Junge Welt • 20.12.2005
Timo Berger
Mit einem unerwartet deutlichen Ergebnis hat am Sonntag Evo Morales die Präsidentschaftswahlen in Bolivien gewonnen. Nach offiziellen Zahlen der Wahlleitung erhielt der Kandidat der MAS (&rqauo;Bewegung zum Sozialismus&lqauo;) mit Auszählungsstand vom Montag 47 Prozent der Stimmen. Laut TV-Hochrechnungen bekam der Indio aus der Volksgruppe der Aymara sogar 50,9 Prozent, sein konservativer Gegenkandidat, Expräsident Jorge Quiroga, kam mit etwa 31 Prozent abgeschlagen auf Platz zwei. Wenn sich diese Zahlen bestätigen, wäre Morales damit laut Verfassung direkt gewählt. Im anderen Fall müßte er im Januar noch durch den Kongreß bestätigt werden. Quiroga erkannte den Wahlsieg von Morales bereits an und gratulierte dem 46jährigen Gewerkschaftsführer.
Morales versprach in einer ersten Rede nach der Abstimmung am Sonntag abend umfassende Reformen: &rqauo;Die neue Zeit Boliviens bricht an, für Gleichheit in Frieden und für den Wechsel, den das bolivianische Volk erhofft.&lqauo; In Cochabamba erklärte er vor Anhängern seiner Partei: &rqauo;Wir haben gewonnen, Aymaras, Quechuas, Chiquitanos und Guaranies, zum ersten Mal sind wir Präsidenten.&lqauo;
Tausende Menschen strömten am Sonntag abend auf die zentralen Plätze der größten Städte Boliviens, um den Wahlsieg von Morales zu feiern. 3,6 Millionen Bolivianer waren am Sonntag aufgerufen, in über 21000 Wahllokalen Präsident und Vizepräsident, Abgeordnete und Senatoren zu wählen. Zum ersten Mal wurden auch die Gouverneure der neun Landesteile (Departamentos) direkt vom Volk gewählt. Die MAS kam Prognosen zufolge auf 65 der 130 Sitze im Abgeordnetenhaus, sie errang außerdem 13 der 27 Sitze im Senat. Die Partei von Jorge Quiroga, Podemos (&rqauo;Soziale und demokratische Kraft&lqauo;), errang die Mehrheit im Senat und stellt künftig sechs Gouverneure. Die Wahlergebnisse spiegeln die regionale Spaltung des Landes: Morales erhielt am meisten Stimmen in ärmeren westlichen Provinzen (Oruro, Potosí, Chuquisaca, La Paz und Cochabamba), Quiroga gewann im rohstoffreichen Osten (Tarija, Beni, Pando y Santa Cruz).
In der Andenstadt Cochabamba bedankte sich Evo Morales am späten Sonntag abend bei den sozialen Bewegungen für ihren Kampf um die natürlichen Ressourcen. &rqauo;Ab dem morgigen Tag&lqauo;, versprach Morales&lqauo;, würde eine &rqauo;neue Ära der Geschichte in Bolivien beginnen&lqauo;. &rqauo;Wir wollen ein Bolivien für alle, nicht nur für die Indigenas&lqauo;. Der Indioführer unterstrich seinen Wunsch, &rqauo;zusammenzuleben in der Einheit der Vielfalt&lqauo;. Außerdem rief er die sozialen Bewegungen und die Politiker Lateinamerikas dazu auf, das &rqauo;große Vaterland&lqauo; Simón Bolivars und das &rqauo;Tawantinsuyu&lqauo; der Inka in symbolischer Form wiederzuerrichten.
Als erste Regierungsmaßnahmen kündigte Morales die Verstaatlichung der Rohstoffquellen und die Einberufung einer Verfassungsversammlung an: &rqauo;Wir wollen das neoliberale Wirtschaftsmodell ändern und den Kolonialstaat abschaffen.&lqauo; Ein Verfassungskonvent soll eine Neugründung Boliviens vorbereiten.