Wochenzeitung Schweiz - 28.5.98
Joseph Keve, Bangalore
Vor elf Jahren hat es Gopal Gowda wissen wollen. Die Botschaft klang ja auch zu verlockend: Mit etwas chemischem Dünger könne er seine Kardamomernte glatt verdoppeln, hatte ihm die Fernsehwerbung versprochen. Bauer Gowda, dessen Familie seit Generationen auf ein paar Hektaren Reis, Gemüse, Obst für den Eigenbedarf und Kardamom, Kokos- und Betelnüsse für den Verkauf anbaut, investierte 8000 Rupien (rund 260 Franken). Statt der Superernte, die ihm in Aussicht gestellt worden war, zerstörte jedoch ein neuer Pilz die gesamte Kardamomernte. Gowda sprach lange mit den anderen Bauern des Dorfes, das 67 Kilometer von Karnatakas Hauptstadt Bangalore entfernt liegt, und kontaktierte anschließend die KRRS-Gruppe im Nachbardorf. Heute ist er ein strikter Befürworter traditioneller Saat- und Anbaumethoden und Mitglied des KRRS. Karnataka Rajya Ryota Sangha (KRRS), der Bauernverband des indischen Bundesstaates Karnataka, ist mit über zehn Millionen Mitgliedern eine der grössten und militantesten Volksbewegungen Indiens. Die Organisation wurde im Jahre 1980 gegründet und machte sich vor allem durch ihre Aktionen gegen multinationale Konzerne einen Namen. Wichtiger und folgenreicher aber ist die tägliche Arbeit der KRRS-AktivistInnen, die das Ziel einer gesellschaftlichen Veränderung auf allen Ebenen umsetzen wollen. « Direkte Einbeziehung der gesamten Gesellschaft » lautet ein Grundsatz des KRRS, « Verbindung von Lokalem und Globalem » ein anderer. Gerade diese Verbindung hat die Bauernbewegung stark gemacht. Denn die indischen Kleinbauern stehen unter mehrfachem Druck. Vielen ist es ergangen wie Gopal Gowda, seit Multis unter dem Schutz der Welthandelsorganisation WTO das Geschäft mit Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden dominieren. Die Preise dieser undermittel, oft durch scheinbar großzügige Kreditangebote schmackhaft gemacht, steigen stetig, während der Erlös für die Erzeugnisse stagniert oder gar sinkt. Wenn die Bauern und Bäuerinnen die Falle bemerken, in die sie da geraten sind, ist es meist schon zu spät: Die Erde ist ausgelaugt, die Pflanzen sind anfälliger geworden, und vor der Tür stehen die Geldverleiher, die den Erwerb des neuen Saatguts oder der Maschinen ermöglicht haben und nun Zins und Tilgung fordern. Fast in jedem Dorf in Karnataka gibt es Bauernfamilien, die ihr Land verkaufen mussten, um die Schulden zu begleichen. Die Situation ist in den anderen Bundesstaaten ähnlich. Dass die Bauernbewegung in Karnataka verhältnismässig stärker ist (vergleichbar sind noch die Bewegungen in Kerala und im Punjab), liegt an einer Reihe von Faktoren. Lese- und Schreibkenntnisse sind weit verbreitet (auch in den entlegensten Dörfern), das Einkommen liegt aufgrund vieler verkäuflicher Produkte (Kaffee, Kokosnüsse, Gummi, Gewürze, Betelnüsse) über dem Durchschnitt, es gibt zahlreiche Verbindungen zur Aussenwelt (Deve Gowda, ehemaliger Ministerpräsident und Bauer in Karnataka, ist noch in guter Erinnerung). Vor allem aber haben die Bauern und Bäuerinnen hier die Gefahr, die von künstlichem Dünger und Pestiziden ausgeht, sehr schnell erfasst: Gewürzpflanzen reagieren sehr empfindlich auf Chemikalien, und so haben sich manche hier die Finger sehr viel früher verbrannt als anderswo.
