Eine Aktion, die Schule machen koennte: ploetzlich loesen sich aus der Menge der Passanten drei Leute und schlagen mit einer bereitgelegten Eisenstange die Scheibe einer Video-Ueberwachungsanlage, von denen in der letzten Zeit 40 Stueck in Thessaloniki aufgestellt wurden, ein. Dass weitere 10 Aktivisten im Umkreis von 20 Metern die Aktion sichern, bemerkt von den Umstehenden niemand. Zwar werden ein paar "Hey"-Rufe eines Opis laut, doch die Passanten einschliesslich der beiden Verkehrspolizisten gegenueber sowie des zufaellig anwesenden Fernsehteams sind viel zu ueberrascht, um so schnell reagieren zu koennen. Die Beteiligten hatten sich aus mehreren heimischen und internationalen Zusammenhaengen spontan zusammengerauft.
Der Aktionspegel steigt an. Vor der EU-Vertretung kam es zu einer Protestkundgebung, auch ein 15-koepfiges Plakatierer-Team zog kleisternd durch die Stadt, lediglich von ziviler Polizei beobachtend begleitet. Doch auch sonst beginnt sich die Stimmung in der Stadt nun merklich zu aendern. Zumindest bei den Besitzern der Geschaefte mit den Auslagen fuer die Upper-Class geht die Panik um. Dutzende von Schlossereien sind unterwegs, um die Schaufenster mit Wellblechen zu verbarrikadieren. So duerften manche Bezirke wie der Kudamm-aehnliche Abschnitt der Hauptstraße Egnazia bis Samstag zu Aluminiumschluchten verarbeitet sein. Das ist hier eine voellig neue Reaktion. Zwar waren symbolische Angriffe auf Banken und Geschaefte in der Vergangenheit nicht selten, doch diese Angst hat eine neue Dimension, die auch nicht wenige Aktivisten ueberrascht.
Die Polizei hat nun an eingen Stellen mit 15-Mann-Trupps Position bezogen. Dabei ist jeweils einer mit einer MP bewaffnet, ansonsten tragen die Beamten Plastikschoner und teilweise auch Helme am Guertel. Auch die mit Gittern versehenen Wasserwerfer der Feuerwehr, die sonst Braende loeschen, werden an praegnanten Stellen praesentiert. Manche Polizisten ueben sich bereits im Drangsalieren von mutmasslichen Demonstranten. So wurde das UK-Indymedia-Team angepoebelt, geschubst und getreten. Dabei sind dies wohl noch heimische Cops, die im Moment noch im Einsatz sind. Besonders brutal duerften Einheiten aus der Athener Gegend agieren, da in Griechenland ein ethnischer Konflikt zwischen diesen beiden Metropolen schwelt, der von der ueberwiegenden Mehrheit auf dem "Schwaben-Badenser-Niveau", von Fussballhooligans und Robocops jedoch mit Knueppeln ausgetragen wird. Es wird erwartet, dass die Athener Bullen den "Bulgaren" mal so richtig zeigen, wo es lang geht. Vereinzelte Forderungen rechter Politiker nach dem Einsatz von Polizei-Einheiten aus anderen europaeischen Laendern - auch aus Deutschland - konnten sich im Gegensatz zum Gipfel in Evian nicht etablieren.
Bereits gestern abend waren kleinere Polizei-Einheiten zwischen Campus und Innenstadt mit Traenengas-Gewehren aufmarschiert. Etwa 2000 Menschen besuchten das Konzert der bekannten griechischen Underground-Band Deus X Machina, die Stimmung war hoellisch gut. Ab dem spaeten Abend waren immer mehr internationale Gaeste auf dem Uni-Gelaende eingetroffen, auch die Jugend der Stadt war fuer einen Arbeitstag am Anfang der Woche gut praesent. Auch sonst war auf dem Campus einiges los. an mehreren Stellen sassen Leute diskutierend in ihren kleinen Zelt-Camps, Neugierige schlenderten durch die Gegend, Besetzer und studentische Aktivisten begannen mit den Vorbereitungen fuer die Demonstrationen - malten Transparente im Akkord. Insgesamt waren stets wohl 3000 Menschen im Universitaetsbezirk unterwegs.
