Bisher sind die Bewegungen gegen Krieg nicht ueber eine Kritik am aktuellen multimedial inszenierten Angriff auf den Irak hinausgekommen. Doch was ist Krieg eigentlich? Ein Versuch am Beispiel Argentinien eine Diskussion anzustossen und ein Aufruf jetzt etwas zu tun, um auch den unsichtbaren Teil des Krieges sichtbar zu machen und weltweiten Widerstand gegen JEDEN Teil des Krieges zu entwickeln.
Im Irak werden wir Zeugen eines brutalen Angriffs im Namen der Freiheit und der Demokratie. Live koennen wir taeglich die Tonnen von Bomben miterleben die auf Bagdhad und den Irak niedergehen. Waehrend im Irak die Bomben fallen, werden wir mit Kriegsberichten bombardiert. Es scheint kein anderes Thema mehr zu geben. Die weltweiten Bewegungen gegen den Angriff auf den Irak entwickeln eine beeindruckende Intensitaet. Doch bei der allgemeinen Fixierung auf das Geschehen im Irak wird schnell vergessen, dass diese Angrifffe nur Teil eines Krieges sind, der schon seit langer Zeit gefuehrt wird. Es ist der Krieg um die Vormachtstellung in der Welt.
Dieser Krieg wird auf verschiedene Weisen gefuehrt und findet immer wieder neue Ausdrucksformen. Einige davon gelangen in die Schlagzeilen, andere nicht. Waehrend der Angriff auf den Irak weltweit zum Topthema gemacht wird, finden die Kaempfe in Lateinamerika kaum Erwaehnung. Sie begannen vor 500 Jahren, als Europa aufbrach, um die Welt zu kolonialisieren mit dem Angriff auf die indigenen Kulturen und Gesellschaften, die der Ausbeutung des Kontinents und dessen Rohstoffe im Wege standen. Mit einer Blutspur zieht sich dieser Raubzug bis zum heutigen Tag durch die Geschichte Amerikas. Oftmals war er offen grausam, heute ist er still und subtiler als jemals zuvor, jedoch nicht weniger brutal.
Durch ihre Kreditpolitik bringen die westlichen Laender die Regierungen Lateinamerikas in ihre Abhaengigkeit. Dadurch haben sie die Moeglichkeit in die Innenpolitik dieser Laender einzugreifen - wird dies nicht akzeptiert gibt es keine Kredite mehr und die Wirtschaft stagniert. Diese Politik zielt darauf ab die Rohstoffe und die Arbeitskraft in den Laendern fuer westliche Konzerne zugaenglich und damit ausbeutbar zu machen. Argentinien ist ein deutliches Beispiel fuer diesen Prozess. Die von westlichen Laendern vorangetriebenen Privatisierungen und die damit einhergehenden Umstrukturierungen der Unternehmen fuehrten z.B. in Argentinien zu einem enormen Anstieg der Arbeitslosigkeit, wobei gleichzeitig die sozialen Sicherungssysteme ausverkauft wurden.
Der Ausbeutung steht heute nicht nur der 500 Jahre alte Widerstand der indigenen Voelker im Wege, sondern zunehmend auch der verschiedener anderer gesellschaftlicher Gruppen, die sich ihren Lebensgrundlagen oder -moeglichkeiten beraubt sehen. In Argentinien begannen in den letzten Jahren vor allem die Arbeitslosen sich zu organisieren, um in ihrer Situation trotz zunehmender Armut handlungsfaehig zu bleiben. Heute - auch aufgrund der massiven oeffentlichen Aufstaende des 19./20. Dezember 2001 - existiert Widerstand in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Es entstanden viele Projekte, die es der Bevoelkerung ansatzweise ermoeglichen, sich unabhaengig von Regierung und Wirtschaft ein wuerdiges Leben aufzubauen. Beispiele dafuer sind u.a. besetzte Fabriken unter Arbeiterverwaltung, soziale Zentren, kollektive Kuechen und Baeckereien,... All dies ist ein staendiger Kampf gegen die Interessen der Wirtschaft, ein tagtaeglicher Widerstand.
