Von Dario Azzellini
Nach langer Stille verkündete das Weiße Haus am vergangenen Freitag, dass "die Vereinigten Staaten davon überzeugt sind, dass der einzige friedliche und politisch gangbare Weg aus der Krise in der Abhaltung vorgezogener Neuwahlen besteht". Präsident Hugo Chavez lehnte die Forderung ab und wies darauf hin, dass er, gemäß der Verfassung bereit sei nach Ablauf der Hälfte seiner Amtszeit - im August 2003 - in einer Volksbefragung über sein weiteres Schicksal entscheiden zu lassen. "Ich glaube nicht, dass die USA zum Verfassungsbruch aufrufen... Man sollte ihnen ein Exemplar der Verfassung schicken, damit sie sich über die legalen Wege bewusst werden", scherzte der Präsident in einem CNN-Interview.
Hugo Chavez erklärte das Situation im Lande normalisiere sich zunehmend und nach dem Streik sei auch die Sabotage und Blockade der PDVSA gescheitert, "diese verzweifelte Opposition wird letztendlich akzeptieren müssen, was einige bisher nicht akzeptieren wollen: Venezuela hat sich verändert. Sie leben in der Vergangenheit, völlig losgelöst von der Realität des Landes."
Die Mitglieder der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) konnte sich bisher auf keine gemeinsame Resolution einigen. Die 34 Mitgliedsstaaten sind gespalten. Während die Karibikstaaten die Position der Regierung Venezuelas unterstützen, führt Peru die mit der Opposition sympathisierende Position an, die gemäß der Wünsche der US-Regierung gerne einen Hinweis auf "vorgezogene Neuwahlen" einfügen würde. Eine Position, gegen die sich auch Kanadas Regierung verwehrt, die erklärte es stehe den Venezolanern zu eine eigene Lösung zu finden.
Die US-Regierung strebt an die venezolanischen Erdölquellen mittels einer Privatisierung unter ihre direkte Kontrolle zu bringen. Ihr Partner ist dabei die venezolanische Opposition. Dass die Opposition ebenfalls dieses Interesse verfolgt, wurde in einem Interview mit Carlso Dorado, dem Besitzer der mächtigen Finanzgesellschaft Italcambio deutlich. Auf die Frage welches die grundlegenden Linien einer möglichen Übergangsregierung im Bereich Ökonomie sein müssten, antwortete dieser "Dollarisieren wir unsere Wirtschaft und verkaufen wir einen Teil der PDVSA, um unsere Schulden zu bezahlen.
Gemäß der Informationen des Energie- und Bergbauministers Rafael Ramírez. Ist die Treibstoffversorgung im Land jedoch garantiert und stabil. Auch wenn noch nicht alle Tankstellen wieder in Betrieb sind, vielerorts wurden die Betreiber bestochen, um Annahmen von Treibstofflieferungen zu verweigern. Daher bestehen teilweise immer noch schlangen an den Tankstellen. Bezüglich der Exporte, so Ramírez, sei es gelungen die "Blockade" zu durchbrechen. Die Schäden an Anlagen und internationalen Lieferverzögerungen kosteten jedoch Venezuela 40 Millionen Dollar täglich.
Der ehemalige OPEC-Vorsitzende und Chavez-Vertraute Ali Rodriguez, der nach dem Putschversuch im April als einiziger Regierungstreuer in den Vorstand der PDVSA berufen wurde, kündigte an es würden Verfahren gegen verantwortliche Leitungspersonen aus der PDVSA angestrengt und zudem den Tankstellenbetreibern, die sich geweigert weiter Treibstoff zu verkaufen, die Betriebslizenz entzogen. Der Rücktritt der gesamten oppositionellen PDVSA-Führung in der vergangenen Woche stellte den Konzern zwar vor logistische Probleme, öffnete aber gleichzeitig den lang versperrten Weg zu einer Auswechslung der Leitung. Gerüchten zu Folge sollen 415 leitende Angestellte entlassen werden.
Die Mitgliedsstaaten der OPEC boten sich an, bei Lieferschwierigkeiten fü Venezuela einzuspringen. Die Regierung Panamas bot Venezuela an Schiffskapitäne und Fachpersonal für die venezolanische Handelsflotte zu stellen.
