Zum Thema Nr.16, 24.04.1998
Das MAI-Abkommen, (re)visited.
Das Multilaterale Abkommen für Investitionen, MAI, das seit 1995 verhandelt und im April/Mai diesen Jahres unterzeichnet werden soll, hat am Ende doch noch eine öffentliche Diskussion ausgelöst. Allerdings ist diese bis heute nicht den Medien zu verdanken, sondern einer weltweiten Information durch das Internet sowie insbesondere der Aktivität von engagierten Personen und Initiativen in verschiedenen Ländern (vgl. Mies 1998).
Das MAI sollte ursprünglich MIA heißen (Multilaterales Investitionsabkommen) und von der WTO, der Welthandelsorganisation, in der auch die Länder des Südens vertreten sind, entworfen werden. Die MAI-Verhandler rekrutieren sich dagegen nur aus den OECD-Ländern, das sind die 29 größten Industrieländer, sowie den Vertretern multinationaler Konzerne. Ist das MAI einmal unterzeichnet, soll es dann auch, mehr oder weniger zwangsweise, für die Länder des Südens gelten, die dann nur noch die Option haben sollen, dem Abkommen ohne weitere Veränderungsmöglichkeiten beizutreten, oder aber auf "Investitionen" zu verzichten.
Aus dem MAI soll also doch ein MIA werden, das der Generaldirektor der WTO, Renato Ruggiero, angeblich als "die Verfassung einer vereinigten Weltwirtschaft" (R. Ruggiero) 1 charakterisierte. Das MAI wäre also nach Ansicht eines seiner mächtigsten Verfechter demnach keineswegs einfach ein "Investitionsabkommen", wie es verharmlosend und durchaus irreführend heißt, weil mit dem Begriff "Investition" positive Assoziationen, wie die Schaffung von Arbeitsplätzen, verbunden sind. Da ist die "Verfassung einer globalen Ökonomie" wohl eine bessere Bezeichnung für das Vertragswerk, ja mehr noch, das MAI beansprucht nichts Geringeres, als eine transnationale politische Verfassung für die ganze Welt zu werden (vgl. T. Clarke). Entsprechend gehören zu dieser neuen Verfassung:
Der Unterschied zu bisherigen Abkommen und generellen Tendenzen im Prozeß der "Globalisierung", die ja allesamt in die selbe Richtung gehen (vgl. N. Chomsky; D. Korten; T. Clarke; H.-P. Martin/H. Schumann; U. Beck; E. Altvater/E. Mahnkopf) ist also keineswegs geringfügig, sondern so entscheidend wie der zwischen einem Wasser- und einem Atomkraftwerk. Er besteht darin, daß durch das MAI diese Tendenzen nicht nur bestätigt werden, sondern darüberhinaus in "Reinkultur" zur globalen Verfassung, also zum Gesetz werden sollen, was heißt, daß jeder Widerstand dagegen, ja jede bloße Infragestellung des MAI und seiner Folgen letztlich kriminalisiert werden kann, sofern damit gerechnet werden muß, daß die entsprechenden Klagen der "Investoren" bei den neuen "Schiedsgerichten" positiv entschieden werden - wovon auf jeden Fall ausgegangen werden muß, denn dazu sollen sie ja geschaffen werden.
Daß es sich also tatsächlich um eine neue, auch politische Verfassung zunächst für die Industrieländer, anschließend aber auch den Rest der Welt handeln soll, wird verdeckt durch die Tatsache, daß es zu ihrer Errichtung keiner Abschaffung nationaler Parlamente, Regierungen und anderer Institutionen bedarf, und vor allem dadurch, daß es äußerlich "lediglich" um spezifische Regeln für "Investitionen" zu gehen scheint, also angeblich um etwas für "Experten", während das übrige öffentliche Leben, Politik, Kultur und Soziales davon nicht wirklich berührt werden. Eine solche Vorstellung von der Souveränität der Politik über die Ökonomie, wie sie die bisherigen politischen Verfassungen in unseren Breiten auszeichnet, ist aber durch das MAI endgültig hinfällig. Die Trennung von Politik und Ökonomie ist hier aufgehoben, und zwar in der Weise, daß eine gegenüber der Ökonomie, verstanden als Tätigkeit von "Investoren", eigenständige Politik nicht mehr vorgesehen ist. Die Politik wäre gänzlich einer einzigen Norm, der sog. "Investitions"-Tätigkeit unterworfen und würde kaum anderes mehr tun können, als dieser Tätigkeit von allen Seiten zuzuarbeiten und alle gesellschaftlichen Prozesse unter dieser Perspektive zu beurteilen. Als Abkommen, das "von oben nach unten" wirkt ("top-down-agreement") würde das MAI einen unübersehbaren Rattenschwanz von Folgen nach sich ziehen, die sich erst im Laufe seiner Anwendung ergeben. Der MAI-"Logik" wäre praktisch nichts mehr vorzuenthalten.
