Von Dario Azzellini
Die Proteste der venezolanischen Opposition nehmen kein Ende. Zwar wird der "Streik", der am 2.12. begann, und tatsächlich im wesentlichen aus Ausperrungen großer Unternehmen bestand, selbst von diesen zunehmend weniger befolgt, doch die Opposition zeigt kein Einlenken. Die "Demokratische Koordination", die die Proteste anführt und in der sich die verschiedenen oppositionellen Kräfte befinden, die größtenteils auch an dem Putsch im April beteiligt waren, kündigte indes an der Streik müsse "weiter radikalisiert" werden, ohne allerdings genauer auszuführen, was darunter zu verstehen sei. Allerdings häuften sich in den vergangenen Tagen Angriffe auf ausgewählte Repräsentanten der bolivarianischen Revolution.
Zugleich wies der Vorsitzende des rechten Gewerkschaftsverbandes CTV die Gespräche mit der Regierung als "Zeitgewinn" Chávez' zurück. Ein Ende der Proteste sei nur mit dem Rücktritt des Präsidenten zu erreichen. Dies scheint jedoch ausgeschlossen, zumal sich auch die staatliche Erdölindustrie PDVSA, mit der Venezuela 80 Prozent seiner Exportmaßnahmen bestreitet, zunehmend normalisiert.
Selbst die einflussreichen US-amerikanische Tageszeitung New York Times riet in einem Editorial vor Weihnachten der Opposition die Proteste beizulegen und gemäß der Verfassung des Landes auf ein Referendum im August hinzuarbeiten. Unter dem Titel "Venezuela am Rande des Abgrunds" erklärte die Zeitung, dass jene politischen Führer, die bereits seien "das Land zu ruinieren, um nicht einige Monate zu warten, das Vertrauen der Venezolaner nicht verdienten". Chávez sei "ein Autokrat, aber kein Tyrann. Er sollte nicht mittels eines Streiks der nur die Meinung eines Teils der venezolanischen Gesellschaft repräsentiert, zu vorgezogenen Neuwahlen gezwungen werden".
Die Opposition bereitet indes erneut eine Demonstration zum Präsidentenpalast Miraflores vor, deren Datum und Ablauf bisher Geheim gehalten wird. Dazu sollen Anhänger aus dem gesamten Land zusammen gezogen werden. Obwohl die Route zum Palast von offizieller Seite verboten wurde, beharrt die Opposition darauf. Der oppositionelle Gouverneur des Bundesstaates Miranda, Eduardo Mendoza, erklärte "Wir müssen dorthin, koste es was es wolle und selbst wenn Blut fließt". Zuletzt gelangte am 11. April eine umgeleitete oppositionelle Demonstration zum Miraflores und mündete dort in eine vorbereitete Schießerei, die als Rechtfertigung für den anschließenden Putsch diente.
Noch vor Weihnachten gab das der Oberste Gerichtshof Venezuelas ein Urteil bekannt, nach dem allen Dekreten der Regierung Folge zu leisten und die Arbeit im Erdölunternehmen unverzüglich wieder aufzunehmen sei. Die Opposition wies das Urteil zurück und beharrt auf einen Rücktritt Chávez bevor die Arbeit wieder aufgenommen werde. In Folge des Urteils übernahmen Nationalgarde und Armee weitere Erdöltanker und verhafteten die für die Einstellung des Schiffsverkehrs verantwortlichen Kapitäne und Offiziere. Insgesamt seien 57 Saboteure verhaftet worden. In Erdölunternehmen PDVSA hingegen erfolgten 116 Entlassungen und 26 Neuernennungen in höheren Posten, weitere werden erwartet. Die Opposition fordert nun allerdings auch die Wiedereinstellung aller entlassenen Angestellten des Erdölunternehmens in ihren ursprünglichen Posten, um die Proteste einzustellen. Insgesamt blieb die Reaktion der Regierung jedoch eher zurückhaltend. Linda Ron, eine charismatische Führerin der bolivarianischen Zirkel, forderte daher von der Regierung dem Urteil des Obersten Gerichtshofes zu folgen und die sich verweigernden Funktionäre der PDVSA zu inhaftieren. "Ich habe nie einen zahmeren Präsidenten als diesen erlebt", äußerte Ron in einem Fersehinterview. Vor allem in den Armen Schichten Venezuelas teilen viele ihre Ansicht und wünschen sich ein härteres Durchgreifen der Regierung.
