Gutiérrez flüchtete in brasilianische Botschaft
Ecuadorianisches Parlament setzt Präsidenten ab
22.04.2005 – www.nd-online.deVon Tommy Ramm
Unter chaotischen Umständen hat Ecuadors Parlament den gewählten Staatspräsidenten Lucio Gutiérrez abgesetzt und dessen Stellvertreter Alfredo Palacio (66) zum Nachfolger bestimmt. Gutiérrez flüchtete in die Botschaft Brasiliens, das ihm politisches Asyl zusagte.
Das Militär gab den Ausschlag. Noch am Wochenende hatte sich die Militärführung hinter Präsident Lucio Gutiérrez gestellt, nun versagte es ihm die Gefolgschaft. Nach der Parlamentsentscheidung, bei der sich 60 von 62 anwesenden Abgeordneten der 100-Mitglieder-Kammer gegen Gutiérrez ausgesprochen hatten, entzog der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Víctor Rosero, dem Staatschef die Unterstützung. Die Abgeordneten begründeten ihre Entscheidung mit »Amtsvernachlässigung, Unterdrückung von Demonstrationen und Verletzung der Verfassung« durch Gutiérrez.
Alfredo Palacio legte auf Initiative des Parlaments kurz nach der Absetzung des 48-jährigen Gutiérrez den Amtseid ab. Er ist der fünfte Präsident des Krisenlandes binnen acht Jahren und sagte in einer ersten Erklärung zu, die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung zu prüfen. Forderungen Zehntausender Demonstranten nach einer Auflösung des Parlaments sowie der Wiedereinführung einer nationalen Währung lehnte er jedoch ab. Der US-Dollar ist seit 2000 die einzige Währung des verarmten Andenstaates.
Palacio wurde nach seiner Vereidigung zunächst von etwa 3000 Demonstranten in einem Gebäude im Zentrum der Hauptstadt Quito bedrängt. Später gelang es ihm, das Verteidigungsministerium zu erreichen. Den Weg in den Präsidentenpalast versperrten Demonstranten.
Derweil hatte die provisorische Generalstaatsanwältin Cecilia Armas de Tobar die Festnahme von Gutiérrez angeordnet. »Ich bin überzeugt, dass Gutiérrez die blutige Unterdrückung von Demonstranten aus politischen Gründen befohlen hat«, sagte sie. Nach Angaben des Roten Kreuzes gab es bei den Protesten in der Nacht zum Mittwoch mindestens vier Tote.
Noch bei seinem Amtsantritt im Januar 2003 galt Gutiérrez als Hoffnungsträger für einen radikalen strukturellen Wandel in sozialen und wirtschaftlichen Belangen des Landes. Vor allem die hohe Auslandsverschuldung liegt drückend auf der Bevölkerung, da sie zu Lasten von sozialen Ausgaben bedient wird. Die Vorschusslorbeeren für Gutiérrez kamen nicht von ungefähr. Im Jahr 2000 führte er als Armeeoberst gemeinsam mit Indigenen einen populären Aufstand gegen die damalige Regierung an, was ihm den Ruf eines progressiven und unkomplizierten Mannes des Volkes bescherte.
Doch weit gefehlt. Schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt überwarf sich Gutiérrez mit der indigenen Pachakutik-Partei, die erstmals Regierungsverantwortung für die mehr als 40 Prozent Indigenen in der Bevölkerung Ecuadors übernommen hatte. Nachdem seine einstigen Partner zur Opposition geworden waren, stellte Gutiérrez seine Fahne nach dem Wind, der ihm am günstigsten schien, um zu überleben. Mehrere Versuche der Opposition, den Präsidenten abzusetzen und ein Verfahren wegen Gefährdung der Staatssicherheit und Geldverschleuderung gegen ihn einzuleiten, konnte Gutiérrez abwenden, indem er einst gegnerische Parteien mit politischen Ämtern und Einfluss ausstattete.
Das Fass zum Überlaufen brachte er jedoch im Dezember. Nachdem ihn Opposition und Oberster Gerichtshof als Diktator gebrandmarkt hatten, ließ Gutiérrez am 8.Dezember durch den Kongress 27 der 31 obersten Richter auswechseln. Die nötigen Stimmen für diesen Schritt lieferte ihm die Roldosisten-Partei des ehemaligen Präsidenten Abdalá Bucaram, der sich auf diese Weise seine Rückkehr aus dem panamaischen Exil erkaufte. Der 1997 wegen Unzurechnungsfähigkeit abgesetzte Bucaram kam Anfang April im Heimatland an, nachdem der Gerichtshof laufende Verfahren gegen ihn eingestellt hatte. Ihm folgte Gustavo Noboa, Vorgänger von Gutiérrez, der sich ebenfalls entlastet sah.
Tausende Justiz-Mitarbeiter forderten jedoch die Wiedereingliederung der entlassenen Richter. Am 13.April begannen Hunderttausende gegen die Regierung des Präsidenten auf die Straße zu gehen. Ein kurzer Ausnahmezustand und die Einwilligung des Präsidenten, die Richter wieder einzusetzen, konnten das Ende Gutiérrez' nicht mehr aufhalten.