Möbel und Monsanto verbrennen Soziale Veränderung muss von unten kommen, so lautet ein weiterer Grundsatz des KRRS. Ganz unten sind die Dorfeinheiten, die eigenständig über ihre Organisation, Finanzierung und Aktionen entscheiden. Sie sind zu Taluks Taluk), die wiederum auf Distriktebene kooperieren - der KRRS ist in 17 der 19 Distrikte von Karnataka aktiv. Den Vorstand bildet ein Komitee auf Bundesstaatsebene mit 400 Delegierten aus allen Distrikten. Der KRRS begreift sich als Bewegung ganz in Gandhis Sinne. Dem entsprechen das Ziel (Aufbau einer Dorf-Wirtschaft mit direkter Demokratie sowie weitgehender ökonomischer und politischer Autonomie), die Mittel (Ausbildung und Aktionen des zivilen Ungehorsams) und das Prinzip, dass alle in allen Belangen, die sie betreffen, mitbestimmen. Deshalb sind die KRRS-Einheiten in vielen Bereichen tätig. Vor allem die Schulung der Landbevölkerung ist ihnen wichtig KRRS-Freiwillige informieren über die Gefahren einer zu starken Mechanisierung und Chemikalisierung der Landwirtschaft, sie berichten über Methoden und Geschäfte der Multis, sie erläutern die Folgen der jetzt im März auf Druck der WTO vom indischen Parlament verabschiedeten Änderung des Patentgesetzes (das Unternehmen erstmals ein Recht auf « geistiges Eigentum » auch an kollektiv und über Generationen hinweg erarbeitetem Wissen einräumt). Seit kurzem orientieren sie auch über die Konsequenzen der Gentechnologie. Diese Art von Ausbildung hat viele Formen. So organisiert der KRRS Studienzirkel, Schulungscamps und Wanderausstellungen, die oftmals von einem Kulturprogramm mit Liedern, Sketchen und Theaterstücken begleitet sind. Oft werden auch Fachleute von aussen beigezogen oder Betroffene, die darüber berichten, was ihnen geschah, als plötzlich die Kräfte des freien Marktes in das fragile Geflecht lokaler Versorgung eindrangen.
Da Opposition allein den Bauern und Bäuerinnen nicht weiterhilft, unterrichtet der Verband auch über Alternativen. Im Mittelpunkt steht dabei die traditionelle Agrikultur, also der Einsatz der Artenvielfalt in Kombination mit seit Jahrhunderten ständig verfeinerten Anbaumethoden. So hat ein KRRS-Distrikt mittlerweile ein Globales Zentrum für Nachhaltige Entwicklung eingerichtet, in dem alte Saatgutsorten, überlieferte Techniken und einheimische Medizin studiert werden; demnächst wollen Bauern dort eine « grüne Schule » gründen.
Aufklärung allein reicht jedoch nicht. Nachdem alle Petitionen und Proteste nichts bewirkten, griff der KRRS zur « gewaltlosen direkten Aktion ». Furore machten vor sechs Jahren die von Karnatakas Bauernverband organisierten Massenproteste gegen die Ergebnisse der Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT (dem Vorläufer der WTO). Eine halbe Million Menschen kamen nach Bangalore, es war der damals weltweit grösste Protest gegen die neue Welthandelsordnung. Im Zuge dieser Manifestation besetzten KRRS-Mitglieder die Büros des US-Nahrungsmittelkonzerns Cargill, warfen Möbel und Büromaschinen aus den Fenstern und nutzten sie als Rohmaterial für ein Freudenfeuer (siehe WoZ Nr. 49/93). 1995 organisierten KRRS-AktivistInnen eine lange Kampagne gegen die US-Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken, die ausgerechnet in Bangalore ihre erste indische Filiale eröffnet hatte. Und im November 1998 besetzten Bauern und Bäuerinnen der Staaten Karnataka und Andra Pradesh Versuchsfelder, auf denen der US-Multi Monsanto und seine indische Saatgutfirma Mahyco einen mit dem Bacillus Thuringiensis manipulierten Baumwollsamen ausprobierten. « Cremate Monsanto », verbrennt Monsanto, hiess die Parole. Die Felder wurden dann auch angesteckt.