Die nicht im Streik befindlichen Arbeiter und Angestellten der PDVSA begrüßten die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes und forderten schnellstmögliche "Säuberungen der hohen Ränge des Unternehmens, die es als Rammbock politisch missbraucht hätten, um eine verfassungsmäßige Regierung z stürzen und Produktion und Vertrieb zu sabotieren". José Gregorio Monagas, Verantwortlicher für Finanzen der PDVSA im Osten Venezuelas, erklärte die Unternehmenselite sei mit ihren hohen Gehältern dafür verantwortlich, dass der Barrel-Preis der PDVSA in der Produktion bei 15 Dollar liege, während andere Erdölunternehmen im Durchschnitt drei Dollar pro Barrel für die Produktion aufbringen müssten.
Der Ombudsmann für Menschenrechtsfragen Antonio Urribarrí berichtete zusätzlich von zahlreichen Beschwerden, die eingangen seien, da streikunwillige PDVSA-Arbeiter von ihren Vorgesetzen massiv bedroht und unter Druck gesetzt würden.
Der Gouverneur des Bundesstaates Sucre, Ramón Martínez, beschuldigte hingegen die Ölmultis Shell, Mobil Oil, Exxon Mobil und Philipps an dem oppositionellen Komplott gegen die Chávez-Regierung beteiligt zu sein und ihren Tankern angeordnet zu haben jedwede Öl- und Treibstofflieferunng nach und aus Venezulea zu verweigern. Zudem habe er persönlich der Übernahme eines Tankers durch die Streitkräfte beigewohnt und dabei im einem Computer an Bord Beweise für die Zahlung von Millionensummen Seitens des US-amerikanischen State Departments an Tankerkapitäne gefunden, damit sich diese dem Streik anschließen. Nach Angaben von Ramón Martínez, der als Emissär der Regierung für die Wiederaufnahme der Arbeit der PDVSA im Osten des Landes verantwortlich zeichnet, liegen dort 14 Tanker still, die die Anweisung haben die Aufnahme von Erdöl oder Treibstoff zu verweigern. Jeanne Miller, Sprecherin des Multis Exxon in Caracas, bestätigte indirekt die Anschuldigungen indem sie erklärte das Unternehmen könne "keine Lieferungen venezolanischen Erdöls akzeptieren, so lange die Situation höherer Gewalt anhalte, die von dem staatlichen Erdölunternehmen verkündet worden sei". Die Erklärung war ursprünglich erlassen worden, um die Nichteinhaltung der Lieferereinbahrungen zu rechtfertigen.
Martínez erklärte die Situation im Osten Venezuelas sei zwar nicht völlig normalisiert, die Anlagen arbeiteten jedoch mit etwa 70 Prozent ihrer eigentlichen Kapazität. Die Anlagen der PDVSA waren größtenteils sabotiert und teilweise zerstört worden.
Selbst Juan Fernández, Sprecher der sich verweigernden Angestellten gab am vergangenen Freitag öffentlich zu die Anlagen des Erdölunternehmens seien vollständig unter Kontrolle des regierungstreuen PDVSA-Direktors und Ex-Opec-Vorsitzenden Alí Rodríguez. Grund zur Sorge bietet allerdings der zweite Teil der Verlautbarung des Streikführers, in dem er erklärte "folglich liegt alles was nun in den Anlagen geschieht in der vollen Verantwortung jener, die nun die Führung der PDVSA inne haben". Vor wenigen Tagen erst war eine Aufzeichnung eines Telefonats öffentlich gemacht worden, in der ein oppositioneller Militär und der Kapitän eines Erdöltankers die Möglichkeit besprachen mehrere Hunderttausend Tonnen Erdöl in die Binnengewässer der Lagune von Maracaibo einzuleiten, um so "die Regierung zu beschäftigen". So weit kam es jedoch nicht, da der Tanker kurze Zeit später von der Armee übernommen und der Kapitän verhaftet wurde.
