ANTIFA — zwölf Jahre autonomer Politik


Warum Antifaschismus?

Die Frage, was ist Faschismus, muß für die Gegenwart beantwortet werden. Daß der Faschismus in Deutschland erneut an die Regierung gebracht würde, ist nicht abzusehen, so daß die Frage nach dem Faschismus an der Macht zunächst vernachlässigt werden kann.

Faschismus als Weltanschauung ist ein Angebot zur Erklärung der gesellschaftlichen Verhältnisse und auch zu ihrer Veränderung. Dies ist niemals eine grundlegende Veränderung, sondern Faschismus greift auf das Gefühl der Unzufriedenheit von Menschen in und mit diesem System zurück bei gleichzeitigem Einverstandensein mit seinen vorwiegend ökonomischen Grundfesten. D.h. die Lasten dieses Systems (Fremdbestimmung, Lohnarbeit, geringer Lohn, Arbeitslosigkeit, Zukunftsunsicherheit, mit all den Folgen daraus) wird durchaus als Problematik wahrgenommen, nur die Konsequenz daraus, nämlich die Ursache, den Kapitalismus, abzuschaffen, wird nicht gezogen und soll auch nicht gezogen werden. Die Wut richtet sich nicht gegen Kapitalismus, Hierarchien und Autoritäten, sondern sucht sich anders Bahn zu brechen. Hier macht der Faschismus Angebote, die etwa lauten: Eigentlich wäre alles gut, wenn nur AusländerInnen, Juden, Demokratie, Kriminalität usw. nicht wären.

Der Anhänger dieser Ideologie hat kein "falsches Bewußtsein" – falsches Bewußtsein in dem Sinne, daß er auf Ideen hereinfiele, die seinen Zielen und Absichten zuwiderliefen –, sondern entscheidet sich dafür, einem imaginierten Kollektiv (Deutsche) zuzugehören, um durch seine bedingungslose Unterordnung unter es seinen festen Platz, sein eigenes Auskommen zu haben. Daß dieses Kollektiv nicht funktioniert, muß er jemandem vorwerfen, der dies angeblich verhindere, da er den Unsinn der "Volksgemeinschaft", also eines nationalen Kollektivs, in dem jeder seinen Platz findet, nicht erkennt, weil er es nicht erkennen will. Die übergreifende Klammer, die das ganze Gebäude zusammenhalten soll, ist der Staat, dem die Aufgabe zukommt, das gesamte "Leben der Nation" zu lenken. Dazu gehört die Unterdrückung, Ausschaltung und ggfls. Vernichtung all dessen, was der "Volksgemeinschaft" vermeintlich oder tatsächlich schadet; dazu gehört die Regulierung des Konkurrenzkampfes der Arbeitskräfte durch Sicherstellung der nachgeordneten Stellung Nichtdeutscher, in der Konsequenz läuft das auf die Ausschaltung der Konkurrenz ausländischer Arbeitskräfte hinaus; dazu gehört auch die Abschottung der deutschen Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz.

Bei faschistischer Ideologie handelt es sich also um einen eigenständigen, dennoch aber kapitalistischen Gesellschaftsentwurf. In dieser verkümmerten Utopie haben sämtliche gesellschaftlichen Klassen in erster Linie gemeinsame Interessen, die durch zu Außenstehenden Erklärten gefährdet werden. Die Organisierung als Klasse zur gemeinsamen Durchsetzung ökonomischer und politischer Interessen wird vom Faschismus abgelehnt. Insofern trägt er selbstverständlich zur Klassenspaltung bei. Dies tut er auch, indem er die "Störer" des "anständigen deutschen Lebens" in der Klasse verortet, so daß Klassensolidarität ausgeschlossen wird.

