ICC news BULLETIN

InterContinental Caravan
für Solidarität und Widerstand

Nummer 2,  4. Juni 1999

500 Menschen auf dem Süden direkt ins Zentrum der Macht: dorthin, wo die Entscheidungen getroffen werden, die ihr Leben bestimmen. Einen Monat lang eine Protestkarawane durch die Länder Europas gegen die Weltwirtschaftsordnung, gegen Gentechnologie, gegen Krieg und gegen die atomare Bedrohung.

Nochmals 'ne Woche Karawane

Der halbe Weg der Karawane liegt nun schon hinter uns! Hier in Kölle geht's uns gut, mal abgesehen von den ganzen Bullen, die einem schon mal den Weg versperren. Überall passiert sehr viel – also los geht's!

Spontanaktionen gegen GenTech in Großbritannien

Folgende Notizen über die Karawane in Großbritannien hat uns Katherine geschickt. Klingt ziemlich gut.

Am Freitag, dem Tag des Londoner Public Hearing, wurde ein Report vom Nuffield Council freigegeben, in dem behauptet wird, die Entwicklung genmodifizierter Pflanzen sei ein moralischer Imperativ, da wir ja den Trikont zu ernähren hätten - eine These, die mit Dutzenden von Bildern im Staube sterbender Drittweltkinder belegt werden sollte. Krankhaft!
Der Bericht hatte dazu NICHT EINEn der etwa 87 ExpertInnen aus Entwicklungsländern selber befragt!

Dank dem fabelhaften GEN und der anwesenden sonstigen GenTech-AktivistInnen - welche außerhalb des Hearings eine provisorische Arbeitsgruppe gestalteten, um rasche Pläne zu schmieden - haben wir uns entschieden, die Zusammenkunft um 4 Uhr abzubrechen, um stattdessen gemeinsam zu demonstrieren; vorweg die BäuerInnen mit ihren Transpis - "Food Control Eats You", "Say no to GMO" (Genetisch Manipulierte Organismen). Unter dem Gesang "GMO hai hai, WTO hai hai" übernahmen wir bald die Hauptstraße und liefen weiter in Richtung des Nuffield Foundation Büro, das glücklicherweise nur etwa 10 Minuten entfernt war.
Wir blockierten die Eingangshalle und handelten aus, daß fünf BäuerInnen, zwei von uns und ein Übersetzer eingelassen wurden. Dort hatten wir eine 30–45 Minuten dauernde Unterhalt mit dem Direktor und dem Vize, beide ziemlich überrascht, aber anständig.
Die BäuerInnen erzählten ihnen wie erstaunt sie waren über die Auskünfte des Reports, und daß sie so frustriert waren, daß ihre Perspektive dabei nicht berücksichtigt wurde, daß sie mal vorbeischauen mußten. Ihr Problem sei nicht die Produktion von Nahrungsmitteln – im Gegenteil sei Überproduktion der Grund für Absatzpreise, von denen sie nicht leben können – sondern die Verteilungsfrage. Klar, daß sie dabei auch ihre Kritik an genetisch modifizierten Ernten und allgemein an hochgeputschter Landwirtschaft äußerten.

Nuffield hat zugesagt, sie würden die Kritik an den bioethics council weiterleiten.
Auf dem Weg nach draußen habe ich noch ein Bewerbungsformular für Finanzspritzen eingesteckt.
Hat jemand einen guten Vorschlag, für was wir das nutzen könnten?
(Südliches Graswurzelforum für Bio-Ethik?)

Feldbesetzung

Samstags haben wir die Karawane zu einem besetzten Acker mitgenommen – wiederum dank der genialen GenTech-AktivistInnen, die ich immer lieben werde. Es war eine Monsanto-Teststrecke in Essex, die vor einigen Wochen von AktivistInnen ausgegraben worden war. Wir liefen ein bißchen über das Gelände. Einer der Besetzer erklärte, er habe beim Anblick der singenden InderInnen mit ihren Turbanen und ihren rosaroten Bändern fast geweint. Die GenTech-Leute hatten ein kleines Camp errichtet mit neuen Gemüseplänzchen, mit Informationstischen über Genetik, mit Tipis und Aktionsmitteln, und hießen uns mit einem irischen Jig mit Geigen und Flöten herzlich willkommen.
Anarchist Teapot – auch richtige HeldInnen - haben für alle einen deftigen echt britischen Eintopf gekocht. Die Bullen kamen auch vorbei und schienen ziemlich locker – obschon die Hubschrauber wohl wegen uns da waren.