Der Chef-Hausmeister wusste wohl, warum er beim Besuch mit seiner Frau ein entspanntes Laecheln herumtragen konnte. Zwar hat das Parolen-Spruehen einen ganz schoenen Umfang angenommen, doch das Aufrauemen klappt mit Unterstuetzung der offiziellen Putzkolonne so gut und so schnell, wie die Infrastruktur mit Essens- und Getraenkeversorgung. Zwar ist dies keine gut organisierte Volxkueche mit stets erhaeltlichem warmen Essen, doch man findet in der Umgebung zur Not haufenweise kleine Buden mit preisguenstigen Snacks und Speisen. Direkt an die Uni grenzt das Studentenviertel mit vielen alternativen Laeden.
Neben den Anti-Autoritaeren, die die theologische Fakultaet besetzt halten, logiert der blackbloc aus dem Umfeld der "Schwarzen Katze", einem besetzten Haus am Rande des Migrantenviertels, in der philosophischen Fakultaet. "Die glauben eher an eine Bewegung und wir an das Individuum", charakterisiert ein Jung-Anarcho vor der "Philosophischen" den Unterschied. Auffallend ist jedoch auch die Altersdifferenz zu den meisten der Anti-Autoritaeren. Die beiden Fluegel der Anarchisten haben sich allerdings gut arrangiert.
Auch die Zusammenarbeit zu anderen Fraktionen auf dem Gelaende ist gegeben, wenn auch auf kleiner Flamme. Gegenueber den Leuten der Kampfinitiative, die die Poytechnische Schule besetzt haelt, ist dies jedoch auch ein gewisser Schutz. Dieses Gebaeude wird mit Unterstuetzung der Studentenvertretung genutzt. Hier sind ohnehin mehrere kleine Besetzungs-Initiativen taetig, von einem Uni-Buero der "Schwarzen Katze", das schon seit ueber drei Jahren besetzt gehalten wird, ueber eine Theater- und eine Fotogruppe bis zur Fachschaft der Architekten, die ziemlich aktiv und radikal ist. Bei einer kaputtgebauten Stadt wie Saloniki ist dies jedoch nicht verwunderlich.
Dass die Besetzungen von der Polizei derart geduldet werden, hat einen Haupthintergrund: am 17. November 1973 wurden bei einem Studentenaufstand in Athen gegen die Militaerdiktatur mindestens 23 Studenten getoetet. Anlaesslich des Jahrestages wird in Athen jedes Jahr zum Angedenken das Polytechnische Institut besetzt, ein Eindringen der Polizei auf Gebiet von Universitaeten wird auch von weiten Teilen der etablierten Politik als Sakrileg betrachtet. Die Aktivisten von Indymedia Thessaloniki rechnen jedoch spaetestens fuer Samstag mit einer Polizei-Aktion zumindest in dem von ihnen besetzten Jura-Trakt, in dem sich auch das Medical und das Legal-Team eingerichtet haben. Das Uni-Tabu ist denen schon lange ein Dorn im Auge. Die Oeffentlichkeit wurde mit Hysterie in Stimmung gebracht, es kommen wohl ueber 100.000 in die Stadt, es wird etwas mehr kaputt gehen als sonst - die Lage ist also guenstig, es zu brechen.
Bis dahin werden jedoch das Kulturangebot auf zwei Buehnen, die vielfaeltigen Meetings und Hearings sowie die politische Agitation in der Stadt weiter gehen und es tut mir leid, dass ich mangels Platz und Zeit vorlaeufig nur einen Ueberblick geben kann. Der Verweis auf die Geruechtekueche und der Apell an die Leser, Infos vorsichtig zu genießen und am Ball zu bleiben, betrifft uebrigens auch mich. So war auf einem Bild gestern irrtuemlich der Eingang zum Messegelaende als Uni-Eingang betitelt und die Einschaetzung der ruhig bleibenden Geschaeftsleute war ebenfalls falsch, was hier allerdings auch Etliche ueberrascht hat. Einen Blick auf Aktivitaeten der Kommunisten, des reformistischen Griechischen Sozialforums (GSF) oder Berichte von anderen Camps weiter weg kann ich gar nicht geben.
Zwei Probleme bremsen hier: die Leute mit guten Info-Background sind meistens vollkommen beschaeftigt, die anderen koennen nicht so gut Auskunft geben und das Englisch der Meisten ist - hauptsaechlich die Aussprache betreffend - auch nicht besonders gut.