Soziale Proteste bringen Ecuadors Präsident in Not
Lucio Gutiérrez verhängt Ausnahmezustand und hebt ihn wieder auf
18.04.2005 – www.nd-online.deVon Eduardo Tamayo G. und Stefanie Kron, Quito
Mit der Auflösung des Obersten Gerichts und der Verhängung des Notstands hat Ecuadors Präsident Lucio Gutiérrez eine schwere Staatskrise heraufbeschworen.
Tausende Menschen demonstrierten am Sonnabend in Quito gegen den Staatschef und den von ihm über die Hauptstadt verhängten Ausnahmezustand. Diesen hob Gutiérrez zwar am Samstagabend wieder auf, an der Entmachtung der obersten Richter hielt er jedoch fest. Das zu einer Dringlichkeitssitzung am Sonntagabend (Ortszeit) einberufene Parlament sollte die Auflösung des Gerichts bestätigen sowie ein neues Gesetz zur Regelung der Ernennung der Obersten Richter behandeln.
Die Verhängung des Notstandes habe dazu gedient, ihm die erforderlichen Vollmachten zur Auflösung des Obersten Gerichtshofes zu geben, sagte Gutiérrez bei einer Pressekonferenz in Quito. Gutiérrez foderte das Parlament auf, das Gesetz zügig zu verabschieden. Derweil versicherte Verteidigungsminister Nelson Herrera nach einem Treffen mit dem Präsidenten, die Armee unterstütze den Staatschef und die Demokratie.
Trotz des Ausnahmezustands gingen mehrere tausend Bewohner von Quito am Samstagmorgen auf die Straßen. Rund 5000 Menschen machten ihrem Unmut Luft, indem sie auf Kochtöpfe schlugen. Andere fuhren hupend durch die Straßen und riefen »Nieder mit dem Diktator« und »Lucio raus«.
Schon am letzten Mittwoch war Quito im Ausnahmezustand - allerdings von unten. Mit Straßenblockaden, Demonstrationen und Arbeitausständen verlieh ein breites Bündnis von sozialen Organisationen und Bürgerbewegungen der Forderung nach dem Rücktritt des Präsidenten Lucio Gutiérrez Nachdruck. »Alle sollen gehen - zuerst der Diktator Gutiérrez« lautete die Parole, die während des Protesttages am häufigsten auf den Straßen Quitos zu hören war.
Auslöser der Proteste ist die tiefe institutionelle Krise, die mit der verfassungswidrigen Einsetzung regierungstreuer Richter in den Gerichten, durchgesetzt von Gutiérrez und abgesegnet von einer knappen Mehrheit im Parlament, im Dezember des vergangenen Jahres ihren Anfang nahm. Ramiro González, sozialdemokratischer Gouverneur der Provinz Pichincha, deren Verwaltungssitz ebenfalls Quito ist, beurteilte den von der »Bürgerversammlung« Quitos entschiedenen Streiktag als Erfolg: »Wir sind sehr zufrieden. Wir haben die Stadt chaotisiert, alle Landstraßen der Provinz wurden blockiert und es gab keinen öffentlichen Transport«, sagte González.
In der Bürgerversammlung von Quito sind verschiedenste gesellschaftliche Gruppierungen vertreten. Dazu gehören Industrielle und Nichtregierungsorganisationen (NRO) ebenso wie Nachbarschaftsräte, Straßenhändler und die indigene Bewegung »Pachakutik«. Der Versammlung sitzt der ebenfalls sozialdemokratische Bürgermeister von Quito, Paco Moncayo, vor.
Doch innerhalb des Protestbündnisses gegen die Regierung von Gutiérrez finden sich höchst unterschiedliche politische Positionen und Meinungen zur Lösung der Krise. Die sozialdemokratische Partei »demokratische Linke«, zu der Quitos Bürgermeister Moncayo zählt, kritisiert vor allem die Politisierung der von der Regierung kontrollierten Justiz und fordert die Wiederherstellung der rechtsstaatlichen Ordnung. Ziel der sozialen Organisationen hingegen ist die Bildung eines »autonomen politischen Blocks gegen alle oligarchischen Kräfte und ihre politischen Parteien«, wie es Luis Macas, Präsident des Indígena-Dachverbandes CONAIE ausdrückte. Deshalb solle, so Macas, zuerst die Regierung von Gutiérrez zurücktreten. Macas gab sich kämpferisch: »Wir führen die Proteste solange fort, bis die Regierung und das politische Establishment gegangen sind. Nur so kann es eine Demokratisierung und eine Neugründung der Republik geben, an der die sozialen Organisationen beteiligt sind.«
Der ehemalige Priester Eduardo Delgado, Sprecher der »Koordination der sozialen Bewegungen« kritisierte die politische Position von Quitos Bürgermeister. Moncayo greife »bedauerlicherweise« die Forderungen der sozialen Organisationen nach einer tief greifenden Transition und Demokratisierung des Landes nicht auf. Stattdessen versuche Moncayo, so Delgado weiter, »die Proteste für seine parteipolitischen Interessen mit Blick auf die Wahlen im kommenden Jahr zu instrumentalisieren«. Für Konfliktstoff ist auf alle Fälle weiter gesorgt.