Wir haben Tee getrunken und in der Sonne gesessen, über Genetik und über Kampagnen geschwätzt. Vor allem aber haben wir den Frieden außerhalb Londons genossen. Einige AktivistInnen zeigten den BäuerInnen unsere Verschließ- und Tipi-Techniken, und tauschten Fahnen mit ihnen aus. Schön anzuschauen war's, wie jemand ein Tipi hochkletterte, um die Fahne der Punjabi Bauernunion neben der Fahne von Reclaim the Streets flattern zu lassen. Im ausgegrabenen Testgelände haben die BäuerInnen Biogemüse angepflanzt und bewässert – extrem eindrucksvoll. Einer der Bauern hat Lieder auf Punjabi gesungen, während Dave aus England Sitan (eine Art Banjo) gespielt und ihn begleitet hat. Das ergab spontan eine wirklich schöne Mischung aus westlicher und orientalischer Musik. Der Sänger, Jagdish Sing, hat ein Lied über den Widerstand gegen die englische Kolonialherrschaft gesungen, wonach die BesetzerInnen einen irischen Song über das gleiche Thema gebracht haben. Dann hat Jagdish ein Lied gesungen, das er nachher charakterisierte hat als "ein Versprechen, daß wir unsere Schlachtfelder nie im Stich lassen werden". Und die Zelter, die dort übernachteten, riefen „wir auch nicht"! Dieser Tag auf dem Feld war etwas wirklich Besonderes für uns, für alle. Als ich eine Journalistin des Economist, die mit uns mitgekommen war, fragte, was sie von der Feldbesetzung hielt, war die Antwort: "absolutely brilliant!. In der letzten Stunde habe ich mehr intelligente Gespräche geführt, als in den letzen drei Monaten, wenn ich in South Kensington nur Kneipen besetzt habe" (was vermutlich aber nichts für ihren Artikel garantiert).

ALLES Liebe für alle – ich hoffe, daß es auch in den nächsten drei Wochen so viel Inspirierendes und Geniales geben wird. Wir sehen uns in Köln!
Katharine

Mehr Medienpräsenz

ICC-Medienpräsenz in Großbritannien beinhaltete den letzten zwei Wochen u.a.: 4 oder 5 Artikel in The Guardian; einige in die Asian Press; mehrere BBC Radio-Interviews (einmal BBC- World Service, einmal BBC South East TV footage, wobei auch ein Dokumentarfilm über die GenTech-Kampagne berichtet wurde); nochmals ein Inter Press-Artikel ("South Asian farmers take protest to London" - www.oneworld.org/ips2/ may99/04). In Italien veröffentlichte Corriere della Sera, die größte italienische Zeitung, ein Foto der weißen Kreuze in Mailand (s.u.) und schrieb dazu: „Die Kreuze des Elends: eine Aufstellung von Kreuzen in Viale Elvezia, um den Horror des Elends und des Krieges zu vergegenwärtigen, der "Neokolonisierung" des Süden, des Ungleichgewichts zwischen armen und reichen Ländern, der durch Handelsabkommen verursachten Zerstörung. Eine Delegation der "Karawane 99" – einer Vereinigung (sic!), welche in diesen Tagen in verschiedenen europäischen Städten demonstriert und gestern in Mailand ankam – wollte dies mit einem starken Bild ausdrücken: diese trauernden weißen Kreuze füllten den Park hinter der Arena den ganzen Tag."

In Köln filmten Fernsehteams sowohl im Camp und bei der Demonstration (WDR), als auch bei der Aktion am Max-Planck-Institut (ZDF – Kennzeichen D). Die größte deutsche (liberale) Wochenzeitung Die Zeit bringt ein Gespräch zwischen einem deutschen und einem indischen Bauern, im WDR-Radio läuft am 6. Juni ein halbstündiges Streitgespräch mit einer von uns und dem Vorsitzenden der Weltwirtschaftsabteilung vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung.
Auch sonst wird die Karawane langsam Thema. Der Stadt-Anzeiger, die bedeutendste Tageszeitung in Köln untertitelte das Foto von der Demonstration gegen den EU-Gipfel am 3. Juni mit: „3000 Teilnehmer der Interkontinentalen Karawane demonstrierten gestern...." Für uns ist's lustig, für die anderen von der Demo leider ärgerlich.

MonsantoAktion in Belgien

Am Freitag, dem 28. Mai, kam die ICC-Karawane auch nach Belgien (Louvainla-Neuve) und machte eine Demo beim europäischen Forschungszentrum von Monsanto.

