Dieser Text ist eine gekürzte Übersetzung eines Auswertungstextes des 2. Globalen Aktionstages June 18th in London. Vieles ist spezifisch auf den englischen Kontext zugeschnitten; auch Begriffe wie "Klassenkampf" und "Revolution" werden in englischen Zusammenhängen viel unverkrampfter und weniger dogmatisch benutzt als hierzulande. Reclaim The Streets selber, die die Initiative zu diesem Global Action Day ergriffen haben, ist aus dem Aufeinandertreffen von Öko-Anarch@s, die vorher Bäume besetzt hatten, um Straßenbaus zu verhindern, einer Techno-Subkultur, die anders als hier, illegalisiert war und daher nicht angepaßt und kommerzialisiert, und Teilen der ArbeiterInnenbewegung (z.B. die Liverpool Dockers, Hafenarbeiter, die sich seit langer Zeit im Streik befanden). Dennoch enthält der Text viele wichtige Punkte und Kritik, die auch auf die "AktivisInnen-Szene" in der BRD zutreffen.
Mit einer "Aktivistenmentalität" meine ich Leute, die sich selbst in erster Linie als AktivistInnen denken und die sich einer größeren Gemeinschaft von AktivistInnen zugehörig fühlen. AktivistInnen identifizieren sich mit dem, was sie tun und denken ihre Rolle im Leben wie eine Arbeit oder einen Job. Auf die selbe Weise identifizieren sich andere Leute mit ihrer Arbeit als Arzt oder Lehrer, und statt jemand zu sein, wird ihre Arbeit zu einem essentiellen Teil ihrer Selbstdarstellung.
EinE AktivistIn ist ein SpezialistIn in sozialer Veränderung. Sich selbst als AktivistIn zu denken, bedeutet, sich als jemand irgendwie privilegiertes oder besser geeignetes als andere in deinem Verständnis von der Notwenigkeit von sozialer Veränderung zu halten, in dem Wissen wie dies zu erreichen ist und als führendeR oder in der vordersten Front des praktischen Kampfes zur Schaffung dieses Wandels.
Aktivismus hat wie alle ExpertInnenrollen seine Grundlage in der Arbeitsteilung, die ihrerseits die Basis der Klassengesellschaft darstellt, und die in der fundamentalen Trennung von Kopf- und Handarbeit liegt. Experten bewachen eifersüchtig und mystifizieren die Aufgaben, die sie haben. Dies hält Leute getrennt und ohnmächtig und stärkt die hierarchische Klassengesellschaft.
Eine Arbeitsteilung beinhaltet, dass eine Person eine Rolle anstelle vieler anderer übernimmt, die sie ihr überlassen. Eine Teilung der Aufgaben bedeutet, dass andere Leute dein Essen anbauen und deine Kleidung herstellen und für deine Elektrizität sorgen, während du weitermachst, die sozialen Wandel voranzutreiben. Der Aktivist als Experte in sozialer Veränderung geht davon aus, das andere Menschen gar nichts tun, um ihr Leben zu verändern und fühlt sich so verpflichtet oder verantwortlich, dies an ihrer Stelle zu tun, um den Mangel an Aktivität anderer zu kompensieren. Uns als AktivistInnen zu definieren heißt, dass wir "unsere" Aktionen als die einzigen betrachten, die uns sozialen Veränderungen näherbringen - während natürlich Klassenkampf immer und überall stattfindet.
Die Spannung zwischen der Form des "Aktivismus", in der unsere politischen Aktivitäten auftreten und den zunehmend radikalen Inhalten hat in den letzten Jahren immer mehr zugenommen. (In England) hat es in der "AktivistInnen-Szene" einen Fortschritt gegeben, das immer mehr Leute von Kampagnen gegen einzelne Unternehmen oder Entwicklungen zu einer wenn auch vagen, dennoch vielversprechenden antikapitalistischen Perspektive übergegangen sind. Doch obwohl sich der Inhalt der Kampagnen verändert hat, ist die Form des Aktivismus gleich geblieben. Anstatt Monsanto anzugreifen und ihre Hauptquartiere zu besetzen, müssen wir jetzt über diese einzelne Facette des Kapitals, welches von Monsanto repräsentiert wird, hinaussehen und eine "Kampagne" gegen Kapitalismus entwickeln. Und wo könnte mensch besser hingehen und etwas besetzen als die Hauptquartiere des Kapitalismus - die Innenstadt?
