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KulturZentrum Bremgarten KuZeB
in der Alten Kleiderfabrik
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Die WTO-Problematik

Die Welthandelsorganisation WTO ist Nachfolgeorganisation des "Allgemeinen Zoll- und Handesabkommens" (GATT) , welches nach dem Zweiten Weltkrieg zum Aufbau und der Regelung der internationalen Wirtschaft gegründet wurde. Lange Zeit betraf die WTO nur den Handel mit Industriegütern. Seit der Uruguay-Runde (Verhandlungen, die in Uruguay begonnen haben) hat sich dies jedoch geändert. Es wurden Abkommen getroffen, die auch Agrarprodukte und intellektuelles Eigentum betreffen.

Die Rolle der WTO

Die Rolle der WTO ist quasi die einer Dachorganisation der versch. Handelsliberalisierungsabkommen, wie es beispielsweise die NAFTA oder die EU sind. Die WTO ist weltweit das wichtigste Instrument des Neoliberalismus - sie entwickelt multilaterale Handelsabkommen und führt diese durch. Von den Konferenzen hört man jedoch als NormalsterblicheR kaum je etwas. Die finden hinter verschlossenen Türen statt, ein Mitspracherecht gibt es selbstverständlich nicht. Ausserdem verfügt sie über ein eigenes Schlichtungsorgan, das bei Nicht-Einhaltung der Abkommen Sanktionen gegen das delinquente Land aussprechen kann - und zwar nicht nur in dem betroffenen Bereich. Es ist eine kleine Elite, bestehend aus WirtschaftsministerInnen aus den Industrie- und einigen Trikontstaaten (momentan 130 Mitgliedstaaten), die über den Gang der Welt mehr und mehr entscheiden. Ziel ist es, sich Märkte zugänglich zu machen, die viel Geld versprechen. Das heisst, die Schranken, welche oft zum Schutz der Bevölkerung oder der eigenen Wirtschaft geschaffen wurden, werden abgebaut. Durch die Handelsabkommen/den Schrankenabbau fördert die WTO die Globalisierung. Diese führt dazu, dass immer mehr Konzerne die Arbeit auslagern. Das bedeutet einerseits, dass die Erwerbslosigkeit in den Industrienationen wächst, dass in Ländern mit weniger strengen Umweltschutzbestimmungen produziert wird, was die Umweltverschmutzung stark vorantreibt (der grösste Teil der Umweltverschmutzung resultiert aus der Industrie). Für die Länder mit niedrigen Löhnen (allen voran Trikontstaaten) bedeutet es Abhängigkeit - es ist ihnen nicht mehr möglich, eine eigene Wirtschaft aufzubauen und sich dadurch selbst zu erhalten. Ausserdem rücken soziale Belange in den Hintergrund: "Wieso dort produzieren, wo sich die Leute nicht auspressen lassen wollen - es geht ja auch anders..."Andererseits geht die Vielfalt im kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bereich verloren. Eine weltweite Vereinheitlichung in Kultur und Wirtschaft findet statt. Die hart erkämpften sozialen, ökologischen und egalitären Fortschritte weichen der praktisch uneingeschränkten rücksichtslosen Logik der nun immer freieren Marktwirtschaft.

Die primären negativen Konsequenzen sind folgende:

politisch

Die WTO stellt die nationale Politik grundsätzlich in Frage, bzw. setzt diese ausser Kraft, wenn sie den Interessen der Wirtschaft zuwiderläuft. Das bedeutet, dass die WTO Einfluss darauf hat, was in einem Land passiert. Sie kann innen- und aussenpolitische Entscheidungen einer Nation als wirtschaftshemmend betrachten und sich über diese hinwegsetzen. Ein partizipatives politisches System wird demzufolge wertlos, da die VolksvertreterInnen mehr und mehr den Forderungen der Wirtschaft gerecht werden müssen, die nicht im Sinne der Bevölkerung sind. Die WTO ist also äusserst demokratiefeindlich. Auch die Autonomie der Länder, die sich zwar einst entkolonialisierten, ist nicht mehr gewährleistet. Für diese wirken sich die Freihandelsabkommen besonders negativ aus, so dass die meisten nur unter massivem Druck den Abkommen zustimmen.

wirtschaftlich

Durch die Handelsliberalisierungen werden Schranken abgebaut. Diese Schranken, wie etwa Zölle oder Einfuhrbeschränkungen, haben eine Schutzfunktion. Sie schützen beispielsweise die Schweiz davor, dass zuviele billige Agrarprodukte aus dem Ausland eingeführt werden, was die Bankrotterklärung für alle kleineren und mittleren Bauern/Bäuerinnen bedeuten würde. Vor allem für Trikontstaaten bedeuten die Handelshemmnisse Schutz vor einer Konkurrenz, die aufgrund technischer und finanzieller Überlegenheit ihre Wirtschaft zerstören würde.

Gibt es keine solchen wirtschaftlichen Hürden, ist jedes Land gezwungen, sich nach den harten Regeln der Weltwirtschaft zu richten. Länder, die stark verschuldet sind (hauptsächlich ehemalige Kolonien) sind jedoch angewiesen auf minimen Schutz, um ihre Verschuldung nicht zu beschleunigen. Unter dem Vorwand der Gleichbehandlung wird dieser Schutz abgeschafft, da er den Prinzipien der WTO zuwiderläuft. Da sie noch von den Industriestaaten abhängig sind, können sie nun noch besser ausgepresst werden.

sozial und ökologisch

Alle sozialen oder ökologischen Einrichtungen oder Bestimmungen, die den Prinzipien des "freien Handels" zuwiderlaufen, werden auf Druck ausser Kraft gesetzt, oder umgangen. Soziale Belange werden vernachlässigt, ArbeiterInnen- und Frauenrechte massiv beschnitten, das kulturelle und soziale Leben wird den Maximen Gewinnmaximierung und Handelsfreiheit untergeordnet, ebenso ökologische Aspekte. Umweltschutzbestimmungen beeinträchtigen die Gewinnmaximierung, und sind deshalb nur lästig. Die Wirschaft übernimmt keinerlei Verantwortung für die Folgen ihrer Praxis - die sozialen und ökologischen Kosten werden auf das Gemeinwesen abgewälzt. Doch der Sozialstaat ist immer weniger bereit, diese Kosten zu tragen und reagiert darauf mit Sozialabbau. Das Klima in der Gesellschaft wird zunehmend repressiver und marginalisiert immer mehr Menschen - es findet eine Polarisierung zwischen arm und reich statt.

Globale Planwirtschaft der Multis?

Der Kolonialismus hat eine wechselvolle Geschichte. Seine Anfänge liegen im 19. Jahrhundert, als die Industriegesellschaften zunächst die Märkte des Südens eroberten und in der Folgezeit die Gebiete militärisch besetzten und annektierten. Nachdem die Kolonien die Unabhängigkeit erlangt hatten, führte die sogenannte "Entwicklungspolitik" in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert zu veränderten Formen der Kontrolle und der Abhängigkeit. Heute, in der Ära der Globalisierung, treten neue Kolonialherren auf: es sind nicht mehr Staaten, sondern transnationale Großfirmen.