Nach der vegetarischen "Chez z'elle" Mahlzeit fingen 500 Leute an zu marschieren, ringsum von Bullen umgeben. Sie zwingen uns durch ein armes ArbeiterInnenviertel zu gehen, eben weil wir im Studierendenviertel an Kraft hätten gewinnen können. Einige TV-Leute sind präsent, um die regen Diskussionen zwischen flämischen BäuerInnen – schon eingelullt durch die Saatgut-Multi's – und die InderInnen festzuhalten. Vor allem junge Leute sind da, nebst eher schüchternen VertreterInnen belgischer NGO's (Nature et Progrès, Oxfam Solidarité ...) Außerhalb des Monsanto-Gebäudes wird verhandelt; Michel Somville – Rädelsführer in der belgischen GenTech-Debatte und Mitglied des Centre d'études et de Formation en Écologie - Ecological Studies and Formations Center – dringt mit seiner TV-Stimme bis hinter das Gitter Monsantos. "Sollten wir nicht eine Delegation zusammenstellen, damit wir mit Vertretern Monsantos verhandeln können", fragt er. Die InderInnen verweigern sich aber diesem "belgischen" Dialog – viel zu soft für sie. Geduldig erklären sie das durch das Megaphon: "Lieber Herr von Monsanto, wir wollen nicht, daß Sie sich in unserem Land aufhalten. Mit solchen Fabriken ist es nicht möglich zu diskutieren." In Hinblick auf die realen Machtverhältnisse muß jeder Mensch, sogar der belgische TV-Macker, dieser Aussage zustimmen. Die Diskussionen dauern aber an, und zwar auf beiden Seiten des Gitters – als wären wir zum Knastbesuch dagewesen. Letzten Endes gibt es nur zwei Journalisten, die durch das Tor gehen, "um beide Parteien zu hören". Was aber ist mit einer gewaltfreien direkten Aktion? Das Gelände liegt neben der Autobahn Brüssel-Namur – wieso sollten wir also nicht ein kleinen Umzug machen, damit wir von den AutofahrerInnen wahrgenommen werden? Die jungen MitmacherInnen der ICC in Belgien sind aber nicht gerade begeistert. Das Monsanto Technical Center wird wohl gut überwacht. Zudem wird es am Abend in Brüssel noch ein Straßenfest gegen den Krieg geben. Keine Lust auf Knast also...
Deshalb landen wir um 23 Uhr im Brüsseler Stadteil St. Gilles, wo die Super-Atmosphäre der ersten Streetparty fast alle EinwohnerInnen zum Mitbewegen verführt. So etwas hat Brüssel ja noch nie erlebt...
Antoinette Brouyaux

linksradikal gegen EU in Köln

Obschon es in Köln nur einen EU-Gipfel gab, gab es aber zwei Gegengipfel und auch zwei Anti-EU-Demos. Wieso?
Nun, zunächst war der EU-Gipfel für das Wochenende am 29./ 30. Mai geplant. Als dieser auf den 3./4. Juni verschoben wurde, entschieden sich die EuromärschlerInnen und jene von "Towards a different Europe" dafür, am Wochenende festzuhalten, vor allem, weil dann mehr Leute nach Köln kommen könnten. Die linksradikale Bewegung dagegen sprach sich dafür aus, Demo und Gegen-Gipfel an den Tagen des EU-Gipfels stattfinden zu lassen. Bullen und Demo-MacherInnen konnten sich nur schwer, aber letztlich doch über die Route einigen. Die beiden Wagen mit Lautsprechern sollten vorher durchsucht werden, und kein Mensch sollte die Demo vorzeitig verlassen dürfen. Die Polizei-Überwachung war also noch stärker als am letzten Samstag. Ein von den Bullen verbreitetes Flugi erklärte: "Jeder hat das Recht auf Versammlung und freie Meinungsäußerung, in Frieden und ohne Waffen. Es ist die Pflicht der Polizei, dieses Recht zu schützen. Ihre Kölner Polizei."

Als wir beim Ebertplatz eintrafen, wurde die ICC-Gruppe voller Enthusiasmus empfangen. Schon vorher hatten wir arrangiert, das welche von ihnen während der Demo sprechen durften: Gophal (Nepal), Popodu (Karnataka), Diana (Mexico) sowie Bahnishikha Jamali und Shamsun Nahar Kahn aus Bangladesch. Ihre Redebeiträge waren oft so energisch, daß es keiner Übersetzung bedurfte, um die ZuhörerInnen zum applaudieren und zum Pfeifen zu bringen. Die ICC drückte ihre Solidarität aus mit der auf der Demo vielfältig vertretenden europäischen Kämpfe und rief zum globalen Widerstand gegen die Weltwirtschaftsordnung auf. Zudem gab es noch einen in Bangladesch verbotenen Widerstandssong.