Aus Sicht der Kapitalistenklasse ist der Faschismus eine der Herrschaftsformen, zu der sie greifen kann. Hier soll keine Faschismustheorie entfaltet werden, hier wird auch nicht behauptet, daß der Faschismus vollständig am Gängelband der Großbourgeoisie gehangen hätte. Für die heutige Situation bietet die faschistische Bewegung nur latenten Nutzen, nämlich z.B. dann, wenn es mal wieder eine linke, revolutionäre Bewegung bedrohlichen Ausmaßes gäbe. Dann könnte erneut die faschistische Karte gezogen werden. Zum Beispiel könnten Nazibanden gepusht werden, um Linke von der Straße zu bekommen. Ein weiterer denkbarer Nutzen entstünde, wenn MigrantInnen für ihre sozialen Interessen einträten, d.h. via Durchsetzung ihrer politischen Gleichberechtigung den Billiglohnbereich angriffen. Dann könnten die Faschisten versuchen, diese Klassenbewegung zu zerstören, indem eine rassistische Mobilisierung gegen die MigrantInnen stattfände. So betrachtet sind Faschisten zur Zeit ein Potential, eine Option auf die Zukunft, und spielen als ganz aktuelle Möglichkeit für das Kapital eine sehr untergeordnete Rolle.
 

Warum also Antifaschismus?

1. Zugang. Unsere grundsätzliche Ablehnung der gegenwärtigen Gesellschaftsform macht die theoretische Analyse des Ist-Zustands und die Reflexion der Möglichkeiten zur revolutionären Umwälzung nötig. Die konkreten Bedrängnisse im Alltag wie im Grundsatz müssen auf ihre Ursachen zurückgeführt werden, als da wären: Kapitalismus und Patriarchat. Solange es uns noch nicht gelingt, diese Ursachen praktisch in Frage zu stellen, ist es zumindest notwendig, die "Spitzen des reaktionären Eisberges", d.h. die politischen Strömungen anzugreifen, die all das, was wir ablehnen, noch zu verschärfen drohen. Faschismus ist der schärfste dieser politischen Entwürfe.

2. Zugang. Linksradikale Politik hat das Ziel, dafür zu sorgen, daß das, was nicht mehr sein soll, auch nicht mehr ist. Daraus folgt der Einsatz für die Verbesserung der Lebensbedingungen der überwiegenden Mehrheit an jedem einzelnen Punkt (z.B. höhere Löhne, weniger Arbeitszeit, bessere Arbeitsbedingungen), damit a) das Leben erträglicher wird und Zeit und Kraft für anderes übrigbleiben und weil b) Menschen in der selbst geführten Auseinandersetzung um ihre Interessen Solidarität lernen und Erkenntnisse um gesellschaftliche Zusammenhänge gewinnen. Antifaschismus ist dabei einer von vielen Punkten, da sich Menschen dafür einsetzen, die Bedrohung durch Nazis zurückzudrängen, aber auch die faschistische Propaganda einzuschränken, die stets Rassismus und Nationalismus vorantreiben will.

3. Zugang. Im "Ringen um die Köpfe", damit ist die Auseinandersetzung um die Zukunft von Staat und Gesellschaft gemeint, nehmen die Faschisten den Standpunkt der extremen Unterwerfung unter kapitalistische Verhältnisse und nationalistische und rassistische Ideologeme ein. Auf dem Weg zur Befreiung wird diese Ideologie geschlagen werden müssen, da eine solidarische Gesellschaft zur Voraussetzung hat, daß ihr entgegenwirkende Vorstellungen marginalisiert werden.

4. Zugang. Die Faschisten ihrerseits beeinflussen mit ihrer Propaganda die "öffentliche Meinung". Sie sind ebenfalls Teil der gesellschaftlcihen Öffentlichkeit und stets und mehr oder weniger erfolgreich darum bemüht, das politische Klima, den "Diskurs", nach rechts zu verschieben. Unübersehbar ist, um nur ein Beispiel zu nennen, der Anteil der faschistischen Banden daran, die öffentliche Meinung reif zu machen, für die faktische Abschaffung des Asylrechts. Die Rostocker Pogrome waren ein Meilenstein dabei, die vormaligen Verteidiger des Asylrechts zum Umschwenken zu bewegen.

