Autonomes Rhein-Main-Info • Nr.134 | August2005
Samstag, 2.7.: Bob Geldorf´s Day
Am 2.7. demonstrierten über 200.000 Menschen in weißer Oberbekleidung in der schottischen Hauptstadt Edinburgh deren Bevölkerungszahl gerade mal das Doppelte der Demonstrierenden beträgt. Das Spektrum der Teilnehmenden war sehr bürgerlich. Viele waren wahrscheinlich auf ihrer ersten Demo, viele andere gewerkschaftlich oder musikalisch-subkulturell aus den 70ern geprägt. Inhaltlich war das Ganze eher flach. Die radikaleren Kräfte um dissent! und co. waren total marginalisiert. Dafür gingen aber selbst die schrecklichen Linksruckis von der WSP und andere Socialist Trotzkist Spinner in der Masse unter, ganz anders als das noch im Herbst auf dem ESF in London war. Very Scottish eben das ganze. Schottland war einfach Neuland bei einer solchen Sache und die politischen Strukturen sind dort ganz andere als in England.
Ob mensch dieses Massenspektakel gut fand oder nicht hängt wohl von der Grundeinstellung ab. Jede Menge Leute waren wohl nicht so drauf den G8 abschaffen zu wollen, sondern vielmehr den "Politikern Druck zu machen" damit diese endlich die notwendigen, "guten" Reformen angehen. Wem solche politische Naivität a la Friedensbewegung zuwider ist, war definitiv im Feindesland. Und entsprechend erging es einem verärgerten Block Schwarzgekleideter die, als sie eine eigene Demo machen wollten, in den Seitenstraßen, von der Masse unbemerkt und unrelevant, gekesselt und abgedrängt wurden, so dass ihnen auch die Clownsarmy und die rhythmischen SambatrommlerInnen nicht helfen konnten. Dieser Einstellung ist aber entgegenzuhalten, dass die Debatte um die G8, die Entschuldung und um Bob Geldorfs Life 8 für schottische Verhältnisse unglaublich viele Menschen am 2.7. auf die Straßen gezogen hat, um wenigsten einmal zu sagen, dass die Industrienationen eine irgendwie geartete Verantwortung für die Armut im Trikont hat.
Nachdem Samstag Abend die "Bob-Geldorf-Army" nach Hause gegangen war, begannen die Aktionstage die von radikalerern Gruppen vorbereitet waren.
Montags gab es den Carnival of Full Enjoyment, einen bunten und lauten Anti-Prekarisierungs-Spaziergang durch Edinburgh. Durch die Reibereien vom Vortag und zunehmenden Bullenprovokationen gegenüber dem Carnival erweiterten sich die Aktionsformen der Demo von den Sambatrommeln und den allgegenwärtigen Clowns um fliegende Mülltonnen, Steine und Holzlatten, was angesichts selbstbewusster Bullen mit Teleskopschlagstöcken und den in die Demo rein reitenden Polizeipferde auch sehr angebracht war. Ziemlich bald wurde ein Großteil der Angriffe auf die Bullen nicht mehr von Demonstrierenden sondern von lokalen Jugendlichen getragen. Ein Großteil der Festnahmen während des Gipfels fanden an diesem Tag statt.
Gleichzeitig war eine Blockade des Atom-U-Boot Hafens Faslane angekündigt worden. Gewaltfreie Sitzblockaden gegen atomare und militärische Ziele haben in Schottland Tradition vor allem gegen den U-Boot Bunker in Faslane, weswegen eine Blockade während der Gipfelproteste Brückenschlagend wirken sollte. Die Bullen hatten wohl die Einschätzung den gemeinsamen Protest schwer managen zu können und entschieden kurzerhand den Hafen selbst an diesem Tag zu schließen. Die Aktion wurde aber trotzdem vo ca. 500 Menschen durchgeführt, um eben nicht der Bullentaktik nachzugeben.
Ob die Dockarbeiter in Faslane den Arbeitstag wann anders nachholen müssen oder ob sie daraus Lehren gezogen haben und jetzt selbstverfasste Aufrufe zur Blockade ihrer Arbeitsstelle schreiben, blieb unbekannt.
Dienstags sollte dann der Abschiebeknast in Dungavel mittels einer Kundgebung ins Visier genommen werden. Auch hier sorgten die Bullen vor und verlegten kurzerhand alle Einsitzenden in andere Abschiebeknäste. Auch hier wurde die Aktion trotzdem durchgeführt, allerdings mit wesentlich weniger Elan und Masse als ursprünglich erwartet.
Die Vorfeldaktionen fanden alle in ziemlicher Entfernung zum Gipfelort statt. Spätestens Dienstag aber verlagerte sich alles auf das eco-village HoriZone nach Stirling.
