archivos de los protestos globales

TAZ zu Oaxaca (2.11.2006)

TAZ vom 2.11.06 www.taz.de

"Ulises Ruiz muss fallen"

AUS MEXIKO-STADT | Wolf-Dieter Vogel

Es sind Lehrer aus der verarmten Sierra Madre de Oaxaca, Hausfrauen aus den Vororten oder linke Studenten. Der Aufstand, der seit fünf Monaten in der südmexikanischen Touristenstadt Oaxaca tobt, hat fast alle Teile der Bevölkerung erfasst. Dabei hatte alles mit einem Ritual begonnen: Im Mai traten 70.000 LehrerInnen für höhere Löhne und bessere Schulbedingungen in den Streik. Doch nachdem der Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz am 14. Juni mit einem brutalen Polizeieinsatz gegen die Pädagogen vorging, gab es für die Indígenas, Bauern und Lehrer nur noch ein Ziel: "Ulises Ruiz muss fallen." Sie besetzten Radiostationen und legten mit Barrikaden die Stadt lahm. Nichts ging mehr, die örtliche Polizei musste sich zurückziehen. Zu viel schon hatte sich der Politiker der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) in seiner knapp eineinhalbjährigen Amtszeit erlaubt. "Schon vor dem Einsatz gegen die Lehrer hatte Ruiz mindestens 36 soziale Führer ermorden lassen", sagt der Soziologe Gustavo Esteva.

Der Gouverneur des gleichnamigen Bundesstaates Oaxaca gilt als Abbild eines Politikers der PRI, die sich in Mexiko über 70 Jahre mit Korruption, Repression und Wahlbetrug an der Macht gehalten hat. "Wo Stimmzettel verbrannt oder Urnen manipuliert werden, ist Ruiz zur Stelle", sagt Esteva. Im Juli 2005 drangen Schlägertrupps in die Redaktion der regierungskritischen Zeitung Noticias ein, und die mit Kapuzen getarnten Männer zerstörten die Ausstattung der Redaktion. Ähnlich gingen PRI-Schläger auch gegen die Lehrer und die Aktivisten vor, die sich in der "Versammlung der Bevölkerung Oaxacas" (Appo) organisiert haben. Vermummte schossen aus Fahrzeugen auf Streikposten oder Demonstranten. So starb beispielsweise der indigene Lehrer Pánfilo Hernández, als er gerade von einem Treffen kam, den Appo-Aktivisten Lorenzo San Pablo Cervantes erwischte es, als er die Eingänge der besetzten Radiostation "La Ley 710" bewachte. Mindestens zwölf Menschen wurden ermordet.

"Meine Hände sind sauber, ich habe nichts zu verstecken", sagt Ruiz. Doch Appo-Aktivisten konnten einige Täter "festnehmen", und immer waren diese in Zivil gekleidete Polizisten oder PRI-Parteigänger. Selbst die Bundesregierung tat sich zunächst schwer, Ruiz zu verteidigen. Lange Zeit weigerte sich der konservative Präsident Vicente Fox, militärisch einzugreifen. Doch als PRI-Aktivisten letzten Freitag den US-Journalisten Brad Will ermordeten und zudem eine Spaltung der Bewegung in Aussicht stand, sah Fox den richtigen Zeitpunkt gekommen, dem Aufruhr ein Ende zu bereiten. Mehrere tausend Polizisten, bewaffnet mit Tränengas, Schlagstöcken und Räumpanzern, stürmten die Touristenstadt. Die Rebellinnen und Rebellen wehrten sich erbittert mit Molotowcocktails und Steinen. Wieder starben mindestens zwei Menschen.

Heute ist Oaxaca von Polizeibeamten besetzt, die Aufständischen haben sich auf das Gelände der Universität zurückgezogen. "Nach allem, was passiert ist, wird Ruiz hier nie mehr regieren können", meint Soziologe Esteva. Auch der Senat sowie der Kongress haben dem PRI-Mann nahegelegt, sein Amt aufzugeben. Doch Ruiz gibt sich selbstsicher: "Selbst wenn man mir die Pistole auf die Brust setzt, werde ich nicht zurücktreten."

taz Nr. 8115 vom 2.11.2006, Seite 3, 90 TAZ-Bericht Wolf-Dieter Vogel

Aus dem "Thema des Tages" der Taz vom 2.11.06

Gepfefferter Einsatz

Demonstration vor der mexikanischen Botschaft gegen Polizeigewalt in Oaxaca endet mit Gerangel

Vor der mexikanischen Botschaft in Berlin haben am Mittwoch 100 bis 200 Demonstranten gegen staatliche Willkür in Mexiko protestiert. Dabei kam es zu Rangeleien zwischen Demonstranten und Polizisten. Zwei Kundgebungsteilnehmer wurden nach Angaben der Polizei festgenommen. Die angemeldete Demonstration richtete sich gegen das harte Vorgehen der Polizei in Mexiko gegen streikende Lehrer im Bundesstaat Oaxaca.

Zu dem Gerangel vor der Botschaft kam es, als zwei Vertreter der Demonstranten zu einem Gespräch mit einem Botschaftsrat in das Gebäude an der Klingelhöferstraße in Tiergarten eingelassen wurden und die anderen ihnen folgen wollten. Die Polizei verhinderte das und nahm einen Protestierenden fest, der einen Farbbeutel auf die Botschaft geworfen und symbolische "blutige Handabdrücke" an der Tür angebracht haben soll.

Laut Augenzeugen war die Situation hingegen eskaliert, als ein Polizist versucht habe, ein Protestplakat am Botschaftseingang zu entfernen. Daraufhin hätten die Demonstranten spontan die Straße blockiert. Dort habe die Polizei einen Teilnehmer zu Boden gebracht. Mehrere Demonstranten hätten versucht, den Mann zu befreien, worauf ein weiterer von ihnen festgenommen wurde. Daraufhin habe es einen Tumult zwischen rund 30 Protestierenden und etwa 10 Polizisten gegeben, berichtete ein Demoteilnehmer. Schließlich habe ein Beamter großflächig Pfefferspray in die Menge gesprüht. Dadurch seien mehrere Leute, darunter auch ein Polizist, verletzt worden. Gegen die beiden Festgenommenen wird laut Polizei wegen Sachbeschädigung beziehungsweise versuchter Gefangenenbefreiung ermittelt.

Der Gouverneur des Bundesstaates Oaxaca, Ulises Ruiz, hatte seinen vom Parlament gewünschten Rücktritt auch nach monatelangen Unruhen abgelehnt. In der Nacht zum Dienstag war er nach Oaxaca zurückgekehrt. Starke Polizeikräfte kontrollieren seit Montag die Stadt im Süden Mexikos. dpa, taz

brennpunkt SEITE 3

taz Berlin lokal Nr. 8115 vom 2.11.2006, Seite 21, 69 TAZ-Bericht


méxico | www.agp.org (archives) | www.all4all.org