Von Dario Azzellini
Die erste Demonstration der Opposition im neuen Jahr gegen Chavez endete am Freitag mit zwei Toten und mehreren Dutzend Verletzten. Die Opposition beschuldigte sofort Regierungsanhänger das Feuer eröffnet zu haben, dem Widerspricht allerdings die Tatsache, dass es sich bei beiden Toten um Chavisten handelt, gleiches betrifft vier von fünf weiteren Personen die Schussverletzungen davontrugen.
Die Opposition hatte am Freitag mit der Losung "die große Schlacht" in Caracas zu einem Sternmarsch von drei Punkten aus aufgerufen. Die Demonstration, an der nur wenige Tausend Personen teilnahmen, versuchte trotz Verbot zur Militärkaserne Fort Tiuna zu gelangen. Während Nationalgarde und Militärpolizei das militärische Sperrgebiet gegen die Demonstranten abriegelten, hatten Regierungsanhänger zu einer Gegendemonstration in der Nähe aufgerufen, um einen Vormarsch der Opposition zu verhindern.
Vor Ort war auch die oppositionell kontrollierte Stadtpolizei (PM), die zunächst mit Tränengas und eisengespickten Plastikgeschossen gegen die Regierungsanhänger vorging und mehrere verletzte. Die Nationalgarde setzte hingegen Tränengas gegen Oppositionelle ein, die sie mit Steinen und Flaschen bewarfen, aber auch gegen Regierungsanhänger, die sich Auseinandersetzungen mit oppositionellen Demonstranten lieferten und versuchte beide voneinander zu trennen. Inmitten der seit dem Vormittag stets wiederkehrenden Scharmützel wurde von einem Hausdach aus das Feuer auf Regierungsanhänger eröffnet, zugleich schossen auch andere Bewaffnete auf die Menge.
In Aufnahmen des britischen Fernsehsender BBC war deutlich zu sehen wie Dutzende von Stadtpolizisten und Oppositionelle in Zivil mit Pistolen das Feuer auf Regierungsanhänger eröffneten. Einige der schießenden Zivilisten sind in anderen Aufnahmen des staatlichen Senders VTV bei gemeinsamen Besprechungen und Aktionen mit der Stadtpolizei zu erkennen. Bewaffnete Regierungsanhänger sind hingegen - trotz der eisernen Behauptung der Opposition die Regierung hätte einen Hinterhalt organisiert - nicht zu sichten. Auch von den Schützen auf einem Hausdach und einem Wassertank sind Fotos im Internet verbreitet worden.
Laut offiziellen Angaben war lediglich die oppositionelle Stadtpolizei mit Schusswaffen vor Ort. Bereits am frühen Morgen hatten Chavisten aus der Nachbarschaft besorgt von schwer bewaffneten Stadtpolizisten in der Umgebung berichtet. Als nach des ersten Salven ein Hubschrauber der Inneren Sicherheit (Disip) über dem Ort des Geschehens kreiste, ergriffen diese die Flucht, während Anhänger der Opposition zugleich versuchten Beamten der Disip und der Nationalgarde den Zugang zu verschiedenen Büros und Räumen des Gebäudes zu verwehren, auf dem einige der Schützen postiert waren. Von Verhaftungen ist bisher nichts bekannt.
Die Situation ähnelt stark der von der Opposition im vergangenen April organisierten Schießerei, deren 19 Tote - mehrheitlich Regierungsanhänger - zum Anlass für den Putsch genommen wurden. So waren auch die Anführer der Opposition bei der Demonstration selbst nicht anwesend, was einige Teilnehmer dazu brachte laufenden Fersehkameras zu erklären sie fühlten sich wie "Kanonenfutter". Lediglich zwei hohe Repräsentanten der Opposition tauchten am frühen Nachtmittag kurz am Ort der Demonstration auf, verließen ihn aber bereits vor den Schüssen wieder.
Der Ort Fort Tiuna als Ziel der Demonstration wurde von der Opposition gewählt, da dort der aus dem Dienst entlassene Divisionsgeneral der Nationalgarde, Carlos Alfonzo Martínez inhaftiert ist. Der auch am Putsch beteiligte Martínez wurde Ende vergangenen Jahres von der Polizei für innere Sicherheit (Disip) verhaftet, nachdem er auf Einheiten der Nationalgarde und Zivilisten zum Aufstand gegen die Regierung aufgerufen hatte. Anschließend hatten mehrere Dutzend Oppositionelle versucht die Disip-Zentrale zu stürmen, griffen Passanten an, die sie für Regierungsanhänger hielten und schlugen diese brutal zusammen. Ein bewaffneter Schütze der Opposition wurde von herangeeilten Regierungsanhängern aus der Nachbarschaft am Schießen gehindert.