Rafael Ramírez, Minister für Energie und Bergbau kündigte eine Normalisierung der internen Treibstoffversorgung "in den nächsten Tagen" an.
Der genaue Umfang der Lähmung der Erdölindustrie ist jedoch nach wie vor unklar. Es bestehen im Land weiterhin Engpässe in Treibstoff- und Erdgaslieferungen. Auch der Export hat trotz Verbesserung der Situation noch lange nicht seinen normalen Umfang erreicht. Die Erdölproduktion lag am Wochenende bei 1,5 Millionen Barreltäglich, Ziel sei die im Rahmen der OPEC vereinbarte Förderhöchstmenge von 2,8 Millionen Barrel täglich. Alí Rodríguez erklärte angesichts der massiven Sabotage verzögere sich die Rückkehr zum Normalbetrieb der PDVSA trotz der vollständigen Kontrolle die nun ausgeübt werde wahrscheinlich bis zur zweiten
Januarhälfte. Die Verluste des Unternehmens lägen bisher bei etwa 1,3 Milliarden Dollar. In den nächsten Tagen will die neue Leitung einen Plan zu Umstrukturierung der PDVSA vorstellen. Ziel ist die Senkung der Produktionskosten auf etwa drei Dollar pro Barrel. Dazu soll vor allem die Unternehmensbürokratie um 50 Prozent reduziert werden.
Einige Versorgungsengpässe bestehen auch noch im Lebensmittelsektor. Um diesen entgegen zu treten kündigte die Regierung weitere Importe an. Die Engpässe sind auf die Boykotthaltung der Agroindustrie und der transnationalen Konzerne zurückzuführen, die einen Großteil der Verteilung der Grundnahrungsmittel kontrollieren. Die Nationale Vereinigung der Nahrungsmittelproduzenten, die kleine und mittlere Unternehmen vereint, kooperiert indes sogar mit der Nationalgarde, um die Lebensmittelversorgung sicher zu stellen.
Indes kündigte der neue brasilianische Präsident Inácio Lula Da Silva an, am 2. Januar als erste internationale Mission - nach der offiziellen Übernahme der Regierungsgeschäfte einen Tag zuvor - mit dem venezolanischen Präsidenten Chávez zu einem Frühstück zusammen zu treffen. Lula möchte die Beziehungen zu Venezuela intensivieren und das Land in den gemeinsamen südamerikanischen Markt MERCOSUR aufnehmen, der aktuell Uruguay, Argentinien, Paraguay und Brasilien als Mitglieder hat. Darüber hinaus stehen mögliche Joint Ventures zwischen dem staatseigenen brasilianischen Erdölunternehmen Petrobras und der venezolanischen Entsprechung PDVSA auf der Agenda. Auch eine Fortsetzung der bereits begonnenen Treibstofflieferungen Brasiliens an Venezuela, um den internen Bedarf zu decken, wird Thema sein.
In den vergangenen Tagen hielt sich bereits der Berater des brasilianischen Präsidenten in internationalen Angelegenheiten, Marco Aurelio García, in Caracas auf, um zu einer Lösung der politischen Krise beizutragen. Aurelio führt Sondierungsgespräche mit Vertretern der Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Chiles, Kolumbiens und Russlands, um eine "Gruppe befreundeter Staaten" ins Leben zu rufen, die die bisher erfolglosen Vermittlungsversuche der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unterstützen soll.
Der Vorsitzende des gelben Gewekschaftsdachverbandes CTV, Carlos Ortega, der zur Führung der putschistischen Opposition gehört, bezeichnete die Regierung Lulas daraufhin als "Büttel der venezolanischen Regierung" und verurteilte das Vorgehen als "inakzeptable Einmischung in interne Angelegenheiten".
Lula wies die Behauptungen zurück und erklärte, dass die Lieferungen bereits von der scheidenden Regierung des Präsidenten Fernando Henrique Cardoso aufgenommen worden seien und Brasilien lediglich zu einer friedlichen und demokratischen Lösung der Krise beitrage.