Die Zeit
Angesichts der sozialen Unruhen in seinem Land reichte Präsident Carlos Mesa heute Nacht seinen Rücktritt ein. Der Andenstaat droht weiter in seiner Erdgas-Krise zu versinken
Von Christian Küttler für ZEIT.de
"Ich bin nicht bereit, diese schändliche Komödie zu verlängern." Mit diesen Worten kündigte Boliviens Präsident Carlos Mesa während einer Ansprache im Fernsehen und Radio seinen Rücktritt an. Mit Rücksicht auf das Land und auf die Bürger von Bolivien habe er sich zu diesem Schritt entschlossen, und er verwies damit auf die anhaltenden sozialen Spannungen im Land. Mesa hatte das Amt erst vor anderthalb Jahren von Gonzalo Sánchez de Lozada übernommen, der nach einem Volksaufstand, bei dem 67 Menschen starben, aus dem Land geflohen war.
Grund für die sozialen Spannungen ist der Konflikt um die Rohstoffreserven. Die Movimiento al Socialismo (MAS), die Bewegung zum Sozialismus, des Kokabauernführers Evo Morales fordert 50 Prozent Förderabgaben auf Erdgas und Erdöl, während das Parlament bisher nur 18 Prozent von den Unternehmen verlangen will. Die Opposition hat deshalb neue Proteste und Straßenblockaden angekündigt. "Welchen Sinn macht ein Geschäft für unser Land, wenn Repsol-Bolivien mit Repsol-Argentinien verhandelt? Es macht keinen Sinn", sagte Morales der argentinischen Zeitung Página 12 Seine zentrale Forderung ist die Partizipation der verarmten Landbevölkerung am Rohstoffreichtum Boliviens.
In Washington heißt es bereits, Morales sei der bin Laden Lateinamerikas und Condoleezza Rice ist besorgt über die Entstehung der MAS. Die Bewegung sieht sich als Teil einer aktuellen Entwicklung Südamerikas. Sie will die politische Macht in Bolivien übernehmen und einen antiimperialistischen Präsidenten stellen, wie es in einigen Staaten in der Nachbarschaft bereits geschehen sei: Kuba, Venezuela, Brasilien, Argentinien und Uruguay hätten bereits anti-neoliberale Präsidenten. "Hoffentlich leben wir eines Tages in allen lateinamerikanischen Ländern in Würde, in Souveränität, ohne die Vorherrschaft einer Weltmacht, wie die von Bush und seiner Regierung, die das Kapital in wenigen Händen konzentrieren will und die Mehrheit verhungern lässt", sagte Morales im Interview.
Der derzeitige Präsident Mesa ist ein populärer Intellektueller, der als gemäßigt gilt und stets versuchte, gewalttätige Konfrontationen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften zu verhindern. Noch ist offen, ob das Parlament seinen Rücktritt annimmt und Senatspräsident Hormando Vaca Diez das Amt bis zu den nächsten Wahlen im August 2007 übernimmt oder ob es zu Neuwahlen kommt, an denen auch der aus ärmsten Verhältnissen stammende Morales mit guten Aussichten antreten würde. Bisher galt allerdings die Embajada, die US-amerikanische Botschaft, als eigentliche Regierung Boliviens, die für eine gewisse Konstanz in der Geschichte des Andenstaates gesorgt hatte.