5. Zugang. Ganz pragmatisch. Linke Politik befindet sich aktuell in der Schwierigkeit, für ihre Ideen, Aktionsvorschläge und Theorien kaum noch MitstreiterInnen zu finden. Dennoch wehren sich Menschen immer wieder gegen Faschisten und ihre Ideologie, weil sie sich als davon bedroht ansehen. An diesem einen Punkt typischer linker Positionierung — Antifaschismus gehört zum Grundbestand jeder radikalen Linken — bietet sich die Möglichkeit effektiven Eingreifens, die ansonsten verschüttet worden ist.

6. Zugang. Nazis bedrohen uns. Würden sie weiter erstarken, würde es immer schwerer und riskanter, unsere Politik zu vertreten. Die eine faschistische Strömung versucht dies auf legalistischem Wege über die Parlamente zu erreichen, die andere durch direkten Terror. Die Linken sind aber bei weitem nicht die einzigen, die bedroht werden. Faschisten, die öffentlich agieren können, die die Möglichkeit zu Propaganda und Anhangbildung haben, stellen eine Gefährdung für AusländerInnen, Behinderte, Homosexuelle und Obdachlose dar.
 

Autonome Antifapolitik

Vor 1989 gab es zahlreiche autonome Bewegungen: Hafenstraße und Häuserkampf, Anti-AKW, politische Gefangene und verschiedene Themen der internationalen Solidarität — und auch den Antifaschismus, der überwiegend darin bestand, gegen Nazitreffen, -Parteitage usw. Widerstand zu organisieren. Das war damals leicht, es mußte nur bekanntgemacht werden, wo sich die Nazis treffen wollten und wo die AntifaschistInnen, da kam "von alleine" ein ganzer Haufen Menschen zusammen.
 Die AktivistInnen der Antifa selbst waren eher wenige. Es war damals aber klar, daß sich die anderen Teilbereiche an größeren Aktionen der Antifa beteiligten, wie natürlich auch umgekehrt. Autonome betrachteten sich nicht als Einpunktbewegung, sondern als revolutionäre gesellschaftspolitische Strömung, die (potentiell) alle Widersprüche dieser kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft aufzugreifen suchte. Dieser eigenständige organisationspolitische Ansatz — Arbeit in kleineren, meist klandestinen Gruppen, die sich miteinander vernetzten, so jedenfalls in der Theorie — brachte eine gewisse Abgrenzungssehnsucht gegenüber anderen politischen linken Strömungen mit sich, sei es, um daraus die Legitimität der Eigenständigkeit zu ziehen, sei es, weil mensch sich insgeheim den anderen gegenüber als zwar im Recht, aber inhaltlich unterlegen ansah.
 Um 1989, schon vor der "Wiedervereinigung", aber durch sie verstärkt (es brachen zu dieser Zeit ja die meisten nichtautonomen linken Strömungen regelrecht weg), gelangen bei unseren mobilisierungsträchtigen Themen kaum mehr Demonstrationen mit zahlreichen TeilnehmerInnen. Als Ausnahme dieses Dilemmas schälte sich mehr und mehr der Antifaschismus heraus.
 Die inhaltlichen Grundlagen autonomer Politik, um dies Vorweg darzustellen, falls es nicht in anderen Abschnitten erneut erwähnt wird, ranken sich darum, daß faschistische Strömungen etwas zu tun haben mit diesem Gesellschaftssystem, das auf Konkurrenz gebaut ist. Dazu kommt die Ablehnung von Rassismus, Nationalismus und Militarismus als ideologischer Voraussetzungen faschistischen Wirkens in die Gesellschaft. Der Staat wird nicht nur prinzipiell abgelehnt, auch der "Antifaschismus" des Staates wird kritisiert als pure Heuchelei. Dem Staat wird das Gewaltmonopol, da wo es geht, ganz praktisch abgesprochen.