Im Mittelpunkt des neuen Welt-Verfassungs-Entwurfs steht einzig und allein der "Investor" und seine "Investition". Das ist der Grund, warum niemand Böses ahnt, wenn er davon hört, solange er nicht weiß, was alles als Investition gilt und inwiefern diese Investitionstätigkeit einen geradezu absoluten Maßstab für das gesamte gesellschaftliche Leben abgeben soll. Im MAI wird definiert: Investition ist "jede Art von Vermögenswert, der in direktem oder indirektem Eigentum oder unter direkter oder indirekter Kontrolle eines Investors steht" (II Geltungsbereich und Anwendung, 2., Fassung Oktober 1997, II.2). Kein Wort von Arbeitsplätzen, nützlicher Tätigkeit für die Bedürfnisse der Bevölkerung, Schonung von Ressourcen etc., also all dem, was der normale Mensch sich vielleicht (immer noch) unter einer Investition vorstellt, zumal fast sämtliche Medien suggerieren, ausschließlich in dieser Weise von Investitionen zu reden. Statt dessen ist im MAI Investition alles, aber auch alles, was ein "Investor" tut, ob er nun tatsächlich durch seine Investition Arbeitsplätze schafft, ob er gar das Gegenteil tut, einfach nur sein Eigentum und seine Verfügung über Ressourcen mehrt, ob er spekuliert, mit Drogen, Waffen und Frauen handelt, "Geld wäscht", bestehende Märkte durchdringt bzw. monopolisiert, neue Märkte schafft, die er beherrscht (z.B. genetisch veränderte Nahrungsmittel), oder die lokalen Bodenschätze plündert (wie Shell in Nigeria), sich Grund und Boden verschafft, um neue Agroindustrien aufzubauen (vgl. das Ende der mexikanischen Agrarreform nach 4 Jahren NAFTA, einem MAI-ähnlichen Abkommen mit den USA und Kanada; vgl. auch die Firma Pioneer und ihren Versuch, in Österreich genmanipulierten Mais anzubauen), oder das örtliche "geistige Eigentum" für sich patentiert (sich sog. TRIPS, "trade related intellectual property rights", sichert).
D.h., der Investor bekommt überall hin Zutritt und bleibt keineswegs in "virtuellen" Sphären. Ja, selbst seine eigenen Arbeitskräfte kann der Investor mitbringen, das sog. "Schlüsselpersonal", und den jeweiligen Regierungen ist es ausdrücklich verboten, vom Investor die Beschäftigung einheimischer Arbeitskräfte zu verlangen. Und falls der Investor örtliche Arbeitskräfte beschäftigt, dann wird dies, wie die internationale Erfahrung zeigt, am Ende vor allem in Form der "Beschäftigung" von jungen, kinderlosen und unverheirateten Frauen geschehen, die für ein paar Jahre und für ein paar Dollar am Tag, ohne gewerkschaftlich organisiert sein zu dürfen, in langen Arbeitsstunden ohne nennenswerte Pausen wie Sklavinnen ausgebeutet werden. Dies, jedenfalls, sind die Erfahrungen mit den von den Konzernen eingerichteten sog. "Maquilas", wie sie in Mexiko heißen, den Weltmarktfabriken der nun schon seit ca. 30 Jahren bestehenden "Freihandels"- und Sonderproduktionszonen in Ländern des Südens (vgl. L. Gabriel 1998). Wenn der Investor also wirklich Arbeitsplätze schafft, dann werden es am Ende vor allem "hausfrauisierte" (vgl. Werlhof/Mies/Bennholdt-Thomsen 1983) und nicht etwa "proletarisierte" sein, also im Gegensatz zu letzteren solche, die nahezu gratis und daher praktisch als Zwangsarbeit anzusehen sind (M. Mies 1989; N. Chomsky; C. v. Werlhof 1991; vgl. auch die zunehmende Verwendung von Gefängnissen und Lagern als Arbeitshäuser mit extrem niedrigen Löhnen, s.z.B. L. Gabriel).
Der Investor ist nämlich eine Person, die sich durch ein einziges Interesse auszeichnet, nämlich das, Profite zu machen, und zwar möglichst schnell, um mit ihnen voll umfänglich - Steuern zahlt er nicht - zu tun und zu lassen, was er will, z.B. sie ungehindert und ohne etwas im Entstehungslande zu lassen, zu exportieren. Was also durch das MAI "dereguliert" und "entbürokratisiert" (Zitat Wirtschaftsminister Farnleitner, Vortrag, Innsbruck 16.1.1998) werden soll - und generell als besonders positiv am MAI gilt -, ist einzig das Tätigkeitsfeld des Investors. Alles andere muß dagegen am Ende strengstens reguliert werden, damit dies überhaupt möglich ist. Die Freiheit des Investors bedeutet die Unfreiheit aller Nicht-Investoren. Der neue "Liberalismus" braucht als Voraussetzung den Ausbau eines allgemeinen Zwangsapparats (s. "Lauschangriff"). Dies kann nur gerechtfertigt werden, indem die Tätigkeit des Investors die allerhöchste gesellschaftliche Priorität bekommt, der alles andere zu unterwerfen ist. Der Investor wird gewissermaßen als unfehlbar an die Spitze der Gesellschaft gesetzt, die dadurch umgekehrt ihre prinzipielle Fehlbarkeit oder Fehlerhaftigkeit quasi als "Restrisiko" vorgehalten bekommt. Der individuelle Investor scheint einen moralischen Vorsprung vor allen anderen Menschen für sich in Anspruch nehmen zu können, ja es wird ihm eigentlich ein para-göttlicher Status zugeschrieben. Im Vergleich mit ihm müssen alle anderen als mehr oder weniger minderwertig gelten, einfach deshalb, weil sie nicht Investoren sind. Und es wird, davon kann ausgegangen werden, mit Inkrafttreten des MAI immer weniger Investoren auf der Welt geben, weil es die großen transnationalen Konzerne sind, die das MAI "puschen" (insbes. der US-Council for International Business), um Investitionsmöglichkeiten und die Weltmärkte unter sich aufzuteilen.
