Neue Zürcher Zeitung, 22.05.1999
Umstrittene Rolle des Initiators in Indien
Am Samstag kommen 400 indische Bauern nach Deutschland. Sie sind der Kern einer "Interkontinentalen Bauernkarawane", die nach Genf an den Sitz der WTO reist, bevor sie am Weltwirtschaftsgipfel von Köln demonstrieren will. In Indien ist der Organisator der Kampagne inzwischen unter Beschuss geraten.
By. Delhi, 21. Mai "Sehe ich gewalttätig aus?" fragt Professor Nanjunda Swamy mit einem milden Lächeln. Nein, das tut er wirklich nicht, und man hat Mühe, den 63jährigen hageren Mann - Brille, hohe Stirn, dichtes Nackenhaar - mit den Übeltätern in Verbindung zu bringen, die ihn berühmt gemacht haben, indem sie Fabriken anzündeten, Restaurants demolierten, Baumwollernten zerstörten. Und wenn er von seiner bevorstehenden Reise nach Europa spricht, wo 400 Mitglieder seiner Bauerngewerkschaft KRRS an der Kampagne gegen Globalisierung, Multis und WTO teilnehmen werden, dann klingt der Professor wie ein Schüler Gandhis: "Der Norden und der Süden sind wie siamesische Zwillinge. Wir leben in einer Welt und sind aufeinander angewiesen."
Doch die globale Solidarität ist auch ein Kampfmittel gegen eine andere globale Bewegung - den "Monokultur-Kapitalismus" der Agrarkonzerne. "Globalisierung muss global bekämpft werden", sagt Swamy. Für ihn ist die heutige Abhängigkeit der Landwirtschaft von der Chemie nicht ein Weg zu Ertragssteigerungen, sondern ein Mittel der Multis, die landwirtschaftlichen Systeme der Welt unter ihre Kontrolle zu bringen.
Latente Ökokatastrophe
Gegen eine solche Bedrohung darf auch Gandhis Methode der Gewaltlosigkeit etwas gestreckt werden. "Gandhi verbot, Züge mit englischen Soldaten an Bord in die Luft zu sprengen. Aber er sagte nichts gegen Güterzüge", meint Swamy. Niemand starb, fügt er hinzu, als KRRS-Aktivisten die Fabrik von Cargill oder Kentucky-Fried-Chicken-Restaurants angriffen. Über die Sachschäden sieht er großzügig hinweg. Doch so rabiat der Eiferer dabei jeweils auftrat, so rasch liess er sich dann besänftigen.
Dies brachte dem selbsternannten Professor den Ruf eines Kuriosums statt eines Revolutionärs ein. Und es gab Gerüchten Auftrieb, dass er jeweils nicht Nein sagt, wenn die Gegner sich ihren Frieden "erkaufen" wollen. Letztes Jahr sah der streitbare Bauernführer neuen Handlungsbedarf. MM Biotech, ein Joint venture zwischen der indischen Saatgutfirma Mahyco und Monsanto, begann im Juni 1998 unter behördlicher Aufsicht mit 25 Feldversuchen. Getestet wurde ein Baumwollsamen namens Bt-Bollgard, in den ein Gen des Bacillus thuringiensis gegen die berüchtigte Bollwurm-Pest eingepflanzt war.
Die Notwendigkeit von Experimenten mit transgenen Pflanzen ist vor allem bei der Baumwolle nicht von der Hand zu weisen. Nach Ansicht von Experten ist der indische Baumwollanbau eine latente Ökokatastrophe. Der Pestizidverbrauch Indiens macht inzwischen die Hälfte des weltweiten Verbrauchs aus. 45 Prozent davon landen auf den indischen Baumwollfeldern, wo der durchschnittliche Ertrag inzwischen auf 350 Kilogramm pro Hektare gesunken ist (Weltdurchschnitt: 552 Kilogramm pro Hektare) - trotz gleichzeitiger chemischer Intensivdüngung. Allein in Karnataka absorbiert die Baumwollpflanze fünfzig Prozent der chemischen Schädlingsbekämpfung, obwohl nur auf fünf Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Baumwolle wächst.
Vereinzelt haben indische Baumwollfirmen, unterstützt von ökologisch bewussten Abnehmern im Westen, begonnen, sich gegen diesen Raubbau zu wehren. Der Anbau mit ausschliesslich organischem Dünger und die Pflege mit natürlichen Pestiziden erreicht zwar nur langsam industrielle Dimensionen. Doch der Erfolg, gemessen am Ertrag und der Häufigkeit von Erkrankungen der Felder, zeigt, dass viele Bauern sich allmählich aus dem Zangengriff von Pestizid- und Düngerlieferanten lösen und ihre Felder umzustellen beginnen.
Ein Beispiel ist die Firma Maikaal, ein Joint venture mit dem schweizerischen Garnhändler Remei, die in Madhya Pradesh Bio- Baumwolle namens "BioRe" anbaut. Maikaal, unter anderem Lieferantin für Coop-Natura-Produkte, konnte im letzten Jahr die Anmeldungen von Bauern nicht mehr bewältigen, die sich am Projekt beteiligen wollten.
Biotechnologie als Antwort
Doch diese langsam wachsende Bewegung vermag in kurzer Zeit keine großräumigen Veränderungen herzustellen, nicht zuletzt weil die Chemieindustrie und das eingespielte Netz von Handel und Banken gegenläufige Interessen haben. Ähnlich wie bei genveränderten Samen für Nahrungsmittel bietet sich die Biotechnologie daher zumindest als kurzfristiges Mittel an, um der grassierenden Krankheiten Herr zu werden und den Ertrag zu steigern.