1. Stufe. Zum "neuen Schwerpunkt" führten 1989 der Einzug der REPs ins Berliner Abgeordnetenhaus und die angedrohten Feierlichkeiten des "Komitees Adolf Hitler" zu "Führers" 100. Geburtstag. Antifaschistische Stadtteilinitiativen überwiegend autonomer Prägung schossen wie Pilze aus dem Boden. Es wurde versucht, diese Ansätze zu vernetzen. Hierzu diente die "Antifa Hamburg", mehr oder weniger ein autonomes Bündnis, in dem neben den Stadtteilgruppen auch vereinzelt "traditionelle" autonome Gruppen mitwirkten. Mensch sah sich als Fokus einer eigenständigen revolutionären Bewegung, war aber zumindest der Meinung, daß der antifaschistische Kampf in der Stadt fast ausschließlich auf den eigenen Schultern laste. Daraus ergab sich auch das unausgesprochene Bündniskonzept: Bündnisse wurden nicht abgelehnt, mensch arbeitete dort aber nicht sehr energisch mit, weil "die anderen eh keinen auf die Straße bringen". Das stimmte vielleicht, aber ein Blick auf die größten antifaschistischen Aktionen in Hamburg weist auch nach, daß große Mobilisierungen, auch des autonomen Spektrums, immer nur da gelangen, wo ein breites Bündnis aufrief.
 Dennoch handelte es sich um einen neuen politischen Anspruch, der lange nicht mehr entwickelt worden war, nämlich um den Versuch, gesellschaftlich zu wirken, möglichst viele Menschen zu erreichen und für die eigenen Vorstellungen zu gewinnen — um "Massenpolitik" also, wie es gelegentlich mit verächtlichem Unterton heißt. Die Großdemonstrationen waren nur ein Schwerpunkt der Tätigkeit, besonderer Wert wurde auf die sog. Kleinarbeit gelegt, auf den Aufbau von Gruppen in Stadtteilen oder an Schulen, auf kleinere Aktionen oder Demos gegen örtliche Nazistrukturen. Zu diesem Zeitpunkt gründeten sich viele Jugendantifagruppen. Die Hamburger Gruppe der "Antifa-Jugendfront" versuchte sie zusammenzufassen; sie war auch an den bundesweiten Strukturen dieser SchülerInnen- und Jugendantifa beteiligt.