Dennoch aber wird der lächerliche Zwang, auch Investor sein zu wollen, nirgendwo nachlassen, weil an dieser Norm sich alles zu orientieren hat, sodaß das rücksichtslose, verantwortungslose und menschlich erbärmliche Investorverhalten sich vermehrt selbst bei denen breitmachen wird, die weit entfernt von jeder nennenswerten Investitionsmöglichkeit sind. Ich nenne das den "Tscherno-MAI-Effekt", nämlich die Vergiftung allen Denkens, Fühlens und Handelns mit dem Motiv der schnellen Profitmacherei, die die allgemeine Vergiftung des Denkens durch das Geld noch weit in den Schatten stellt (vgl. C. Polanyi). Der so hoch gelobte und angeblich so notwendige "Schutz" der Investitionen - es handelt sich ja um ein "Investitions-Schutz-Abkommen" - bedeutet also keineswegs die Abwendung einer sogenannten Enteignungs-Gefahr im bisher bekannten Sinne des Wortes, die auch historisch z. Zt. kaum nachgewiesen werden kann und nach dem Zusammenbruch des Sozialismus auch praktisch nirgendwo (mehr) zu erwarten ist. Geschützt werden sollen die Investition dagegen vor jeder Behinderung und Infragestellung, die neuerdings als "Enteignung" - bzw. "schleichende Enteignung" gelten, und zwar auf der Basis der Preisgabe aller anderen Schutzmaßnahmen, etwa von Arbeits-, Umwelt- und Naturschutz bzw. allgemein zu schützenden sog. Menschenrechten und Lebensinteressen der Bevölkerung (vgl. B. Mark-Ungericht).
So löste der (angebliche) Vorschlag Österreichs, im MAI auch Sozial- und Umweltstandards zu berücksichtigen - laut Minister Farnleitner - ein bloßes "Hohngelächter" bei den übrigen Delegierten aus. Die Monokultur des Investors sieht allein seinen Schutz vor, weil der Schutz anderer als Beschränkung seiner Freiheit gilt. Dieser "Schutz" verträgt also nicht den Schutz des Wassers, nicht den der Wälder (siehe Amazonien und Indonesien), nicht den des Bodens, nicht den der Tier- und Pflanzenwelt, nicht den der Arbeitskraft und nicht den der Menschen allgemein (vgl. den Fall der Klage der Ethyl-Corporation gegen die kanadische Regierung auf über 250 Millionen Dollar Schadensersatz, weil die kanadische Regierung ihre Bevölkerung vor der Giftproduktion des Unternehmens schützen wollte, was als Enteignung bezeichnet wurde, vgl. T. Clarke/M. Barlow). Aus der Sicht des Investors muß "Investition" überall auf der Welt und jederzeit in jeder Form möglich, also auch - und zwar nun legal - erzwingbar sein. Die heutige Not der Kapitalverwertung, die vor allem auch aus dem riesigen Anwachsen von nicht mehr "produktiv" gedecktem Finanz- und Spekulationskapital sowie überdimensionalen Profiterwartungen stammt, ist offenbar so groß, daß gerade in dem Moment, wo die "Grenzen des Wachstums" auf dem Planeten und seine Übernutzung und Verwüstung als "Ökologiefrage" und die Frage nach einem "vorsorgenden", "nachhaltigen" oder gar "subsistenz"-orientierten (vgl. V. Bennholdt-Thomsen/M. Mies 1996) Wirtschaften aufgetreten sind, gerade der radikal umgekehrte Weg als allgemeines Modell, ja als Gesetz durchgesetzt werden soll.
Der Wettlauf um die verbliebenen Ressourcen des Globus, die Globalisierung, ist in seine letzte Phase getreten, und nun sollen alle mitmachen, sei es als Täter, sei es als Opfer oder beides. Denn Opfer, und zwar auch Menschenopfer werden verlangt. Diese Tendenz ist ja schon den Sparpaketen zu entnehmen, die uns auf eine Verfassung à la MAI vorbereiten sollen, wie dies in den Ländern des Südens schon seit über 20 Jahren seitens der Weltbank und des internationalen Währungsfonds mit ihren "Strukturanpassungsprogrammen", SAPs, der Fall ist. Den SAPs ähneln unsere Sparpakete in verblüffender Weise (vgl. C.v. Werlhof 1997).
Den "freien und ungehinderten Zugang", den sich die Investoren zu Märkten, Land und Leuten überall auf der Welt wünschen, müßte natürlich auch jemand gewährleisten. Diese Rolle fiele mit dem MAI den nationalen, regionalen und lokalen Regierungen zu, deren "Souveränität" den Investoren gegenüber zwar gen Null gehen würde, Land und Leuten gegenüber aber beträchtlich erhöht würde, wenngleich v.a. im Sicherheits- und Propaganda-Bereich, also dem der physischen und geistigen Manipulation. Die Regierungen hätten nun die undankbare Aufgabe, Land und Leute, gewissermaßen gefesselt und geknebelt, den sog. Investoren auszuliefern. Politik würde dann im Hin- und Zuhalten, in der allgemeinen Zuhälterei bestehen, damit diese ökonomische "Durchdringung" auch gegen den Widerstand der Bevölkerung möglich wird. Die sog. "Penetration jungfräulichen Landes" ist nicht umsonst eine beliebte Metapher für sog. "Entwicklungsprozesse" des Südens gewesen. Die Verpflichtung der Regierungen, vom MAI "ungehindert" für die ungehinderte Abwicklung der Geschäfte zu sorgen(vgl. IV... Sicherheitsmaßnahmen), soll eben deswegen Teil des Abkommens sein, weil vorauszusehen ist, daß die Freiheit der Investoren zu erheblichen sozialen Konflikten führen wird, ja muß, werden von den "Investitionen" doch oft genug Lebensinteressen der Bevölkerung berührt werden, und dies umso mehr, je mehr die Arbeitslosigkeit die Menschen zurückverweist auf die ihnen noch verbliebenen privaten und öffentlichen Produktionsmittel. Nicht zuletzt ist die Freiheit der Verfügung, die das MAI grenzen- und schrankenlos sichern soll, das Privateigentum, noch immer die Freiheit zu dessen legaler Vernichtung, vom praktischen Raub (privare = rauben) des Eigentums einmal abgesehen, der auch dann stattfinden kann, wenn gekauft wird.