"Die Störungen durch die Blockaden am Eröffnungstag des diesjährigen G8-Gipfels waren so massiv, dass ganze Delegationen ihre Ankunft cancelten oder sich bis zum späten Nachmittag verspäteten." So die wohlwollende Einschätzung der Blockaden vom Mittwoch wie sie vom Dissent-Netzwerk herumgeschickt wurde:
Mögen die drei Convergence Centre in Edinburgh, in Glasgow und in Stirling auf angereiste Gipfelstürmerinnen zwar verwirrend und zersplitternd gewirkt haben, so war es unterm Strich wohl trotzdem gut, da die Bullen aus "persönlicher Besessenheit bezüglich einiger Individuen" (die Wombels aus London) unverhältnismäßig viele Kräfte in Edinburgh stationiert hatten.
Die große Schwierigkeit auf dem Camp war, dass es sehr leicht von den Bullen abzuriegeln war, da es nur eine einzige Zufahrt gab. Deswegen war klar das die Blockadegruppen das Camp frühzeitig vor den Blockaden verlassen mussten. Eine weitere Problematik für uns Angereiste war, dass der Informationsfluss beschissen war. Es war für kleinere Gruppen praktisch nicht möglich sich einzuklinken. Es blieb so dezentralisiert und selbstorganisiert dass die Situation ziemlich chaotisch war. Wer noch nicht seit Wochen über der eigenen vollklandestinen Aktion brütete, entschied sich meist erst wenige Stunden vorher an welcher Straße die eigene Beteiligung erfolgen sollte – und auch dann waren die Entscheidungen entweder Zufälle oder Gefühlssache.
Die Erfahrungen dieses Morgens waren dann auch dementsprechend gemischt. Während einige in Stirling bereits in den frühen Morgenstunden völlig sinnlos und abgeschlagen als Drachenfutter dienen mussten, hatten beispielsweise andere Gruppen das Glück auf unbehelmte Bullenreihen zu treffen, die vor den auf sie geworfenen Steinen flüchteten und somit den Weg auf die Autobahn frei machten. Diese größere Gruppe, die die Straße blockieren konnte, wurde zwar dann eingekesselt, aber schließlich ohne Repressalien zurückgeschickt.
Auch in den Bergen und Wäldchen rund um Gleneagles gab es Gruppen die keine Möglichkeit hatten außer wieder den langen Heimweg anzutreten, während andere einen schönen Morgen mit Barrikadenbau und Katz-und-Maus-Spielen hatten.
Mittags trafen sich dann alle auf der Demo im nahe gelegen Auchterarder wieder. Die Demo war von dem linken, eher sozialistischen Spektrum, den g8Alternatives angemeldet und von den Bullen kurz vorher verboten worden. Als dann aber trotzdem massenweise Leute anrückten, sahen sich die Bullen gezwungen die Demo mit riesiger Verspätung doch noch loslaufen zu lassen. In den engen Gassen des Städtchens schob sich die Demo zusammengepresst ihrem Ziel entgegen, dem Zaun um das Hotel. Dort kam es dann zu einem sonderbaren Ritual. Während am ersten Zaunstück die Wütenden noch von den OrdnerInnen sanft weiter gebeten wurden, kamen wir nach einigen Metern zum Spielfeld. Eine weite Wiesenfläche führte direkt von der Demoroute zum Zaun. Dahinter stand ein mysteriöser Turm, eine Staffel Bullen zu Pferde und eine Reihe Cops. Hinter uns waren große Kameratürme aufgebaut, damit die Presse das Feld filmen konnte. Und so begann das Spiel.
Obwohl die Bullen sehr wohl Leute aufhalten hätte können, die zum Zaun liefen taten sie es nicht mal halbherzig. Nach und nach liefen immer mehr Leute zum Zaun, woraufhin nichts passierte, außer das die Pferde etwas schneller hin und her gescheucht wurden. Als die ersten begannen den Zaun aufzupetzen und niederzureissen, spielten die Bullen kameratauglich ihren Trumpf aus und ließen zwei Bananenhubschrauber mit Riotcops landen, die die Demonstrierenden vom Zaun weg knüppelten. Ob am Ende alle glücklich waren? Einige Peaceniks konnten trotz ihrer Friedlichkeit Bullenverletzungen in die Kamera halten, die Militanten freuten sich dass sie nicht nur den Zaun, sondern sogar die Elektrik des Polizeiturms angegangen waren, die Bullen hatten ihr professionelles und technisch-hochgerüstetes Einsatzkonzept bewiesen und die Kameras hatten ihre Bilder. Schräge Szene.