Die Demonstration richtete sich überwiegend gegen die Festung Europa und die Probleme von MigrantInnen.
Nur einige Tage davor war ein sudanesischer Flüchtling von der deutschen Polizei bei der Abschiebung umgebracht worden. Drei verschiedene Karawanen waren anwesend auf der Demo: die ICC; die "Geld oder Leben"-Karawane und die Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen, welche gleichzeitig einen Hungerstreik begangen in Protest gegen die Ermordung des Sudanesen. Die holländische Delegation machte sich wieder mit ihrem seit Amsterdam '97 berühmten "EU – Rot op!" Slogan bemerkbar.

Weil die Leute der Karawane ziemlich durch waren, haben wir die Demo schon kurz vor dem Ende verlassen. Ganz am Schluß provozierte die Polizei die Demo noch einmal mit der Festnahme einer Person. "Haut ab! Haut ab!" war die Reaktion der Menge, und die Situation drohte zu eskalieren, als die Demo innerhalb von Sekunden eingekesselt war. Tatsächlich aber bewies die Polizei dann ein wenig Intelligenz, ließ die Person frei und die Demo ein friedliches Ende nehmen, mit Musik und gutem Essen. So kam es entgegen der Annahme vieler nicht zu Reibereien in dieser mit 12.000 Bullen vollgestopften Stadt.

'Frauenveranstaltung': ein Treffen revolutionärer Schwestern
Nach der Demonstration - und trotz ihrer Erschöpfung - fuhren die Frauen gleich weiter zu einem Treffen zwischen Frauen in der Alten Feuerwache (dem Ort, wo beide Gegengipfel stattgefunden hatten). Da nach der Demonstration alle, die etwas darüber hätten wissen können, plötzlich verschwunden waren, war ich dann diejenige, die sie dorthin gebracht hat – ohne die geringste Ahnung, was wo und warum stattfinden sollte. Glücklicherweise trafen wir dort auf Chris, die den Frauen Essen organisierte sowie Übersetzerinnen für Bengali, Kanada und Spanisch. Und dann fanden wir sogar den Raum. Schon mal nicht schlecht.

Obwohl ich eigentlich gar nicht hatte bleiben wollen – der Titel "Frauenveranstaltung" klang nicht so richtig aufregend für mich (oh, ihr Vorurteile!), blieb ich dann doch noch ein wenig hängen. Und plötzlich hatte ich einen der bis jetzt besten Abende!! Anita Sahai war extra aus Aachen angereist, um über die Situation der Frauen in Indien zu reden. Sie sprach über die Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden von Indien. Im Süden haben Frauen im allgemeinen mehr Rechte als im Norden, und sie haben einen besseren Zugang zu Bildung. In ganz Indien sind Frauen aus den höheren Kasten eingeschränkter im Vergleich zu den Frauen in den unteren. In einigen Fällen ist es Frauen hoher Kasten nicht einmal erlaubt, ihr eigenes Wohnzimmer zu betreten, solange sich dort Besuch aufhält. Insgesamt ist die Situation von Frauen härter geworden.
Die gestiegenen Lebenshaltungskosten zwingen Frauen, auch außer Haus arbeiten zu gehen. Dies führt jedoch nicht zu einem emanzipatorischen Prozeß; es vermehrt lediglich die Arbeitszeit der Frauen, da Männer sich an der Hausarbeit nicht beteiligen.