Denn die letzte Gemeindewiese am See, der letzte Bauplatz, das letzte Naturschutzgebiet und das letzte Trinkwasser-Reservoir sind allemal käuflich bei den Summen, die Investoren heute bieten können (vgl. Elecricité de France, EdF, in der Steiermark, die alle Anbieter um 1 Mrd. ATS überbieten konnte). Und das Geld, das die Gemeinde womöglich in großer Menge durch diesen Ausverkauf bekäme, wäre, so zeigt die Erfahrung, bald ausgegeben oder sonstwie verschwunden, und zurück bliebe der Verlust der "Commons", des "gemeinen" Besitzes der Leute am Ort (vgl. I. Illich; M. Mies/V. Shiva 1995), seine Besetzung im wahrsten Sinne des Wortes, ein "Loch im Boden" (J. Galtung), und obendrein die soziale Desintegration der Gemeinde (vgl. D. Korten), wenn nicht der Zusammenbruch der Sozialordnung selbst als allgemeine "Dehumanisierung" oder "Ramboisierung" (M. Mies) des menschlichen Zusammenlebens (In der "Maquila"-Stadt Ciudad Juarez wurden im letzten Jahr 287 Frauen ermordet; vgl. L. Gabriel)
Was sonst im kapitalistischen Patriarchat als unserer Gesellschaftsordnung zwischen Männern und Frauen geschieht, wird hier zur allgemeinen Verfahrensweise zwischen Investoren und Bevölkerung: Die allgemeine Prostituierung bzw. Hausfrauisierung von Land und Leuten, die Männer eingeschlossen, soll zur Regel werden, ihre "Erziehung" zu gehorsamen Sklaven und Dienern, Opferern und Geopferten (vgl. V. Forrester). Welch eine Anthropologie! Der Subcommandante Marcos von der indianischen Zapatistenbewegung in Mexiko sagte schon 1995, ein Jahr nach Beitritt Mexikos zur NAFTA, der nordamerikanischen Freihandelszone - einer Art Vorläufer des MAI -: "Ein neuer Weltkrieg wird heute erlitten. Es ist ein Krieg gegen alle Völker, gegen die Menschen, die Kultur, die Geschichte. Es ist ein Krieg, der von einer Handvoll heimatloser und schamloser Finanzzentren angeführt wird, ein internationaler Krieg, das Geld gegen die Menschheit. Neoliberalismus wird heute diese Internationale des Terrors genannt. Die neue Internationale Wirtschaftsordnung hat bereits mehr Tod und Zerstörung bewirkt, als die großen Weltkriege. Der Neoliberalismus (ist) ein Prozeß der erneuten Eroberung des Landes... Es sind die selben Eroberer wie vor 500 Jahren... Du bist ein Hindernis, wird uns gesagt. Du bist nicht mehr nur entbehrlich, sondern du behinderst den Fortschritt" (Marcos 1995). Wie aktuell wird dies bald auch überall in Europa klingen?
Der OECD-Botschafter Österreichs, Dr. Peter Jankowitsch, formulierte das Dilemma zwischen Investitionsschutz und Lebensschutz auf einer Veranstaltung des Wiener Renner-Instituts zum MAI am 16.2.1998 zur Empörung der Anwesenden - denn er meinte das zur Verteidigung des MAI - folgendermaßen: "Es handelt sich eben um ein Abkommen für Investitionen und nicht für Menschenrechte!" Was er nicht meinte erklären zu müssen, ist, warum denn die sog. Investitionen und die Menschenrechte in einem Widerspruch zueinander stehen. Der Vorschlag, zusätzlich zum Abkommen für Investitionen ein Abkommen für Menschenrechte abzuschließen, sozusagen eine Aufgabe für andere Experten, ist daher unredlich, weil ein Abkommen für Menschenrechte und das vorliegende Abkommen für Investitionen sich gegenseitig einfach ausschließen. Ein MAI und ein Abkommen für Menschenrechte sind gleichzeitig nicht möglich, denn das MAI setzt - so unglaublich es klingt - letztlich die Ungültigkeit bzw. die aktive Ungültigmachung von Menschen- und Grundrechten voraus, bzw. zieht sie hinter sich her. Der globale Verfassungsentwurf des MAI entspricht daher dem, was sich "die Großkonzerne vom Weihnachtsmann wünschen würden" (P. Wahl nach L. Wallach). Alles, was der schnellen Geschäftemacherei an Bedenken, Traditionen, Moralen, Ethiken, Rechten, Interessen, Widerständen, Hemmnissen und Mächten im Wege stehen könnte, ist darin als eliminiert bzw. zu eliminieren gedacht. Daran ändern auch die vielen Ausnahmen, die vor allem die USA in den Vertragsentwurf eingebracht haben, im Prinzip nichts, zumal sie jeweils nur von beschränkter Dauer wären.