Gegen diesen Widerstand lassen sich die wirtschaftlichen Interessen nur mit einer gleichzeitigen (Para-)Militarisierung der Gesellschaft durchsetzen. Letztes Jahr beispielsweise wurden allein in Argentinien 176 Menschen von sogenannten Sicherheitskraeften ermordet, 50 weitere bei politischen Protesten. Der Repressionsapparat ist ueberall und staendig praesent, so stehen an nahezu jeder Ecke Polizeitruppen mit ihren schusssicheren Westen, auch vor jedem Supermarkt und jeder Bank. Straßensperren gehoeren genauso zum Alltagsbild, wie mit Gewehren und oftmals Maschienenpistolen ausgeruestete Robocops auf politischen Protesten. Diese allgemeine Repression soll die Bevoelkerung kontrollieren und einschuechtern, sowie den Widerstand zerschlagen.
Aktuellstes Beispiel im Kampf der wirtschaftlichen Interessen gegen den Widerstand der Menschen sind die bedrohten Projekte im Sueden Buenos Aires. Die Barrios La Boca und Barracas sollen zu Touristenzentren umgebaut werden. Seit einigen Jahren lebt in diesen Vierteln eine groesstenteils arme und arbeitslose Bevoelkerung, es gibt einige Projekte, in welchen sich die Nachbarschaft organisiert. Zwei der bekanntesten sozialen Zentren, die von der Asamblea Lezama Sur besetzte Bank "ex- Banco Mayo" (welche der Citibank Corp. gehoert) und das soziale und kulturelle Zentrum Tierra del Sur, das von libertaeren AktivistInnen und NachbarInnen besetzt wurde, sind innerhalb der naechsten Tage von Raeumung bedroht.
In einem Barrio (Stadtviertel), das bekannt ist fuer seine Geschichte sozialer Kaempfe, fuer seine Wut auf die Herrschenden und fuer seine arme Bevoelkerung von hier und ausserhalb, wurde eines Tages eine Bank eroeffnet: die Banco Mayo. Es war ein schmutziges Geschaeft, wie das so oft der Fall ist: Erst werden die Taschen mit Geld vollgestopft und dann das Land verlassen. Eine große Bankgesellschaft, die Comafi - unter Kontrolle der Citibank - kaufte die Pleite gegangene Bank auf. Die Jahre vergingen, die Bueroraeume, dekoriert mit falschen sonnigen Straenden, leerten sich nach und nach. Am 19. und 20. Dezember 2001 hoerte mensch in der Bank noch die Kaempfe auf den Barrikaden, welche die Straßen von La Boca und Barracas blockierten und neue Wege eroeffneten. Seit Monaten nun hoert mensch in der Bank die Schreie der Kinder, die jeden Tag zum Nachhilfeunterricht kommen. Es gibt auch Workshops und eine Bibliothek, jede Woche werden Diskussionskreise veranstaltet. (Auch Indymedia hat darin ein Buero, d.Ue.) Eines Tages war von der Asamblea Lezama Sur das Problem geloest worden, dass ein Raum benoetigt wurde, um Wirklichkeit werden zu lassen, was in der Ecke des Parks beredet wurde.
Um die Ecke, im selben Haeuserblock, existiert das soziale und kulturelle Zentrum Tierra del Sur, indem seit mehr als einem Jahr kulturelle Aktivitaeten organisiert werden, wie Puppentheater, Jonglieren und Workshops fuer Kinder - eine Kultur von unten, die etwas voellig anderes ist, als die elitaere Kultur der (offiziellen, d.Ue.) kulturellen Zentren.
