Montag, 20. März 2000 Von: REDAKTION.AKIN Ecuador: Was war wirklich los in Quito? Rueckblick auf einen eigenartigen Umsturz Fuer einige Stunden sah es vor einem Monat so aus, als wuerden Indigenas zusammen mit Gewerkschaften und dem Militaer nach einem Sturz Praesident Jamil Mahuads die Macht in Ecuador uebernehmen. Doch wenig spaeter erfolgte der Rueckzieher von Verteidigungsminister Mendoza und die Einsetzung des bisherigen Vizepraesidenten Gustavo Noboa zum Staatschef am Samstag, den 22.1., um 7 Uhr frueh. (s.a. akin 3/00) Um 8 Uhr wurde der eigentliche militaerische Anfuehrer der Kurzzeit-Junta Oberst Lucio Gutierrez verhaftet. Die Indigenas ziehen sich daraufhin in den immer noch besetzten Nationalkongress zurueck. Noch am gleichen Tag wird der 62-jaehrige Anwalt Noboa aber nicht im Kongresz, sondern im Verteidigungsministerium vereidigt. Dieses Detail zeigt deutlich die Unterstuetzung durch die Militaerfuehrung, die das "Parlament des Volkes" letztendlich nicht anerkennt und den Volksaufstand instrumentalisiert, um den laut juengsten Umfragen von 89 Prozent der Bevoelkerung abgelehnten Mahuad abzusetzen, aber mit Noboa die "demokratische Kontinuitaet und die Respektierung der Verfassung zu wahren". Was damit gemeint ist, kuendigt dieser auch gleich an: die Fortsetzung der Wirtschaftspolitik Mahuads, d.h. das weitere Festhalten an der Einfuehrung des US-Dollar als Landeswaehrung sowie dem Privatisierungskurs, was mit einem explosiven Anstieg der Lebenshaltungskosten und der Arbeitslosigkeit verbunden ist. Der Dachverband der Indigena-Organisationen (CONAIE), die maszgeblich am Sturz Mahuads beteiligt waren, spricht von "Verrat". Dennoch bricht die CONAIE die Proteste fuer den Moment ab, und die Indios verlassen die Hauptstadt Quito wieder. Waehrend des kurzen "rebellischen Wochenendes" berichteten die Medien einhellig von der "Katastrophe fuer die Demokratie", die der Umsturz bedeute. Cesar Gaviria, Chef der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und Alberto Fujimori, rechtspopulistischer Praesident des Nachbarlandes Peru, drohten schon am Abend des Revolutionsfreitags mit einer militaerischen Intervention in Ecuador, falls "die Revolution sich halten wuerde". Ein Fehler der Indigena-Organisationen und anderer Aufstaendischer war es, nicht wenigstens einen Fernsehkanal besetzt zu haben, um eine breit getragene Gegenoeffentlichkeit zu schaffen. Mahuad erhob spaeter in einem Interview den Vorwurf, dass die Proteste der Indios, aufgrund derer Teile der Linken in Ecuador und ganz Lateinamerika den Putsch als Volksaufstand bezeichneten, von Anfang an vom Militaer manipuliert worden seien. Aus Kreisen der Oberbefehlshaber wiederum wurde Mahuad vorgeworfen, er habe einen Selbstputsch geplant, um sich diktatorische Vollmachten anzueignen. Die in Quito erscheinende Tageszeitung El Comercio berichtet, dass einen Monat vor dem Umsturz 60 Hauptmaenner und Oberstleutnante in der Polytechnischen Schule der Armee zusammengekommen seien, um sich gegen die Kuerzungen im Militaeretat zu wehren und ueber die Krise der Mahuad-Regierung zu diskutieren. Einer der Beteiligten, Oberst Gutierrez, habe im Namen der Gruppe einen Brief an die Oberbefehlshaber verfasst, in dem Mahuads Beseitigung vorgeschlagen wurde. Gutierrez hatte sich bereits mit der CONAIE in Verbindung gesetzt und ihr die wohlwollende Unterstuetzung der Armee fuer den Marsch der Indios auf Quito uebermittelt. Etwa um diese Zeit traf sich der fuer Lateinamerika zustaendige Sekretaer des US-Auszenministeriums Peter Romero in Quito mit Praesident Mahuad. Einige Beobachter sind der Ansicht, dass Romero gekommen war, um Mahuad vor dem Putsch zu warnen und um die Absetzung des Oberkommandierenden Jose Gallardo vorzuschlagen. Nach dem Besuch ersetzte Mahuad