Parvati Kalasannavar aus Karnataka sprach über den Kampf, der auch von Frauen getragen wird, gegen Saatgut-Multis ON INDIAN FARMER FAMILIES, und über die Gesundheitsrisiken, die mit genetisch veränderten Nahrungsmitteln einhergehen. Salomi Mathew, ebenfalls aus Karnataka, erklärte, daß Frauen in Indien zunächst von ihren Eltern unterdrückt werden, dann von ihren Ehemännern und schließlich – wenn sie älter sind – von ihren Söhnen. Sie sagte aber auch, daß dies das allgemeine Bild ist, und daß es auch gute Männer gibt. "Wir müssen für unsere Rechte kämpfen – nicht nur in Indien!" Frauen im Iran, in Sri Lanka, in Indien und Bangladesch sind alle mit denselben Problemen konfrontiert, betonte Bahnishikha Jamali aus Bangladesch. Sie alle seien Sklavinnen ihrer Väter, Ehemänner und Söhne. Obwohl es in Bangladesch bereits zweimal Premierministerinnen, also Staatschefinnen gab, hat dies die Situation von Frauen nicht verbessert. Das gleiche gilt für das Bemühen vieler Nichtregierungsorganisationen, welche es nicht geschafft haben, an den Kern des Problems zu kommen, oder auch nur die Handlungsfähigkeit oder die ökonomische Emanzipation von Frauen in Bangladesch zu fördern. Der Prozeß der Globalisierung hat im Gegenteil die ökonomische und die sexuelle Ausbeutung der Frauen verstärkt. Nachdem Shamsun Nahar Kahn aus Bangladesch ihre revolutionären Schwestern begrüßt hatte, berichtete sie, daß Frauen in ihrem Land nicht die ökonomischen Mittel für ihren Kampf besitzen. Manchmal müssen sie ihren Mann oder ihre Schwiegermutter sogar darum bitten, ein Glas Wasser oder etwas Essen zu bekommen. Sie können von ihren Männern aus dem Haus geschmissen werden, gezwungen, das Dorf ohne Geld oder auch nur ihre Kleidung zu verlassen. Doch, so Shamsun Nahar, so heftig wie die Unterdrückung ist, so heftig ist auch der Widerstand dagegen; in dieser Hinsicht seien die Kämpfe aus der Kolonialzeit inspirierend. Diana Damian aus Mexiko berichtete, wie die Teilnahme von Frauen in der zapatistischen Bewegung ihnen mehr Achtung durch Männer eingebracht hat. Dies seien jedoch nur die ersten Schritte; die Frauen, die ihren Kampf für Demokratie begonnen haben, kämpfen nun für die gleichen Rechte von Frauen und Männern. Speziell lesbische Frauen dürften nicht gezwungen werden, das Leben, das sie leben möchten, zu verstecken.
Zwischen den Berichten gab es Musik, indischen Tanz und großartige Sangesbeiträge von drei Frauen aus Karnataka!

Die Karawane erreicht Italien

Diesen Bericht haben wir von Guiliano aus dem Leoncavallo in Mailand erhalten:

Die Busse kamen gegen vier Uhr nachmittags, der Tag begann damit reichlich spät. Gerade Zeit genug, kurz zu duschen und etwas zu essen - was multipliziert mit 270 allerdings Stunden beansprucht. Es gab jedoch zwei Deadlines: das Vorstellungstreffen und die Antikriegsdemo, eine jener vielen, welche täglich auf der italienischen Halbinsel stattfinden, im Norden genauso wie im Süden. Das Vorstellungstreffen verlief glatt und angenehm: die verschiedenen, an der Karawane beteiligten Bewegungen präsentierten sich, und dann ging es noch um Praktisches wie Stadtpläne mit Telefonnummern für alle, Geldwechseln und Telefonkartenausgabe. Gegen Ende erzählten wir dann von der Friedensdemonstration und fragten, ob sie nach dieser langen Busreise von Paris bis Mailand nicht zu müde seien, daran teilzunehmen. Bereits für halb sieben war die Demonstration angesetzt, organisiert auf dem Piazza Castello von den "Frauen in Schwarz", einer vorwiegend von Frauen getragenen Friedensbewegung, welche stets die menschliche Seite des Krieges herausarbeitet, d.h. WAS ES FÜR MENSCHEN AN LEID BEDEUTET!!! Die TeilnehmerInnen der Karawane, welche teilnehmen wollten, versammelten sich im Hof vom Leoncavallo - und welche Überraschung, fast alle waren gekommen! Gut, also alle umsonst U-Bahn gefahren, da die Busfahrer müde waren, bis zum Zentrum – dem Schloß – von wo die Demonstration starten sollte. Gegen sieben Uhr bewegten sich einige tausend Menschen um den Park, der das Schloß umgibt, und nach einiger Zeit standen dort 350 weiße Kreuze, welche die Kinder symbolisierten, die in den letzten Tagen getötet worden waren durch die Verrückheit der NATO-Bombardierungen und des serbischen Nationalismus. Alles lief perfekt, aber so entspannt wie alle waren, wurde es spät. Zurück im Leoncavallo gab es ein warmes Abendessen, und dann begann die öffentliche Veranstaltung mit den Müttern der Verschwundenen vom Plaza de Mayo in Argentinien. Diese war ziemlich überfüllt, wurde aber so kurz wie möglich gehalten, d.h. sie war um Mitternacht beendet und erlaubte es endlich, daß die Menschen sich ausruhen konnten – obwohl einige von der Karawane mit uns noch bis drei Uhr morgens abhingen.