Am vergangenen Mittwoch, dem 19. Maerz - waehrend einer Raeumung von Familien, die ein leeres Haus in der selben Straße wie die ex-Banco Mayo besetzt hatten, um dort zu leben - wurden drei Aktivisten der Asamblea Lezama Sur und Tierra del Sur gezielt festgenommen und auf brutale Art und Weise von Polizeikraeften des Polizeikommisariats 26 geschlagen, nur weil sie sich genaehert hatten, um ihre Solidaritaet zu zeigen. Die Aktivisten wurden ohne Rechtsgrundlage festgehalten und Anklagepunkte wurden erfunden. In der Naehe der Banco Mayo wurden Freitag nacht zwei Jugendliche des Barrios, die gewoehnlich jene Leute unterstuetzen, die waehrend Raeumungen Polizeigewalt zu spuehren bekommen, von Zivilpolizisten verbal bedroht, in einem anderen Fall hat eine Polizeipatroullie mit zwei Uniformierten auf einen Fahrradfahrer eine 9mm Pistole gerichtet und wollte ihn rammen. Seit mehr als einer Woche sind beide Zentren raeumungsbedroht. Sie wollen uns mit der Angst, mit der Isolierung und der Repression raeumen.
Der globale Krieg uebertraegt sich auf das Barrio. Waehrend die imperialistischen Bomben den Irak massakrieren, verschaerft dieselbe Gewalt ihre Herrschaft, indem sie in die Bereiche eindringt, die wir seit Dezember 2001 gewonnen haben. Die Raeumungen reihen sich in die jedesmal offenere Repression gegen alle Formen des sozialen Kampfes ein. Der "Krieg gegen den Terrorismus" ist in Wirklichkeit ein Krieg gegen die Armen und gegen die, die Widerstand leisten. Die neue Weltordnung braucht eine neue Barrioordnung.
Die Stadt ist voll mit orangenen Plakaten, die sich von den Wahlplakaten unterscheiden. Sie rufen uns zu "partizipativem Haushalt" auf - Ankuendigungen die dazu einladen, sich als BuergerInnen daran zu beteiligen ueber die oeffentlichen Gebaeude von Buenos Aires zu entscheiden, an dem politischen Leben aktiv teilzunehmen. Eine Neuigkeit, die direkt aus Porto Alegre importiert wurde, eine Mode, die es in Buenos Aires, in Paris, so wie in anderen großen Staedten gibt. Anibal Ibarra (Chef der Stadtregierung, d.Ue.) folgt den Stadtpolitiken "neuer lokaler Demokratie" wie sie in der Sprache der Buerokraten bezeichnet werden - Woerter, die in einem immer massiveren Auschluss derer aus der Stadt muenden, die den Interessen einer attraktiven, touristischen und "dynamischen" Stadt der Unternehmer (z.B. keine Gewerbesteuern zu zahlen und freie Bahn fuer Investitionen zu haben, zu konstruieren und zu entwickeln) nicht entsprechen.
Seit der gewaltsamen Raeumung von Padelai nutzt die Regierung die Situation aus, um alles was besetzt ist, zu raeumen. Ibarra versteht die politische Beteiligung so: Vertreibung aus der Stadt, um die Armen - egal mit welchen Mitteln - in die Provinz zu schicken, und eine Beteiligung "ausgewaehlter" Buerger. Diese moeglichen neuen Raeumungen addieren sich zu der Welle der Repression, die sich durch die Hauptstadt zieht - dank der Politik von Ibarra, die ganze Suedzone der Cooperation Sur, einer para-staatlichen Organisation, die die Zone Barracas/La Boca in ein von Armen gesaeubertes touristisches Zentrum verwandeln will, zu uebergeben. Wir haben schon bei der Raeumung von Padelai mit hunderten von Polizisten und einer brutalen Repression, welche keinen Unterschied zwischen Maennern, Kindern und Alten gemacht hat, beobachten koennen, wie Ibarra handelt. Dem folgte die Raeumung des MTD San Telmo (horizontale Arbeitslosenorganisation, d.Ue.), der das aelteste Haus der Stadt, welches sich in einen Muellkippe verwandelt hatte, besetzt und dort eine kollektive Kueche und ein kulturelles Zentrum aufgebaut hatte - das unterbrachen vermummte Polizisten gewaltsam und ohne Vorankuendigung.
