von r.s. - 28.06.2002 20:24
http://de.indymedia.org/2002/06/25153.shtml
Dieser Text wurde von indy piquet movil Dario gewidmet. Er beschreibt das Leben in dem Viertel (Barrio) in dem auch Dario, einer der Toten in Argentinien, zu Hause und aktiv war. Er zeigt auch, wie die Schüsse in Argentinien nicht seit den jüngsten Vorfällen fallen und gibt Einblick in die Welt der Not, des miteinanders und Selbstorganisierung von unten der Menschen, von denen Dario auch einer war. Dieser Beitrag ist keine Chronik neuer Ereignisse.Ich verstehe ihn als Ergänzung zur notwendigen Kritik der Verhältnisse, die den ganzen Horror verursachen und zur aktuellen Berichterstattung und als Möglichkeit, diese Leute zu begreifen und von ihnen zu lernen.
Was wird aus dem Barrio werden, ohne euch?
Dieser Artikel wurde vor zwei Wochen veröffentlicht. Er wurde in Darios Wohnviertel geschrieben. Auch wenn er ihn nicht gelesen hat, was wir schreiben ist die Frucht seiner Arbeit. Wir bieten ihn an, als Widmung für einen Genossen, den wir nie vergessen werden.
Einige Worte darüber, wie die Arbeitslosen des MTD Lanús täglich leben und kämpfen.
Wir sprachen von dem Mädchen, dass nicht lächelte, trotz unserer versuche, ihre Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Ich sass auf einer Bank die wackelte, so wie sie auf dem Steilen Boden aufgestellt war, er war auf einem Sandhaufen, in der Nähe der Ecke, in der Kinder mit einer eisernen Schaukel spielten. Es war kalt und auch wenn wir uns eine Zigarette alle zwei Züge teilten, schlüpften die Hände wieder in die warmen Hosentaschen.
Ich weiss nicht genau wann er gegangen ist; ich spielte mit den Kindern, die wegen der Möglichkeit, auf meinem Zimmer zu bleiben, während sie Milchreis mit Brot oder ohne Brot tranken, aufgergt waren. Jemand sagte, dass es Schüsse waren, wir aber dachten, dass es sich um Böller handle, wie man sie im Stadion benutzt. Nur später, in der Nacht erfuhren wir, dass es sich um Patronen handelte, und dass der Junge, mit dem wir kurz zuvor noch gesprochen hatten, jetzt am Boden lag, mit zwei Itaka-Kugeln im Bein.
Es war wegen einer Frau, eine idiotische situation: der ehemalige Ehemann hatte sie gesehen, wie sie friedlich mit jemandem sprach. Die Ausgrenzung, die krankhafte Eifersucht und das Fehlen von Werten haben den Rest gemacht.
Hier sind die Dinge so, voller mit entnervender Einzelheiten, die manchmal vor unseren Augen das Leben zu zerstören scheinen.
Lanús, der Bezirk, in dem seit 24 Jahren der Achtzigjährige Manuel Quindimil regiert, der laut PJ "mit Perón identisch" ist, besitzt fast vollständig asphaltierte Straßen. Fast, weil einige Bereiche des Barrio la Fe, in dem wir jetzt sind, diesen Betonsegen nicht einbezogen sind. An Regentagen verwandeln sich die Straßen in Krater und die Wellblechhäuschen werden Teil des Flussbettes, auf dem niemand schippern will.
Einige Häuserblöcke von der Straße entfernt, die die Grenze zum Barrio Urquiza markiert, gibt es die jüngste Ansiedlung, ein Chaos aus "botellero" Autos und abgemagerten Hunden vervollständigt diese holprige Landschaft, an die sich der Besucher sofoert gewöhnt. Improvisierte Barrieren, unvollendete Mäuerchen und verschieden ander Dinge grenzen die Grundstücke und die Häuser dieser Landschaft, die in Permanentem Wandel zu stehen scheint, ab. Junge Frauen mit ihren Babies in den Armen hören Cumba im Radio, und die Musik vermischt sich mit den Klängen aus dem Radio des Opas, der auf seiner Veranda sitzend damit beschäftigt ist, einen Sender seines Geschmacks einzustellen.
Der Barrio ist so: m e n s c h l i c h ; so ist der Ort, an dem sich die Arbeitslosen täglich organisieren und kämpfen, Tag für Tag.
