ECUADOR: Dollarisierung schürt Angst vor der Hyperinflation - Unternehmen und Bürgergruppen stellen Alternativkonzept vor Von Kintto Lucas Quito, 23. Mai (IPS) - In Ecuador geht vier Monate vor der geplanten Abschaffung der Landeswährung Sucre im Zuge der laufenden 'Dollarisierung' das Gespenst einer Hyperinflation um. Gleichzeitig nimmt die Ablehnung gegenüber der offiziellen Wirtschaftspolitik zu. Die Inflation lag nach den jüngsten Angaben des Nationalen Instituts für Statistik und Zensus (INEC) bereits im letzten Monat bei 10,21 Prozent. Im April 1999 hatte sie sich noch auf 5,5 Prozent belaufen. Die akkumulierte Inflation der letzten zwölf Monate betrug 88,88 Prozent gegenüber 56,1 Prozent im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Veröffentlichung der Inflationsrate erfolgte offenbar gegen den Widerstand der Regierung. So war INEC-Chef German Rojas nach eigenen Angaben von Ricardo Noboa, dem Bruder des Präsidenten und Leiter der Privatisierungsgesellschaft 'Nationaler Modernisierungsrat' und den Finanzbehörden gedrängt worden, die Inflationszahlen nicht zu veröffentlichen. Rojas quittierte den Druck von oben mit seinem Rücktritt. Einer am 19. Mai veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CEDATOS zufolge stehen 69 Prozent der Bevölkerung dem Dollarisierungskurs der Regierung misstrauisch gegenüber. 81 Prozent der Befragten gaben an, vor Beginn der Dollarisierung am 1. April finanziell besser dagestanden zu haben. 85 Prozent beklagten einen drastischen Verlust der Kaufkraft. Diese Entwicklung hat Bürgergruppen, Exportverbände sowie Finanz- und Wirtschaftsexperten am 18. Mai veranlasst, sich zum Alternativen Forum zusammenzuschließen und einen eigenen Wirtschaftsplan vorzulegen. Die alternative Variante zielt auf eine Gleichstellung von Sucre und Dollar und die Reaktivierung der Zentralbank als Währungshüter. Derzeit ist der Sucre an den US-Dollar im Verhältnis 25.000 zu eins gekoppelt. Im September, wenn nach offiziellen Plänen der Gesamtbestand der nationalen Währung durch Dollars ersetzt sein wird, soll der Sucre als Währung aus dem Verkehr gezogen werden. Ohne Devisenreserven verliert die Zentralbank ihre Funktion als Währungshüter und soll nur noch für den Wiederaufbau des Banken- und Finanzsystems zuständig sein. Die Dollarisierung habe die produktiven Sektoren im Land arg geschwächt, sagt der Vorsitzende der Ecuadorianischen Vereinigung der Exporteure (FEDEXPORT), Luis Maldonado. "Eine Stabilität wurde nicht erreicht, und die Inflation steigt wie nie zuvor und zwar in Dollar." Die Vorschläge des Alternativen Forums stellten einen Ausweg aus dem von der Regierung unter Staatspräsident Gustavo Noboa implementierten Wirtschaftsmodell dar. "Die ökonomischen Fundamentalisten wollen uns glauben machen, dass es keinen anderen Ausweg gibt. Das ist nicht wahr", fügte er hinzu. "Mit den versprochenen Illusionen ist es Essig", erklärt der Ökonom Alberto Acosta. "Das, was inmitten eines Ausverkaufs populistischer Wunder versprochen wurde, hat sich als Albtraum entpuppt. Die Inflation explodiert, und die Zinsen sind höher als zur Zeit der Dollarisierung." Einem Vertreter der Zentralbank wirft der Regierung vor, einen Teil der Devisenreserven seiner Bank in insolvente Geldinstitute gesteckt zu haben, um die Dollarisierung unumkehrbar zu machen. Gleichzeitig bestehe die Gefahr, dass die Devisenreserven nicht ausreichten, den Sucre gegen den Dollar