Der Freitag 28.5.99
Peter Nowak, Berlin
"Wenn Du kommst um uns zu helfen, kannst Du gleich nach Hause gehen. Wenn Du kommst Du meinen Kampf unterstützt, kannst Du mit uns kommen."
Unter diesen selbstbewussten Motto werden ab Ende Mai 500 indische Bauern und Bäuerinnen einen Monat lang durch verschiedene Länder Westeuropas touren. Der Höhepunkt wird ihr Auftreten beim Treffen der Europäischen Union am 3.6 und beim Weltwirtschaftsgipfel (WWG) am 19.6. in Köln sein.
Ihre Botschaft ist eindeutig und wird nicht überall auf Zustimmung stoßen. "Die Folgen der fatalen Politik des Nordens haben wir zu tragen. Wir kommen zu Euch, um Euch mit damit vertraut zu machen."
"Wir wollen Euch aus erster Hand eine Vorstellung davon vermitteln, welche Auswirkungen diese Institutionen auf uns haben und wie sie unser Leben zerstören"; schreibt Professor Nanjudaswamy. Trotz seines Akademikertitels lebt er in einem einfachen Bauernhaus und verdient seinen Lebensunterhalt als Landwirt. Nanjudaswamy ist Sprecher der KRRS, der Bauernorganisation des südindischen Bundesstaates Karnataka. In dieser überwiegend agrarisch geprägten indischen Provinz hat in den letzten Jahren eine sprunghafte Politisierung eingesetzt.
Mit über 10 Millionen Mitgliedern wurde die KRRS zur stärksten außerparlamentarischen Organisation des indischen Subkontinents.. Ihre Popularität bezieht sie nicht aus dem vom indischen Staatsgründer Mahatma Gandhi konzipierten Dorfmodell. Seit Jahren initiiert sie Proteste gegen Biotechnologie und die Liberalisierung des Welthandels. Schon gegen den WTO-Vorgänger General Agreement of Trade and Tarifs (GATT) mobilisierte sie Zigtausende. Heute ist ihr Hauptangriffspunkt der US-amerikanische Saatgutkonzern Monsanto. Der hat sich im Mai 1998 bei Indiens größten Saatguthersteller Mahyco eingekauft. Mit Anzeigen in den größten indischen Tageszeitungen versuchte der Konzern eine Good-Will-Tour: "Monsanto versichert, nur Technologie nach Indien zu bringen, die die Wahlfreiheit und die Möglichkeiten der Farmer erweitern"; heißt es dort beruhigend.
Doch die betroffenen Bauern sind nicht die Adressaten dieser Botschaften. Die wenigsten können lesen und haben auch noch das Geld zum Kauf einer Zeitung. Für sie wären die Mitteilungen aus dem Hause Monsanto purer Zynismus. Denn die Realität sieht anders aus, wie Professor Chary vom Centre of World Solidarity (CWS) im Interview mit der Berliner Partnerorganisation Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (AWS) berichtet: "Was die Bauern so aufbringt, ist die Vermutung , dass ihnen mit der Einführung der insektenresistenten Baumwolle die Kontrolle über das Saatgut noch rascher als ohnehin schon aus der Hand gleiten wird." Zunehmend machen Missernten den Landwirten zu schaffen. Mehr und mehr überstehen die gefräßigen Insekten die chemischen Mitteln und auf natürliche Feinde kann auch nicht mehr zurückgegriffen werden. Die wurden mittlerweile ausgerottet. Viele Kleinbauern sind daher bei den Saatguthändlern und Pestizidhändlern extrem verschuldet und stehen vor dem wirtschaftlichen Ruin. Mehrere Selbstmordwellen überschuldeter indischer Bauern, zuletzt in der Erntesaison 1997/98, haben auch in der europäischen Presse für kurze Zeit für Schlagzeilen gesorgt. "Jetzt geht bei den Bauern die Furcht um, dass ihnen Monsantos sprichwörtlich das Genick bricht;" erklärt Professor Chary. Aus diesen Mut der Verzweiflung ist auch der immense Widerstandswillen der Farmer zu erklären. 1992 startete der KRRS seine "Saatgut Satyagraha", eine an Gandhi angelehntes Konzept des zivilen Ungehorsams, bei der jegliche Verletzung von Menschen strikt ausgeschlossen wird. Immer wieder wurden Büros von Saatgutkonzernen und die Filialen der Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken besetzt. Mehrere Wissenschaftlertagungen durch Bauernproteste behindert. Ende letzten Jahres verschärften sich die Proteste noch einmal und zeigten erste Erfolge. Am 28. November 1998 wurde ein Feld in Brand gesetzt, auf dem Monsanto Feldversuche mit genetisch manipulierten Saatgut durchführte. Zwei Tage später stürmten Aktivisten der Bauernbewegung das Bürogebäude von Monsanto in Hyderabad. Daraufhin musste der Konzern die Versuche in dem Bundesstaat abbrechen.