Wir waren im Gemeinschaftsraum des Barrio la Fe, ein Lagerraum, gebaut aus Backsteinen und Wellblech, der als Sitz des 'Movimiento de Trabajadores Desocupados' des Barrio dient, wo täglich hunderte von Arbeitslose ihre Aktivitäten umsetzen, sich organisieren und für "Arbeit, Würde und sozialen Wandel" kämpfen, die drei Schlüsselworte sind Flagge der Bewegung und mit Farbe am Eingang des Sitzes aufgemalt.
Morgens, nachdem die Hähne gekräht haben und nachdem die Kälte einem bis in die Seele gekrochen ist, erreichen wir den Lagerraum. Auf einer Seite befinden sich zwei Öfen, einer ist ausgeliehen, der ander gehört der Bewegung, es gibt auch eine Waage und einen Kühlschrank, die teil des kostbaren Schatzes der Bäckerei sind, die noch in der Versuchsphase ist. Diese "Produktionsmittel" , vom Raum bis zu den Maschinen, sind soziales Eigentum der Bewegung. Diese Konzepte, der des sozialen Eigentums und der der sozialen Hilfen sind Im Mittelpunkt der politischen Debatte. Wenn die Dinge allen gehören, und Ergebnis des Kampfes der ganzen Bewegung, warum sollte jemand glauben, mehr Rechte zu haben als ander Genossen?
Morgen trinkt man Mate, während die Genossen eintreffen und die fehlenden Sachen: das selbst hergestellte Fett, 50 Kg. Mehl, Hefe, Salz und viele Arme, die bereit sind, den Teig zu kneten.
Der Teig, den viele Hände gemacht haben, eine Arbeitsform, die auf Kollektivität und dem Austausch von Wissen gründet. Es wird gelacht, und darum gewettet, wer am schnellsten arbeitet. Der Genosse ehemaliger Bäcker ist aus dem Wettbewerb ausgeschlossen. Er bewegt die Arme, als würde er eine Trommel rühren, und taucht seine Finger in Wasser und Mehl die in wenigen Minuten fertig zum gehen sein werden.
Währen man den Teig gehen lässt werden Kalkulationen angestellt. Wir rechnen, dass wenn wir fast zum Selbstkostenpreis verkaufen wollen, ohne zu spekulieren, der Preis 1,20 Pesos betragen wird. Mit dem Gewinn werden wir Vorhängeschösser für die Bibliothek kaufen.
Um 11 Uhr füllt der Brotgeruch den ganzen Laden und lenkt die, die in einem anliegenden Raum einen Qualifizierungs Lehrgang machen ab. Wir bilden eine Traube an der Tür der Bäckereium das warme, gerade aus dem Ofen gekommene Brot zu kosten. Ich kann mich nicht beschweren, für 30 Cent kaufe ich mein erstes Viertel von den Arbeitslosen hergestelltes Brot. Mit der Mittagssone und etwas warmem Brot im Magen kann ich mich viel besser mit der Kälte anfreunden.
Das Brot wird nach traditionellen rezepten hergestellt, und man denkt darüber nach, die Produktion auf 200 Kg zu steigern, um die Bedürfnisse der Familien der Bewegung zu befriedigen. Um das zu tun, wird es nötig sein, den Ofen fertigzustellen und einen Motor für die Knetmaschine auftreiben.
In der Zwischenzeit findet weiter der Qualifizierungskurs statt. Währen das Brot im Ofen gebacken wird, üben sie etwas, das "Dinamica" genannt wird, nach den Kriterien der Volkserziehung. Der Genosse, der den Kurs betreut hat am Boden ein Viereck gezeichnet, und abwechselnd muss ein Mitglied der beiden Gruppen in diesen hineingehen. Die Gruppen bestehen aus Männern, Frauen und Jugendlichen, eine der Gruppen hat aber einen hypothetischen Führer, die andere nicht. Es wird diskutiert und gelacht, bis zum Ende, wenn alle in dieses Viereck getreten sind.
Dann beginnt die zweite Phase, und der Betreuer zeichnet immer kleinere Vierecke. Am Ende des Spiels wird eine einzige Person innerhalb des Vierecks bleiben, der Delegierte der Gruppe mit dem Führer, während die anderen sich dafür entscheiden, sich gemeinsam um dieses Viereck zu stellen.
Nun beginnt eine Diskussion, die eines Ken Loach-Films würdig ist, einfache Konzepte, wie Solidarität, Zusammenarbeit unter Genossen, Respekt, Kompromisse werden von allen ungefähr zwanzig Personen die an dem Kurs teilnehmen diskutiert und langsam kommt man zu kollektiven Ergebnissen und Ausarbeitungen.