Unsere Handlungsmethoden sind immer noch dieselben, als ob wir uns mit einem einzelnen Unternehmen oder einer Entwicklung auseinandersetzen würden, trotz der Tatsache, dass Kapitalismus nicht dasselbe ist und dass die Methoden, mit denen mensch vielleicht ein einzelnes Unternehmen zu Fall bringen kann, nicht unbedingt die selben sein können, mit denen der Kapitalismus zu Fall gebracht werden könnte. Um den Kapitalismus anzugreifen, ist kein quantitativer Wandel nötig (mehr Aktionen, mehr AktivistInnen), sondern ein qualitativer (wir müssen andere Handlungsformen entwickeln). So wie es aussieht, haben wir sehr wenig Vorstellungen davon, was nötig sein könnte, um den Kapitalismus zu überwinden. Als ob alles, was dazu gebraucht würde, eine Art kritische Masse von AktivistInnen wäre, die alle erreichbaren Büros besetzt und dann hätten wir eine Revolution...
Die Rolle des oder der AktivistIn ist eine Rolle, die wir angenommen haben wie die als PolizistIn, Eltern oder PastorInnen - eine eigenartige psychologische Form, die wir benutzen, um uns selbst und unsere Beziehungen zu anderen zu definieren. AktivistInnen sind also SpezialistInnen oder ExpertInnen in sozialen Veränderungen - doch je mehr wir an dieser Rolle und Meinung von dem, was wir zu sein meinen, hängen, desto mehr behindern wir den Wandel, den wir anstreben. Eine wirkliche Revolution würde es einschließen, aus allen festgelegten Rollen auszubrechen und Spezialisierungen zu zerstören - eine Wiederaneignung unseres Lebens. Die Kontrolle über unsere eigenen Ziele an uns zu nehmen, was der Akt der Revolution darstellt, wird die Erschaffung von neuen Formen von Interaktion und Kommunikation einschließen. "Experten" in irgend etwas können diesen Prozess nur behindern.
Der Situationist Rauol Vaneigem definiert Rollen wie folgt: "Stereotypen sind die dominierenden Bilder einer Periode...Stereotypen sind Modelle einer Rolle, und die Rolle ist eine Form des Verhaltens. Die Wiederholung eines Verhaltensmusters schafft eine Rolle." Eine Rolle zu spielen ist einen Eindruck zu kultivieren zur Vernachlässigung alles Authentischen. "Wir erliegen der Verführung von geliehenen Verhaltensmustern." Als Rollenspieler bleiben wir in Unauthentizität verhaftet - wir reduzieren unser Leben auf eine Reihe von Klischees - "brechen unser Leben herunter in eine Serie von Posen, mehr oder weniger unbewußt aus verschiedenen dominanten Stereotypen." Die Rolle des Aktivisten ist dabei nur eine dieser Rollen - und liegt darin, trotz aller revolutionärer Rhetorik, die mit dieser Rolle verbunden ist, letztlich im Konservatismus.
Die scheinbar revolutionäre Aktivität des/der AktivistIn ist eine stumpfe und sterile Routine - eine ständige Wiederholung einiger weniger Aktionen ohne Potential für Veränderung. AktivistInnen würden vielleicht sogar der Veränderung Widerstand leisten, wenn sie denn käme, denn das würde die einfachen Gewißheiten ihrer Rolle und die nette kleine Nische stören, die sie sich selbst geschaffen haben. Wie Gewerkschaftsbosse, sind AktivistInnen ewige RepräsentantInnen und ModeratorInnen. Auf die selbe Weise, wie Gewerkschaftsführende dagegen wären, das der Kampf "ihrer" ArbeiterInnen erfolgreich wäre, weil sie damit ihren Job verlieren würden, ist die Rolle des Aktivisten durch eine wirkliche Veränderung bedroht. Wenn es wirklich eine Revolution gäbe, oder auch nur tatsächlich Schritte in diese Richtung, würde das sicher AktivistInnen erschüttern, weil es sie ihrer Rolle berauben würde. Wenn alle zu RevolutionärInnen werden, bist du nicht mehr so etwas besonderes, nicht wahr?