2. Stufe. Im Zuge des Wiedervereinigungsnationalismus erstarkten die Faschisten, insbesondere in Ostdeutschland. Absoluter Höhepunkt dieser Entwicklung war das fast einwöchige Pogrom in Rostock-Lichtenhagen. Ein Schock für die Antifa, weil sie es nicht hatte unterbinden können. Schockierend war nicht in erster Linie die neue Militanz und Stärke der Nazis, auch nicht, daß die Polizei sie gewähren ließ (das hatten wir diesem Staat schon zugetraut), sondern v.a. die danebenstehende und applaudierende Bevölkerung führte auf Seiten der AntifaschistInnen zu einem lähmenden Ohmachtsgefühl, das, so unser subjektiver Eindruck, auch nicht durch die Riesendemo mit 25000 Menschen am Wochenende nach dem Pogrom gelöst werden konnte. Der Staat ließ die Faschisten gewähren, die autonome Antifa konnte dem kaum etwas entgegensetzen, andere Teile der Linken waren auf dem Tiefpunkt ihrer Mobilisierungsfähigkeit angelangt (auf dem sie lange verbleiben sollten), und der bürgerliche Antifaschismus hielt sich komplett 'raus, vielleicht einmal abgesehen von moralischer Empörung und den späteren Lichterketten. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich etliche der so hoffnungsvoll in Erscheinung getretenen Stadtteilgruppen bereits wieder aufgelöst, so daß auch von daher die Interventionsfähigkeit in der Öffentlichkeit schon beschränkter war, als noch ein halbes Jahr zuvor.
 Weitere faschistische Anschläge (Mölln und Solingen) brachten aber immerhin eine breite gesellschaftliche Mobilisierung, in der der revolutionäre Antifaschismus als wichtiger Teil akzeptiert wurde. Eine radikale, praktisch-orientierte Antifa erhielt neue Möglichkeiten und weiterhin starken Zulauf von Jugendlichen. Und trotzdem gelang es nicht, die Rudolf-Heß-Märsche zu unterbinden oder ihnen zumindest eine starken Widerpart entgegenzustellen. Im Osten sah der Antifaschismus ohnehin kaum Land, vielleicht mit Ausnahme der Großstädte oder der Kleinstädte um Berlin.
 War Antifa Hamburg der Versuch einer Organisierung "von unten", durch Zusammenwirken von Basisinitiativen, so stellte bundesweit die "Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation" einen etwas anderen Ansatz dar. Die Antifa-Strukturen, d.h. zumeist die eine — oder eine der größeren Antifagruppen einer Stadt schlossen sich hier zusammen mit für autonome Verhältnisse geradezu zentralistischen Strukturen: Zentrale Aktionsplanungen, bundesweite Materialien, gemeinsame politische Grundlage. Dieser Ansatz wurde, wie sich versteht, von anderen Autonomen attackiert. War dies aber eine Spaltung mit Folgen? In Hamburg zumindest nicht, da hier lange Zeit keine AA/BO-Gruppe, zumindest keine mit Szene-Führungsanspruch auftrat. Der andere autonome Antifaflügel versuchte sich auf einem "Bundesweiten Antifa-Treffen" (BAT) zu organisieren, also einem losen Zusammenschluß durchaus unterschiedlicher Gruppen, die aber verband, jeden Führungsanspruch innerhalb der Szene abzulehnen und auf Selbstorganisierung zu setzen.

3. Stufe. Während sich erwies, daß der Osten auf längere Sicht für AntifaschistInnen nicht zurückzugewinnen sein würde, wurde im Westen auf Kontinuität gesetzt. Dazu zählten die Kampagnen gegen Fascho-Zentren, so Demos gegen die Nationalistische Front in Detmold-Pivitsheide, gegen die FAP in Mackenrode oder in Northeim. Es ging darum, nicht immer auf Nazis zu reagieren, sondern die Zentren ihrer Organisierung anzugreifen und ihnen dadurch ihr Agieren zu erschweren. Es gelangen große regionale und überregionale Mobilisierungen, die teilweise von örtlichen Bürgerlichen unterstützt wurden. In Hamburg wurde gegen das FAP-Zentrum in Halstenbek-Krupunder und gegen Jürgen Riegers Anwesen in Blankenese demonstriert.
 Trotz dieser erfolgreichen Demos erwies sich aber ein typisch autonomes Problem in Hamburg: Hier traten Faschisten kaum öffentlich auf. Das Ergebnis war, daß die Arbeit drastisch zurückging (abgesehen von der Unterstützung überregionaler Mobilisierungen). Zur etwa zeitgleichen Auflösung der in Hamburg noch verbliebenen Stadtteilinitiativen trug allerdings auch die nachlassende Unterstützung aus den Szenestadtteilen für am Stadtrand gelegene Antifagruppen bei, seinerzeit unter dem Schlagwort, keine "Feuerwehrpolitik" mehr betreiben zu wollen. Die "Antifa" wurde wieder zu einer Angelegenheit "klassischer" autonomer Politik — dem Arbeiten in weitgehend geschlossenen Kleingruppen. Die Stadtteilinis als Transmissionsriemen der Ansprache des antifaschistisch gesonnenen Teils der Bevölkerung fielen weg, und mit ihnen starb der Versuch, sich an Menschen außerhalb der Szeneöffentlichkeit zu wenden. Die zeitweise Atempause durch das Zurückweichen der Faschisten im Westen wurde weder genutzt, nachzusetzen noch Strukturen zu verfestigen noch andere rechte Strukturen zu attackieren noch sich inhaltlich weiterzubilden.

