preiserhöhung (32 Naira). Der NLC-Generalsekretär John Odah wird von Reuters (3.7.) mit den Worten zitiert: "Wenn der Streik in die zweite Woche tritt, dann werden wir ab Montag die Massenaktionen im ganzen Land verstärken." Als nächster Schritt werden dabei Aktionen des zivilen Ungehorsams angedacht.

Die beiden Gewerkschaften der ErdölarbeiterInnen, NUPENG und PENGASSAN, die schon den politischen Streik 1994 gegen die Diktatur von General Abacha wesentlich getragen hatten (http://www.greenleft.org.au/back/1998/325/325p20.htm), haben angekündigt, sich dem Streik anzuschließen. Während Anfang der Woche ArbeiterInnen von NUPENG bereits begonnen haben, schrittweise die Arbeit auf den Förderstationen (grösstenteils im Niger-Delta) niederzulegen, macht die Gewerkschaftsführung einen völligen Arbeitsstop vom Fortgang der Verhandlungen abhängig (http://allafrica.com/stories/200307050206.html). Thisday berichtet (2.7.), dass zumindest in Port Harcourt (Rivers State), mit Ausnahme der Angestellten der staatlichen Nigeria National Petroleum Corporation (NNPC), die ArbeiterInnen in sämtlichen Erdölbetrieben, inclusive Chevron und Shell, streiken (http://allafrica.com/stories/200307020429.html) - was von der Unternehmensführung bestritten wird.

PENGASSAN richtete an die Regierung ein Ultimatum bis Sonntag (6.7.) - dann werde bei ergebnislosen Verhandlungen eine totale Stilllegung der Erdölindustrie erfolgen. PENGASSAN fordert weiters von der Regierung, innerhalb der nächsten 6 Monate die vernachlässtigten Raffinerien in Nigeria wieder in Betrieb zu nehmen und die Korruption in diesem Sektor zu bekämpfen (http://allafrica.com/stories/200307020182.html).

Gleichzeitig erklärten auch militante Gruppen im Niger-Delta ihre Unterstützung für den Streik. Deren politische und soziale Forderungen gegenüber Ölkonzernen und Staat werden von den bürgerlichen Medien gewöhnlich hinter dem Schlagwort der sog. "ethnischen" Konflikte vernebelt. So kritisierte die Ijaw Monitoring Group IMG, dass sie vom Streik-Beschluss des NLC viel zu spät informiert wurde um für Proteste zu mobilisieren. Jedoch bestehe bei Fortdauer des Streiks ja noch die Möglichkeit, die Erdöl-Terminals im Niger-Delta zu besetzen (http://allafrica.com/stories/200307020561.html).

Solidaritätserklärungen und aktive Unterstützung für den Streik kommt weiters vom Joint Action Council Against Hike in Fuel Price (JACAHFP) (http://www.socialistnigeria.org/campaigns/fuel30-6-03.html), von Menschenrechtsgruppen, StudentInnen- und Jugendorganisationen wie auch von Oppositionsparteien wie der linken National Conscience Party NCP (http://www.socialistnigeria.org/paper/2003/july-aug/1.html).

In einer Stellungnahme der National Coalition of Youth Movements in Nigeria NACYMN heisst es: "Die Benzinpreise wurden mehr als 15 mal und während der Regierung Obasanjo drei mal erhöht, ohne bei der Entwicklung von Infrastruktur irgendwas vorweisen zu können. Die Raffinerien sind unproduktiv geblieben, obwohl eine riesige Menge an Geld in ihre Erhaltung gesteckt wurde. Wie können wir erklären, dass die Regierung Nigerias, trotz der gigantischen Einnahmen durch das Erdöl, über die Jahre nicht fähig gewesen ist, die vier Raffinerien effektiv zu erhalten, geschweige denn neue zu bauen?" NACYMN ruft die Bevölkerung daher auf, den Kampf für ihre Rechte fortzusetzen (http://allafrica.com/stories/200307020333.html).

Auch United Action for Democracy UAD ruft zur Verstärkung von Massenaktionen auf. Die UAD bezeichnete die durch die Benzinpreiserhöhung ausgelöste Krise als grösste Bedrohung für die Demokratie und forderte den Rücktritt des Präsidenten sowie die Einsetzung einer souveränen nationalen Konferenz: "[..] Mit Schmerzen stellen wir fest, dass das Regime mit Gewalt auf den gegenwärtigen Widerstand der Bevölkerung gegen die Preiserhöhungen antwortet. Wir verurteilen einstimmig: die Ermordung von unbewaffneten DemonstrantInnen im ganzen Land durch die Armee und Sicherheitskräfte, vor allem durch die Polizei; die Schikanierung und Verhaftung von GewerkschafterInnen, AktivistInnen und auch JournalistInnen [..]; die Besetzung von Büros des Nigeria Labour Congress (NLC) in Abuja, Ogun State und weiteren Teilen des Landes und die Drohung von General Obasanjo, die Bevölkerung Nigerias zu besiegen, so wie er ASUU [die Gewerkschaft der Universitätsangestellten] besiegt hat." (http://allafrica.com/stories/200307040037.html)

Wohl aus ganz anderen Gründen erklärte auch die All Nigeria People's Party ANPP ihre Unterstützung für den Streik - die ANPP, zweitstärkste Partei und im wesentlichen die politische Vertretung der konservativen Oberschicht und des Militärs im Norden, anerkennt die Wiederwahl Obasanjos im vergangenen April nicht und reichte bereits eine Gerichtsklage wegen Wahlfälschung ein (http://www.jungle-world.com/seiten/2003/18/807.php - http://www.jungle-world.com/seiten/2003/15/677.php).

http://nigeria.indymedia.org


nigeria reports | nigeria-imf | www.agp.org