Also, warum verhalten wir uns wie AktivistInnen? Es ist einfach, in die Rolle des Aktivisten zu schlüpfen, weil es in diese Gesellschaft paßt, statt sie herauszufordern - Aktivismus ist eine akzeptierte Form von Dissens. Es hat sicherlich eine große Anziehungskraft, eben weil es nicht revolutionär ist.
Der Schlüssel zum Verständnis der Rolle des Aktivisten ist die Selbstaufopferung - die Opferung des selbst an "die Sache", die als etwas von einem selbst getrenntes angesehen wird. Dies hat natürlich nichts zu tun mit wirklichen revolutionären Aktivitäten, die die Ergreifung des Selbst ist. Revolutionäres Märtyrertum geht zusammen mit der Identifikation einer Sache, die jenseits des eigenen Lebens steht - eine Aktion gegen Kapitalismus, die den Kapitalismus als etwas "da draussen" in der Stadt identifiziert, ist grundlegend falsch verstanden - die wahre Macht des Kapitals ist gerade hier in unserem alltäglichen Leben - wir wieder-erschaffen seine Macht jeden Tag, weil Kapitalismus kein Ding ist, sondern eine soziale Beziehung zwischen Menschen (und Klassen), vermittelt durch Dinge.
Die Rolle des Aktivisten schafft eine Trennung zwischen Zielen und Mitteln: Selbstaufopferung bedeutet die Schaffung einer Teilung zwischen der Revolution als Liebe und Freude in der Zukunft, aber Pflicht und Routine jetzt. Die Weltsicht des Aktivismus ist bestimmt durch Schuld und Pflicht, weil AktivistInnen nicht für sich selbst kämpfen, sondern für eine "Sache". Als AktivistIn mußt Du Dich Deinen eigenen Wünsche verweigern, weil Deine politische Aktivität so definiert ist, dass diese Dinge nicht als "Politik" zählen. Du tust also "Politik" in eine getrennte Kiste von dem Rest Deines Lebens - wie in einem Job...Und weil es in dieser Extra-Kiste ist, existiert es ungehindert von jeglichen realen praktischen Betrachtungen über Effektivität. AktivistInnen fühlen sich verpflichtet, unreflektiert die selbe alte Routine beizubehalten, nicht in der Lage, inne zu halten und darüber nachzudenken, so dass das wichtigste ist, das der/die AktivistIn beschäftigt bleibt und ihre Schuld abarbeitet, in dem sie nötigenfalls selbst mit ihren Köpfen gegen die Wand rennen. AktivistInnen haben diese "Wir müssen JETZT etwas tun!"-Haltung, die anscheinend von Schuldgefühlen erfüllt ist. Das aber ist komplett untaktisch. Die Selbstaufopferung des Aktivisten spiegelt sich in ihrer Macht über andere als ExpertInnen - wie eine Religion gibt es eine Art Hierachie von Leiden und Selbstgerechtigkeit. AktivistInnen nehmen Macht über andere an durch die Moralität ihres höheren Grades an Leiden ("nicht-hierachische Gruppen sind oft in Wahrheit eine "Diktatur der Engagiertesten"). AktivistInnen benutzen moralischen Druck und Schuldgefühle um Macht über andere weniger Erfahrene in der Theogonie des Leidens. Ihre eigene Unterordung geht Hand in Hand mit der Unterordnung von anderen - alle sind versklavt von "der Sache".
Die Rolle des Aktivisten ist eine selbstauferlegte Isolierung von allen Menschen, mit denen wir uns verbünden sollten. Leute tendieren dazu, von sich selbst in der ersten Person Plural zu denken (auf wen beziehst du dich, wenn du von "wir" sprichst?), im Bezug auf eine Gemeinschaft von AktivistInnen, eher als auf eine Klasse. So ist es z.B. seit einiger Zeit in der AktivistInnen-Szene beliebt, von "keine Ein-Punkt- Bezüge mehr" und über die Wichtigkeit von "Verbindungen herstellen" zu sprechen. Wie auch immer, darunter wird meistens die Herstellung von Verbindungen zu anderen AktivistInnen oder Aktionsgruppen verstanden.