4. Stufe. Nach langem Abwiegeln und diversen faschistischen Morden reagierte der Staat mit etlichen halbherzigen Verboten — halbherzig, denn zwar wurden Verbote erlassen, jedoch nicht, um die Neonazis wirkungsvoll in ihrem Organisationsaufbau zu behindern, sondern um die öffentliche Meinung, v.a. die weltöffentliche, zu beruhigen (eine Form der Standortpolitik also) —, so gegen die "Nationalistische Front", die "Nationale Offensive", die "Freiheitliche deutsche Arbeiterpartei", die Hamburger "Nationale Liste" und weitere regionale Gruppen oder gegen die jährlichen "Rudolf Heß-Gedenkmärsche". Dennoch konnten die Faschisten entweder ihre Strukturen aufrechterhalten oder rasch neue bilden. Ein Teil organisierte sich in vorgeblich eigenständigen Kameradschaften, ein anderer ging in die NPD und die "Jungen Nationaldemokraten".
 Allerdings hatten die Nazis in dieser Phase den "Wink mit dem Zaunpfahl" verstanden und traten weniger spektakulär in der Öffentlichkeit auf. Demgegenüber dämmerte die Antifa mehr oder weniger vor sich hin. Ansatzpunkte, die neuen Nazistrukturen zu zerschlagen oder den Staat unter Druck zu setzen, Verbote tatsächlich durchzusetzen, wurden kaum gefunden. Einzig in Wahlkampfzeiten, wo die Faschisten öffentlich auftraten (v.a. die DVU, aber auch REPs und der Worch-Klüngel) gab es vermehrte antifaschistische Aktivitäten — ein weiterer Beleg dafür, wie eng unser Engagement mit der öffentlichen Wahrnehmbarkeit unserer Feinde verwoben war.

5. Stufe. Der Brandanschlag von Lübeck und die einige bundesweite Faschistendemos gegen die Wehrmachtsausstellung machten eine qualitativ neue Entwicklung deutlich: a) Wir hatten nicht mehr die Stärke, eine Mobilisierung zu bewirken, die es den Staatsorganen unmöglich gemacht hätte, einen offenkundig von Nazis ausgeführten Mordanschlag den Opfern anzulasten und die Entlastung der Täter als "nationales Prestigeprojekt" zu betreiben. b) Wir waren nicht in der Lage, faschistische Aufmärsche zu verhindern oder zumindest so stark zu behindern, daß deren Teilnehmerzahl gering gehalten worden wäre.
 Diese unsere Schwäche führte weder zu neuer Entschlossenheit und Zusammenfassung antifaschistischer Kräfte verschiedener Spektren noch zu einem Einmischen sozialdemokratischer, gewerkschaftlicher oder liberal-bürgerlicher Kräfte, sondern zu Frustration und Resignation. Verstand es sich einst von selbst, daß gegen einen Naziaufmarsch Tausende auf die Straße gingen, so wurde unsere autonome Mobilisierung schleppender und wenig erfolgreich. Den Nazis militant die Straße streitbar zu machen, gelang kaum noch.