(...)

Ein kurzer Blick auf die Lage in der südlichen Halbkugel zeigt eine unbestreitbare und beunruhigende Kontinuität von der Kolonialzeit bis heute: In keinem der Länder, die in neuerer Zeit die Unabhängigkeit erlangten, wurden die Grenzen korrigiert; es wurde auch kein Versuch unternommen, ein vorkoloniales kulturelles Gefüge wiederherzustellen. Auf dem Land blieben die kolonialen Praktiken strukturell erhalten. Die armen Bauern "für die der Kampf um die Unabhängigkeit mit dem Kampf um Landbesitz identisch war", erhielten nicht das kleinste Fleckchen Erde, das sie hätten bebauen können. "Die nationale Unabhängigkeit führte dazu, dass sich ein neuer Siedlertyp den Boden aneignete" wie der Essayist Randall Baker anmerkt, handelt es sich hier um "eine im wesentlichen kontinuierlich verlaufende Geschichte".

(...)

Darüber hinaus will die WTO die Länder des Südens künftig dazu verpflichten, Investitionen aus dem Ausland uneingeschränkt zuzulassen und jede ausländische Firma, die ihrem Staatsgebiet in der Landwirtschaft, im Bergbau, in der Industrie oder im Dienstleistungssektor tätig werden will, wie eine "nationale Gesellschaft" zu behandeln. Gleichermassen sollen Zollgebühren und Importquoten für sämtliche Waren, einschliesslich landwirtschaftlicher Erzeugnisse, aufgehoben und "nichttarifliche Handelshemmnisse" wie beispielsweise gesetzliche Regelungen in den Bereichen Arbeit, Gesundheit oder Umweltschutz, die eine Erhöhung der Produktionskosten bewirken könnten, abgeschafft werden. Die multinationalen Unternehmen sind nicht mehr zu kontrollieren, nicht einmal von den Regierungen des Nordens. Stört ein Gesetz ihr Expansionsbestreben, so drohen sie damit, ausser Landes zu gehen, was sie auch umgehend verwirklichen können. Es steht ihnen frei, auf der ganzen Welt nach der billigsten Arbeitskraft, nach der am wenigsten staatlich geschützten Umwelt, den günstigsten Steuergesetzen, den großzügigsten Subventionen zu suchen. Es liegt ihnen nichts daran, sich mit einer Nationen zu identifizieren, oder ihre Projekte von sentimentalen oder gar patriotischen Bindungen beeinträchtigen zu lassen. Sie stehen ausserhalb jeglicher Kontrolle.

In dem Masse, wie eine kleine Anzahl von Firmen den Weltmarkt für die von ihnen produzierten und vertriebenen Waren beherrscht, wird ihnen die Konkurrenz zunehmend hinderlich - Wettbewerb verringert ihre Gewinnspannen. Kooperieren dagegen die Unternehmen, so können sie stärker auf die jeweiligen Regierungen einwirken und sich der wachsenden Opposition seitens populistischer, nationalistischer oder anderer Bewegungen entgegenstellen, die ihren Einfluss und ihre Macht gerne geschmälert sähen. Gleichzeitig treiben die Firmen die Vertikale Integration immer mehr voran, so dass sie jede Stufe innerhalb eines Sektors kontrollieren können, vom Abbau der Bodenschätze und Errichtung von Betriebsanlagen über die Produktion und Lagerung bis hin zur Lieferung an ausländische Filialen und zum Verkauf im Groß- und Einzelhandel. Damit können sie sicherstellen, dass sie selbst auf jeder einzelnen Stufe die Preise festlegen, und nicht, wie sie glauben machen, der Markt.

Die globalen Transaktionen erfolgen zunehmend zwischen multinationalen Firmen und deren Filialen. Dies ist nicht mehr echter Handel, sondern das Ergebnis privater zentralistischer Planung, die sich auf den gesamten Planeten erstreckt. Für den britischen Wirtschaftswissenschaftler und Ökologen Paul Enkins werden die multinationalen Unternehmen "zu riesigen Zonen bürokratischer Planung immerhalb einer ansonsten freien Marktwirtschaft". Seiner Ansicht nach besteht eine prinzipielle Ähnlichkeit zwischen einem Großunternehmen und einem staatlichen Betrieb. "In beiden sorgen hierarchisierte Planungsstrukturen dafür, sämtliche Ressourcen innerhalb der Grenzen ihrer Organisation bereitzuhalten, um nicht auf den freien Markt angewiesen zu sein".

Man fragt sich, welche Vorkehrungen verhindern könnten, dass auf diese Weise 50, 60 oder 80 Prozent des Welthandels innerhalb der "Grenzen von Organisationen" ablaufen. Die bisher eingeschlagene Richtung könnte zu einer Ära der zentralen Planwirtschaft auf globaler Ebene führen: zum weltumspannenden Kolonialismus der Unternehmen. Diese neuen Kolonialmächte übernehmen keinerlei Verantwortung und legen nur ihren Aktionären gegenüber Rechenschaft ab. Sie sind eigentlich nur noch Maschinen zur unmittelbaren Gewinnmaximierung. Allerdings verfügen sie inzwischen über die Macht, eine Regierung gegebenenfalls zu zwingen, ihre Interessen gegen die des Volkes - des eigentlichen Souveräns - zu verteidigen.

Dieser neue Kolonialismus der transnationalen Unternehmen droht schamloser und brutaler zu werden als je einer zuvor. Er könnte mehr Menschen enteignen, verarmen lassen und ausgrenzen, mehr Kulturen zerstören und mehr ökologische Katastrophen verursachen als der Kolonialismus von einst oder die Entwicklung der letzten fünfzig Jahre. Wie lange wird er bestehen? Einige Jahre, einige Jahrzehnte vielleicht. Denn ein Wirtschaftssystem, das in einem solchen Ausmass Armut erzeugt, kann nicht lange überleben.


Auszüge aus "Neue Kolonialreiche und neue Formen der Abhängigkeit" von Edward Goldsmith, LE MONDE DIPLOMATIQUE, Nr. 4/April '96

Die Globalisierungspolizisten von der WTO

Die Welthandelsorganisation WTO gibt sich nicht damit zufrieden, im Bereich des internationalen Handels die Prinzipien des freien Warenverkehrs über andere - kulturelle, soziale oder ökologische - Erwägungen zu stellen. Künftig will sie die Regeln des Wettbewerbs, den Zugang zu staatlichen Aufträgen und die Investitionsgesetzgebung bestimmen. Und dies alles mit Unterstützung der OECD und zum ausschliesslichen Nutzen der multinationalen Industrie- und Finanzkonzerne, deren engagiert Sprecher die Regierungen sind.

Am 1. Januar '95 wurde die WTO als internationale, aus ihren Mitgliedsstaaten bestehende Organisation gegründet. Sie trat an die Stelle des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), das ein permanentes Verhandlungsforum war, bei dem die Staaten nur den Status einer "Vertragspartei" hatten. Die WTO gab dem radikalen Wandel der Weltwirtschaftsordnung einen institutionellen Rahmen.