Die, die hier angekommen sind mit der Karawane – sie sind fantastisch! Ich weiß wirklich nicht, wo die alle ihre Energie hernehmen. Sie haben in einer von uns nicht erwarteten Weise enthusiastisch an all unseren Initiativen teilgenommen, und sind noch lange aufgeblieben, um mit Menschen hier reden zu können. Insgesamt war es also ein auch zwischenmenschlich sehr warmer Tag, wenn deshalb auch noch ermüdender. Wirklich, die ersten Tage in Italien beginnen so gut, wie es nur sein kann. Morgen könnte es aber schwieriger werden. Die Karawane wird nicht wirklich geliebt von den Herrschenden, und es gibt Schwierigkeiten mit dem Spezialzug nach Rom. Gestern teilte uns die Polizei mit, wir könnten ihn nicht haben, obwohl sie uns noch einige Tage davor das genaue Gegenteil zugesichert hatten. Dieser schnelle Meinungswechsel ist doch etwas seltsam: ob da eine versteckte Macht einen Machthebel in Bewegung gesetzt hat?

Demonstration gegen die Börse

Nach dem Frühstück versammelten sich etwa 500 Menschen vor dem Leoncavallo, um ein weiteres Mal dem Zentrum von Mailand einen Besuch abzustatten: dieses Mal zur Börse, einer der größten in Europa und gerade zur Zeit zudem Hauptquartier eines riesigen Spekulationsunternehmens: der Fusion zwischen der italienischen Telecom und der deutschen Telecom. Die Demonstration – ebenso wie die vom Mittwoch von der Polizei erlaubt – begann um 11.30 Uhr. Zunächst wollte sie uns jedoch nicht gestatten, unseren Protest direkt vor der Börse auszudrücken – doch dann haben alle DemonstrantInnen (um die 500) ihre Hände erhoben und sich so mit ihren Körpern ihren Weg freigedrückt: mit etwas Verhandlung ging die Polizei dann zurück und ließ uns durch. So war der Platz vor der Börse, genannt "Piazza Affari", also "Platz des Bussiness", bis zur ersten Pause gefüllt mit den grünen Schals der KRRS, mit der farbigen Kleidung der Frauen, mit den Turbanen der Sikhs und – natürlich- mit Schwarzer Rap-Protestmusik vom sozialen Zentrum Leoncavallo. Die Karawane in eine typische Stadt unserer Breitengrade zu bringen, ist ein aufregendes Experiment. Die Menschen sind an Demonstrationen gewöhnt, aber nicht an 300 indische Karawanenmitglieder mit ihrer speziellen Kleidung, ihren Tüchern und Slogans. So hat die Demonstration viel Neugier erweckt, die Menschen haben geguckt und gefragt und sich unterhalten.

Blaßgrüner Zug

Nach einer Pressekonferenz am Nachmittag und einem allgemeinen Treffen nach dem Abendessen machten sich 250 TeilnehmerInnen der Karawane zum Hauptbahnhof auf, um dort für das Recht auf freien Transport zu politischen Aktionen zu demonstrieren. Wieder war Polizei anwesend, aber es kam zu keiner Konfrontation. Zuletzt erreichten wir die Übereinkunft, einen symbolischen Preis zu zahlen. Mit dem symbolischen Preis geht es in Ordnung, haben wir gesagt, aber für Liegeplätze. Die Männer und Frauen der Karawane waren müde, und sie brauchten Schlaf. Noch mehr Verhandlung, und zuletzt hatten wir Liegeplätze für alle für 3.100 Mark. So zog die Karawane gegen 23 Uhr weiter nach Rom.
 (PS: Nach unserem Wissen soll die Aktion an der Welternährungsorganisation großartig gewesen sein, doch warten wir noch auf den Bericht von dort.)