Keine Karrieren Mittlerweile hat KRRS (eher notgedrungen) eine neue Front eröffnet. Der Verband will sich - allerdings sehr vorsichtig und nur auf unterer Ebene - am politisch-parlamentarischen Prozess beteiligen. Hoffnungen auf eine politische Karriere darf sich freilich niemand machen. So ist den KandidatInnen nicht erlaubt, das in Indien übliche Deposit (eine Geldeinlage, die bei Unterschreitung einer Mindestzahl an Stimmen verloren geht) selber aufzubringen. Das Geld muss von KRRS-Mitgliedern im jeweiligen Wahlkreis gesammelt und hinterlegt werden - damit entscheiden sie, und nicht ein vermögendes Mitglied, über die Beteiligung an einer Wahl. Den politischen Wandel strebt KRRS auch in anderen Bereichen an. Der Verband lehnt das Kastensystem und seine Auswirkungen vehement ab, organisiert einfache Hochzeiten (um den Mitgliedern die normalerweise exorbitant hohen Heiratskosten zu sparen, die oft zu jahrelanger Verschuldung führen) und hat die Beteiligung der Frauen in allen Entscheidungen festgeschrieben. Die Frauengruppe des KRRS gehörte zu den ersten Frauenorganisationen Indiens, die eine Quote (mindestens 33 Prozent aller Sitze) durchsetzen konnte. Der Verband widersetzt sich auch entschieden jeder Form ethnischer oder religiöser Gewalt - das hat ihm die Feindschaft der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) eingetragen. Und doch wird ihm Kumpanei mit der BJP vorgeworfen.
Unter der Grünen Fahne « Ich bin nicht wichtig. Die Bewegung und die Sache sind wichtig », sagte Professor Nanjundaswamy beim Interview in der Zentrale des KRRS. Ich hatte ihn nach seiner Geschichte gefragt, doch der Mann, der eine grüne Visitenkarte vorzeigt, einen grünen Schal umhat und eine grüne Kopfbedeckung trägt, ist ein Meister der Verknüpfung - er kann auf faszinierende Art das Kleine mit dem Großen, das Lokale mit dem Globalen, das Ökonomische mit dem Soziopolitischen verbinden. « Wir können die Vision einer nachhaltigen, gerechten und demokratischen Gesellschaft nur mit Führern erreichen, die den Massen verpflichtet sind und dementsprechend leben. » Aber gibt es nicht Leute, die ihm unterstellen, den KRRS nur als Karriereleiter zu nutzen? Die Antwort des 63-jährigen Präsidenten der Bauernbewegung: « Wenn ich wollte, könnte ich leicht Chefminister von Karnataka oder indischer Landwirtschaftsminister werden, aber das ist nicht mein Ziel. » Nanjundaswamy ist Kritik gewohnt. Seit der KRRS zu einem Machtfaktor geworden ist, hagelt es Beschuldigungen von allen Seiten. Dennoch antwortete er mit großer Gelassenheit, als ich ihm im Auftrag der WoZ die Vorwürfe vorhielt.
Campaign for different India
Da Opposition allein den Bauern und Bäuerinnen nicht weiterhilft, unterrichtet der Verband auch über Alternativen. Im Mittelpunkt steht dabei die traditionelle Agrikultur, also der Einsatz der Artenvielfalt in Kombination mit seit Jahrhunderten ständig verfeinerten Anbaumethoden. So hat ein KRRS-Distrikt mittlerweile ein Globales Zentrum für Nachhaltige Entwicklung eingerichtet, in dem alte Saatgutsorten, überlieferte Techniken und einheimische Medizin studiert werden; demnächst wollen Bauern dort eine « grüne Schule » gründen.
Aufklärung allein reicht jedoch nicht. Nachdem alle Petitionen und Proteste nichts bewirkten, griff der KRRS zur « gewaltlosen direkten Aktion ». Furore machten vor sechs Jahren die von Karnatakas Bauernverband organisierten Massenproteste gegen die Ergebnisse der Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT (dem Vorläufer der WTO). Eine halbe Million Menschen kamen nach Bangalore, es war der damals weltweit grösste Protest gegen die neue Welthandelsordnung. Im Zuge dieser Manifestation besetzten KRRS-Mitglieder die Büros des Büromaschinen aus den Fenstern und nutzten sie als Rohmaterial für ein Freudenfeuer (siehe WoZ Nr. 49/93). 1995 organisierten KRRS-AktivistInnen eine lange Kampagne gegen die US-Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken, die ausgerechnet in Bangalore ihre erste indische Filiale eröffnet hatte. Und im November 1998 besetzten Bauern und Bäuerinnen der Staaten Karnataka und Andra Pradesh Versuchsfelder, auf denen der US-Multi Monsanto und seine indische Saatgutfirma Mahyco einen mit dem Bacillus Thuringiensis manipulierten Baumwollsamen ausprobierten. « Cremate Monsanto », verbrennt Monsanto, hiess die Parole. Die Felder wurden dann auch angesteckt.