Es ist jedoch nicht genug, zu versuchen, alle AktivistInnen der Welt miteinander zu verbinden, noch ist es genug, zu versuchen, mehr und mehr Menschen in AktivistInnen zu verwandeln. Im Gegensatz zu dem, was einige Leute zu denken scheinen, werden wir einer Revolution nicht näher kommen, wenn immer mehr Menschen zu AktivistInnen werden. Vaneigem schreibt: "Revolution wird jeden Tag gemacht, trotz, und in Opposition zu, den Spezialisten der Revolution." SpezialistInnen rekrutieren andere für ihre kleinen Spezialgebiete, um ihre eigene Macht zu vergrößern und so die Realisierung ihrer eigenen Machtlosigkeit zu verdrängen. Wie ein Kettenbriefverkaufssystem reproduziert sich die Hierachie - Du wirst rekrutiert, und um selber nicht am Ende der Pyramide zu stehen, mußt Du wiederum andere rekrutieren, die unter Dir stehen, die dann wiederum das gleiche tun. Die Reproduktion der entfremdeten Gesellschaft der Rollen ist begleitet durch Spezialisten.
Jaques Camatte macht in seinem Essay 'Über Organisation' deutlich, dass politische Gruppen oft in "Gangs" enden, die sich selbst durch Ausschluß definieren - die Loyalität der Gruppenmitglieder bezieht sich immer zuerst auf die Gruppe, weniger auf den Kampf. Die politische Gruppe oder Partei setzt sich selbst anstelle des Proletariats, und das eigene Überleben und Reproduktion wird oberstes Gebot. Die Gruppe behauptet von sich selbst, als einzige die Wahrheit verstanden zu haben und alle außerhalb der Gruppe werden wie IdiotInnen behandelt, die der Bildung durch diese Avantgarde bedürfen.
Hier gibt es Ähnlichkeiten zum Aktivismus, in dem die AktivistInnen-Szene wie eine linke Sekte handelt - Aktivismus als gesamtes hat einige Charakteristiken einer "Gang". Diese "Gang" ist eine illusionäre Gemeinschaft, die uns davon abhält, eine breitere Gemeinschaft des Widerstand aufzubauen. Die Quintessenz von Camates Kritik ist ein Angriff auf die Schaffung einer Innen/Außen-Unterteilung zwischen der Gruppe und der Klasse. Wenn wir die Strukturen der Herrschenden Gesellschaft im Namen der Politik reproduzieren, die sich selbst antikapitalistisch nennt, haben wir verloren, bevor wir überhaupt begonnen haben.
Dies ist ein bescheidener Vorschlag, dass wir Handlungsformen entwickeln sollten, die unseren radikalen Ideen entsprechen. Aktivismus ist eine Form, die von unserer Schwäche verstärkt wurde; wir befinden uns in Zeiten, in denen radikale Politik oft schwach und marginalisiert ist. So ist es vielleicht nicht einmal in unserer Macht, aus der AktivistInnenrolle auszubrechen. Trotzdem, um daran zu arbeiten, den Kampf zu verbreitern und zu verschärfen, wird es nötig sein, mit der AktivistInnenrolle zu brechen, so weit das möglich ist - ein ständiger Versuch, über die Grenzen und Beschränkungen unserer Bindungen hinauszugehen. Historisch betrachtet, die Bewegungen, die einer ernsthaften Destabilisierung oder Sturz der Regierung oder die über den Kapitalismus hinausgingen, haben überhaupt nicht die Form des Aktivismus angenommen. Aktivismus ist essentiell eine politische Form und eine Handlungsform, die auf liberalen Reformismus zugeschnitten ist, und die von uns über ihre eigenen Grenzen hinaus getrieben und für revolutionäre Zecke benutzt wurde. Die AktivistInnenrolle müsste in sich selbst schon prolblematisch sein für alle, die eine soziale Revolution wollen.