Biotech-Debatten in Iruòa

40 RepräsentantInnen von BäuerInnen, FischerInnen und Frauengruppen nahmen in Iruòa im Baskenland an einem intensiven Tag des Protestes teil. Am Morgen gaben sie eine Pressekonferenz auf dem zentralen Schloßplatz, mit großem Medienandrang, einschließlich verschiedener Fernsehstationen. Sie stellten die Bedrohung dar, welcher sie in Indien und Menschen in fast der ganzen Welt durch die von der Welthandelsorganisation (WTO) durchgesetzten Freihandelsverträge ausgesetzt sind, sowie durch multinationale Konzerne und durch genetisch manipuliertes Saatgut. Zusätzlich sprachen sie über die Situation von Frauen und deren Verschlechterung durch die neue neoliberale Wirtschaftsordnung, über die Situation traditioneller Fischerdörfer und über die größenwahnsinnigen Staudammprojekte im Narmada Flußtal in Indien. Danach machte sich eine Gruppe zur Universität auf, und mit Unterstützung des „Navarra Netzwerks gegen Transgenetik" stürmten sie die Uni mit der launigen Musik von Trkitixa, führten eine erste "Besetzung" der Bibliothek durch, in welcher ein indischer Bauer seine Zweifel am Mythos des "wissenschaftlichen Fortschrittes" äußerte und jene angriff, welche die Gentechnik uns aufdrücken. Er sagte, daß Bauern und Bäuerinnen bereits wissen, daß Gentechnik das Problem des Hungers in der Welt nicht lösen wird, denn Hunger ist eine Folge ungerechter Verteilung. Einige der WissenschaftlerInnen wurden unwillig, doch die große Mehrheit drückte ihren Beifall aus. Von dort zog die InderInnen weiter zum Zentrum der BiotechForschung, welche an die Universität angegliedert ist, und wo Experimente mit genetisch manipulierten Navarro-Pfeffer durchgeführt werden. Das Zentrum wurde besetzt und zuletzt willigte der Direktor ein, sich den Protest der indischen Delegation anzuhören, und begrüßte sie in seinem Büro. Ein Plakat mit der Aufschrift "Transgenetics stop!" wurde an der Mauer aufgehängt und die indische Delegation führte ein Sitin vor dem Gebäude durch.

Von dort fuhren sie zum Gaztetxe, einem besetzten sozialen Zentrum, um dort zu essen. Jeder und jede einzelne TeilnehmerIn wurde eingeladen, mit jemanden anderem zu essen, da das Gaztetxe voll war mit Leuten, welche sie kennenlernen wollten.

Verschiedene Medien (überwiegend alternative) interviewten fünf der RepräsentantInnen im Casa de la Solidaridad Elkartasunaren Etxea Zabaldi, bevor sie wieder auf dem Schloßplatz zu den über 200 von uns zustießen, um dort die ökonomische Weltunordnung zu denunzieren, und stattdessen unseren Willen auszudrücken, eine wirkliche Globalisierung zu schaffen, einer Globalisierung im Sinne einer Vernetzung all jener, welche das System ablehnen, hier, in Indien oder in jedem anderen Teil des Planeten. Es ging durch mehrere Straßen, bis wir schließlich zum Taconera Park gelangten, wo wir eine symbolische Aktion durchführten, indem wir eine hiesige Pflanze und eine aus Indien nebeneinander pflanzten und außerdem Geschenke ausgetauschten. Zum Schluß gab es in der Schulfarm Illundaín, wo die Karawane auch übernachtete, warmes Abendessen und eine Party mit baskischen und indischen Liedern und Tanz.

Am Dienstag, den 1. Juni fuhren die Karawanemitglieder weiter nach Tafalla, um dort einen biologischen Bauernhof zu besuchen, und danach nahmen sie auf dem zentralen Platz von Tudela/ Navarra teil an einer weiteren öffentlichen Anklage der Weltwirtschaftsstrukturen, bevor sie als nächsten Stop Gallur anpeilten. Parallel dazu fuhren drei von ihnen für einen Tag nach Rioja.

Aktion gegen Gentechnologie
am Max-Planck-Institut in Köln

Am Freitag morgen bekam das Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln unangemeldeten Besuch:
60 TeilnehmerInnen der Interkontinentalen Karawane für Solidarität und Widerstand – einschließlich Diana aus Mexiko und Shamsun aus Bangladesch – sowie die Kölner Initiative Bürger gegen Petunien und weitere europäische UnterstützerInnen klopften an die Pforte. Das MPI ist zu 80 Prozent durch öffentliche Gelder finanziert und forscht nicht direkt für die Industrie, sie liefern jedoch die Grundlagenforschung für die Gentechnologie der Konzerne. Es ist eines der führenden Institute in der Welt und hat die ersten Freilandversuche mit gentechnisch manipulierten Pflanzen (Petunien) durchgeführt.
Nach kurzer Verhandlung akzeptierten wir eine Einladung zur Diskussion innerhalb des Instituts. Der Vertreter des MPI begann mit dem klassischen Gerede darüber, wie die Gentechnik die Welt ernähren wird. Devasugur Pampanna von der KRRS antwortete, er sei froh, sie besorgt über die Welternährung zu finden, aber daß ihre traditionellen Landwirtschaftsmethoden durchaus dazu fähig seien, die Bevölkerung zu ernähren. Er zog den Vergleich zwischen der Einführung der Gentechnik und der Einführung der Pestizide, welche lediglich zu einer Auslaugung der Böden sowie einer Abhängigkeit von Krediten geführt habe und die Umwelt vergiftet: "Die Natur akzeptiert nicht, was wir mit ihr machen wollen. Warum wir das sagen ? Weil es unsere Erfahrung aus der Grünen Revolution ist. Auch vor zwanzig Jahren hieß es: Ihr werdet soviel mehr ernten können mit unseren neuen Technologien. Und einige Jahre später stiegen die Krebsrate und die anderer Krankheiten an. Hört auf und laßt uns statt dessen im Einklang mit der Natur leben!"

