unsere zeit - Zeitung der DKP 16. August 2002 http://www.unsere-zeit.de/3433/s0601.htm
Sind wir so mitleiderregend? Präsident Bush hat das Drama Uruguays bewegt, obwohl es kein Anzeichen dafür gibt, dass er unser Land auf der Karte lokalisieren könnte. Hat sein Herz die Selbstlosigkeit unseres Präsidenten erweicht, dieses guten Mannes, der immer in vorderster Front steht, wenn es heißt, gegen Kuba, Argentinien oder für andere Zwecke zu sein? Wer weiß. Tatsache ist, dass Bush sagte: "Man muss mit anfassen". Und danach sagten die internationalen Kreditorganisationen genau dasselbe, in ihrer Funktion des Papageien auf der Schulter des Piraten.
Unsere Abgeordneten versammelten sich im Kampf gegen die Uhr, und mit Mehrheit, einer für Diskussionen tauben Mehrheit, entschieden sie sich im Handumdrehen für ein Gesetz, das dem öffentlichen Bankwesen den Gnadenschuss gibt. Das Gesetz war gut begründet: Sagt ja oder es gibt kein Geld.
Und sie verdrehten die Hälse, um am Himmel das Flugzeug zu suchen. Die Dollars reisten nicht im Flugzeug, kamen aber an: "Eineinhalb Milliarden Schmerzen", sagte der US-Botschafter, der nicht ein Wort Spanisch spricht. Der Botschafter sagte "Dolores" statt "Dólares". Der Fehler gestand die Wahrheit ein.
An ihrer Wiege waren die lateinamerikanischen Länder unabhängig, aber schon belastet durch die Hypotheken britischer Banken.
Zwei Jahrhunderte später sagte mir ein Taxifahrer in Montevideo: "Man sagt, Gott lenkt. Wahrscheinlich leitet er den Währungsfonds."
Mit der Zeit haben wir unsere Gläubiger gewechselt. Und schulden jetzt mehr. Je mehr wir zahlen, umso mehr schulden wir; und je mehr wir schulden, umso weniger entscheiden wir selbst. Von ausländischen Banken entführt, können wir ohne Erlaubnis nicht einmal mehr atmen. Wir Lateinamerikaner leben für den Schuldendienst, ein Dienst für Schulden, die sich wie Kaninchen vermehren. Die Schulden wachsen um vier Dollar für jeden neuen Dollar, den wir bekommen, aber wir feiern jeden Dollar als ob er ein Wunder wäre. Und so als ob der Strick, der unseren Hals abdrücken soll, uns vom Grund des Schachts heraufzöge.
Seit einigen Jahren ist Uruguay dabei, sich von einem Land zu einer Bank mit Stränden zu verwandeln. Und die Vereinigten Staaten bestätigen uns gerade wieder durch ihren Botschafter diese Funktion und dieses Schicksal.
So geht es uns. Ein Land, das darauf verzichtet, souverän zu sein, um durch den Dienstboteneingang in die globalisierte Welt einzutreten? Eine nette Art, uns in den Markt zu integrieren: Man integriert uns, indem man uns auseinandertreibt. Die Banken gehen Pleite, die Banker werden reicher. Die regierte Regierung simuliert, dass sie regiert. Geschlossene Fabriken, leere Felder: Wir produzieren Bettler und Polizisten. Und Emigranten. Schlange stehen sie nachts, auf der Straße, mitten im Winter, um einen Pass zu bekommen. Die jungen Leute gehen nach Spanien, Italien, wohin auch immer, den Weg, den ihre Großeltern umgekehrt gegangen waren.
Sparen ist die Grundlage des Reichtums der Banker, den sie sich aneignen. Dieses Kino zeigt seit Jahren den gleichen Film: von ihren Besitzern ausgeräumte Banken, uneintreibbare Passiva, die die gesamte Gesellschaft belasten. Vom Bankgeheimnis beschützt, lassen die Zauberer der Finanzen das Geld verschwinden wie die Diktatur die Menschen. Ihre erfolgreiche Arbeit hinterlässt einen Haufen betrogene Sparer und Arbeiter in der Ungewissheit sowie eine Staatsschuld, die allen den Betrug von wenigen aufhalst.
Das private Bankwesen, das sich Millionenrettungen verdient hat, verleiht Geld an die, die es haben und nicht an die, die es brauchen und ist immer mehr von Produktion und Arbeit abgetrennt; von der wenigen Produktion und der wenigen Arbeit, die wir noch haben. Aber dieser außerirdische Finanzplatz ist gerade von dem neuen Gesetz entschädigt worden, das das öffentliche Bankwesen tötet.
Wenn wir so weitermachen, wäre es nicht ungewöhnlich, wenn unsere Staatsbetriebe früher oder später unsere einzige Währung zur Bezahlung der unbezahlbaren Auslandsschuld wären. Es wäre so wie eine Exekution des Staates durch die Gläubiger. Und wenig Gewicht hätte dann der Wille des Volkes, der vor zehn Jahren die Privatisierungen in einem Plebiszit mit mehr als siebzig Prozent der Stimmen zurückwies.
Mehr Staat, weniger Staat, fast kein Staat? Ein Staat, reduziert auf Überwachungs- und Bestrafungsfunktionen? Bestrafung von wem?
Die internationale Finanzdiktatur zwingt zum Schleifen des Staates, aber nur unterlassene öffentliche Kontrollen können die skandalöse Straflosigkeit erklären, mit der einige Banken Uruguays ausgeplündert wurden. "Die Kontrolleure sind keine Hellseher", rechtfertigte sich ein staatsnaher Abgeordneter. Der letzte der für diese nicht ausgeführte Aufgabe Verantwortlichen ist ein Vetter des Präsidenten. Seine Dienste an der Nation wurden mit einem weiteren hohen öffentlichen Amt vergütet.
Aber beredter scheint der Sturz einiger gigantischer Firmen in den USA zu sein. Letztendlich geschieht er in dem Land, das den anderen die "Deregulierung" vorschreibt, das heißt: die Augen zudrücken müssen vor den Intrigen und Ränken der Geschäftswelt. Dort sind gerade die größten Pleiten der Geschichte geschehen, und sie bestätigen, dass die "deregulierung" den Lügen und Raubzügen ungewöhnlichsten Ausmaßes freie Hand lässt. Enron, WorldCom und andere Korporationen konnten mit aller Leichtigkeit ihre kolossalen Betrügereien durchführen, indem sie Verluste als Gewinne verbuchten und Buchhaltungsfehlerchen über Milliarden Dollar begingen.
Die Maßnahmen, die jetzt von Präsident Bush gegen die betrügerischen Führungskräfte und ihre Komplizen angekündigt wurden, halte ich für gefährlich. Wenn er sie wirklich anwendet, und das rückwirkend, würden er und fast sein ganzes Kabinett ins Gefängnis gehen.
Wie lange werden wir in Lateinamerika die Anordnungen des Marktes akzeptieren als ob sie schicksalhaft seien? Bis wann werden wir um milde Gaben flehen, mit den Ellenbogen in einer Reihe mit den anderen Bittstellern? Bis wann setzt jedes Land auf das "Rette sich wer kann"? Wann hören wir auf zu glauben, dass die Würdelosigkeit nichts einbringt? Warum formieren wir uns nicht in einer gemeinsamen Front, um unsere Preise zu verteidigen, wenn wir doch zur Genüge wissen, dass man uns teilt, um uns zu beherrschen? Weshalb machen wir nicht gemeinsam Front gegen die Wucherschuld? Welche Macht hätte der Strick ohne Hals?
Übers. a. d. Span.: Günter Pohl