Vollkommen friedlich und ohne Zwischenfälle verlief hingegen eine Großdemonstration von Chávez-Anhängern am Samstag.
Der vermeintliche Streik wird mittlerweile nur noch von einigen wenigen großen Einkaufszentren, transnationalen Fast-Food-Ketten und Unternehmen und den höheren Angestellten des staatlichen Erdölunternehmens PDVSA aufrecht erhalten, was teilweise zu Engpässen in der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln geführt hat. Um die Versorgung der ärmsten Bevölkerungsschichten sicher zu stellen, die finanziell keinen Zugang zu den gut bestückten Supermärkten hat, importierte das Landwirtschaftsministerium Ende vergangener Woche Reis und Mehl im Wert von etwa 3,5 Millionen Dollar.
Die meisten kleinen und mittleren Händler und Betriebe, die sich ohnehin nur teilweise dem Streik angeschlossen hatten, nahmen die Arbeit bereits im Dezember wieder auf. Das die Aktionen gegen die Chávez-Regierung bisher nicht den erwünschten Erfolg zeigten, führt auch zunehmend zu Widersprüchen innerhalb der Opposition. Américo Martín, Vertreter der oppositionellen Verhandlungsdelegation bei den Gesprächen mit der Regierung verkündete "Gewisse Sektoren, die kleinen und mittleren Unternehmen, werden in der nächsten Woche wieder öffnen, da sie nicht über finanzielle Ressourcen verfügen, um weiterhin geschlossen zu bleiben". Die teilweise Aufhebung des "Handelsstreik" schließe jedoch nicht den Erdölsektor mit ein, so Martín. Dem widersprach der Generalsekretär der gelben Gewerkschaft CTV Manuel Cova energisch. Der Vorsitzende der CTV Carlos Ortega erklärte der Streik gehe im neuen Jahr mit noch mehr Kraft weiter, niemand habe die Autorität das Gegenteil zu behaupten. Zusätzlich forderte er zur Verweigerung der Steuerzahlungen auf. Die Opposition besteht nun auf der Durchführung einer Volksabstimmung zum Rücktritt Chávez am 2. Februar. Der teilweise von der Opposition kontrollierte Wahlrat hatte vor einigen Wochen das Datum vorgegeben. Die Entscheidung wurde zwar von Parlament und Regierung abgelehnt, da sie entgegen des Statuts mit nur drei von sieben Stimmen bei einer Enthaltung gefallen war und zudem eine Volksabstimmung über den Verbleib von Amtsträgern in ihren Posten gemäß der Verfassung nur zur Hälfte der Amtszeit möglich ist - im Falle Chavez am 19. August diesen Jahres -, doch der Wahlrat ist dennoch fest entschlossen die Abstimmung durchzuführen. Die dazu notwendigen 21,3 Millionen Dollar sollen von privaten Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Die Opposition hat es besonders eilig die Volksabstimmung durchzuführen, da sie damit rechnen muss, dass zahlreiche ihrer Bürgermeister und Gouverneuer, nach Unterschriftensammlungen und Volksabstimmungen ihre Posten verlieren. Dabei scheint auch dem Wahlrat jedes Mittel recht. Auf den bereits im Internet veröffentlichen Listen der Wahlberechtigten tauchen die Namen zahlreicher Verstorbener auf, z.T. sogar bekannter Persönlichkeiten.
Sollte der Termin von der Regierung nicht respektiert werden, kündigte die Opposition an "die Stromversorgung, die grundlegenden Dienstleistungen und die Banken völlig lahmzulegen". Was hinter diese Drohung steht, bleibt ungewiss. Da die Opposition nicht im Stande ist diese Bereiche - bis auf die Banken, die den Publikumsverkehr ohnehin seit Wochen stark eingeschränkt haben - zu bestreiken, bleibt eigentlich nur die aktive Sabotage.
Weiterhin ohne konkretes Datum bleibt eine seit geraumer als "Eroberung von Caracas" angekündigte Demonstration der Opposition, die - trotz Verbot - zum Präsidentenpalast Miraflores marschieren will. Um den Präsidentenpalast wurde nach dem Putsch im April eine Bannmeile gezogen. Arbeitgeberpräsident Carlos Fernández bekräftigte dennoch erneut die Demonstration werde auf jeden Fall nach Miraflores ziehen.
