Frankfurter Rundschau
Calama · 9. März · kth · Die Regierungskrise in Bolivien ist zunächst beigelegt. Staatspräsident Carlos Mesa kann weiterregieren, nachdem das Parlament in einer dramatischen Nachtsitzung einer Art Sozialpakt zugestimmt hat. Die militante Opposition will jedoch die Straßensperren fortsetzen, die das Land seit Wochen lähmen.
Das Abkommen mit dem Parlament stellt eine klare Unterstützung für den Präsidenten dar. Mesa war auf dem Höhepunkt der bürgerkriegsähnlichen Unruhen vor anderthalb Jahren an die Spitze Boliviens, eines der ärmsten Länder Lateinamerikas, gelangt. Der angesehene und beliebte Präsident ist parteilos - doch was damals sein Vorteil war, erwies sich beim Regieren als Nachteil. So erklärte der Präsident am Wochenende seinen Rücktritt, geschwächt durch eine neue Welle von Straßenblockaden und Protesten. Doch nun, mit dem Vertrauensvotum des Parlaments im Rücken, will Mesa weiterregieren.
Parlament für moderate Gebühren
Das Abkommen sieht unter anderem vor, dass die Gebühren, die ausländische Erdölgesellschaften an den Staat bezahlen müssen, nicht von 18 auf 50 Prozent erhöht werden. Diesen drastischen Aufschlag fordert Mesas wichtigster Gegenspieler: Evo Morales, Chef der linksgerichteten MAS-Partei. Mesa ist der Ansicht, dass solche Gebühren auf dem Markt nicht durchzusetzen sind und Bolivien sich mit einer solchen Forderung diskreditieren würde. Die MAS-Fraktion im Parlament trägt das Abkommen nicht mit und ihre Sprecher kündigten an, die Blockaden und Proteste fortzusetzen. Damit stellt sich die Frage, wie wirksam das Abkommen ist.
Weitere Punkte der Vereinbarung sind die Einberufung einer verfassungebenden Versammlung, die die politischen Mechanismen Boliviens neu regeln soll, sowie ein Referendum über regionale Autonomien. Das bezieht sich auf die Unabhängigkeitsbestrebungen im östlichen Landesteil, wo die Stadt Santa Cruz zum Zentrum eines Wirtschaftsbooms geworden ist. An Bodenschätzen und der Exportlandwirtschaft wird dort gut verdient.
Die führende Schicht empfindet die Regierung im fernen Andenhochland nur als ein Hindernis. Hinzu kommt die oft kaum verhüllte rassistische Aversion gegen die indianische Bevölkerung in den Anden. Das reiche Santa Cruz im östlichen Flachland ist damit der Gegenpol zu El Alto, einer bitterarmen Slumstadt oberhalb von La Paz.
El Alto hat eine Schlüsselstellung für die Protestbewegung. Dort leben zahllose Globalisierungs-Opfer: Bergleute, die in den Privatisierungs- und Liberalisisierungswellen der vergangenen zwei Jahrzehnten Arbeit und Brot verloren haben. In ihren Augen sind sie selbst der traurigste Beweis dafür, dass Bolivien seit Jahrhunderten seine Bodenschätze an Ausländer verschleudert, ohne dass die ärmsten Schichten etwas davon hätten. Dort ist die Militanz wie die MAS-Forderung nach drastischen Gebühren für Bodenschätze sehr populär.