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Alarm in Bolivien
www.jungewelt.de 22.09.2006

Evo Morales in Schwierigkeiten: Die Reformprojekte der Regierung sind blockiert

Timo Berger

Evo Morales hat dieser Tage keinen einfachen Job. Der Jubel zu seiner Amtseinführung Anfang des Jahres ist verklungen. Nachdem Morales' ambitioniertestes Projekt, die Wiederverstaatlichung der Erdgas- und Erdölindustrie, ins Stocken geraten ist, kehrt auch die Opposition wieder auf die Straßen zurück: Mehrere Berufsgruppen streiken, und ein Bündnis aus rechten Parteien und Unternehmerverbänden blockiert den erst Anfang August in Sucre einberufenen Konvent zur Reform der Verfassung. So wurde in der Versammlung bislang nur über Verfahrensfragen diskutiert. Streitpunkt sind die Abstimmungsmodalitäten. Während die Anhänger der Regierung wollen, daß der Konvent Verfassungsänderungen mit absoluter Mehrheit beschließt, besteht die rechte Opposition auf eine Zweidrittelstimmenmehrheit.

Wind im Gesicht

Aber auch außenpolitisch bläst dem ersten indigenen Präsidenten Boli­viens der Wind ins Gesicht. Während die Bush-Regierung am Wochenanfang ankündigte, die Zollerleichterungen für bolivianische Waren 2007 auszusetzen, wenn das Andenland nicht entschiedener gegen den Kokaanbau vorgehe, regt sich im Nachbarland Brasilien Widerstand gegen die Energiepolitik Boliviens.

Die am 1. Mai von der bolivianischen Regierung beschlossene Wiederverstaatlichung des Treibstoffsektors macht die bisherigen Förderlizenzen hinfällig. Bolivien will künftig 80 Prozent der Einnahmen aus dem Gasgeschäft behalten und die Exportpreise für Treibstoffe erhöhen. Der brasilianische Mineralölkonzern Petrobras lehnt diese Forderungen ab und setzte vergangene Woche die Verhandlungen mit der Regierung Morales aus. Wenn es zu keiner Einigung kommt, könnte Bolivien die Gaslieferungen an Brasilien einstellen.

In den Streit um die Förderlizenzen mischte sich nun auch Brasiliens Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva ein. Die bolivianische Tageszeitung La Razón zitierte ihn am Dienstag mit den Worten: Wenn Bolivien den Brasilianern »das Schwert auf die Brust setzt«, dann würde das Land sich in erster Linie selbst schaden. »Ich habe einen klaren Begriff von der brasilianischen Überlegenheit gegenüber Bolivien«, polterte Lula, der für seine Wiederwahl am 1. Oktober kandidiert, weiter.

Die Regierung Morales ist nach den scharfen Protesten aus dem Nachbarland zurückgerudert. Offiziell um die Verhandlungen nicht zu gefährden. Es zeichnet sich jedoch ab, daß Bolivien von seinen Maximalforderungen abrücken und einen Kompromißvorschlag unterbreiten muß, um den größten Investor im bolivianischen Energiesektor, Petrobras, nicht zu verlieren. An der künftigen Gangart in der Verstaatlichungsfrage scheiden sich nach einem Bericht von La Razón auch die Mitglieder der bolivianischen Regierung. Während Kreise um den Vizeminister Alvaro García Linera eine moderate Linie verfolgen, geben sich andere, wie zuletzt der Energieminister Andrés Soliz Rada, kompromißlos.

Letzterer trat am vergangenen Wochenende zurück. Zuvor hatte er zwei der wichtigsten Gasraffinerien per Dekret wieder zurück in Staatsbesitz überführen wollen. Doch Vizepräsident García Linera setzte das Dekret auf Drängen Brasiliens wieder aus. Die Raffinerien bleiben so vorläufig weiterhin in den Händen von Petrobras. Auch wenn der neue Energieminister Carlos Villegas am Montag bekräftigte, man werde vom Verstaatlichungskurs nicht abrücken, wurden Zweifel an dessen Erfolg laut. Das Privatisierungsdekret sah ursprünglich vor, das Handels- und Produktionsmonopol für Erdgas und Derivaten der reaktivierten staatlichen bolivianischen Mineralölgesellschaft (YPFB) zu übertragen.

Streiks und Demos

Wer die derzeitige innenpolitischen Situation in Bolivien betrachtet, fühlt sich an die Zeiten von Morales' Vorgängern erinnert. Mehr als zehn Berufsgruppen und Gewerkschaften streikten in den vergangenen zwei Wochen für ihre Forderungen. In mehreren Städten kam es zu Demonstrationen, und in Tarija wurde die Gaspipeline nach Argentinien blockiert.

Auch Morales' zweites großes politisches Projekt hängt in der Warteschleife. Seine Bewegung zum Sozialismus (MAS) hatte im Wahlkampf versprochen, dem Land mittels eines gewählten Verfassungskonvents ein neues Grundgesetz zu geben, das die Rechte der indigenen Bevölkerungsmehrheit stärken soll. Doch bislang schaffte es die MAS nicht, durch Bündnisse mit anderen Gruppierungen die für Verfassungsreformen notwendige Zweidrittelmehrheit zustande zu bringen. Die rechten Parteien drohen unverhohlen mit dem Rückzug ihrer Vertreter aus dem Konvent, um den Verfassungsgebungsprozeß zu Scheitern zu bringen.

Präsident Morales hat unterdessen die Anhänger der MAS und die indigenen Gruppen um Unterstützung gebeten: »Angesichts der Geschehnisse in Sucre ist es notwenig, daß wir uns in Alarmbereitschaft versetzen«. Sein Vize García Linera rief die Bevölkerung am Wochenende dazu auf, sich zu mobilisieren, um den Konvent zu verteidigen.


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