Von Dario Azzellini
Ein Meer von mehreren Millionen Menschen ergoss sich am Donnerstag durch die Straßen der venezolanischen Hauptstadt Caracas, um für die Regierung von Präsident Hugo Chavez und die Fortsetzung der begonnenen Umgestaltungsmaßnahmen zu demonstrieren.
Obwohl bekannt wurde, dass in mehreren Bundesstaaten Busunternehmen von reichen Unternehmern bestochen wurden, um den Transport von Regierungsanhängern abzulehnen, war die "friedliche Eroberung von Caracas", wie die erste groß angelegte Demonstration der Unterstützer Chavez' genannt wurde, beeindruckend. Vor allem im Verhältnis zu den Demonstrationen der Opposition, die während ihrer seit zwei Monaten anhaltenden Proteste nie mehr als 200.000 Anhänger mobilisieren konnte. Überschattet wurde die Demonstration allerdings von einem Bombenanschlag in der Nähe der Route an der U-Bahnstation "Bellas Artes", die ein Todespopfer und drei Verletzte forderte. Chávez selbst nahm ebenfalls an der Demonstration teil, die sich bis in die späten Abendstunden zog. In einer Rede kündigte er an den begonnenen "bolivariansichen Prozess" fortzuführen.
Nach weiteren Durchsuchungen von Lagerhallen großer Lebensmittelunternehmen versicherte Chávez die Regierung würde diese Maßnahmen fortsetzen, er garantiere persönlich mit seinem Leben dafür, dass die Grundversorgung aufrecht erhalten werde.
In diesem Zusammenhang maßregelte Vizepräsident José Vicente Rangel auch den US-Botschafter Charles Shapiro, der die Durchsuchungen bei dem Coca-Cola-Lizenzbetrieb Panamco kritisiert hatte, da es sich bei Coca-Cola um ein transnationales US-Unternehmen handele. Zum einen seien Botschafter angehalten sich aus internen Angelegenheiten des Landes heraus zu halten, zum anderen sei die Durchsuchungen wegen des illegalen Zurückhaltens von Lebensmitteln gemäß der venezolanischen Gesetze erfolgt und die seien auch für Coca-Cola gültig, schließlich befände sich die Abfüllerei auf venezolanischem Territorium.
Derweil ist normalisiert sich die Produktion im Lebensmittelsektor weiter. So nahm auch die Milchabfüllerei des italienischen Multis Parmalat die Arbeit wieder auf, die mangels Zulieferung durch die Großproduzenten vor knapp sieben Wochen eingestellt worden war. Kleine und mittlere Milchproduzenten sagten umfassende Lieferungen zu, während der große Viehzüchterverband Fedenaga weiterhin weigert Milch zu liefern und alle Mitglieder, die den Boykott durchbrechen ausschließen will.
Die oppositionelle Presse bekommt mittlerweile die Folgen ihrer propagandistischen Aktivitäten gegen die Regierung immer deutlicher zu spüren. Nachdem sich die Auflagen der Zeitungen im freien Fall befinden und die Werbeeinnahmen aufgrund des vermeintlichen Streiks weitgehend ausgeblieben sind, wurden über 500 Journalisten entlassen.
Einen weiteren Rückschlag musste die Opposition hinnehmen als die Wahlkammer des Obersten Gerichtshof das von der Opposition angestrebte und eigenmächtig organisierte Referendum zum Rücktritt Chávez vom 2. Februar annullierte. Der Gerichtshof, der von der Opposition kontrolliert wird, entschied es müsse erst ein neuer Nationaler Wahlrat gebildet werden. Der aktuelle, der ebenfalls mehrheitlich mit Oppositionellen besetzt ist, manövrierte sich mit zahlreichen regelwidrigen Massnahmen selbst in die Handlungsunfähigkeit.
Präsident Hugo Chávez kündigte auch an das staatliche Erdölunternehmen PDVSA werde die Zusammenarbeit mit der Firma Intesa aufkündigen, die mit der gesamten Softwareverwaltung der Ölkonzerns beauftragt ist. Der Vertrag mit dem Unternehmen ist bereits seit einem Jahr ausgelaufen, wobei die Zusammenarbeit dennoch fortgesetzt wurde. Intesa (Informática, Negocios y Tecnología, S.A.) entstand 1996 aus einer Kooperation der PDVSA und des US-Unternehmens SAIC (Science Applications International Corporation) und wird zu 60 Prozent von US-Aktionären kontrolliert. Das Unternehmen soll sich zentral und in aktiver Form an der Sabotage der PDVSA beteiligt haben und gilt als vom US-Geheimdienst CIA kontrolliert. Über 100 venezolanische Angestellte verweigerten jedoch laut Chávez die Beteiligung an den Sabotageakten und zahlreiche Zeugen bestätigten die Sabotageakte. Intesa leugnet jedoch die Vorwürfe.