Auch hier sind es allerdings ausländische Unternehmen, die einen Forschungsvorsprung haben, den sie in der neuen WTO-Handelsrunde ausnützen wollen. Nanjunda Swamy und die "Öko-Feministin" Vandana Shiva sehen darin allerdings nicht die Lösung, sondern den Grund für alle Übel: "Freihandel in der Landwirtschaft ist ein Rezept für Hunger und Bauern-Suizid", meinte Shiva kürzlich bei einer Kundgebung.
Auch Wissenschafter machen Einwände gegen die neuen Baumwollsamen Bt-Bollgard. "Es ist wie bei Medikamenten mit ihren Nebenwirkungen", meinte etwa Lakshmi Sita, eine Professorin im Institut für Mikrobiologie am Indian Institute of Science in Bangalore über genetische Modifikationen bei Pflanzen. Risiken sind vorhanden, doch es gilt, sie abzuwägen. "Es ist eine Frage des “Trade-off”", pflichtet ihr der Kollege G. Padmanaban bei. "In Indien wird sich die Bevölkerung in den nächsten fünfzig Jahren verdoppeln. Wir müssen etwas tun, weil die Ertragssteigerungen der Grünen Revolution mit ihren Hybridsamen einen Plafond erreicht haben, der nur noch mit immer mehr Chemie aufrechterhalten werden kann."
Dies war auch das Motiv für Mahyco, sich mit Monsanto zu verbinden. B. R. Barwale, der als "Barfussbauer" anfing und Mahyco zur grössten indischen Saatgutfirma gemacht hat, fordert "eine neue, schonende Revolution, welche die Pflanzen gegen Krankheiten resistent macht und ihren Nährwert erhöht". Für seine Leistungen als Pionier der indischen Saatgutindustrie ist Barwale im letzten Oktober - als erster Geschäftsmann überhaupt - mit dem "World Food Prize" der FAO ausgezeichnet worden.
"Monsanto kremieren!"
Für Nanjunda Swamy ist das Joint venture zwischen Mahyco und Monsanto Teil eines neuen "Agrokolonialismus", gegen den er auf die Barrikaden geht. "Monsanto kremieren!" lautete der Kampfruf, als der Bauernführer am 25. November 1998 die Regierung von Karnataka ultimativ aufforderte, die Feldversuche der MM Biotech innert 24 Stunden zu verbieten. Gleichzeitig wiederholte er das Gerücht, unter dem Vorwand der Baumwollversuche werde mit "Terminator"- Samen experimentiert.
Die bevorstehende Einführung dieser infertilen Samen, die nur für eine Aussaat wirksam sind, werde die Bauern zu "Kaufsklaven" machen. Monsanto und Mahyco traten diesen Gerüchten entschieden entgegen und stellten klar, dass die Firma Delta & Pine, welche für das T-Gen ein amerikanisches Patent angemeldet hatte, gar nicht zur Monsanto- Gruppe gehöre. Zudem sei Bt-Bollgard bereits in den USA, in Australien, Mexiko und China im kommerziellen Verkehr. Die Gerüchtesaat ging dennoch auf. Nach Verstreichen des Ultimatums konnte Swamy ungestraft seine Aktivisten in Marsch setzen: Im Norden Karnatakas wurde eine Reihe von Baumwollfeldern eingeäschert.
Die betroffenen Bauern beklagten sich bitter über die rabiaten Methoden des KRRS. Auch die nationale Presse, wie überall auf der Welt gegenüber biotechnologischen Neuerungen zwiespältig eingestellt, sah sich nun gezwungen, Stellung zu beziehen. Die Tageszeitung "The Hindu" warf dem KRRS-Führer Heuchelei und undemokratische Methoden vor: "Eine Aktion einiger hundert Aktivisten und einiger tausend städtischer Sympathisanten wird Hunderttausende von Baumwollbauern daran hindern, verbesserte Technologien zu erwerben". Dahinter verberge sich ein Bild des Bauern, das diesen als rückständige und hilflose Kreatur karikiere, die man vor der Versklavung durch die Technologie retten müsse. "In Wahrheit ist auch der indische Bauer experimentierfreudig, und er muss es sein, wenn er überleben will."
Touristenbauern?
Noch schärfer reagierten die Bauernverbände. Sharad Joshi, der einer Bauerngewerkschaft in Maharashtra vorsteht, warf der KRRS vor, für sie sei jede technische Neuerung schlecht. Dies sei besonders im jetzigen Augenblick fatal, wenn viele Bauern nach den Missernte von 1998 nach Alternativen suchten. Die Armut komme nicht von den Hybridsamen, sondern von den Eingriffen der Regierung in die Märkte, die es den Bauern verbiete, die Preise zu fordern, die ihnen auf dem offenen Markt bezahlt würden, erklärte er der Zeitung "Business Line". Er sieht im KRRS eine Organisation, die "glücklicherweise nur in zwei Gliedstaaten aktiv ist, während die Bauernorganisationen in vierzehn Staaten eine andere Meinung haben".
Für Swamys "Interkontinentale Karawane" mit seinen "Touristenbauern" hat Joshi nur wenig übrig: "Die Kampagne ist so absurd, dass selbst die Leichtgläubigen Probleme damit haben." Er geht so weit zu behaupten, hinter den "Touristenbauern" stehe die Pestizidindustrie, die nach den erfolgreich verlaufenen Baumwoll-Versuchen ein Zwei-Milliarden-Dollar- Geschäft verlieren könnte. Da unterschätzt Joshi allerdings die Weitsicht der Chemieindustrie. Zu den Firmen, gegen welche die Bauern demonstrieren wollen, gehört auch Novartis. Doch der Basler Konzern ist nicht nur ein Pestizidfabrikant, er steht auch an vorderster Front bei der Entwicklung genmanipulierter und pestizidfeindlicher Samen.