6. Stufe. Wir kommen zur Gegenwart. Seit Mitte 1999 gelang es Nazis v.a. in Hamburg regelmäßig Aufmärsche durchzuführen. Sie wurden dabei von enormen Polizeiaufgeboten geschützt, die über ganze Stadtteile den Belagerungszustand herstellten. Die Nazis selbst blieben bislang gering an Zahl. Die Autonomen stellten dagegen in Hamburg immer weniger auf die Beine, mensch versucht andere Widerstandsformen zu entwickeln, anstatt ständig wieder vor unüberwindbaren Polizeiketten zu stehen. "Verkehrstechnische Interventionen", Konzentration auf Nazi-Büchertische weit weg vom Demogeschehen oder extra Treffpunkte abseits vom Gros der AntifaschistInnen führten bislang aber nicht weiter, trugen jedoch dazu bei, daß die planvoll handelnden Strukturen auf den antifaschistischen Gegendemonstrationen zusehends schwächer wurden. Es ist leider keine Besserung in Sicht. Auf der anderen Seite beteiligten sich erstmals seit sehr langem zahlreiche Menschen an Gegenaktionen, die nie (oder nicht mehr) dem autonomen Antifaspektrum zugehörten. Dadurch erst werden die Aktionen noch relativ gut besucht.
 Seit Mitte 2000 läuft nun eine medial abgestützte staatliche Antinazi-Kampagne, die kaum zum Ziel hat, den braunen Spuk zu beenden. Es geht neben politisch-strategischen Aspekten im Verhältnis von CDU zu SPD in erster Linie darum, den Nazis klarzumachen, daß es der Staat und nur der Staat ist, der entscheidet, welche AusländerInnen nützlich sind (und deswegen nach Deutschland kommen dürfen) und welche nicht (und deshalb abgeschoben oder an den Grenzen abgefangen werden). Diese Selektion können und sollen die Nazis nicht betreiben, und ihre wahllosen Angriffe auf alles "Nichtdeutsche" schadet ökonomischen Interessen (Gewinnung von Fachkräften und ausländischen Investoren, Prestigeverlust). Darum geht es auch nicht gegen Faschismus, sondern gegen Nazigewalt. Diese Staatskampagne führte immerhin dazu, wenn auch nicht in Hamburg, daß es große Mobilisierungen gegen Naziaufmärsche gab (Köln, Dortmund, Kassel...). Es kann dadurch möglich werden, empörte Menschen überhaupt mit revolutionären oder auch nur konsequenten antifaschistischen Inhalten zu erreichen. Zugleich ist die Gefahr einer Verwässerung von Antifaschismus akut, die darauf hinauslaufen könnte, daß sich Menschen gegen Nazis wenden, die das BRD-Grenzregime, den Rassismus, die deutsche Standortpolitik usw. gutheißen. Nötig wird daher eine präzise linke Argumentation — was seine Schwierigkeiten in dem autonomen Beinahe-Ausstieg aus der Hamburger Antifa-Politik hat.