Keine Karrieren Mittlerweile hat KRRS (eher notgedrungen) eine neue Front auf unterer Ebene - am politisch-parlamentarischen Prozess beteiligen. Hoffnungen auf eine politische Karriere darf sich freilich niemand machen. So ist den KandidatInnen nicht erlaubt, das in Indien übliche Deposit (eine Geldeinlage, die bei Unterschreitung Das Geld muss von KRRS-Mitgliedern im jeweiligen Wahlkreis gesammelt und hinterlegt werden - damit entscheiden sie, und nicht ein vermögendes Mitglied, über die Beteiligung an einer Wahl. Den politischen Wandel strebt KRRS auch in anderen Bereichen an. Der Verband lehnt das Kastensystem und seine Auswirkungen vehement ab, organisiert einfache Hochzeiten (um den Mitgliedern die normalerweise exorbitant hohen Heiratskosten zu sparen, die oft zu jahrelanger Verschuldung führen) und hat die Beteiligung der Frauen in allen Entscheidungen festgeschrieben. Die Frauengruppe des KRRS gehörte zu den ersten Frauenorganisationen Indiens, die eine Quote (mindestens 33 Prozent aller Sitze) durchsetzen konnte. Der Verband widersetzt sich auch entschieden jeder Form ethnischer oder religiöser Gewalt - das hat ihm die Feindschaft der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) eingetragen. Und doch wird ihm Kumpanei mit der BJP vorgeworfen.
Unter der Grünen Fahne « Ich bin nicht wichtig. Die Bewegung und die Sache sind wichtig », sagte Professor Nanjundaswamy beim Interview in der Zentrale des KRRS. Ich hatte ihn nach seiner Geschichte gefragt, doch der Mann, der eine grüne Visitenkarte vorzeigt, einen grünen Schal umhat und eine grüne Kopfbedeckung trägt, ist ein Meister der Verknüpfung - er kann auf faszinierende Art das Kleine mit dem Großen, das Lokale mit dem Globalen, das Ökonomische mit dem Soziopolitischen verbinden. « Wir können die Vision einer nachhaltigen, gerechten und demokratischen Gesellschaft nur mit Führern erreichen, die den Massen verpflichtet sind und dementsprechend leben. » Aber gibt es nicht Leute, die ihm unterstellen, den KRRS nur als Karriereleiter zu nutzen? Die Antwort des 63-jährigen Präsidenten der Bauernbewegung: « Wenn ich wollte, könnte ich leicht Chefminister von Karnataka oder indischer Landwirtschaftsminister werden, aber das ist nicht mein Ziel. » Nanjundaswamy ist Kritik gewohnt. Seit der KRRS zu einem Machtfaktor geworden ist, hagelt es Beschuldigungen von allen Seiten. Dennoch antwortete er mit großer Gelassenheit, als ich ihm im Auftrag der WoZ die Vorwürfe vorhielt.