Doch den indischen Widerständlern ist bewusst, dass dauerhafte Erfolge gegen einen Weltkonzern wie Monsanto nur durch internationale Zusammenarbeit möglich sein wir. Im Februar 1998 haben sie sich mit der brasilianischen Landlosenbewegung MST, den mexikanischen Zapatisten, der nigerianischen Ogonibewegung MOSOP und kleineren Gruppen aus Asien und Amerika zum Bündnis "Peoples Global Action" (PGO) zusammengeschlossen. Es soll eine Plattform bieten, auf der möglichst viele Menschen zu praktischen Aktionen gegen den Freihandel und die WTO zusammengebracht werden sollen. Es gibt keine Organisation und folglich auch kein Programm. Bei der Gründungskonferenz in Genf wurde ein Koordinationskomitee gewählt, dass die unterschiedlichen Aktionen vernetzen soll.
Ohne die Initiative der Zapatistas wäre PGO nicht entstanden. Sie haben auf internationalen Treffen in Chiapas und in Spanien die Idee der Vernetzung vorangetrieben. Doch eine zapatistische Internationale, die Spötter schon erkennen wollten, wird das PGO nicht werden. Die Grundsätze der Basisdemokratie und der Eigenverantwortlichkeit lassen das nicht zu.
In Deutschland ist es ein bunter Haufen von Landkommunen, alternativen Christen und Internationalisten, die sich auf die PGO beziehen. Zur Zeit sind sie mit der Bereitstellung der Infrastruktur für die internationale Karawane vollständig ausgelastet. Mitorganisator Mirco bleibt selbstkritisch: "Am Anfang nannten die indischen Organisatoren und die europäischen Koordinatoren die Karawane nur TCP - Total Grazy Project. Jetzt sind selbst erstaunt, dass es scheinbar zustande kommen wird." Nur noch die Visaverweigerung kann die Karawane behindern. Die Mauern, die die Schengenländer gezogen haben, sind für indische Staatsbürger sehr hoch.
Als eine völlig neue Form der internationalen Zusammenarbeit bezeichnet Mitkoordinatorin Inga das Projekt. Differenzen und Auseinandersetzungen sind schon einprogrammiert und sogar erwünscht. "Wenn man sich wirklich mit den unterschiedlichen Lebensrealitäten und Konzepten auseinandersetzt und nicht nur kritiklose Solidarität übt, ist Streit gar nicht zu vermeiden". Diese Schlussfolgerung haben die Karawanevorbereiter aus den Fallstricken der bisherigen Solidaritätsarbeit gezogen. Auseinandersetzungen gab es schon im Vorfeld.
So bezeichnete die bekannte indische Ökofeministin Vandana Shiva die Karawane als bezahlte Handlanger der Saatgutindustrie. Das habe zu großen Irritationen unter den europäischen Unterstützern geführt. Doch man habe sich überzeugt, dass es um persönliche Animositäten zwischen der prominenten Professorin Shiva und den Bauern, die für sich selber sprechen wollen, handelte. Die Reisekosten für die Karawane werden über Spenden und Geldsammlungen in den Dörfern aufgebracht. Die Frage, ob die Gelder nicht sinnvoller für Projekte in Indien ausgegeben werden könnten, lässt Mitkoordinatorin Inga nicht gelten. "Es ist der Wunsch der Bauern nach Europa zu kommen. Schließlich stammt Karawanenidee aus Indien." Ob ihre Erwartungen am Ende nicht enttäuscht werden, kann nur nach der Aktion festgestellt werden."
Die Karawaneteilnehmer sind noch voller Optimismus.
"Im Süden ist die Dringlichkeit einer radikalen Veränderung offensichtlich. Wir hoffen, dass unser Projekt dieses Bewusstsein in die europäischen Öffentlichkeit verbreitern hilft"; schreiben sie in einen Brief an die europäischen Freunde.