Gegen Ende wird der gleiche Junge, der nur zwei Stunden später mit zwei Kugeln im Bein im Krankenhaus landen wird sagen: "anfänglich dachte ich, die Übung sei etwas doofes, aber jetzt wird mir klar, dass mit anderen kommunizieren wichtig ist, und ich glaube, alle sollten mitmachen.
Heute morgen, als wir das Brot backten, sind etwa hundert Genossen zu Fuss zum etwa zwanzig Häuserblöcke von el Barrio entfernten Bahnhof Lanús gegangen. Von dort sind sie nach Glew gegangen, wo sie sich mit anderen Genossen organisiert haben, um nach Guernica zu gehen, ein Ort, der des Namens, den er trägt, würdig ist. In Guernica haben sie sich mit anderen Gruppen von Arbeitslosen aus anderen Gebieten vereinigt.
Eins der wichtigsten Merkmale der CTD Anibal Verón, die verschiedene CTD aus vielen Gebieten umfasst ist, dass, wenn einer einem Genossen was antut, der ganzen Bewegung was angetan wird; Wen ein Barrio Forderungen stellt, werden diese Forderungen der ganzen Bewegung.
Der Machtmensch in der Provinz ist der zeitweilige Großkopf, eine Person mit einer Folterervergangenheit in der ESMA mit vielfältigem Repressionssündenregister. Er kontrolliert die Polizei, die Funktionäre und auch die Richter. Er hat sich in diese Provinz geflüchtet, nachdem er Jahre damit verbrachte, im Dienst des Vaterlandes die Leute zu ermorden und zu Foltern. Besorgt wegen der Mobilisierungen der Arbeitslosen hat er in jüngster Zeit aufgehört, sich ins Gesicht schauen zu lassen, an sener Stelle führt ein Funktionär dritter oder vierter Klasse aus dem örtlichen Rat den Dialog.
Verhandelt wird auf der Straße; die Piqueteros wollen in dieses Rathaus, das wie gemacht um eine tödliche Falle zu werden scheint, nicht reingehen. Während sie vor den Kameras reden, bildet sich eine Sicherheitskette zum Schutz der tausende von Menschen, die sich versammelt haben, um Solidarität zu bringen.
Die Situation ist gespannt, sie fällt aber nicht aus der Routine der letzten Protestmonate. Man weiss nie, was passieren kann, man rechnet mit allem, Schüssen, Provokationen...
Bei der Rückkehr, fahren wir alle mit der Bahn heim, alle zusammen. Keiner kauft einen Fahrschein und an jeder Haltestelle erscheinen Transparente, Fahnen, Stöcke. Die Passagiere und der Schaffner regen sich nicht auf, weil es seit Monaten schon normal ist, dass die Piqueteros umsonst reisen, um sich von einem Ort zum anderen zu bewegen.
Juan Arredondo, eine kräftige Person von vierzig Jahren, drei Kinder, von Beruf Schreiner Maurer, Mechaniker und Piquetero aus Not und Überzeugung. Die Ideen Juans haben eine Feuerprobe bestanden; wortwörtlich. Vor etwa zwei Monaten, während einer Demonstration vor dem Rathaus von Lanús, hat ein Polizist in zivil auf ihn geschossen.
Als er zu Boden fiel, mit einem 9 mm Projektil, das ihm die Lunge durchbohrt hatte, Beschloss Juan, dass er nicht bereit war zu sterben und leistete sich selbst die erste Hilfe. Mit senen ganzen Kräften, während er wartete, dass die Polizei aufhört, repressiv vorzugehen, gelang es ihm, die verletzte Schulter gegen den Asphalt zu drücken, um nicht zu verbluten. Nur sehr viel später schaffte eine Genossin es, in seine Nähe zu kommen, um ihm einen Notverband anzulegen.
Ein Monat später war Juan wieder auf der straße, um zu protestieren. Während der ersten Mobilisierung nach seiner Verletzung konnte er immer noch nicht gut laufen und war sehr schwach, erklärte aber, er müsse dabei sein, um den jüngeren ein Beispiel zu geben.
Juan ist vor ungefähr einem Jahr der Bewegung beigetreten, nach einem Jahr Arbeitslosenleben. Wie der Großteil der Piqueteros hat er es aus der Not getan, und wie viele, hat er aus Überzeugung weitergemacht, "es ist notwendigweiterzukämpfen, damit alle ihre Lebensbedingungen verbessern können.