In der Vergangenheit sollte diese Ordnung die Entwicklung der Rohstoffpreise oder die Austauschrelationen bei Grundstoffen aus den Entwicklungsländern regeln. Mittlerweile ist sie zu einem reinen internationalen Handelssystem geworden.

Mit der WTO verfügt diese System über ein ganzes Arsenal an Zwangsregeln und obligatorischen Entscheidungsverfahren. Bei einem Verstoss gegen eine der WTO-Regeln drohen jedem Mitgliedsland Sanktionen. Besonders gilt dies aber für die schwächsten Länder. Wenn sich die Vereinigten Staaten mit dem Helms Burton Gesetz1, das die sakrosankten Prinzipien des Freihandels mit Füssen tritt, gegenüber Unternehmen aus Drittländern, die mit Kuba Handel treiben, extraterritoriale Recht anmassen, dann geschieht dies bisher in völliger Straflosigkeit.

Die WTO ist das Herzstück der Abkommen aus der Uruguay-Runde, die im Dezember '93 in Genf abgeschlossen und im April '94 in Marrakesch unterzeichnet wurden. Sie hat die Aufgabe, die praktische Umsetzung dieser Abkommen zu planen. Auf ihrem Terminplan für die kommenden Monate und Jahre stehen die Regeln für den Wettbewerb, die Öffnung der staatlichen Märkte und die Investitionen. Für jeden dieser drei Bereiche ist auf der ersten Ministerkonferenz der WTO, die im Dezember '96 in Singapur tagte, eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden. Diese Arbeitsgruppen sind die erste Etappe in einem Prozess, der zu einer umfassenden Liberalisierung führen soll.

Mit dem Wettbewerb will man die letzten noch existierenden nationalen Monopole zerschlagen, die kraft einer politischen Entscheidung aufgebaut worden sind. Bei der Telekommunikation ist man bereits am Werk: Schon im vergangenen Februar wurde im Rahmen der WTO beschlossen, diesen Bereich zu liberalisieren. Aber es gibt noch andere Bereiche - zum Beispiel das Eisenbahnmonopol -, die die Begehrlichkeiten der großen Finanzkonzerne wecken.

Ebenso wichtig ist die Arbeitsgruppe, die "eine Untersuchung über die Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge" durchführen soll. Ein Papier der WTO erinnert mit einem gewissen Bedauern daran, dass "öffentliche Aufträge faktisch nicht den multilateralen Regeln unterliegen, die im Rahmen der WTO für den Waren- wie auch für den Dienstleisungsbereich ausgearbeitet worden sind. In der Praxis machen die Mitgliedsländer hierbei immer noch einen Unterschied zwischen Produkten, Dienstleistungen und Lieferanten aus dem In- und dem Ausland. Da die öffentlichen Aufträge für Güter und Dienstleistungen oft zwischen 10 und 15 Prozent des jeweiligen Bruttosozialprodukts ausmachen, handelt es sich dabei um eine beträchtliche Lücke im multilateralen Handelssystem." Um diese "Lücke" zu schließen, wendet man eine schon bekannte Methode an: In einem ersten Schritt nimmt man ein bereits existierendes Instrument - das multilaterale Abkommen über staatlich Märkte - und dehnt seinen Geltungsbereich auf möglichst viele WTO-Mitglieder aus, bevor man ihn auf alle Mitglieder der Organisation ausweitet.

Das multilaterale Abkommen über die staatlichen Märkte ist '94 geschlossen worden und trat am 1. Januar '96 in Kraft. Alle vierundzwanzig Unterzeichnerstaaten1 sind Industrieländer. Es soll auf jene Staaten ausgeweitet werden, die dem Abkommen noch ablehnend gegenüberstehen und weiterhin einheimischen Unternehmen den Vorzug geben. Das Abkommen lässt nur geringe Spielräume: Es erfasst nicht nur Aufträge für Güter, die von einer Zentralregierung erteilt werden, sondern auch solche für Dienstleistungen, zu denen auch öffentliche Bauaufträge gezählt werden. Ebenfalls unter das Abkommen fallen Aufträge, die von lokalen Körperschaften (Provinzen, Stadtverwaltungen usw.) sowie von staatliche Unternehmen vergeben werden. Die Schwelle, bei der diese Prozeduren zwingend zur Anwendung gelangen, ist sehr niedrig: Für einen von einer Zentralregierung erteilten Auftrag liegt sie bei 176000 Dollar. Hinzu kommt eine Klausel, die das System wasserdicht machen soll: Jeder Mitgliedsstaat soll einen Verfahrensweg schaffen, durch den ein Bewerber um öffentliche Aufträge die getroffenen Entscheidungen anfechten und eine Entschädigung verlangen kann, wenn er sich benachteiligt fühlt.

Hat eine Regierung erst einmal das multilaterale Abkommen unterzeichnet, dann kann sie, wenn sie einen Posten Kugelschreiber kaufen oder einen Staudamm bauen will, die Regeln für die Auftragsvergabe nicht mehr nach eigenem Gutdünken festlegen. Bei der Konferenz in Singapur hat man zu einem Trick gegriffen, um die vollständige Öffnung der staatlichen Märkte auf sanftem Wege durchzusetzen: Die Angelegenheit wurde unter dem Blickwinkel der Korruption diskutiert, die zum großen Problem unserer Zeit hochstilisiert wurde. Dabei ging es vor allem um die Korruption der Regierungen aus der Dritten Welt, gegen die man die Medien und die NGOs mobilisiert hat. Natürlich hat niemand dran erinnert, dass diese Regierungen, wie zum Beispiel in Zaire und Indonesien, oft von den Vereinigten Staate oder den anderen großen Mächten, die sich zum Schulmeister aufgeschwungen haben, an die Macht gebracht und dort gehalten wurden.

Heimliche Weltregierung

Einige Vertreter von Entwicklungsländern haben sich dagegen gewehrt und darauf hingewiesen, dass der amerikanische Kongress noch korrupter sei als ihre eigenen Regierungen. Daraufhin wurde der Begriff "Korruption" durch den der "Transparenz" ersetzt. Ihn findet man nun in der von den Ministern abgegebenen Erklärung, mit der die Arbeitstruppe eingerichtet wurde, die "eine Untersuchung über die Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, unter Berücksichtigung der politischen Gegebenheiten der einzelnen Länder. auf der Grundlage dieser Untersuchung sollen Punkte erarbeitet werden, die später in ein entsprechendes Abkommen einfließen könnten." In dem Masse, in dem eine bedeutende Zahl von neuen Ländern durch verschiedenste Druckmittel "ermutigt" wird - dieser Begriff stammt aus dem WTO-Papier -, das multilaterale Abkommen zu unterzeichnen, muss die Arbeitsgruppe nur noch empfehlen, es auf alle Mitglieder der Organisation auszudehnen.