im Verhältnis 25.000 zu eins vom Markt zu nehmen, wie dies der Dollarisierungsprozess vorsieht. Offiziellen Berichten zufolge sind die Devisenreserven bereits innerhalb einer einzigen Woche - vom 5. bis 12. Mai - von 928 Millionen auf 896 Millionen Dollar zusammengeschmolzen. Der Mitarbeiter der Zentralbank, der sich Anonymität ausbat, schätzt den derzeitigen Stand inzwischen auf knapp über 700 Millionen Dollar. Ein Vorschlag, der derzeit von der Bankenaufsichtsbehörde zur Sanierung des ecuadorianischen Finanzsystems diskutiert wird, dreht sich um die Vergabe von Krediten, mit denen solvente Banken bankrotten Instituten zu Hilfe eilen sollen. Als Bürge soll die Zentralbank auftreten. In einem solchen Fall blieben die Reserven unberührt, und die Gefahr eines Ausverkaufs der Dollar vor Auslösung des Sucre wäre gebannt. Doch dagegen stemmen sich die gesunden Banken. "Sie verlangen in einem solchen Fall die Gewinne aus den bevorstehenden Privatisierungen als Garantie", sagt der Zentralbankvertreter. Denn Garantien von Seiten seiner Bank, die langfristig verschwinden werde, seien nichts wert. Kritik hat die Bankenaufsichtsbehörde mit ihrer Intervention bei der Zentralbank vor zwei Wochen geerntet. Den Vorstoß rechtfertigte der ehemalige Staatspräsident und Befürworter der Dollarisierung, Oswaldo Hurtado (1980-1984), als Maßnahme zugunsten bankrotter Geldinstitute und Unternehmen. Den Medien zufolge stehen 16 Banken und fünf Finanzinstitute bei der Zentralbank mit 1,9 Milliarden Dollar in der Kreide. Davon entfallen 1,3 Millionen Dollar an Schuldverschreibungen und 600 Millionen an Liquiditätskredite. Die Intervention führte zum Rücktritt von drei Direktoren der Zentralbank sowie Protesten der Gewerkschaft der Bankangestellten und der politischen Opposition. Im vergangenen Jahr sah sich die Mehrheit der Zentralbankdirektoren, so der ehemalige Vertreter des Internationalen Entwicklungsfonds (IWF) in Ecuador, Jean Pierre Amselle, zum Rücktritt genötigt. Sie alle waren unter Druck gesetzt worden, ihre Kreditmargen für bankrotte Geldinstitute zu erweitern. Auf dem Markt Santa Clara, einem der wichtigsten in Quito, verweigern die Menschen den Abschied vom Sucre. "Ein Land, in dem der Staatspräsident im öffentlichen Fernsehen sagt, er lasse sich den Bart stehen, um Abraham Lincoln zu ähneln und in dem der Sucre gegen eine Währung ausgewechselt wird, die wir nicht kennen, ist eine Schande", sagte dazu die Gemüsehändlerin Rosa Lima. Staatspräsident Noboa gibt sich überzeugt, dass die mit dem IWF unterzeichnete Absichtserklärung der Dollarisierung zum Erfolg verhelfen wird. In dem Abkommen stellt die internationale Finanzorganisation Ecuador einen Beistandskredit in Höhe von 300 Millionen Dollar in Aussicht. 120 Millionen Dollar wurden bereits ausgezahlt. Als Gegenleistung muss Quito die Subventionen für Treibstoff und Strom streichen, das Bankenwesen sanieren und die Strom-, Erdöl- und Telefonunternehmen privatisieren. Die Subventionen werden nach offizieller Darstellung Ende des Monats fallen. Dann werden die Gebühren für Gas, Treibstoff und Elektrizität um 50, 100 und 230 Prozent in die Höhe schnellen. Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Instabilität könnte dies der letzte Tropfen sein, der das Fass zum überlaufen bringt. Beobachter warnen bereits vor sozialen Unruhen, die sogar den Indio-Aufstand im Januar in den Schatten stellen könnten. (Ende/IPS/kb/2000)