Diesbezüglich wird über weitere Pläne der Opposition bezüglich gewalttätigen Aktionen spekuliert, vor allem seit vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass Oppositionelle Gruppen die Haushalte im wohlhabenden Osten Caracas befragen, ob sie Waffen besitzen und diese auch benutzen können, zudem werden sie aufgefordert eventuell chavistisches Hauspersonal zu entlassen.
Indes steigt die Verärgerung großer Teile der Bevölkerung über die Opposition immer weiter. Die bolivarianische Gewerkschaft der Motorradtransporteure forderte die Regierung auf den Verhandlungstisch mit der Opposition zu verlassen, da letztere keinerlei Verhandlungsbereitschaft zeige, sondern nur sabotiere und Drohungen ausstoße. Derweil wurden bereits Hunderttausende von Unterschriften gesammelt, um den Medien, die zum Verfassungsbruch auffordern und den Putsch unterstützten, die Lizenzen zu entziehen. In weiteren Unterschriftensammlung werden juristische Maßnahmen gegen das an Sabotageakten beteiligte Personal der Erdölgesellschaft PDVSA und der Verbleib Chávez im Amt bis zum Ende seines Mandats 2006 gefordert.
Nach den Ereignissen vom Freitag äußerte Chávez die Möglichkeit bei einer weiteren Zuspitzung der Ereignisse den Notstand auszurufen. Präsident Hugo Chávez forderte die Justiz auf mit "harter Hand" für die Einhaltung der Gesetze und der Verfasssung zu sorgen. Die Justiz gehört zu den Sektoren Venezuelas, die mehrheitlich von der Opposition kontrolliert werden und so kann die Regierung, die die Gesetze und das institutionelles Gefüge streng respektiert, viele ihrer Vorhaben nicht durchsetzen. Die Opposition hingegen nutzt ihre Kontrolle über die Justiz vorbehaltlos aus. Der Oberste Gerichtshof entschied sogar, dass es sich bei dem Putsch im April nicht um einen Putsch handelte. "Uns fehlt eine wirklich parteilose Justiz, die jene ins Gefängnis bringt, die ins Gefängnis gehören, wie auch immer sie heissen mögen", so Chávez. Dennoch werde er seine Macht als Präsident nicht in dieser Hinsicht ausnutzen, juristische Entscheidungen oblägen den Richtern, die er erfordere der Gesetzgebung zu folgen.
Bei seinem Besuch in Brasilien zum Amtsantritt des neuen Präsidenten Inacio Lula Da Silva wurde Chávez von der Bevölkerung, vor allem von der Basis der Regierungspartei PT und der Landlosenbewegung MST, wie ein Star gefeiert und scheute auch nicht das Bad in der Menge.
Bei einem gemeinsamen Frühstück mit Lula sagte der neue brasilianische Präsident Chávez bei Bedarf weitere Unterstützung mit Treibstofflieferungen zu. Darüber hinaus wurden direkte Gespräche zwischen der neuen Leitung des brasiliansichen staatlichen Erdölunternehmen Petrobras und der venezolanischen PDVSA bezügliche technischer Zusammenarbeit vereinbart. Beide Präsidenten versicherten sich gegenseitige Unterstützung und versicherten baldige binationale Gespräche auf höchster Ebene, um für eine strukturelle und strategische Integration zwischen Brasilien und Venezuela bezüglich Grenzangelegenheiten, Wirtschaft, Handel, Erdöl und Ernergieversorgung zu arbeiten. Dies sei die Grundlage um eine Integration Südamerikas voranzutreiben.
Darüber hinaus nahm auch die Initiative der brasilianischen Regierung eine Vermittlungskommission auc verschiedenen Staaten für den Konflikt in Venezuela zu gründen konkretere Formen an, nachdem vor allem Frankreich und Russland ein starkes Interesse an einer Teilnahme bekundeten.
Eine Initiative, die den USA gar nicht gefällt, Richard Boucher, Sprecher des State Departments, erklärte die US-Regierung vertraue weiterhin auf die Vermittlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). "Wir glauben nicht, dass die Notwendigkeit zur Bildung einer weiteren Gruppe von befreundeten Staaten besteht", so Boucher.
Zugleich teilte die US-Botschaft in Caracas mit die Ausstellung von gewöhnlichen Visa für die USA werde am 20. Januar eingestellt. Die Botschaft arbeitet bereits seit dem 20. Dezember in reduzierter Form, da etwa zwei Drittel aller Botschaftsangehörigen und ihre Familie aufgrund der Situation in Venezuela abberufen wurden.