Frankfurter Rundschau, 04.06.1999
Heike Kleffner (Berlin)
Fröstelnd steht der 25jährige Niranjan Kumar auf dem Gemüsefeld des Demeter-Hofs von Frank Thum in der 600-Seelen-Gemeinde Eggersdorf. Der junge Bauer aus dem indischen Bundesstaat Andhra Pradesch diskutiert mit dem 30jährigen Gartenbau-Diplomingenieur aus Erfurt, der auf dem 140 Hektar großen Hof "Apfeltraum" in Brandenburg die Prinzipien der biologisch-dynamischen Landwirtschaft praktisch umzusetzen versucht. Die beiden kennen sich kaum, aber sie haben ein gemeinsames Thema: alternative Schädlingsbekämpfungsmethoden.
Sie beugen sich über eine Ringelblume inmitten eines Mischbeets aus Kohlrabi und Fenchel. "Die Ringelblume zieht die freundlichen Insekten an, die wir zur Schädlingsbekämpfung brauchen", sagt Frank Thum langsam auf deutsch. Dann zeigt er auf die orangenfarbene Blüte, macht eine rudernde Handbewegung und sagt: "Home for friendly insects" und "no Pestizide". Niranjan Kumar nickt. Das Wort Pestizid ist ein internationaler Begriff, dem indischen Bauern mit dem knapp zwölf Hektar großen Familienhof genauso geläufig wie dem brandenburgischen Biolandwirt.
Auch wenn die Verständigung zwischen den Männern in der für beide fremden englischen Sprache mühsam ist: Gemeinsamkeiten finden sie bei dem zweistündigen Besuch im "Apfeltraum" schnell. Doch Niranjan Kumar ist nicht nur nach Deutschland gekommen, um sich über umweltschonende Anbaumethoden zu informieren. Seit einigen Jahren ist er in dem mit zehn Millionen Mitgliedern größten indischen Bauernverband KRRS aktiv, der sich im vergangenen Jahr dem Netzwerk "Peoples Global Action" angeschlossen hat. Hier ist die brasilianische Landlosenbewegung ebenso vertreten wie die französischen Arbeitslosen, Ogoni aus Nigeria und die Zapatistische Befreiungsarmee aus Mexiko.
Zum Weltwirtschaftsgipfel in Köln am 19. Juni wollen die Mitglieder des "Peoples Global Action"-Netzwerkes mit einer internationalen Karawane auf die Auswirkungen der Welthandelsabkommen in ihren Ländern aufmerksam machen. So hat sich Niranjan Kumar vor zwei Wochen vom Hof der Familie in die Hauptstadt Delhi aufgemacht, um von dort aus mit 400 anderen indischen Bauern und Bäuerinnen nach Europa zu fliegen. Sein Hauptanliegen: "Wir wollen die Menschen in den Industriestaaten darüber aufklären, daß die indische Landwirtschaft gerade zum Experimentierfeld für gentechnisch manipuliertes Saatgut wird."
In jedem Dorf seines Bundesstaates gebe es mittlerweile Versuchsfelder mit gentechnisch veränderten Baumwollsamen des US-amerikanischen Agrarmultis Monsanto, berichtet der 25jährige. Das Saatgut sei nicht nur resistent gegen den Baumwollwurm, sondern es sei auch steril. Werde es wie geplant vermarktet, könnten die Bauern nicht mehr einen Teil der Ernte zur Wiederaussaat zurückbehalten.
Statt dessen müßten sie neues Saatgut von Monsanto kaufen und verschuldeten sich weiter. Schon mehrfach hat die indische Bauernbewegung gegen die Feldversuche protestiert. "Aber es reicht nicht, wenn die Proteste auf Indien beschränkt bleiben", resümiert der junge Mann mit dem leuchtend grünen Schal, dem Erkennungszeichen der Bauernbewegung. Höhepunkt der Europareise sind für ihn deshalb die Demonstrationen gegen den Weltwirtschaftsgipfel.