EU-Außenhandel, WTO & Nizza

SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 23.11.2000, Seite 10

EU-Außenhandel, WTO & Nizza

EU-Außenhandelskommissar Pascal Lamy erwartet von der EU-Regierungskonferenz Anfang Dezember in Nizza, dass seine Kompetenzen erheblich erweitert werden. Sein zentrales Anliegen ist die Änderung des Artikels 133 des Amsterdamer Vertrags, der die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten der EU und der Kommission im Bereich Außenhandel regelt. "Wenn das passiert, wird der Kampf gegen die von den Konzernen betriebene Globalisierung eine entscheidende Niederlage erleiden", meint Susan George, die stellvertretende Vorsitzende des Antiglobalisierungsnetzwerks ATTAC in Frankreich.

Handel, vor allem in den umstrittenen Sektoren Dienstleistungen, geistiges Eigentum und Investitionen, ist gemäß dem 1997 verabschiedeten Amsterdamer Vertrag, der auf der kommenden Regierungskonferenz in Nizza in vielen Punkten überarbeitet werden soll, ein Bereich der "gemischten Kompetenz" zwischen der Kommission und den 15 Mitgliedstaaten. Demnach müssen die Parlamente alle Verträge und Vereinbarungen, die diese Sektoren umfassen, genehmigen, und die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten haben ein Vetorecht.

Industriell gefertigte Güter unterliegen schon heute nur der "qualifizierten Mehrheitsentscheidung", die ein Vetorecht ausschließt und der EU-Kommission erweiterten Handlungsspielraum gibt. Seit Juli 2000 hat Außenhandelskommissar Lamy eine europaweite Kampagne gestartet. Demnach sollen Dienstleistungen, eingeschlossen Gesundheit, Bildung, audiovisuelle Medien, Transport, Umwelt und alle öffentlichen Dienste, geistiges Eigentum, z.B. genetisch manipulierte Organismen und Investitionen, gemäß des gescheiterten Multilateralen Investitionsschutzabkommens (MAI) künftig "qualifizierten Mehrheitsentscheidungen" unterliegen.

Die Kampagne war weitgehend erfolgreich. "Nur Frankreich und Spanien müssen noch überzeugt werden", so Lamy im September. Das könnte mittlerweile zumindest für den französischen Teil gelungen sein. Denn Papiere der Regierung zur Vorbereitung der Nizza-Konferenz sehen eine Abänderung von Art.133 vor. Eine der drei Optionen, die dort im Sinne der EU-Außenhandelskommission formuliert werden, will der EU-Kommission Entscheidungsrechte für die mehr als zwei dutzend Verträge, die allein in der WTO verankert sind, anheimstellen. Das gesamte Verhandlungsmandat soll demnach künftig über qualifizierte Mehrheitsentscheidungen ausgehandelt werden.

George befürchtet "dramatische Einschnitte" für die "Demokratie und Bürgerbeteiligung". "Unsere Regierungen dürfen ihre Souveränität in diesen Bereichen nicht abgeben", so die ATTAC-Aktivistin. Gleichwohl seien qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der Sozialpolitik, wo etwa die britische Regierung bisher immer dann von ihrem Vetorecht Gebrauch machte, wenn es um Verbesserungen ging, ein relativer Fortschritt. Doch im Bereich des Handels sorgt sich George um die Errungenschaften der "vergangenen hundert Jahre, die sozialen Rechte, den öffentlichen Dienst, die Gesundheitsversorgung und Bildungssysteme", die nun alle "auf dem Spiel stehen".

ATTAC wird sich an den internationalen Protestaktionen am 6. und 7.Dezember gegen die EU-Regierungskonferenz in Nizza beteiligen, um gegen weitere Kompetenzen der EU-Außenhandelskommission zu demonstrieren. Außerdem fordert ATTAC einen kompletten Schuldenerlass der EU-Mitgliedstaaten für die Länder der Dritten Welt, den Schutz landwirtschaftlicher Familienbetriebe und setzt sich dafür ein, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank aufzuheben und die Politik des Geldinstituts einer demokratischen Kontrolle zu unterwerfen.

gk

http://members.aol.com/soz9/0024102.htm

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