Eine identische Ausweichstrategie hat man entwickelt, um die vollständige Liberalisierung bei den Investitionen durchzusetzen. Als Instrument diente diesmal der Entwurf eines Multilateralen Abkommens über Investitionen (MAI), das gegenwärtig innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung(OECD) diskutiert wurde. Das MAI nimmt sämtliche Investitionen ins Visier: die direkten in Industrie, Dienstleistungen und Rohstoffe und die indirekten in Wertpapiere. Es sieht Schutzmassnahmen vor allem für die vollständige Rückführung erzielter Gewinne und ein System zur Schlichtung von Streitfällen vor, mit dessen Hilfe ein Staat oder ein Investor sich gegen einen anderen Staat wenden kann. Dies wird, wie bei der WTO, mittels eines Schiedsgerichts geschehen, dessen Entscheidungen für die beteiligten Parteien bindend sind.

Nach der Unterschrift unter das MAI-Abkommen hat ein Staat also keine Kontrollmöglichkeiten mehr über die auf seinem Territorium getätigten Investitionen. Ein ausländischer Konzern könnte dort Unternehmen gründen, Grundstücke kaufen und auf ihnen bauen, was er will, Eigentum und jede Immobilie, die ihm interessiert, erwerben, Rohstolle abbauen usw. Frühere Kolonien haben zum Zeitpunkt ihrer Unabhängigkeit Regeln aufgestellt, mit denen sie ausländische Investitionen von bestimmten Kriterien abhängig machten, einigen Banken und Versicherungen den Zugang zu ihrem Land verwehrten, Partnerschaften und den Transfer von Technologien erzwangen oder die Rückführung von Gewinnen eingeschränkt haben. Diese Regeln würden nun als Investitionshindernisse gelten und von Ad-hoc-Schiedsgerichten sanktioniert werden.

Da man wegen des eintschiedenen Widerstands eines harten Kerns von fünfzehn Ländern des Südens2 bei der Ministerkonferenz in Singapur, Yeo Cheow Tong, der am Nachmittag des Eröffnungstages die Sitzung leitete, und Renato Ruggiero, der Generaldirektor der WTO, eine "informelle" Versammlung einberufen. Bei der WTO ist es wie früher beim GATT: Wenn man von einer informellen Versammlung spricht, dann handelt es sich in Wahrheit um ein Gipfeltreffen von höchster Wichtigkeit.

Die Minister aus dreissig Ländern, die sorgfältig ausgewählt und mehrfach zusammengerufen wurden, legten dann die Tagesordnung und den gesamten Zeitplan für die neuen Themen und für ihre Umsetzung fest. Einige von ihnen wurden in Einzelgesprächen bearbeitet und ohne Mühe dazu überredet, ihre Meinung zu ändern. So wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die "Verbindungen zwischen Handel und Investitionen untersuchen" sollte. Die wachsamsten Länder des Südens konnten nur noch dafür sorgen, dass Schutzklauseln in die Texte aufgenommen wurden. Dazu zählt vor allem jene Klausel, die vorsieht, dass "Verhandlungen über multilaterale Vorschriften in diesen Bereichen erst dann stattfinden, wenn die Mitglieder der WTO dies übereinstimmend und ausdrücklich entschieden haben".

Wie gesagt, bei der WTO ist es wie beim GATT: Eine Arbeitsgruppe wird niemals ohne Hintergedanken eingerichtet. Sie ist starkem Druck aus der WTO-Bürokratie ausgesetzt und bringt einen Prozess in Gang, dem sich die beteiligten Regierungen schon nach kurzer Zeit kaum mehr entziehen können. Schon sehr bald geht es nicht mehr darum, ob man für oder gegen die Ziele ist, die die Arbeitsgruppe behandeln soll, sondern darum, wie diese Ziele erreicht werden können.

In der Zwischenzeit verhandeln die neunundzwanzig Mitglieder der OECD weiter über das MAI-Abkommen. Eigentlich sollte es zur jährlichen Ministerkonferenz am 27. und 28. Mai vorliegen. Zahlreiche Schwierigkeiten haben die Einhaltung des Termins schon jetzt unmöglich gemacht. Hier ist vor allem das Helms-Burton-Gesetz zu nennen: Da die EU aber im vergangenen April ein Abkommen mit den USA geschlossen hat, ist ihre Klage vorerst vertagt worden. Das MAI-Abkommen wird voraussichtlich erst Ende '97 fertig sein. Kein Zweifel gibt es hingegen darüber, dass man dann die Staaten, die nicht zur OECD gehören, mit Nachdruck auffordern wird, dieses Abkommen ebenfalls zu unterzeichnen. Und dies um so mehr, als in einem WTO-Papier gerade zum richtigen Zeitpunkt daran erinnert wird, dass "voraussichtlich 85% der Direktinvestitionen im Ausland aus den OECD-Ländern stammen" und dass " Die Staaten, die das MAI-Abkommen unterzeichen, mit einem stärkeren Investitionsfluss rechnen dürfen". Nach den zwei Jahren, die sich die WTO zugebilligt hat, um die Verbindungen zwischen Handel und Investitionen zu erforschen, dürften die Würfel gefallen sein.

Es geht unvermindert in diesem Tempo voran und wird dem internationalen Handel weiterhin absoluter Vorrag eingeräumt, dann gibt es für die einzelnen Staaten bald nichts mehr zu kontrollieren oder zu schützen: weder Rohstoffe noch das Bildungswesen, noch die Artenvielfalt. Im Auftrag des multinationalen Industrie- und Finanzkonzerne ist die WTO im Gefolge der OECD dabei, den einzelnenStaaten und ihren Bürgern die geringsten Attribute ihrer Souveränität zu rauben. Wäre es nicht an der Zeit, die Schaffung einer faktischen, im verborgenen agierenden Weltregierung zu stoppen?

  1. Die 15 Mitgliedsstaaten der EU, Süd-Korea, USA, Israel, Japan, Norwegen, Aruba, die Schweiz und Honkong (Sept. '96)
  2. Darunter Indien Sri Lanka, Indonesien, Malaysia, Ghana, Tansania, Uganda und Haiti

Aus: LE MONDE DIPLOMATIQUE, Mai '97, von Martin Khor, Wirtschaftswissenschaftler und Direktor des Netzwerkes Dritte Welt in Penang (Malaysia)


Auswirkungen der Handelsliberalisierungsabkommen auf die Nahrungsgrundlagen/Frauen