Was ist dran an der Unterstützung durch die BJP (dies hatte vor allem die indische Ökologin Vandana Shiva kritisiert)? Nanjundaswamy: « Der Vorwurf lautet, dass unsere Veranstaltungen und Demonstrationen von Leuten besucht wurden, die BJP-Fahnen mit sich führen. Die BJP hat gemerkt, dass sie uns nicht besiegen kann, also wollte sie sich uns anschließen. Aber was können wir tun, wenn BJP-Kader an unseren Treffen auftauchen? Tatsache ist, dass wir die BJP, ihre Philosophie, ihr politisches und wirtschaftliches Programm ablehnen. » Aber was ist mit denen, die der BJP beitreten? « Wir haben Millionen organisiert, und unsere Mitglieder sollten wissen, was wir wollen. Wir organisieren mindestens drei Schulungskampagnen im Jahr, trotzdem zieht es manche weg und vor allem hin zur BJP. Es ist gut, dass sie gehen. » Nanjundaswamy sieht sich in der Tradition von Lohia, einem Kämpfer gegen die britische Kolonialherrschaft und Mitbegründer der sozialistischen Bewegung in Indien: « Wie jeder gute Lohiate glaube ich an die drei Symbole von Spaten, Knast und Urne. Der Spaten steht für die Schaffenskraft, der Knast für den zivilen Ungehorsam, die Urne für die parlamentarische Demokratie ». Eine wirkliche Volksbewegung, sagt Nanjundaswamy, « kann nur von unten entstehen. Halbgebackene Revolutionäre stellen sich oft als Opportunisten heraus. Deshalb haben wir auch gegen so genannte Nichtregierungsorganisationen große Vorbehalte. » Diese Position erklärt vielleicht einen Teil der Kritik an seiner Person. Aber was sagt er zu dem auch von VertreterInnen Schweizer Hilfswerke erhobenen Vorwurf, dass KRRS-Mitglieder landlose Arbeiter oder Mitglieder niederer Kasten in feudaler Abhängigkeit und Schuldknechtschaft halten? Nanjundaswamy antwortet mit einem breiten Lächeln: « Ich binwilde Vorwürfe gewohnt. Du kennst doch Indien: Wie viele der Bauern sind reich, wie viele sind arm? Wenn neunzig Prozent derer, mit denen wir arbeiten, arm sind, und wenn unsere Arbeit Erfolg hat, entsteht eine Dynamik, die auch die übrigen zehn Prozent ergreift. Wären wir alle Heilige, müssten wir uns nicht an die mühselige Arbeit der sozialen Veränderung machen. » Die Landreform hat vieles verändert. Bis Ende der siebziger Jahre gab es in vielen indischen Staaten feudalen Großgrundbesitz in der Landwirtschaft, seither gelten jedoch (zumindest offiziell) Obergrenzen von sechs Hektaren für bewässertes und sechzehn Hektaren für trockenes Land. Die Verhältnisse haben sich dadurch verschoben: Neben den Kosten für Saatgut und Dünger stiegen auch die Arbeitslöhne. So kommt es, dass zum Beispiel im Bundesstaat Kerala ein Landarbeiter oft mehr als ein Bauer verdient; von den indischen Bauern und Bäuerinnen wiederum erwirtschaften mehr als die Hälfte ein Minus, wenn sie alle Kosten (auch die ihrer Arbeit) einberechnen. Natürlich gibt es in Indien weiterhin feudale Verhältnisse und Ausbeutung, doch deren Basis ist nicht mehr primär die Landwirtschaft. Wenn jene, die diese Anschuldigungen erheben, hier leben würden, sagt Nanjundaswamy, und nicht unter komfortablen Umständen in den Großstädten oder im reichen Westen, ja, « dann kämen die Vorwürfe nie auf ». Alle, die « unter niedrigen Löhnen, Sklaverei, Ausbeutung und kastenbezogener Diskriminierung leiden, arbeiten nämlich hier - in den entlegenen Dörfern, den Steinbrüchen, den Hügeln und Wäldern, im Schmutz und Dreck der Reisfelder. Warum sind jene, deren Herzen über den fernen Schmerz bluten, so weit weg? »
Wer hat ein Recht auf Leben?