Frau Shamsun Nahar Khan von der BäuerInnen-Vereinigung Kisani Sabha aus Bangladesch führte dies weiter aus: "Was hat der Kunstdünger der Grünen Revolution uns gebracht ? Früher gingen wir immer auf grünem Gras, doch heute stirbt es aus wegen des Gebrauchs von Kunstdünger. Genauso ist die Fruchtbarkeit unserer Böden zurückgegangen, und nun sind wir gezwungen, immer mehr und mehr Kunstdünger zu benutzen. Das Gleiche gilt für gentechnisch veränderte Saaten. Auch sie führen nach einigen Jahren zur Unfruchtbarkeit des Landes. Unsere Umwelt ist in Gefahr wegen des hohen Gebrauch an Kunstdünger. Die Fischer wissen nicht mehr, wovon sie leben sollen, denn die Fische sterben aus, da das Wasser zunehmend vergiftet wird. Die Körper der Menschen und speziell der Frauen werden vergiftet. Die Männer und Frauen vom Land besitzen einen reichhaltigen Schatz an Wissen über die Landwirtschaft, und dieses Wissen wächst immer weiter an. Doch eine Handvoll von internationalen Agrarmultis haben die natürliche Umwelt und Landwirtschaft von Bangladesch zerstört – sie haben dies getan mit dem Ziel, einen unbegrenzten Markt für sich selber zu schaffen und neue Bereiche des Ausbeutung zu schaffen."

Wessen Verantwortung?

Sie baten die anwesenden Ingenieure, ihre Forschung im Bereich der Gentechnik einzustellen, da diese zu ihren Lasten der Menschen genutzt werde. Doch die WissenschaftlerInnen des MPI wiesen jede Verantwortung zurück. Dann wurden wir gebeten, das MPI wieder zu verlassen. Zu dieser Zeit standen draußen bereits einige Wannen herum. Wir haben draußen noch einige Anti-Gen-Aufkleber verteilt, und Chris hat ein neues Werk geschaffen – ihr werdet es zu sehen bekommen!

BERLIN

ist immer eine Reise wert...
Unter Begleitung vieler Interessierten und einer Presseperson sind die TeilnehmerInnen der Interkontinentalen Karawane zum Biobauernhof "Apfeltraum" bei Müncheberg gefahren. Dieser Bauernhof beliefert Berliner Haushalte mit Abo-Kisten. Lang andauernd wurden Fragen von Seiten der indischen BesucherInnen nach Kosten, Landwirtschaftstechnik, Schädlingsbekämpfung und Viehhaltung unter ökologischen Gesichtspunkten beantwortet.
Mittagessen gab es bei der Landkommune "Ökolea", ein paar Kilometer weiter. Nach kurzer Projektvorstellung saßen die TeilnehmerInnen der ICC mit dem Barnimer Aktionsbündnis gegen Gentechnik zusammen und debattierten die Probleme gentechnisch veränderten Saatgutes, das sehr alte und resistente Sorten vom indischen Markt drängt, welche nur einjährig und nicht vermehrbar ist und so die Bauern und Bäuerinnen zwingt, sich bei Firmen wie Monsanto und AgreVo zu verschulden und sich so abhängig zu machen. Das steht ihren Ideen von Selbstbestimmung und Eigenver-antwortung in der Landwirtschaft im Wege und versperrt ihnen den Weg in die Unabhängigkeit von westlichen und nordamerikanischen Industrienationen. Dies wurde am Abend von ihnen noch einmal deutlich gesagt auf einer Podiumsdiskussion bei den Internationalismustagen der TU Berlin.


Dieses Bulletin ist eine Zusammenstellung von Berichten, die wir aus den einzelnen Orten erhalten haben. Das nächste soll in einer Woche erscheinen. Für mehr Information folgen hier die Kontaktadressen:

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