Globalisierung und Liberalisierung des Weltagrar- und Nahrungshandels

Die historische Übersicht über die Entwicklung der globalen Agrar- und Nahrungspolitik zeigt einen deutlichen Wandel in der Strategie zur Erreichung von Nahrungssicherheit auf. Während in den 60er Jahren die meisten Länder des Südens noch eine Politik der Selbstversorgung in Bezug auf Nahrung verfolgten - die Selbstversorgungsrate bei Getreide betrug noch 96% - fand in den 70er Jahren ein massiver Getreideimport aus Nordamerika in viele Länder Asiens und Afrikas statt. Vor allem die USA suchten so ihre Getreideüberschüsse, die sie durch hohen Einsatz von Chemie und Erdöl erwirtschafteten, profitabel abzusetzen. Zwischen 1969 - 71 verdreifachten sich die Getreideimporte der Entwicklungsländer und ihre Selbstversorgungsrate sank bis 198I auf 91%. Zunehmend wurden die Entwicklungsländer zu Netto-Importeuren von Getreide aus den USA, Australien und aus Europa, die auf diese Weise einen Markt für ihre industrialisierte und kapitalintensive Landwirtschaft schufen. Für die Entwicklungsländer brachte diese Importpolitik zwar kurzfristig eine Lösung bei Versorgungsproblemen, führte aber auch dazu, dass die einheimischen Kleinbauern nicht mehr mit dem billigen Importgetreide konkurrieren konnten, die Landwirtschaft aufgeben und das Land verlassen mussten. Dieses Dumping von Getreideüberschüssen aus den USA und Europa hat vor allem Millionen von Bauernexistenzen ruiniert (Engels 1995, S. 213). Zum anderen führte diese Politik, zusammen mit dem Import teurer Technologie im Rahmen der Grünen Revolution, zu einem stets wachsenden Schuldenberg, den die meisten Länder des Südens bis heute nicht abgetragen haben. Viele dieser Länder wandten sich in ihrer Not an die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds (IWF). Diese jedoch verordneten ihnen als Medizin die berühmt berüchtigten Strukturanpassungsprogramme (SAPs), um die Wirtschaft dieser Länder wieder zu sanieren, sprich: für den globalen, kapitalistischen Markt zu öffnen. Zu diesen SAPs gehört u.a. eine Entwertung der Währung, der Abbau staatlicher Subventionen für die Landwirtschaft, im Sozialbereich, vor allem für Gesundheitsvorsorge, billige Nahrung, Bildungsmassnahmen, die vor allem arme Frauen treffen. Gleichzeitig wurden die Regierungen unter Druck gesetzt jede Art von Protektionismus aufzugeben und ihre Wirtschaften zu öffnen für das freie Schalten und Walten multinationaler Konzerne. Das bedeutete und bedeutet für zahllose Kleinindustrien - wie etwa in Indien die Handweber, die bislang vor internationaler Konkurrenz geschützt waren, den Ruin. Ferner bedeuten die Konditionalitäten der SAPs, dass der Staat sich zunehmend aus der Wirtschaft zurückzieht, Staatsbetriebe privatisiert und allgemein die Markt- und Exportorientierung und die Liberalisierung des Handels fördert. In Indien fasst man die Quintessenz dieser New Economic Policy unter dem Kürzel GLP (Globalisation, Liberalisation, Privatisation) zusammen. Besonders nach dem Zusammenbruch der staatlichen Kommandowirtschaft wird dieser Thatcherismus und GLP weltweit als dieeinzig mögliche Wirtschaftsweise zur Lösung aller Probleme propagiert.

GATT, WTO

1986 wurde diese Politik der Globalisierung, Liberalisierung und Privatisierung durch die Staaten, die das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) - also das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen unterschrieben hatten, in der sogenannten Uruguay Runde weltweit auch auf den Agrarsektor ausgedehnt. Bislang war der Agrarhandel von der Freihandelspolitik ausgenommen worden, um die einheimischen Bauern zu schützen. Die Verhandlungen der Uruguay Runde des GATT dauerten sieben Jahre und fanden 1994 in Marrakesch ihren Abschluss. Damit wurde nun der Agrar- und Nahrungshandel globalisiert und liberalisiert. D h. die Regierungen, die GATT unterschrieben hatten, hatten keine Möglichkeiten mehr, ausländischen Konzernen den Zugang zu ihrem Markt zu verbieten, um die eigenen Bauern oder Verbraucher zu schützen. Die landwirtschaftliche Produktion hatte nicht mehr länger das Hauptziel, die eigene Bevölkerung mit Nahrung zu versorgen, sondern Handelswaren für den Export - je nach internationaler Marktlag - herzustellen. Die Liberalisierung des Agrar- und Nahrungshandels bedeutet ferner, dass große multinationale Konzerne (TNCs, Transnationale companies) ohne Restriktionen auch in anderen Ländern investieren können. Die GATT-Bestimmungen enthalten u.a. auch die Klausel über die Trade-related Intellectual-Property-Rights (TRIPs), also die handelsbezogenen intellektuellen Eigentumsrechte. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich vor allem der Versuch der reichen Industrieländer und ihrer TNCs, freien Zugang zu der genetischen Vielfalt der südlichen Tropenländer und zu dem traditionellen Wissen der dortigen Gemeinschaften über Pflanzen, Tiere, Erde, usw. zu bekommen um dieses Wissen dann zu industrialisieren, zu kommerzialisieren, zu privatisieren und am Ende zu monopolisieren (Shiva 1995). Dies wird möglich gemacht, weil die TRlPs es Forschern und Konzernen im Rahmen von GATT erlauben, bio- oder gentechnisch manipulierte Pflanzen und Tiere zu patentieren. Die Patentierung von Lebensformen war bis vor kurzem noch nicht möglich. Die Folgen für die einheimischen Bauern und Kleinproduzenten wurden in den letzten Jahren u.a. von der indischen Bauernbewegung gegen GATT und die Patentierung der Produkte des Neem Baumes deutlich gemacht. Produkte des Neem-Baumes werden seit Jahrtausenden in Indien zur Desinfektion und Schädlingsbekämpfung verwandt. Das Wissen um die Qualitäten von Neem sind Allgemeingut - Allmende. Als der Amerikaner Larson das Patent auf alle Neem Produkte erwarb und an die Firma W.R. Grace verkaufte hatte er nichts Neues erfunden sondern sich nur das uralte Wissen der indischen Bauern privat angeeignet und vermarktet. Hinfort müssen nun die Inder, die Neemprodukte herstellen wollen, Lizenzgebühren an Larson und W.R. Crace zahlen. Vandana Shiva und Jeremy Rilkin haben mit Erfolg beim US-Patent-Amt gegen diese Bio-Piraterie geklagt (BIJA Nr. 15/16 1996 S. 32). Ähnliche Prozesse laufen bereits auf dem Saatgutsektor ab, wo große TNCs versuchen, weltweit die Kontrolle über Saatgut und alle pflanzengenetischen Ressourcen in ihre Hände zu bekommen. Nach dem Abschluss der GATT-Verhandlungen wurde das ganze Regelwerk im Januar 1995 in die World Trade Organisation (WTO) überführte, die nun den Welthandel von Genf aus nach den oben beschriebenen Freihandelsprinzipien regelt. (...) Die FAO versucht ausdrücklich, das Ziel der universalen Nahrungssicherheit in diesem Rahmen von GATT /WTO zu erreichen. Ich halte es für einen Holzweg, Nahrungssicherheit ausgerechnet von den Institutionen, Interessen und theoretischen Grundannahmen zu erwarten. Universale Nahrungssicherheit ist unmöglich in einer globalen Marktökonomie, die auf der weltweiten Liberalisierung und Deregulierung des Agrar- und Nahrungshandels und auf den neoliberalen Dogmen der komparativen Kostenvorteile der universalen Konkurrenz der Profitmaximierung und des permanenten Wachstums beruht.