Währenddessen finden weiterhin Sabotageakte gegen die PDVSA statt. In Zulia wurden drei Stromgeneratoren sabotiert und zerstört, die Strom für Bohrtürme lieferten. In der gleichen Anlage wurde ein Saboteur auf frischer Tat ertappt, der ein Ventil manipuliert und das Auslaufen von 4000 Liter Schmieröl verursacht hatte.
Der Vizepräsident José Vicente Rangel hatte einige Tage zuvor erklärt die Regierung werde die Gespräche mit der Opposition nicht verlassen, wie sie es cor einer Woche noch in Erwägung gezogen hatte, als Carlos Ortega, Vorsitzender der oppositionellen Gewerkschaft höherer Angestellter CTV, auf einer Kundgebung den Tod Chávez gefordert hatte.
Auf dem Tisch liegen nun zwei Vorschläge des US-amerikanischen Ex-Präsidenten und Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter. So soll laut Carter eine Verfassungsänderung die Amtszeit des Präsidenten von sechs auf fünf Jahre verkürzen und außerdem die Durchführung des in der Verfassung verankerten und von der Regierung wiederholt angebotetenen Referendums zur Hälfte der Amtszeit Chávez, am 19. August diesen Jahres, verhandelt werden.
An der Neutralität Carters bestehen jedoch berechtigte Zweifel. Er verbrachte erst kürzlich mehrere Tage Urlaub in Venezuela auf Einladung des venezolanischen Multimillionärs und Medienmagnaten Gustavo Cisneros, der sich den Sturz Chávez zum höchsten Ziel gesetzt hat.
Währenddessen schloss die brasilianische Regierung die Möglichkeit eines Treffens zwischen Präsident Luiz Inacio Lula da Silva und den Führern der venezolanischen Opposition aus. Chávez sei der gewählte Präsident einer legitimen Regierung und nicht vergleichbar mit den Vertretern der Opposition. Einige Vertreter der Opposition hatten erwartet auf einer Propagandareise durch Lateinamerika mit dem brasilianischen Präsidenten zusammenzutreffen. Die brasilianische Regierung betonte ihre Bemühungen lägen in der Unterstützung der kürzlich gebildeten "Gruppe befreundeter Staaten" die keine Vermittlerrolle einnehme, sondern die Gespräche mit der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unterstützen solle.
Eine Lösung ist bisher jedoch nicht absehbar, weswegen die nationale Währung Bolivar weiterhin an Wert im Tauschverhältnis zum Dollar verliert. Allein im Januar waren es etwa 32 Prozent. Als Antwort auf den Wertverlust setzte die Venezolanische Zentralbank (BCV) Mitte der Woche, als der Wechselkurs 1.925 Bolivar zu einem Dollar betrug, den freien Wechselkurs für fünf Werktage aus und legte das Tauschverhältnis zum Dollar auf 1.760 Bolivar fest. Ende der Woche erfolgte eine Verlängerung um weitere fünf Werktage. Stimmen aus der Finanzwelt erwarten jedoch, dass der fetse Wechselkurse länger seine Gültigkeit behalten wird. Die Maßnahme sei von der Regierung und BCV gemeinsam entschieden worden, um - gemäß der Verfassung - die eigenen internationalen Reserven und die eigene Wirtschaft zu schützen und ihre Erholung zu ermöglichen. Verschiedene Finanzexperten begrüßten die Maßnahme.
Indes bildete Chávez Anfang der Woche, wie bereits mehrfach seit Amtsübernahme, seine Regierung erneut um. Der kürzlich pensionierte General Lucas Rincón Romero wurde zum neuen Innen- und Justizminister ernannt. Er übernahm damit das Amt von dem engen Chavez-Vertrauten Diosdado Cabello, der zum Infrastrukturminister ernannt wurde, während General Jorge García Carneiro, ein Anhänger des von Chávez initiierten Prozesses, zum neuen Generalkommandeur der Armee berufen wurde. Die Berufung von Diosdado Cabello gilt als Indiz für ein strengeres Vorgehen gegen die putschistische Medienpropaganda, da die Sendelizenzen und ihre Handhabe dem Infrastrukturministerium unterliegen. Lucas Rincón, einziger Dreisternegeneral der venezolanischen Armee in den vergangenen 70 Jahren, gilt ebenfalls als Vertrauensmann Chávez. Er übernimmt bereit das sechste Regierungsamt unter Chávez und sein drittes als Minister.