Zurück im Camp begannen zügig die nächsten Aktionsplenas. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen, denn 2 Stunden vor der nächsten Massenauswanderung vom Camp machten die Bullen das, was alle schon seit 24 Stunden erwartet hatten: Sie kesselten das Camp ein. Alle legten sich noch mal auf´s Ohr um zu menschlicheren Zeiten darüber zu beraten was zu tun sei, aber auch dazu kam es nicht mehr. Während des großen Plenum platzte die Nachricht herein, dass es in London eine schweren Anschlag gegeben hatte. Da auch viele aus London kamen, gab es eine große Betroffenheit; die Entscheidung über den Umgang mit dem Kessel wurde nach hinten verlegt – stetig. Alle folgenden Plena hatten nur noch die Anschläge und den angemessenen Umgang damit zur Folge. Dabei zeichnete sich die Tendenz ab, dass sich die Militanten immer mehr aus den Diskussionen raus zogen und den Weichspülern unter den Gewaltfreien immer mehr Raum gaben. Dies führte zu einer Situation der völligen Handlungsunfähigkeit des Camps. Es gab – wegen des angeblichen Respekts gegenüber den Opfern in London – kein wirkliches Verhalten gegenüber dem Bullenkessel. (Ein kleine Kundgebung vor den Bullen mit Sambatrommel blieb bedeutungslos.) Statt dessen kam es zur zynischen Situation, dass einige Hippies "We shall overcome" vor den Bullenreihen sangen, während die meisten im Camp – die singenden Hippies miteingeschlossen - feierten und sich bedrogten. So viel also zur Betroffenheit. Die Paralyse bestand bis sich das Camp am nächsten Vormittag nach über 24 Stunden Kessel selbst auflöste. Vielleicht ist hier der Globalisierungsbewegung ihre Vielfältigkeit auf die Füße gefallen, da in dieser zugespitzten Situation ein nebeneinander der verschiedenen Aktionsformen so nicht mehr möglich war.
Während des Gipfels haben die Bullen rund 700 Leute in Gewahrsam genommen. Mittlerweile sind alle wieder draußen, ber nicht wenige müssen nun mit Prozessen rechnen.
Unterm Strich werden die Tage und die Blockaden auf der Dissent!-Liste aber als erfolgreich verbucht.
"Der Ort für den Gipfel wurde mit dem Golfhotel in Gleneagles in dem Glauben gewählt, dass seine Abgeschiedenheit effektiven Widerstand vorbeugen würde. Am Ende führte gerade diese Abgeschiedenheit dazu, dass Demonstrantinnen von den umliegenden Wäldern und Hügeln auftauchen konnten, die Polizei in ungewohntes Terrain zwangen und sie ausmanövrierten bis die Strassen Schottlands paralysiert waren."
Insbesondere diese Erfahrung lässt sich weitergeben, wenn es darum geht 2007 den g8-Gipfel in Deutschland zu blockieren.
2007 werden die G8 ihren Gipfel in dem Kempinski Grand Hotels in Heiligendamm an der Ostsee abhalten. Heiligendamm liegt 20 Km westlich von Rostock und etwa 200 Km von Berlin und Hamburg entfernt.
Nachdem es bereits auf dem BUKO ein kleineres Vorbereitungstreffen abgehalten wurde und es einen Aufruf der Interventionistischen Linke zum gemeinsame Widerstand gegeben hatte, gibt es jetzt im Oktober ein größeres Treffen in dem tiefer in die inhaltliche und organisatorische Planung eingestiegen werden soll.
Es stellt sich die Frage, ob es nicht übertrieben ist jetzt schon für 2007 zu planen. In der Einladung zum Treffen werden die 2 Jahre als Chance gesehen, um "Kommunikations- und Diskussionsstrukturen zu schaffen, damit die undogmatische Linke gestärkt in die Proteste hinein und vor allem gestärkt wieder herausgeht." Die Einladung fokussiert erst mal auf alle "Teilbereiche" der "deutschen Linken". Mittelfristig ist aber die internationale Vernetzung v.a. mit polnischen Gruppen ebenso angestrebt wie das aktive mit einbeziehen von migrantischen Gruppen.
Auf dem ersten Treffen gab es die Idee, schon nächstes Jahr ein Internationales Vorbereitungs- und Mobilisierungscamp in McPom zu machen, welches zeitlich rund um den G8-Gipfel 2006 in St. Petersburg angesetzt werden sollte, um somit konkret die Politik der g8 zu thematisieren und den möglichen Protest und Widerstand in St. Petersburg zu unterstützen. In Russland selbst wird gerade noch diskutiert ob die dortigen Strukturen mobilisieren werden oder ob der Schuss nach hinten los gehen würde, da die Strukturen von dieser großen Aufgabe überfordert und überlastet wären. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen, aber haltet euch die zwei Wochen trotzdem frei, denn wenn sich die russischen GenossInnen dagegen entscheiden, gibt es ja wahrscheinlich trotzdem noch das erste Camp in Mecklenburg-Vorpommern.
resist g8 2005 – g8 reflection – www.agp.org | www.all4all.org