Sehen wir uns zunächst einmal an, welche Folgen diese neoliberale und globale Handelsdoktrin bisher für die Armen der Welt hatte. Diese sind, wie bekannt, in der Mehrzahl weiblichen Geschlechts. Die Auswirkungen der Globalisierung auf Frauen in Süden und Norden sind verschiedentlich analysiert und kritisiert worden. So schreibt Veronika Bennholdt Thomsen, dass nicht nur 70% der Armen der Welt Frauen sind, sondern dass die neoliberale Entwicklung auch in Deutschland zu einer Zunahme weiblicher Armut geführt hat. (Bennholdt-Thomsen 1996 a). Was heiss das für Nahrungssicherheit? Die globale Freihandelsdoktrin basiert vor allem auf der von David Ricardo entwickelten Theorie der komparativen Kostenvorteile. Diese Theorie besagt, dass Güter dort produziert werden sollen, wo die natürlichen Bedingungen am günstigsten und die Produktionskosten am geringsten sind. Z.B. sollten die Portugiesen Wein und nicht Textilien produzieren und Engländer Textilien und nicht Wein. Beide Länder könnten dann vom Handel mit diesen Gütern profitieren. Angewandt auf den Handel mit Agrarprodukten und Nahrung im Rahmen von GATT/WTO bedeutet diese Doktrin heute, dass Nahrung dort produziert wird, wo die Löhne am niedrigsten sind - und wo die Umweltgesetzgebung am laxesten ist. Ausserdem bedeutet es, dass die Bauern nicht mehr für die Versorgung der eigenen Bevölkerung produzieren, sondern Produkte für einen externen Markt herstellen, wo höhere Gewinne winken. So wird z.B. in Indien fruchtbares Reisland entlang der Ostküste inzwischen von internationalen Firmen gepachtet oder gekauft, um dort Garnelenfarmen anzulegen. Die Garnelen werden exportiert nach Europa, Japan und die USA und sind inzwischen billig in unseren Supermärkten zu kaufen. Zur Anlage der Garnelen-Bassins muss Meerwasser auf das Land gepumpt werden, was sowohl dieses Land als auch das Trinkwasser versalzt. Zwischen 1990 und 1994 ist der indische Export landwirtschaftlicher Produkte von 1 Billion Rupie auf 12 Billionen Rupies gestiegen. Davon entfielen 2 Billionen Rupies auf den Export von Garnelen. Die ökologischen, ökonomischen und sozialen Kosten dieses Wachstums tragen jedoch, wie Vandana Shiva nachweist, die lokalen Gemeinschaften und vor allem die Frauen. Während die Garnelenexporte in den nationalen und globalen Wachstumsstatistiken auftauchen, bleibt die Zerstörung der Grundlagen der lokalen Nahrungs- und Trinkwasserversorgung unerwähnt. Vor allem die Frauen der Fischer- und Bauerndörfer, die seit eh und je von Reis und Fischen gelebt haben, sehen sich nun ihrer Nahrungsgrundlage beraubt. Sie sind diejenigen, die am aktivsten gegen diese Garnelen-Farmen protestieren. Vandana Shiva zitiert Govindamma aus dem Dorf Kurru:

Zuerst haben sie uns von der Meeresküste vertrieben und wir mussten uns Arbeit auf dem Land suchen. Jetzt bauen sie diese Garnelen-Farmen auf dem Reisland. Dort verlieren wir nun auch unsere Arbeit. Wo sollen wir unser Einkommen verdienen? (Zit. V. Shiva 1995 e) S.14)

Die intensive Garnelenzucht für den Export findet vor allem in den Delta-Gebieten der Ostküste Indiens statt, die besonders für denReisanbau geeignet sind. Heute ist diese Grundlage für lokale Selbstversorgung zerstört. Der finanzielle Zugewinn der durch den Export von Garnelen entsteht kann diesen Verlust niemals kompensieren, denn 1. wird er vor allem privat - vorwiegend von den ausländischen und inländischen Konzernen angeeignet, 2. ist der Lohn der wenigen Leute, die in dieser Industrie Arbeit finden so gering, dass er kaum Nahrungssicherheit im Sinne der FAO gewährleisten kann. Diese billigen Löhne gehören eben zu den komparativen Kostenvorteilen für die Garnelen-Firmen, denn sonst könnten sie ihre Anlagen auch an deutschen oder japanischen Küsten etablieren. Ausserdem werden mehr Arbeitsplätze durch diese Industrie vernichtet als neu geschaffen werden. Und es ist bekannt, dass diese Garnelen-Firmen nur kurze Zeit produktiv arbeiten können, dann werden die Tiere krank und die Firmen müssen sich neue Küstengebiete suchen. Zu den komparativen Kostenvorteilen gehört auch Kinderarbeit, wie das Video « The Violence of the Blue Revolution » belegt. Das Beispiel der Garnelenproduktion könnte ergänzt werden durch die Blumen- und Erdbeerproduktion für den Export in West-lndien wo Land, das bisher für die eigene Nahrungsproduktion zur Verfügung stand, nun für Luxusprodukte verwendet wird - für die bereits übersättigten KonsumentInnen in den Ländern mit hoher Kaufkraft. Die Doktrin der komparativen Kostenvorteile wurde entwickelt, als die Mobilität von Arbeit und Kapital noch durch nationale Grenzen beschränkt war. David Ricardo hat klar gesagt, dass das Kapital absolute und nicht komparative Vorteile suchen würde, wenn es sich frei über alle Grenzen bewegen könnte. Dann haben die nationalen Regierungen und Parlamente keine Möglichkeit mehr, zu verhindern, dass das Kapital statt komparativen Voreilen absolute Vorteile sucht. Heute ist dieser Zustand erreicht.

Und dies geht letztlich auf Kosten der Natur, der Armen, der Kinder und der Frauen. Die Suche nach absoluten Vorteil im Agrar- und Nahrungssektor bedeutet für arme Länder des Südens, dass das Überleben der Bauern und die Nahrungssicherheit der Armen geopfert wird für die Wachstumsinteressen des Kapitals. In Indien, schreibt Vandana Shiva, wurden durch diese exportorientierte Politik die Preise für Reis und Weizen erhöht. Gleichzeitig wurden die armen Bauern in armen Regionen durch den Import von Hirse ihres eigenen Marktes beraubt (Shiva 1995, e) S.13).

Wie soll auf diesem Hintergrund Nahrungssicherheit für alle, vor allem für die ökonomisch Schwächsten, die armen Frauen und Kinder, hergestellt werden? In Bezug auf Indien schreibt Vandana Shiva: "Wenn Nahrung, so wie es die Liberalisierung des Handels verlanglangt, nur noch zu Weltmarktpreisen erhältlich ist, ist Hunger die einzige Gewissheit für die MehrzahlderArmen, die nicht einmal vor den ökonomischen Reformen genug zu essen hatten.... " (Shiva 1995, c S.15) vgl. auch Dillen u. Weber 1995).