Auf der vom MAI freigeräumten Bahn gilt dann das "Recht" des Stärkeren, und der kleine Investor kann sich weder auf eine Kartellgesetzgebung mehr berufen, noch die Freiheit des Marktes, nämlich die Freiheit des Marktes von Monopolen in Anspruch nehmen: als "Monopole" im negativen Sinne gelten im MAI nicht die Konzerne selber, sondern die noch nicht privatisierten Staatsunternehmen. Und nur diese müßten "entmonopolisiert" werden. Solcher Wirtschafts-Darwinismus kann in seiner politischen Form, die das MAI darstellt, denn auch keine Demokratie mehr sein, von einer sozialen Marktwirtschaft sowieso zu schweigen. Im Gegenteil, manche nennen das MAI ein "Wohlfahrtsabkommen für die multinationalen Konzerne", ein "neues internationales kapitalistisches Manifest" (L. Wallach), einen "weltweiten wirtschaftlichen Sowjet der multinationalen Konzerne", ein "Protektionsabkommen" für die Multis, bzw. einen "leisen Staatsstreich" (T. Clarke). In allen seinen Konsequenzen gesehen würde das MAI jedoch, umfassender, tatsächlich als globales Ermächtigungsgesetz für die Multis zu charakterisieren sein. Sie würden dazu ermächtigt sein, eine riesige weltweite Zwangs-Umverteilung von unten nach oben durchzuführen bzw. durchführen zu lassen. Man könnte diese Umverteilung theoretisch als neue Phase "ursprünglicher Akkumulation" (Karl Marx) bezeichnen, in der überall die "Trennung" der Produzenten von ihren Produktionsmitteln, soweit sie sie noch haben, bevorsteht, also die Konzentration allen (potentiellen) Kapitals, aller "Investitions"- und "Kapitalverwertungsmöglichkeiten" in immer weniger Händen, um auf dieser Basis die "eigentliche" Kapitalakkumulation in einem globalen Aneignungsprozeß (dem wirklichen "Enteignungs"-Prozeß) zu bisher unvorstellbarer Höhe zu treiben. Die weltweit immer ungleichere Einkommensverteilung und die in letzter Zeit ungeheuer gesteigerte Einkommenskonzentration in immer weniger Händen weisen ja längst darauf hin (vgl. D. Korten; N. Chomsky).
Als erste hatte Rosa Luxemburg solche Prozesse im Weltmaßstab analysiert, nämlich die zur Kolonialpolitik gehörenden, in denen sie gewissermaßen die "Fortsetzung" der europäischen "ursprünglichen Akkumulation" sah (R. Luxemburg). Diese Beweisführung hat in der feministischen Forschung den Anstoß dazu gegeben, den Prozeß der Kapitalakkumulation überhaupt, immer und grundsätzlich mit dem einer gleichzeitig - und nicht nur vorgängig - erfolgenden "fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation" in Verbindung zu bringen (vgl. Werlhof 78; dies./M. Mies/V. Bennholdt-Thomsen 1983; M. Mies 1988). Eine solche Sicht der Realität erklärt erst, wie es möglich ist, daß eine solche ursprüngliche oder auch "primitiv" genannte Akkumulation, die angeblich der Vergangenheit angehört, immer wieder, so auch heute, möglich, ja für die Kapitalakkumulation insgesamt geradezu grundlegend "notwendig" ist - wie das MAI beweist. Das MAI ist daher auch mit dem von Marx so genannten "Geheimnis" der ursprünglichen Akkumulation behaftet, nämlich der Gewalt, die immer und unvermeidlich mit der "Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln" einhergeht, nämlich dem Raub, dem Krieg, der Vergewaltigung. Entsprechend sieht das MAI vorwegnehmend die Gewaltanwendung voraus, die seine Verwirklichung brauchen wird, um sie gleichzeitig zu legitimieren und zu legalisieren. Denn wie sollte freiwillig geschehen, was das MAI nach sich zieht:
Gleichzeitig bedeutet der Zusammenhang von ursprünglicher Akkumulation und Kolonisierung, daß wir es heute mit einer weltweiten Re- oder Neo-Kolonisierung zu tun haben, letztere insbesondere mit Bezug zur bisher "Ersten Welt" selbst: Auch die Verhältnisse in den Industrieländern werden "drittweltisiert", "unterentwickelt", "kolonisiert", "peripherisiert". Also: Nicht wir sind Bild der Zukunft für die Peripherie, sondern umgekehrt die Peripherie das Bild unserer Zukunft (vgl. Werlhof/Mies/Bennholft-Thomsen 1983). Daß Europa "Zur Kolonie der Konzerne" (vgl. die gleichnamige Veranstaltung zum MAI an der Universität Innsbruck am 26.11.1997) werden könnte, ist dabei für die meisten Leute am wenigsten verständlich, eben weil sie den Zusammenhang zwischen sogenannter Dritter und Erster Welt, also die Tatsache des Bestehens eines einzigen "kapitalistischen Weltsystems" (I. Wallerstein) nicht zur Kenntnis genommen haben. Auch aus diesem Grunde kann bis jetzt das MAI von vielen in seiner Bedeutung für die Verhältnisse in Europa nicht interpretiert werden, weil immer so getan wird, als seien die europäischen Investoren und die europäische Bevölkerung in eins zu setzen, indem "unsere" Unternehmen für "unsere Wirtschaft" und zum "Wohl Europas" tätig seien.
Erst, wenn nicht mehr daran geglaubt wird, daß die verstärkt fortgesetze Kolonisierung und Plünderung der Welt nicht so schlimm (gewesen) sei, weil dadurch letztlich überall Fortschritt, Entwicklung und Zivilisation, Wohlstand und Reichtum verbreitet worden seien oder würden, wird erkennbar, daß es sich hier um einen unauflösbaren Widerspruch handelt. Wo geplündert wird, ist eben anschließend nichts mehr da. Also wird im nächsten Gebiet geplündert. Und heute sind wir selbst dran. Nicht Reichtum, der wirklich als Reichtum verteilbar wäre, wird produziert, sondern Geld, abstrakter "Reichtum", virtuelles Kapital, das, wenn es "unproduktiv" ausgegeben wurde oder nicht mehr "produktiv" ausgegeben werden kann, bzw. wenn nicht mehr daran geglaubt wird, mit einem Mal seine reale Wertlosigkeit offenbart. Eine wie auch immer geartete "linke" Politik der Umverteilung greift nicht, und zwar nicht nur deshalb, weil die Konzerne sich natürlich weigern, ihren Reichtum abzugeben, sondern auch deshalb - und das ist viel gravierender - weil dieser Reichtum eigentlich gar nicht existiert. Das verteilte Geld wäre einfach wertlos (Inflation), ein Haufen Sand, in den der Wind bläst. Boden, Essen, Häuser, Leben sind eben nicht durch Geld ersetzbar, so viel davon auch da sein möge.