Seit dem 19./20. Dezember haben sich die Besetzungungen leerstehender Raeume im ganzen Land vervielfacht. Fabriken, Schuppen, Grundstuecke oder ehemalige Banken und Hauser - viele fuer mehrere Jahre leerstehende Raeume wurden von ihren Arbeitern, Arbeitslosen, Versammlungen oder einfach von Familien, die einen Wohnraum brauchten, besetzt. Die Besetzung, etwas das schon lange vor dem Dezember 2001 existierte, verwandelte sich in eine politische Praxis, die sich durch die ganze Bewegung zieht.
Seit vielen Jahren besetzt die Bauernbewegung Movimiento Campesino de Santiago del Estero Land, um der Landkonzentration in den Haenden von Großgrundbesitzern etwas entgegenzusetzen. Mit Hilfe einer feudalen politischen Gewalt haben diese nie gezoegert zur Verteidigung des Privateigentums auch zu toeten und innerhalb von 10 Jahren 5 Personen ermordet. Zum Beispiel als am 27. Februar die Polizei repressiv mit Bleikugeln gegen eine Besetzung in San Pedro vorgegangen ist. Aber die, die meinen, das Land gehoere denen, die es bearbeiten, konnten nicht bezwungen werden.
Auf der anderen Seite Argentiniens, in Patagonien, hatte eine der groessten Keramikfabriken, Zanon, im Oktober 2002 ihren ersten Jahrestag als eine Fabrik, die unter Arbeiterverwaltung produziert. Fast 300 Arbeiter arbeiten dort - inbegriffen neu geschaffener Arbeitsplaetze, die Arbeitslosen aus Piquetero-Organisationen gegeben wurden. Die Fabrik ist durch einen richterlichen Raeumungsbefehl bedroht. Der politischen Gewalt ist bewusst, dass sie, um die Arbeiter zu raeumen, mit einem starken Widerstand konfrontiert sein wird. Das selbe geschah bei der Kleiderfabrik Brukmann, wo nur die massive Mobilisation die Raeumung stoppen konnte.
Und auch die Piqueteros besetzen Land oder Gebaeude. Viele Gemeinschaftskuechen (VoKues), Schuppen und Gaerten existieren in besetzten Raeumen - eine sehr verbreitete Praxis in den Vorstadt-Barrios von Buenos Aires. Diese Orte sind haeufig raeumungsbedroht. So wie das Haus vom MTD Florencia Varela, die Gemeinschaftskueche von Pollo Obrero in Almirante Brown und Barrios de Pie in dem ex-Banco Mayo Gebaeude in Avellaneda.
Auch die Versammlungen, die besetzten, leiden unter permanenten Drohungen, so wie die Besetzung von Boedo, die schon geraeumt wurde, oder wie das Gemeinschaftszentrum Abriendo Caminos, das die Versammlung von Haedo mit H.I.J.O.S. teilt und das unter Raeumungsdrohung steht.
In der Hauptstadt hat die Stadtregierung auf der einen Seite durch das Schaffen von Kooperativen oder des AGP einen legalen Rahmen angeboten, eine "rechtliche Toleranz". Auf der anderen Seite steht die wachsende Repression gegen die, die nicht aufhoeren wollen zu kaempfen. Die Zunahme von Raeumungen von Piqueterosbewegungen, Familien und Versammlungen ist eine Art spuehren zu lassen, dass die "Quilomberos" nicht weiter geduldet werden.
Die wahre Bedeutung des brasilianischen Wortes vergessend - ein Ort der Freiheit und Zufluchtsort fuer die Sklaven - hat "Quilombo" hier die Bedeutung von Chaos, Gaunerei, Bordell. Doch durch einen seltsammen Richtungswechsel hat sich der argentinische "Quilombo" in einen brasilianischen "Quilombo" verwandelt. Der "Quilombo", ein Ort der Freiheit und des Widerstands, der Traum aller Sklaven, wie es die brasilianischen "Quilombos" waren, das sind all diese Besetzungen, die sich nicht raeumen lassen.
Solidaritaet weltweit mit denen, die Widerstand gegen den alltaeglichen Krieg leisten!
mehr und aktuelle Infos: argentina.indymedia.org