Frauen als Konsumentinnen im Norden

In vielen Ländern des Südens sind - wie in Indien - große Widerstandsbewegungen von Bauern, indigenen Völkern und anderen marginalisierten Gruppen gegen die neoliberale Freihandelspolitik im Agrar- und Nahrungssektor entstanden. In vielen dieser Bewegungen spielen Frauen eine entscheidende Rolle. Wie Beispiele aus Indien, Bangladesch, Brasilien zeigen, sind Frauen nicht mehr bereit, die Mythen zu akzeptieren, die die Vertreter des kapitalistischen Patriarchats weltweit verbreiten, nämlich:

Auf der Weltfrauenkonferenz in Beijing wurde von Frauen aus dem Süden, besonders von Landfrauen, dieser Globalisierungspolitik eine klare Absage erteilt. Diese Frauen erkannten, dass sie vor allem die Lasten dieser Produktions- und Konsumtionsweise zu tragen hatten, dass sie zwar Luxusprodukte für VerbraucherInnen in den reichen Industrieländern herstellen, immer länger und härter arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt sichern zu können, dass sich der Staat ausserdem unter dem Druck der Strukturanpassungsprogramme aus seiner Verantwortung für die Ärmsten, besonders die Frauen herausstiehlt, und dass sie dafür nichts als leere Versprechungen über moderne Konsumgüter wie Autos, Fernseher, Waschmaschinen bekommen. Kerstin Lanje zitiert eine Frau aus dem Süden, die ihre Ablehnung dieses Konsummodells ausdrückte: "All what we get is shit, we don't want it" (Lanje 1995 S.17). Ähnlich äusserten sich auch Frauen auf einem von Moema Viezzer organisierten Workshop in Rio, der 1992 im Zusammenhang der UNCED stattfand. Nachdem diese Gummizapferinnen, Fischerinnen, Babacu-Nuss-Zerkleinerinnen, Kleinbäuerinnen, Landarbeiterinnen, städtische Kleinerzeugerinnen sich gegenseitig mit geteilt hatten, was, wie und wofür sie arbeiten, stellten sie gemeinsam fest, dass sie einen ungeheuren Reichtum produzieren, dass sie und ihre Kinder davon nichts haben, dass sie, im Gegenteil, durch die moderne Entwicklung immer ärmer geworden waren, dass ihre Umwelt zerstört wurde, und dass auch die Flucht in die Städte ihnen nur weiteres Elend bescherte.

Deshalb erklärten sie kategorisch:

"Sie (die Frauen) bewegen die Wirtschaft, sind aber nicht anerkannt; sie produzieren im Einklang mit den Naturzyklen, werden jedoch vom Land vertrieben, Frauen erheben ihre Stimmen, weil sie dieses Bild verhindern wollen. Ein Basta dem Wirtschaftsmodell!"

(aus: Rundbrief Subsistenzperspektive Nr 5, April 1994, ITPS, Bielefeld, Am Zwinger 16)

In Brasilien, wie auf der Weltfrauenkonferenz in Beijing, forderten diese Frauen den Erhalt und die Rückkehr zur Subsistenzproduktion, d h die Produktion für den eigenen Bedarf und für lokale Märkte, anstatt für einen anonymen Weltmarkt (Lanje 1995 S. 17). In Rio schlugen sie sogar direkte neue Tauschbeziehungen unter den verschiedenen Produzentinnen vor. Wie aber ist es mit den Frauen im Norden? In den vergangenen Jahren habe ich viele Vorträge vor Frauen und Männern über GATT, TRlPs, Patentierung von Leben usw. gehalten. Dabei habe ich auch über die Widerstandsbewegungen im Süden gesprochen. Immer wieder musste ich feststellen, dass hierzulande das Wissen über GATT/WTO und die weltweite Politik der Globalisierung und Liberalisierung kaum vorhanden war. Das Bauernsterben in der EU, besonders in Deutschland, hat die städtischen KonsumentInnen kaum interessiert, denn die Supermärkte wurden voller und voller von relativ billigen Nahrungsmitteln aus aller Herren (und Damen) Länder. Die Fast-Food-Ketten und die moderne Technologie erleichterten in vielen Frauen die Kocharbeit, so dass sie Erwerbsarbeit und Hausarbeit eher kombinieren können. Kein Wunder, dass viele daher die Propaganda der Politiker und Wirtschaftsbosse für bare Münze nehmen und glauben, dass die Globalisierung des Agrarhandels alle Lebensmittel billiger machen würde und daher eine gute Sache sei. Doch nicht nur die Industrie und ihre politischen Interessenvertreter propagieren die Globalisierung, sondern auch die vom Norden dominierte Internationale Organisation von Konsumenten - Vereinigungen, die bei den Verhandlungen über Nahrungssicherheit die Interessen der Verbraucherlnnen vertreten, haben die Liberalisierung und Globalisierung des Agrarhandels begrüsst, weil dies den KonsumentInnen billigere Lebensmittel bringen würde (Shiva 1995, S. 13). (...) Die Frage, die sich heute deutlicher denn je stellt, ist aber nach einer möglichen Interessenharmonie - oder zumindest - annäherung zwischen Frauen im Norden und Frauen im Süden, zwischen Konsumentinnen und Produzentinnen von Nahrung. Es ist klar, dass die GLP-Politik eine tiefe Spaltung, einen tiefen strukturellen Interessenskonflikt zwischen diesen beiden Kategorien von Frauen aufreisst. Die einen, die Konsumentinnen in den reichen Ländern, bekommen billigere Nahrung, während der Mehrzahl der Frauen in den armen Ländern die Lebensgrundlage entzogen wird. Kein Wunder also, könnte man sagen, dass Frauen im Norden kaum gegen diese Globalisierungspolitik protestieren - Scheint sie doch in ihrem Interesse zu sein.

Ist sie es wirklich? Ist das Bild, das uns Wirtschaftler, Politiker und die internationalen Institutionen wie WB/IMF, GATT/WTO, UNO vorgaukeln wirklichkeitsgetreu und erfasst es alle Dimensionen unserer Wirklichkeit? Sehen wir etwas genauer hin. Natürlich verhungern im Norden nicht so viele Menschen wie im Süden - doch wie ist es mit derNahrungssicherheit der Konsumentlnnen in den reichen Ländern und Klassen bestellt? Wenn wir einmal absehen von der polarisierten Struktur des Welthandels, die den einen Überkonsum und Überfettung beschert, weil sie anderen das Lebensnotwendige wegnimmt, wenn wir uns nur einmal fragen, ob Nahrungssicherheit, qualitativ verstanden, denn wenigstens in den reichen Ländern erreicht wurde, dann stellen wir fest, dass selbst diejenigen, die oberflächlich gesprochen, zu den Gewinnerinnen dieser kolonialen Ausbeutungswirtschaft gehören, im Endeffekt auch Verliererinnen sind. Hier meine ich nicht nur die Tatsache, dass Überkonsum zu Gesundheitsschäden aller Art führt, sondern spezieller die Frage nach der Qualität der Nahrung, die wir in unseren Supermärkten vorfinden. Können die Hausfrauen in den reichen Ländern und Klassen heute noch garantieren, dass sie ihren Familien gesunde Nahrung auf den Tisch stellen? Wissen sie überhaupt noch, was in der Nahrung, die sie kaufen, alles enthalten ist? Wissen sie, wo und unter welchen Umständen die Nahrung hergestellt wurde? Sie haben zwar die Wahl, unter tausend schön verpackten Produkten aus dem globalen Supermarkt, aber Nahrungssicherheit in einem qualitativen Sinn, oder im Sinne des Menschenrechts, dass wir wissen wollen, was wir essen, haben sie nicht. Dieses wird besonders deutlich am BSE-Skandal und an der Frage der Gentechnik in der Nahrung.