Und schließlich ist mit dem MAI auch das Ende der Gewerkschaftspolitik gekommen, und zwar nicht nur, weil die "Beteiligung an der Beute" auch im Bezug auf die Löhne an eine Grenze stößt, ja angesichts der Ökologiefrage nachgerade ebenso fragwürdig und kontraproduktiv geworden ist wie die angeblich "schöpferische" Zerstörung (J. Schumpeter) der kapitalistischen Produktion selbst. Sondern, viel schlimmer, die Gewerkschaften werden einfach dadurch ausgehebelt, daß es nie wirklich das Interesse des Kapitals war, überall gutbezahlte Lohnarbeitsplätze zu schaffen. Umgekehrt ist, wenn man die Sklaverei in den Kolonien und die Gratisarbeit der Frauen zum Ausgangspunkt nimmt, immer schon deutlich gewesen, daß es lediglich um die radikale Verbilligung der Arbeit, wenn nicht ihre Abschaffung ging. Die "lohnlose Warenproduktion" und die "Hausfrauisierung" der Arbeitskraft (vgl. C.v. Werlhof 1985, 1991) sind in unserer Ökonomie, auch als weltweiter gesehen, immer schon die im Vergleich zum angeblichen "Normalarbeitsverhältnis" zentraleren Arbeitsverhältnisse gewesen, ja ist die rund um die Uhr gratis tätige und auch noch "fruchttragende", nämlich die unverzichtbares Leben hervorbringende Arbeitskraft der Frauen, und nicht die proletarische Lohnarbeit der Männer, die ideale Weltarbeitskraft des Kapitals gewesen (vgl. C.v. Werlhof 1991, 1997). Erst, wo diese Erkenntnis Platz gegriffen hat, ist das Erstaunen darüber, daß die neue Modernisierung in Form der Globalisierung den Sexismus ebenso wenig wie den Rassismus abschafft, sondern neu bestätigt, ja ausweitet, nicht mehr nötig. 4
Die kritische Analyse des MAI ist deswegen auch nur für diejenigen eine "Verschwörungstheorie" (vgl. Al Imfeld), die das MAI für das Gegenteil der bisherigen Entwicklung halten. Nur diejenigen, die geglaubt haben, diese Wirtschaftsweise würde Wohlstand und Demokratie auf der ganzen Welt verbreiten, ja es ginge überhaupt darum, können vom MAI überrascht werden. Für diejenigen aber, die immer schon festgestellt haben, daß die Wohlstands- und Demokratie-Seite des Kapitalismus ein vorübergehender Schein ist, ist die kritische Interpretation des MAI das Gegenteil von einer Verschwörungstheorie: Das MAI ist Bestätigung eines jahrhundertelangen Trends und seine vollkommen logische, systemimmanente Fortsetzung.
Der Trick des MAI ist, daß es vertraute Begriffe verwendet, die gerade für die Bevölkerung der Industrieländer gut klingen, weil sie mit Fortschritt und Wohlstand in Verbindung gebracht werden, wie z.B. "Investition", "Gleichbehandlung", "Schutz" etc. Die Definition dieser Begriffe im MAI ist aber eine ganz andere, ja nachgerade umgekehrte, höchst einseitige und schon gar nicht positive. Unverblümt werden die Gewinner und damit indirekt auch die Verlierer beim Namen genannt. Und die Begriffe werden jeweils so definiert, daß immer dieselben wenigen Gewinner und somit der "Rest" der Menschheit Verlierer ist. Das ist natürlich auch der Grund, warum der Vertragstext der Öffentlichkeit so lange praktisch vorenthalten blieb, offiziell immer noch nicht in anderen Sprachen - außer englisch und französisch - existiert (seit Ende März gibt es die erste deutsche Fassung, die vom ÖGB Tirol, Innsbruck, hergestellt wurde) und von seinen Befürwortern der Öffentlichkeit gegenüber absichtlich verharmlosend, ja umgekehrt zu seinem wahren Inhalt dargestellt wird (vgl. Antwort von Bundeskanzler Klima auf den "Offenen Brief" vom 26.11.1997). Gerade die "Gleichzeitigkeit von Modernität und sozialer Verantwortung", wie sie der neue deutsche Kanzlerkandidat Schröder vertritt (Rede nach seiner Wahl Anfang März 1998), ist mit dem MAI ausdrücklich unmöglich.
Damit präsentiert das MAI aber auch eine Rechnung. Sie lautet: "Was du nicht willst, daß man Dir tu', das füg' auch keinem andern zu". Das MAI zeigt, was immer schon die Wahrheit des Wirtschaftens und der Politik war: Kolonisierung und Versklavung der Mehrheit weltweit, Unterwerfung der Frauen global, Plünderung der Natur überall und der "Militarismus" als "Vollstrecker der Kapitalakkumulation" (R. Luxemburg). Das MAI macht klar: Demokratie, Menschenrechte, Wohlstand, das war nicht wirklich ernst gemeint, und schon gar nicht auf Dauer, denn es hat ja anderswo meistens auch nicht gegolten, ohne daß man im Glauben an "unser System" gezweifelt hätte. Das MAI liest sich wie eine Verhöhnung. "Was glaubtet Ihr denn", scheint es zu sagen. "mit wem Ihr es die ganze Zeit zu tun gehabt habt" und "Was wollt Ihr denn, als es andere betraf, hattet Ihr auch nichts dagegen". Das ist das Gute am MAI: Es ist das Ende aller Ideologien. Brutal konfrontiert es uns mit einer Wahrheit, die schon lange gilt, auf die die meisten sich aber nicht vorbereitet haben, weil sie sie für uns für unmöglich hielten. Der Selbstbetrug, die Illusion, daß es in dieser Ökonomie eine positive Entwicklung und einen ebensolchen Fortschritt - auch noch für alle und immer - geben könnte, gar eine Kultur und Zivilisation, die diesen Namen verdienen, sind nun bloßgelegt.
