Bei aller berechtigten Empoerung ueber den Putsch in Venezuela (und es ist durchaus gerechtfertigt, von einem solchen zu sprechen), sollte die Tatsache allein dass die gesamte Unternehmerschaft und die USA gegen ihn ist, nicht dazu fuehren, ihn zu einem Heiligen und zu einem neuen Allende zu stilisieren. Der Vergleich zu Allende ist beliebt; hier in Ecuador haben Leute schon vor Monaten die Situation mit der in Chile vor dem Putsch verglichen und vor der Gefahr eines solchen gewarnt. Auch die Idealisierung Chavez ist weit verbreitet, gerade hier Lateinamerika, wo ich gerade bin. Er hat sehr viele Hoffnungen auf sich konzentriert, vielleicht ausserhalb Venezuelas noch mehr als innerhalb; oder sagen wir, sie sind auch dann noch geblieben, als in Venezuela selbst viele Illusionen schon gefallen waren. Aber abgesehen davon, dass wir in einer historisch komplett anderen Situation leben, wo die Spielraueme staatlicher Reformpolitik sehr viel geringer sind als Anfang der 70er Jahre, hat Chavez es nie geschafft, dass sich wirklich fast das ganze Volk mit seiner Politik identifiziert. Vielleicht hat er tatsaechlich mit seinen Reformen das maximal moeglichste fuer die unteren Bevoelkerungsschichten versucht, ohne eine Militaerintervention und aehnliche Rettungsversuche der kapitalistischen „Demokratie” zu riskieren, aber erstens waren diese den realen Zahlen und Daten nach von begrenztem Erfolg und zweitens von oben durchgesetzt und ohne reale Partizipation des Volkes. Durch seinen autokratischen und autoritaer-poulistischen Fuehrungsstil hat sich Chavez sehr viele Sympatien gerade auch unter den Armen verscherzt. Ein wirklich tiefgreifendes Reformprogramm kann aber nicht gegen, sondern nur mit den Leuten zusammen durchgesetzt werden. Diese Binsenweisheit scheint Chavez nicht kapiert zu haben. Ich will ihm nicht mal boese Absichten unterstellen, aber er ist einfach ein Machtmensch und mit seinem bolivarischen, pseudorevolutionaren Diskurs und seiner autoritaeren und selbstverliebten Haltung wirkte er mitunter wie eine Karrikatur Lateinarikanischer Caudillos der 70er Jahre. Das muss kritisiert werden, aber das heist nicht dem venezuelanischen Versuch die Solidaritaet zu entziehen. Chavez selbst hat Fehler zugestanden und die Absicht bekundet, diese zu beseitigen. Aber von einem "Sieg im Klassenkampf" zu sprechen oder gar eine Volksbewaffnung vorzuschlagen (wie jemand auf indy Argentina) ist voellig fehl am Platze. Die venezuelanische Gesellschaft ist extrem polarisiert, aber nicht so, dass auf der einen Seite die Armen oder das vereinte Volk stehen wuerde und auf der anderen Seite die "Boesen", also die vereinte Unternehmerschaft mit Unterstuetzung der USA. Der Riss ist sozial und politisch, dass heisst auf der einen Seite zwischen Arm und Reich und auf der anderen zwischen Chavez-Anhaengern und -Gegnern und beide Gruppen sind nicht deckungsgleich. Die Polarisierung ist ueberall, unter den Armen, unter den Intellektuellen, in der Mittelklasse und im Militaer gibt es Anhaenger wie Gegner. Die Unternehmer allein haetten niemals 2-300.000 Leute auf die Straße gebracht, wenn sie nicht ueber eine soziale Basis verfuegen wuerden Wer in einer solchen Situatiom von einem vereinten Volk spricht, dass seine "Revolution" verteidigt und an dieses sogar Waffen veteilen will, hat echt nix kapiert - dass hiesse naemlich Buergerkrieg mit noch mehr Toten als es jetzt schon gibt. Also, Chavez an der Macht ist auf jeden Fall besser als Carmona und der Putsch muss verurteilt werden. Aber ein bisschen mehr Analyse statt Projektion ist schon nicht schlecht. Hoffen wir, dass Chavez seine Lektion gelernt hat und kuenftig tatsaechlich etwas mehr auf das Volk hoert, um nicht der rechten Opposition Munition fuer ihre Attacken zu liefern.
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