Jetz bewirkt Juan Wunder, um einen LKw aus den 60er Jahren Fahrtüchtig zu machen, der mit der Gemeinschaftskasse gekauft wurde und dazu dienen soll, Maschinen und Menschen zu transportieren, um Kollektive Vorräte zu besorgen, Material zu verteilen und wer weiss, vielleicht auch um 100 Kg Brot zu verteilen.
Es macht ihm große Mühe, aber auf magische weise glaubt er an sich selbst, und auch wir glauben an ihn.
Der LKw ruht am Eingang der Baustelle, auf der Backsteine fabriziert werden und wo sie Räume für die Schreinerei bauen, die Drehbank und einen Nähraum. Heute arbeiten vier Leute auf der Baustelle, zwei Alte und zwei ganz junge. Sie reden wenig, sie sind an die Härte der Arbeit gewöhnt, sie tauschen in aller Ruhe sporadische Kommentare.
Sie arbeiten mit Ruhe, fast streicheln sie die Backsteine. Die jüngeren lernen und helfen. Es gibt keine Hierarchien mehr und das Bild des Chefs ist vollständig und Glücklich ausser Kraft gesetzt worden, es bleibt nur der Respekt für die über Jahre gesammelte Erfahrung
Einige hatten uns gewarnt, dass die Alten wortkarg sind, wir beschließen, es trotzdem zu versuchen und fragen, ob wir ein interview machen können, das sie uns sofort geben. - Wir haben alles gebaut, die Wände, das Dach, wir haben die Elektrik gelegt. Wir sind glücklich, weil die Leute jetzt einen Ort haben, wo sie hingehen können. Wir bauen gerade einige Wohnungen, "wir kommen langsam voran, aber wir kommen voran".
Die, die gegangen sind, sind die, die aus Angst oder Ignoranz "auf die Seite der Gemeindeautoritäten getreten sind". Mit dem Projekt "Plan Jefes y Jefas de Hogar" hat die Regierung eine offensive gegen die Arbeitslosenewegung gestartet, die im Barrio von la Fe besonders grausam gewesen ist. Die Regierungsfunktionäre sind in alle Häuser gegangen und haben Papiere verteilt, die die Arbeitslosen dazu aufriefen, arbeiten zu gehen, mit dem Versprechen einer möglichen sozialen Reform des Gesetzes, das die sozialen Hilfen allen zuteil werden lassen sollte.
Das ist die meist gebrauchte Drohung der Regierungsfunktionäre, die im Barrio herumziehen, beim Versuch, Arbeitslose zu vereinnahmen. Weil es aber nicht funktioniert, verwenden sie aber auch andere Methoden, wie Drohungen, die Zurschaustellung von Waffen, Diebstähle.....
Die Regierung handelt auf illegale Weise, und nicht nur wegen der Waffen, die sie zum Zwech der Überzeugung gebrauchen; sie wollen nicht berücksichtigen, dass in allen Barrios ein formaler Kompromiss bestand hat, der mit den Mobilisierungen errungen wurde, nach dem die Regierung die Autonomie der Arbeitsloserganisationen zu respektieren und die gemeinschaftlichen Projekte zu fördern hat.
Ihr "komm mit uns" beinhaltet zwei Dinge: die Straßen der Provinz zu säubern und die Regierungsstatistiken zu beschönigen. In beiden Fällen, ist die Bedeutung die selbe: der definitive Verlust der Würde.
Man sagt, dass das, was einen nicht umbringt, einen fett macht, und genau hier liegt der Erfolg: die Drohungen und die Manöver haben die Bewegung gestärkt.
Für und bedeutet Autonomie Konflikt mit der Regierung , sagt ein Militanter der MTD, ein Konflikt, der mittlerweile tägliche Realität ist.
Es ist inzwischen fünf Uhr nachmittags und die Kinder, die aus der schule kommen, trinken Milch. Es gibt bis morgen kein Brot mehr und die Arbeitslosen vom letzten Wache-Turnus teilen sich in Gruppen auf, die eine macht sauber und die andere kümmert sich um die Eisenwaren.
Während die Nacht anbricht kehren alle zu ihren Häusern zurück. Die Gestalten von Männern, Frauen und Jugendlichen verlieren sich in den Straßen, dann wird in den Häuschen aus Holz, Blech und Backsteinen mit der brennenden Glut eine weitere extrem kalte Nacht vorübergehen.
Morgen beim Hahnenschrei wird im Barrio von la Fe ein neuer Tag beginnen, in diesem Garten, in dem der Kampf um Überleben und Würde blüht.