Die Bevölkerungen des Nordens machen sich moralisch lächerlich, wenn sie jetzt eine Demokratie einklagen, deren Nichtexistenz anderswo sie nie gestört hat; wenn sie vom Wohlstand für alle reden, während sie gleichzeitig nichts gegen die Politik der Verelendung anderer einwenden; wenn sie die Verteilung eines Reichtums einklagen, der auf der Plünderung und Zerstörung der Natur beruht; wenn sie den Verbrauch an Natur nicht so schlimm finden, weil sie immer noch dem Aberglauben aufsitzen, daß Natur durch "Kultur" (bzw. Warenproduktion und Maschinerie) ersetzbar sei; wenn sie Löhne einklagen, wo sie gegen Sklaverei, Kinderarbeit und Frauen-Gratisarbeit nie aufgestanden sind; wenn sie sich über ihre eigene Kolonisierung entsetzen und die Kolonisierung anderswo immer noch nicht als wichtigsten Charakterzug "unseres" Systems erkennen wollen; wenn sie Kriege anderswo immer noch als "Irrationalismen" oder "ethnische Konflikte" interpretieren, ohne die Konsequenz daraus zu ziehen, daß die Waffen dafür und das Interesse daran (z.B. Golfkrieg) aus unseren Breiten kommen.
Vollends lächerlich aber machen sich die Bevölkerungen des Nordens, wenn sie ihre Parlamente und Regierungen das MAI unterzeichnen lassen, wenn sie, wie die Lemminge, dem angeblichen "Natur"-Gesetz der Globalisierung hinterherlaufen, anstatt endlich anzufangen zu begreifen, daß wir diesen angeblich alternativlosen "Naturzustand" nur dann bekommen, wenn wir es zulassen, ihn zu einem Rechtssystem und einer wahrhaftigen politischen Verfassung zu machen: indem wir ihn dazu ermächtigen. Das größte Tabu, das Unvorstellbare schlechthin aber scheint zu sein: Auf jene "Investitionen" zu verzichten, die uns das MAI aufzwingen will. Da das MAI uns nur Nachteile bringt, jedenfalls den meisten von uns, und auf die Dauer allen - und zwar irreversible -, wäre es doch am besten, es schon deshalb nicht zu unterzeichnen. Daß wir dann "nicht mithalten" können oder sonstwie "zurückbleiben", kann uns angesichts der Konsequenzen des MAI völlig kalt lassen.
Im Gegenteil, erst ohne MAI haben wir die Chance, die weltweite Krise zu nutzen, um uns einmal mit dem Hauptproblem, nämlich einer anderen Ökonomie zu beschäftigen. Und die würde als allererstes paradoxerweise ein Art MAI benötigen, nämlich eines, das festlegt, was Investitionen nicht dürfen: nämlich all das, was sie jetzt dürfen sollen. Wir bräuchten in der Tat ein Investitionsabkommen, aber eines, das Mensch und Natur befreit, anstatt den Investor. Wir brauchen ein MAI, das die Investitionen reguliert und nicht deren Voraussetzungen. Und bei dieser Arbeit an einem anderen MAI würde klar, welche Ökonomie ihren Namen - von oikos, der Haushalt - wirklich verdienen würde, nämlich eine, in der Menschen und Natur kooperieren (vgl. Bennholdt-Thomsen/Mies; Mies/Shiva) und die Plünderung, anstatt des Widerstands dagegen, verboten ist. Solange wir ein solches MAI aber nicht haben, können wir ja für "MAI-freie Zonen" überall auf der Welt eintreten, wie z.B die Regierung von British Columbia in Kanada, oder wie die Organisatoren des Treffens "für ein MAI-freies Österreich" in Innsbruck am 20. und 21. März 1998, oder wie das "Komité Widerstand gegen das MAI", das einen internationalen Kongreß zum Thema am 25.4.1998 in Bonn vorbereitet.
Bisher hat es außer dem Nationalsozialismus, dem Stalinismus und der "orientalischen Despotie" keine Gesellschaft gegeben, noch nicht einmal das Kolonialsystem, das auf sämtliche, aber auch wirklich sämtliche Beschränkungen des egoistischen Eigeninteresses Mächtiger verzichtet hätte. Ausgerechnet die westlichen Demokratien befinden sich nun an der vordersten Front einer solchen Bewegung, die EU selbst ist der Kern der MAI-Befürworter. Wir haben also, wenn die nationale Souveränität gegenüber den Konzernen durch das MAI faktisch dahin sein sollte, nicht die Möglichkeit, uns an die schützende Mutterbrust Europas zu werfen - wie es Hans-Peter Martin u.a. vorschlagen -, denn EU-Politik ist MAI-Politik. Die Europa-Euphorie ist der Lage der Dinge also völlig unangemessen. Im Gegenteil, Europa schafft "ein, zwei, viele" Mexikos, und zwar überall. Die Entwicklung der Unterentwicklung des Nordens, nicht eine Zweidrittel-, sondern eine Eindrittel-, oder gar nur Einzehntelgesellschaft, stehen auf der Tagesordnung. Das Kalkül, der Markt könne auf die Konsumenten nicht verzichten, weshalb es hier in Europa nicht so schlimm kommen könne, zieht nicht. Durch die Globalisierung des Zugangs zu den Märkten überall auf der Welt ist der Markt immer groß genug. Ein großer nationaler Markt ist überflüssig geworden (vgl. N. Chomsky; V. Forrester).