Gallardo durch General Mendoza und gab den Plan zur Einfuehrung des Dollars als Landeswaehrung bekannt. Beide Entscheidungen riefen die Obersten auf den Plan, die nun gemeinsam mit der CONAIE-Fuehrung an die Vorbereitung des Umsturzes in Quito schritten. Aus der Sicht der Militaers war der Protestmarsch der CONAIE auf Quito wahrscheinlich ein notwendiger Deckmantel fuer einen Putsch, versetzte er doch die Offiziere in die Lage, ihre Junta als Produkt einer Volksrebellion auszugeben. Mahuad haelt daran fest, dass die wahre Ursache fuer den Umsturz im Unmut der Militaers ueber drei wesentliche Punkte lag: die Kuerzungen bei den Ruestungsausgaben; seine Weigerung, den Offizieren eine groeszere Gehaltserhoehung zuzugestehen als den zivilen Staatsangestellten, und das Friedensabkommen mit Peru von 1998. Das Militaer selbst war ueber einen Putschversuch uneins. Teile des Offizierskorps befuerchteten, dass die bestehende Befehlshierarchie durchbrochen wuerde, falls die Obersten und nachgeordnete Offiziere eigene Vollmachten an sich rissen, und dass damit das ganze System von Raengen und Privilegien in den ecuadorianischen Streitkraeften bedroht wuerde. Erhebliche Interessen waren im Spiel. Die von der Armee dominierten Industriezweige, von den TAME-Fluglinien bis hin zu Oel- und Agrarunternehmen, spielen in der ecuadorianischen Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Die Holdinggesellschaft des Militaers, Industrial Directorate, ist Miteigentuemer des neuen Marriot- Hotels, das kuerzlich in Quito eroeffnet wurde. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Militaer bis zu 15 Prozent der Einnahmen aus den Oelexporten des Landes absahnt. Ein Motiv fuer die rasche Uebergabe der Macht an Noboa waren die Drohungen aus Washington, dass man einem Militaerregime mit politischer Isolierung und einem Wirtschaftsembargo begegnen werde. Romero soll General Mendoza am Telefon gesagt haben, dass es Quito wie Havanna ergehen werde, falls die Junta an der Macht festhalte. Versuch eines Referendums Derzeit werden im ganzen Land Unterstuetzungserklaerungen fuer ein Referendum gesammelt. Die Aktion wird im Wesentlichen von CONAIE getragen. In den von den Indigenas gegruendeten Provinzparlamenten, die am vergangenen Wochenende tagten, wurden die Fragen fuer das Plebiszit verabschiedet. Nach den Vorstellungen der CONAIE soll sich die Bevoelkerung mit Ja oder Nein zur Aufloesung des Kongresses, der Neustrukturierung des Obersten Gerichtshofes, der Privatisierungspolitik, der Dollarisierung der Wirtschaft sowie der US-Truppenpraesenz auf dem Territorium Ecuadors aeuszern. Als Termin ist der Mai vorgesehen. Das private Meinungsforschungs-Unternehmen "Cedatos" hat unter den Ecuadorianern eine Zustimmung von 74 Prozent fuer ein Referendum ausgemacht. Etwa ebenso hoch soll der Prozentsatz der Bevoelkerung sein, die mit Ja fuer ein voellig neues Parlament stimmen wuerden. CONAIE-Vertreter Daniel Tigre wies Kritik einiger politischer Gruppen zurueck, die Fragen seien nicht "legal". Sie entspraechen vielmehr der aktuellen politischen Situation des Landes und haetten den Rueckhalt der Bevoelkerung, so Tigre. Das Oberste Wahlgericht hatte geaeuszert, die in einer Frage vorgeschlagene Aufloesung des Parlaments verstosze gegen die Verfassung. Die Abgeordneten koennten nur individuell abgesetzt werden. Tigre machte deutlich, die Volksbefragung sei die Fortfuehrung des begonnenen Kampfes fuer den Respekt vor den Rechten der sozial Marginalisierten. Die Warnungen, das Referendum koenne das Land weiter destabilisieren, seien ein Vorwand der Politiker, um die Korruption beizubehalten. *akin, Stand 14.2.* #Quellen:Gerardo Nebbia, Bill Vann/World Socialist Web Site ( www.wsws.org )/via LabourNet; Pulsar/Poonal (www.berlinet.de/poonal/aktuell.htm)