Rodriguez erklärte zudem einige die Arbeit verweigernde Kapitäne der Handelsmarine hätten in völlig unverantwortlicher Weise die Versorgung mit Treibstoff zur Wahrung der Temperatur bestimmter gefährlicher Materialien verweigert, diese hätte durch die Armee angewiesen werden müssen, um mögliche Schäden an Ladung oder Umwelt zu vermeiden.
Währenddessen versammeln sich die "streikenden" höheren Angestellten der PDVSA andernorts, um über neue Strategien zu beraten. Sie drohten untergebenen Beschäftigten mit Entlassung, wenn diese nicht an den Versammlungen teilnehmen würden.
Indes gehen auch immer mehre Großunternehmen dazu über die Arbeit wieder aufzunehmen, so etwa die Unternehmensgruppe Polar, eine der größten des Landes. Viele tun dies jedoch heimlich, haben ihren Lastwagen einen neutralen Anstrich verpasst oder produzieren, wie Philips Morris bzw. "Tabacalera Nacional" ausschließlich für den Export. Colgate-Palmolive wies die eigenen Beschäftigten an den Dienst ohne Arbeitsuniform anzutreten. Einige Banken wiederum haben den Zugriff ihrer Kunden auf die Konten eingeschränkt, um so das Bild einer schwierigen Situation zu vermitteln. Der Wechselkurs des Dollars hat sich jedoch in den vergangenen Tagen jedoch leicht zu Gunsten des Bolivars verändert, was ebenfalls auf eine Stabilisierung der Wirtschaft hindeutet.
Währenddessen finden weiterhin in gesamten Land Demonstrationen und Aktionen zur Unterstützung der Regierung mit insgesamt Millionen von Menschen statt. Sogar auf der Touristeninsel La Margarita beteiligten sich Tausende an Demonstrationen zu Gunsten Chavez, der unter vor allem unter den Armen und Teilen der Mittelschicht ein großes Prestige aufgrund der umfassenden Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsprogramme sowie Initiativen zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmer genießt.
Der Notstand, den die Regierung nicht ausgerufen habe, sei von der Bevölkerung auf der Straße herbei geführt worden, so der Abgeordnete der Chavez-Partei Movimiento Quinta República (MVR), Luis Tascón. Im Vergleich zum 11. April gäbe es weder einen Putsch , noch eine Äußerung der Militärs, es die Bevölkerung, die auf die Straßen gegangen sei, um zu verhindern, dass ein weiterer Putsch sich materialisiere.
Auch Vertreter der verschiedensten indianischen Organisationen Venezuelas - wo der Anteil der Indígenas an der Gesamtbevölkerung nur wenige Prozente ausmacht - kündigten ihre volle Unterstützung der Chavez-Regierung an (der die indigenen Abgeordneten auch angehören). In einem Schreiben an die OAS, UNO und verschiedenen indianischen Organisationen der Welt warfen sie der Opposition vor, Chaos zu produzieren, um wie am 11. April ein de-facto-Regime installieren zu wollen. Mehr als 30 indigene Organisationen und die Koordination der indiansichen Organisationen des Amazonasbecken unterzeichneten das Schreiben und erklärten zugleich im Amazonas werde der Streik nicht befolgt und über 5000 Indigenas hätten zudem an einer zentralen Demonstration zur Unterstützung der Regierung teilgenommen. In Maracaibo kam es am Samstag zu einer Demonstration von Wayuu-Indianern in Solidarität mit der Regierung Chavez, denn diese sei "die erste Regierung, die unsere Rechte anerkannt und in der Verfassung verankert hat".
Der Großteil der Opposition beißt sich derweil immer weiter in einer unnachgiebigen Haltung fest und forderte sogar Rederecht sowie einen ständigen Status in der OAS ein, was von der Organisation abgelehnt wurde. Der Gewerkschaftsführer Carlos Ortega verkündete indes "Wir erklären den totalen Widerstand bis das Ziel des Streiks, das Chavez geht, erreicht ist".