Es ist interessant, daß gegen die erste kritische Veranstaltung zum MAI, die am 26.11.1997 in Innsbruck stattfand, prompt von oben interveniert wurde, und zwar von dem öffentlich bis dahin unbekannten Leiter der österreichischen MAI-Delegation, Dr. Schekulin vom Wirtschaftsministerium, höchstpersönlich. Es ist interessant, daß Bundeskanzler Klima auch einen bei der Veranstaltung unterzeichneten "Offenen Brief", der Aufklärung über die Haltung der Regierung zum MAI verlangte, nur beschwichtigend und das Vertragswerk ausdrücklich lobend beantwortete, der allgemeinen Devise der Befürworter des MAI folgend, daß alles umgekehrt zu dem sei, wie es im MAI tatsächlich steht: "Multilaterale Abkommen wie das MAI oder die Abkommen im Rahmen der WTO haben genau die gegenteilige Wirkung als jene, die Sie vermuten" (Klima 1998). Und, in vollkommener Umkehrung des Vertragstextes: "Solche Abkommen sind kein Freibrief für multinationale Konzerne, sondern setzen für alle verbindliche Mindeststandards fest" (ebenda), so, als sei das MAI das andere MAI, das umgekehrte MAI, das wir uns alle wünschen. Jedoch: "Es bleibt die Aufgabe der Regierungen, den sozialen Zusammenhalt zu sichern und soziale Gerechtigkeit durchzusetzen, gerade in einer Welt, die von zunehmender Globalisierung gekennzeichnet ist" (ebenda). Wie das? Und woher kommt überhaupt das Problem, wenn die Globalisierung in Gestalt des MAI so positiv ist?
Am interessantesten aber ist, daß die unmittelbare Vergangenheit schon einmal gezeigt hat, was ein Ermächtigungsgesetz im Inneren Europas bedeutet hat. Das historische Modell für ein neues Ermächtigungsgesetz ist also längst da, selbst wenn die heutigen Bedingungen nicht die gleichen sind. Europa hat eine lange Erfahrung mit Diktatur hier und der Erfindung von "Bananenrepubliken" anderswo. Jetzt fallen sowohl die europäische wie die außereuropäische Geschichte des Kontinents als Bumerang auf uns zurück. Trifft es uns nicht sowieso ziemlich spät? Oder glauben Sie, daß in und unter Multis Demokratie herrscht?
Die Regierung, die das MAI unterschreibt, macht sich eigentlich gerade bei den Multis lächerlich. Wer wird schon den besten Teil seiner Souveränität freiwillig aufgeben? Dabei ist im übrigen zu klären, ob eine Regierung die Souveränität des Volkes überhaupt aufgeben kann. Sie vertritt sie schließlich nur. Also, wo bleiben die verfassungsrechtlichen Analysen des MAI? Darf die Regierung überhaupt das MAI unterzeichnen? Darf sie so tun, als sei sie selbst ein Konzern (so wie auch umgekehrt die Konzerne im MAI den Status von Regierungen bekommen sollen!) und Land und Leute einfach verkaufen? Fragt Dr. Jankowitsch bei der Veranstaltung des Renner-Instituts zum MAI im Februar dieses Jahres: "Ja glauben Sie denn, daß die europäischen Regierungen etwas gegen ihre Bevölkerungen tun würden?" Da tönt ihm aus dem Saal aus 150 Kehlen entgegen: "Ja! Genau das glauben wir!" Hat also die Götterdämmerung in Österreich schon begonnen, bevor die Götter auf ihrem Thron angekomen sind? Wird sich, ausgerechnet in Österreich, eine "dissidente" Geisteshaltung (vgl. C.v. Werlhof 1996) ausbreiten, die nicht nur den Griff nach nahezu absoluter Macht als äußerste Zumutung versteht, sondern auch die Lächerlichkeit, Erbärmlichkeit und Primitivität des dahinterstehenden Denkens von sich weist?
"Wer würden die Gewinner und wer die Verlierer nach Inkrafttreten des MAI sein?" will Freda Meißner-Blau von Dr. Jankowitsch wissen. Die Antwort: "Das wird man ja sehen!" - Ist es Dummheit oder Zynismus? Es würde reichen, so Dr. Jankowitsch, wenn ein OECD-Land nicht unterzeichnet. Dann sei das MAI geplatzt. Warum sollte dieses eine OECD-Land nicht Österreich sein?
Die Regierung, die das MAI unterschreibt, schießt auch auf's Volk.
Univ.Prof. Dr. Claudia von Werlhof ist Professorin für Frauenforschung am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck. Sie lebte und forschte jahrelang in Übersee, insbes. Lateinamerika, und arbeitet an einer feministischen Gesellschaftstheorie des Patriarchats und seiner kapitalistischen Variante sowie den Alternativen dazu.
1 "Verfassung einer globalen Ökonomie" ist wohl die bessere Bezeichnung
2 Jede Infragestellung des MAI kann kriminalisiert werden
3 Die Trennung von Politik und Ökonomie ist hier aufgehoben
4 Wenn der Investor wirklich Arbeitsplätze schafft, dann werden es 'hausfrauisierte'
5 Österreichs Vorschlag, Sozial- und Umweltstandards zu berücksichtigen, löste nur Hohngelächter aus
Ein neuer Weltkrieg wird erlitten
Ein MAI und ein Abkommen für Menschenrechte sind zugleich nicht möglich
Das MAI ist als globales Ermächtigungsgesetz für Multis zu charakterisieren
Das MAI sieht die Gewaltanwendung voraus
Eine wie immer geartete "linke" Politik greift nicht
Das MAI macht klar: Demokratie, Menschenrechte, Wohlstand, das war nicht wirklich ernst gemeint
Das MAI sollte erst gar nicht unterzeichnet werden
Noch nie wurde in solcher Form auf die Beschränkung des egoistischen Eigeninteresses Mächtiger verzichtet
Es wird behauptet, es ginge um Mindeststandards
Wo bleiben die verfassungs- rechtlichen Analysen des MAI?