Die Nahrungsmittel-Konzerne, die Regierungen der reichen Länder und viele Hilfswerke nutzen die Bilder hungernder Menschen im Sudan, in Afghanistan und jetzt in den Lagern um Kosovo: Es fehlt weltweit an Nahrungsmitteln, heisst die Botschaft. Tatsache aber ist, dass alle genug haben könnten - nach Uno-Schätzungen wird bereits eineinhalbmal so viel geerntet wie nötig. Und doch hungern rund 800 Millionen, rund ein Siebtel der Weltbevölkerung - weil sie nicht das Geld haben, um Lebensmittel zu kaufen, und keine Jobs, die ihnen das nötige Geld bieten könnten. Die Fotos der Hungernden, mit denen derzeit der Einsatz von Gentechnologie begründet wird, macht die Armen so zu mehrfachen Opfern: Sie verlieren auch noch ihre Würde, weil ihre Bilder zur Begründung ihrer weiteren Verarmung dienen. « Haben eigentlich nur Reiche und Mächtige ein Recht auf Leben? », fragt Professor Nanjundaswamy. Der KRRS arbeitet mit Organisationen der Urbevölkerung, der StaudammgegnerInnen, der Fischer zusammen und unterhält enge Kontakte zu Bauernorganisationen in anderen Bundesstaaten. Vernetzungen wie jene, die zur Bildung der Indischen Bauernunion oder des « Aktionsforums der Indischen Bevölkerung gegen die WTO » führten, verstärken diesen Prozess. Nach der Karawane im Juni will der KRRS im Oktober die Weltkonferenz der Bauernbewegung La Via Campesina in Bangalore veranstalten. Bauer Gopal Gowda hat in seinem Dorf längst auf biologische Landwirtschaft umgestellt. « Da wir keine Arbeitskräfte haben, kommen wir einigermassen über die Runden », sagt er. Die Ausbildung der Kinder verschlinge einen guten Teil seiner Einkünfte, aber Reis und Gemüse reichen für den Eigenverbrauch. « Etwa drei Viertel aller Familien leben in ähnlichen Verhältnissen », sagt er. Zwölf Familien aber haben kein Land. « Mit den hier üblichen 50 Rupien pro Person und Tag (rund 1,6 Franken) können sie überleben, wenn beide arbeiten. Das ist hart, aber nicht zu ändern. » Auch zwei wohlhabende Familien habe es einmal gegeben, aber die eine Familie zog nach Bangalore, die andere nach Neu-Delhi. « Der KRRS kann mich nicht reich machen », sagt Bauer Gowda, « aber er hat mich gelehrt, das wenige, das ich habe, zu schützen. »
Gegen den Tiefschlaf Seit Pfingsten reisen 400 Mitglieder des KRRS gemeinsam mit AktivistInnen anderer asiatischer, lateinamerikanischer und europäischer Bewegungen durch Europa. Ihre Tour durch zehn Länder richtet sich gegen die Folgen der Globalisierung, der Liberalisierung des Handels und gegen die Gentechnologie; Anlass ist das Gipfeltreffen der acht grössten Industrienationen (G8) vom 18. bis 20. Juni in Köln. Vom 8. bis 14. Juni wird diese interkontinentale Karawane auch durch die Schweiz ziehen (Genf, Bern und Basel). « Es gibt keine Spaltung der Welt in Nord und Süd mehr », begründet KRRS-Präsident Nanjundaswamy die Reise. « Was auf der einen Hälfte der Welt passiert, hat Folgen für die andere - wir alle sind aufeinander angewiesen. Doch die Bevölkerung von Europa befindet sich noch im Tiefschlaf. Wir werden sie aufwecken. Nur ein weltweites Netz aller, die von der Rücksichtslosigkeit und Haltlosigkeit dessen genug haben, was uns als moderne Entwicklung vorgesetzt wird, kann den Kapitalismus und seine internationalen Institutionen herausfordern. » Im Frühjahr ging Nanjundaswamy auf Erkundungstour in Europa. « Es ist alles gut vorbereitet », sagt er, « aber ein paar Matratzen brauchen wir noch. ».
Die Berner MusikerInnen Rahel Leuenberger (Flöte), Matthias Kuhn (Cello) und Marc Kilchmann (Fagott) haben sich spontan bereit erklärt, ein Solidaritätskonzert zugunsten des Karawanenprojekts zu veranstalten. Auf dem Programm stehen Werke von Villa-Lobos, Telemann, Mozart und Bach. In der Pause gibt es Informationen zur Karawane sowie ein kurzes Video. Benefizveranstaltung in: Bern, Kirchgemeinde Paulus, So, 30. Mai, 20 Uhr.
Weitere Informationen unter Tel. Nr. 061/262 02 47 oder 031/302 66 60.