Dazu greift die Opposition zu stets gewalttätigeren Mitteln. In Maracay wurden zwei Chavez-Anhänger bei Demonstrationen von Oppositionellen erschossen. Auf einen Stadtratsabgeordneten der linken PPT von Simón Bolivar in der Regio Zulia wurde ein Attentat verübt, er liegt mit zwei Schusswunden schwerverletzt im Krankenhaus. Immer wieder wird auf Demonstrationen von Regierungs-Anhängern das Feuer eröffnet. In Yagua erschoss die unter Kontrolle des oppositionellen Gouverneurs von Carabobo Enrique Fernando Salas Feo stehende Polizei einen bolivarianischen Demonstranten auf dem Rückweg von einer Demonstration. Die gleiche Polizei versucht auch Treibstofftransporte aufzuhalten. Andere Oppositionelle wiederum streuen Stahlkrallen und versperren wichtige Verkehrsstraßen mit Hindernissen um die Benzinversorgung zu verhindern. Ein Tanklaster kam durch eine solche Aktion bereits von der Straße ab. Vielerorts versuchen Oppositionelle die arme Bevölkerung zu Plünderungen aufzustacheln, um anschließend so eine Gefahrensituation vorzeigen zu können. Bisher jedoch ohne Erfolg. Auch die Gerüchte um einen neuerlichen Putschversuch kommen nicht zum Schweigen. Vizepräsident José Vicente Rangel berichtete auch von Plänen Hugo Chavez zu ermorden. Eine Reihe Scharfschützen seien auf den Präsidenten angesetzt.
Die oppositionellen Medien hingegen haben ihre Kampagne weiter intensiviert. Der große private Fernsehsender RCTV begann Videos auszustrahlen, in denen bekannte Stars des Senders verkünden Venezuela sei eine Diktatur in denen ihr Leben bedroht sei. Auch werde Gerüchten zu Folge eine "Selbstschließung" der Medien vorbereitet, um anschließend die Regierung zu beschuldigen. In der Zwischenzeit stellte sich heraus, dass die von der Opposition monierte Zerstörung des Inventars der regionalen Fernsehsender der Region Táchira TRT erfunden und die gezeigten Bilder gefälscht worden waren.
Doch innerhalb der Opposition kriselt es. Intern sind wohl Vorwürfe gegen den Vorsitzenden der Gewerkschaft CTV Carlos Ortega laut geworden, da er den Fehler begangen haben im Erdölunternehmen lediglich zum Streik aufzurufen und nicht die Anlagen auch zu besetzen. Dadurch wurde die Übernahme der Anlagen durch chavistische Arbeiter erleichtert. Und während Teile der Opposition, wie die konservative Partei Primero Justicia auf vorgezogene Wahlen zielen, werden diese - das wurde durch einen veröffentlichen Gesprächsmitschnitt bekannt - von dem harten Flügel um die CTV, die Handelskammer und die ehemaligen Regierungsparteien AD und COPEI rundherum abgelehnt.
Carlos Ortega forderte zudem die Arbeiter auf in Solidarität mit den Unternehmern auf zwei Wochenlöhne zu verzichten, man müsse "Opfer bringen, denn wenn sich diese Regierung durchsetzt, wird es keine Unternehmen, keine Fernsehsender und keine Zeitungen mehr geben".
Welche weiteren Maßnahmen die Opposition angesichts des Scheiterns des Streiks und der Blockade der Erdölgesellschaft nun ergreifen will, scheint unklar, es wurde jedoch bekannt, dass unter der Hand die Absicht besteht nach bereits zwei Wochen des "aktiven Streiks", wie die Sabotageaktionen der Opposition in eigenen Aufrufen genannt werden, diesen tagtäglich bis mindestens Weihnachten weiter zu verlängern, um die Situation weiter zu polarisieren. Es wird nicht ausgeschlossen, dass noch massive Gewaltakte folgen könnten. Beunruhigend ist in dieser Hinsicht, dass wohl zahlreiche Oppositionsführer Ausreisepapiere für ihre minderjährigen Kinder beantragt haben und auf dem Flughafen von Caracas seit einigen Tagen 30 private Minijets für den Abflug bereit stehen sollen.