Auszug aus dem Beitrag "Frauen, Nahrung und globaler Handel", entnommen dem Schwarzen Faden 3/97. Die eingangs erwähnte "historische Übersicht über die Entwicklung der globalen Agrar- und Nahrungsmittelpolitik" kann im selbigen Artikel nachgelesen werden.


Einige Grundbegriffe

Zölle

Zölle (engl.: tariffs) sind Abgaben, die ein Staat an seiner Grenze auf Einfuhren (Importzölle), Ausfuhren (Exportzölle) oder auf durch sein Gebiet transportierte Güter (Transitzölle) erhebt. Es gibt verschiedene Zollzwecke: Finanzzölle dienen der Finanzierung eines (Staats-)Haushalts, Schutzzölle verteuern Einfuhren, um die heimische Wirtschaft vor Konkurrenz zu schützen; Antidumpingzölle werden auf Importe erhoben, die durch Subventionen des exportierenden Staates unter Preis ausgeführt werden und damit den Wettbewerb verzerren - daher heissen sie auch Ausgleichszölle.

Man unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Zollarten: Wertzölle bemessen sich in einem bestimmten Prozentsatz vom Warenwert, spezifische Zölle (bzw. Stückzölle) dagegen nach Einheiten(Gewicht, Volumen, Länge). Eine Verbindung aus beiden sind die sogenannten Mischzölle: Sie sichern einen bestimmten Mindestpreis - beispielsweise: x Prozent des Warenwertes, mindestens jedoch y DM pro Tonne. Gründen Staaten eine Freihandelszone, schaffen sie die Zölle für den Handel untereinander ab; man spricht hier vom Abbau der Binnenzölle. Die Mitglieder einer Zollunion erheben gegenüber Importen aus Drittstaaten darüber hinaus gleich hohe Aussenzölle.

Nicht-Tarifäre Handelshemmnisse

Alle neben Zöllen bestehenden Restriktionen für den Austausch von Waren und Dienstleistungen sind nicht-tarifäre Handelshemmnisse. Sie können vielfältiger Natur sein; unter anderem gehören dazu: quantitative Restriktionen (Kontingente, Einfuhrlizenzen, Importquoten), preiserhöhende Massnahmen (Zuschläge, Sonderabgaben), administrative Massnahmen (Normen, Ursprungszeugnisse, Vorschriften für den Umwelt- und Verbraucherschutz), Subventionen und andere staatliche Beihilfen (Steuervergünstigungen, Exportbürgschaften). Ein nicht-tarifäres Handelshemmnis ist auch das absichtliche Abwerten oder Unterbewerten der eigenen Währung, um die Exporte zu verbilligen, Importe hingegen zu verteuern. Die strengste Massnahme, die ein Staat ergreifen kann, stellt das Verbot von Exporten (Embargo) oder Importen (Boykott) dar.

Freihandelszone:

Ihre Teilnehmer verlangen untereinander keine Zölle und schaffen die nicht-tarifären Handelshemmnisse ab. Sie erheben jedoch weiterhin eigene Aussenzölle für Importe aus Staaten, die der Zone nicht angehören. Beispiel: Europäische Freihandelszone (EFTA).

Zollunion:

Im Innern gilt Freihandel, gegenüber Im-/Exporten aus Drittstaaten wird jedoch ein gemeinsamer Aussenzoll erhoben. Kleinststaaten bilden häufig eine Zollunion mit Nachbarstaaten; in der Regel haben sie dann auch eine gemeinsame Währung. Beispiele: Liechtenstein-Schweiz, San Marino-Italien, Monaco Frankreich.

Gemeinsamer Markt (bzw. Binnenmarkt):

Die Beteiligten gewähren sich gegenseitig nicht nur den freien Handel von Gütern (bei gemeinsamen Aussenzöllen), sondern zudem den ungehinderten Verkehr von Personen, Dienstleistungen und Kapital ("vier Freiheiten"). Beispiel: Europäische Union.

Wirtschaftsunion:

Sie ist die höchste ökonomische Integrationsstufe. Ihre Mitglieder sind über einen Binnenmarkt und darüber hinaus durch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik aufs engste miteinander verflochten. Kommt auch noch eine gemeinsame Währung hinzu (Währungsunion), handelt es sich zusätzlich um eine monetäre Integration. Beispiel: die geplante Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU).

Freie Produktionszonen

Beim Flughafen Shannon in Dublin/Irland entstand 1960 die erste Freie Produktionszone (FPZ). Seit Mitte der sechziger Jahre weisen vornehmlich Entwicklungsländer solche Zonen aus. FPZ sind räumlich eingegrenzte Gebiete innerhalb eines Landes, in denen ausländische Unternehmen in erster Linie für den Export produzieren (Lohnfertigung) und erhebliche steuerliche und finanzielle Vergünstigungen genießen. Sie können in der Regel Rohstoffe zollfrei einführen, ihre Gewinne ungehindert ins Stammland des Unternehmens transferieren und die Infrastruktur vor Ort zu sehr niedrigen oder gar keinen Kosten nutzen. Vor allem Firmen der arbeitsintensiven Textil-, Bekleidungs- sowie Elektronikbranche siedeln sich bevorzugt in Freien Produktionszonen an. Die Beschäftigten - darunter überdurchschnittlich viele Frauen - arbeiten zu Niedrigstlöhnen und oft nur in befristeten Verhältnissen. Nach Angaben des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG) sind in FPZ staatliche Arbeits- und Sozialgesetze weitgehend ausser Kraft gesetzt und gewerkschaftliche Betätigungen nicht erlaubt. Die Bezeichnung für FPZ variiert. Die IAO listet 19 verschiedene Synonyme auf, unter anderem: Aussenhandelszone, Zollfreie Produktionszone, Sonderwirtschaftszone, Industrielle Freizone und Freie Exportzone. Nach Angaben des IBFG waren 1996 weltweit zirka 4,5 Millionen Menschen in etwa 500 FPZ beschäftigt. Nicht mitgerechnet sind hier die 14 bis 40 Millionen Beschäftigten in den etwa 2000 Sonderwirtschaftszonen Chinas.

Aus: Internationale Organisationen, Stichwort Spezial, erschienen im Heyne Verlag


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