Die autonome Antifabewegung der vergangenen 10, 11, 12 Jahre nahm ihren Ausgang von dem Versuch, an der "Basis" etwas zu bewegen, sich an Schulen und in Stadtteilen zu verankern. Eine zeitweise große Bereitschaft Jugendlicher, gegen Neonazis vorzugehen, führte zu einem enormen Aufschwung der Antifabewegung. Es gelang jedoch nicht, Kontinuität herzustellen. Wo sich eine neue Gruppe bildete, lösten sich zwei wieder auf. Vernetzungstreffen scheiterten so häufig, wie sich neue Ansätze der Zusammenarbeit bildeten. Eine wirklich gemeinsame Bewegung, die ihre Politik schwerpunktmäßig nach außen trägt und immer wieder bemüht ist, sie zu vermitteln, also offensiv Menschen zu gewinnen, war nach maximal zwei Jahren gescheitert, oder besser gesagt: aufgegeben worden. Mensch versuchte nun, die eigene, zweifellos vorhandene Stärke auf andere Weise in die Waagschale zu werfen: Die Kräfte wurden gebündelt in dem Versuch, Nazizentren nicht nur anzugreifen, sondern wegzubekommen, um damit ein wichtiges Glied faschistischer Infrastruktur zu zerschlagen, um die Nazis in die öffentliche Debatte zu zerren und den Druck auf den Staat, gegen sie vorzugehen, zu erhöhen (auch wenn mensch sich diesen Aspekt nie eingestand), und auch, um zahlreiche Menschen auf die Straße zu bekommen. Das ist teilweise durchaus gelungen, das Konzept trug, hatte aber den Nachteil, die Kräfte tendentiell von örtlichen Aktionen wegzuorientieren.
 Möglicherweise deshalb gelang es weniger als zuvor, neue MitstreiterInnen zu gewinnen. Die Bewegung verlor nach und nach an Kraft und mündete vor Ort, in der "Alltagspolitik", in Erschöpfung und damit einhergehend Demobilisierung. Damit aber büßte die Antifa-Bewegung an Attraktivität ein. Dennoch arbeiteten viele Gruppen über Jahre hinweg weiter, aber nicht mehr mit der Dynamik, die aus einer voranschreitenden politischen Bewegung erwächst, sondern weil es notwendig war und weil mensch auch nichts Besseres wußte. So wurde der Rest der autonomen Antifa von dem aktuellen Zyklus der Nazidemonstrationen regelrecht überrascht. Klassische autonome Gegenaktionen beißen sich an der Polizei die Zähne aus, neue tragfähige Konzepte sind nicht in Sicht, so daß die Autonomen an Kraft und Mobilisierungsfähigkeit gegen Naziaufmärsche in einem unglaublichen Ausmaß eingebüßt haben. Zum Glück, und ohne daß die autonome Antifa allzuviel dazu beigetragen hätte, sind derzeit andere politische Spektren wieder in der Lage, Menschen auf die Straße zu bringen, so daß unser Einbruch noch einigermaßen kaschiert wird.
 Aber stellen wir uns folgendes Szenario vor: Eines Tages, sagen wir beim 59. Aufmarsch von Worch & Co. in Hamburg, ist unsere Kraft erloschen, niemand hat mehr Bock vor den Polizeisperren zu stehen und gegen die Nazis zu protestieren. Wahrscheinlich waren wir bei den 10 Aufmärschen zuvor schon nur noch wenige hundert Leute. Nun gehen wir gar nicht mehr hin. Was passiert denn dann? Der Staat zieht seine Hundertschaften Polizei ab, den BürgerInnen wird signalisiert, daß die Nazis keine Gefahr darstellen. Die Nazis haben enormen Zulauf, weil es jetzt ungefährlich ist, zur Demo zu gehen. Es gäbe dann regelmäßig Faschoaufmärsche mit einer erheblichen Zahl Teilnehmender (verglichen mit jetzt). Sie jemals wieder von der Straße zu bekommen, ihnen den Einfluß, den öffentlichen Raum, diese Propagandamöglichkeit, wieder zu nehmen, würde dann unglaublich schwer. Also: Wir gehen weiter gegen die Naziaufmärsche vor, auch wenn es nervt oder uneffektiv zu sein scheint!

Wie kann es also weitergehen? Die Lage ist die, daß die Neofaschisten zur Zeit nicht erstarken, obwohl das gesellschaftliche Klima ihre Standpunkte eigentlich fördert (Rassismus, ausgrenzende Konkurrenz, Akzeptanz gesellschaftlicher Hierarchien), was aber (noch) nicht zu ihren Gunsten ausschlägt. Der Staat sucht einerseits (auf ideologischer Ebene) die Faschisten zurückzudrängen, die Gründe hierfür sind genannt worden, und andererseits ist er der Garant ihres Organisationsgeflechts und ihres öffentlichen Agierens. Die Antifa-Bewegung kommt gegen diese Mischung aus offensivem faschistischen Auftreten und massivem staatlichen Schutz dafür nicht an.
 Dagegen gilt es sechs Strategien zu verfolgen:
1) Der staatliche Schutz für Nazis ist nur durch eine gesellschaftliche Bewegung aufzuknacken, d.h. dem Staat müssen aus seinem Tun massive Nachteile erwachsen (drohender Entzug von Zustimmung durch seine BürgerInnen)
2) Die Antifa-Bewegung muß sich erweitern, muß stärker als zuletzt die Bevölkerung zu gewinnen suchen
3) die verschiedenen Strömungen müssen dringend intensiver kooperieren; Strömungen, die sich von anderen AntifaschistInnen ständig abgrenzen und abschotten, waren schon immer falsch, nun werden sie zu einer ernsthaften Behinderung des Antifaschismus
4) Autonome müssen sich wieder stärker in die allgemeine Bewegung, aber auch in die gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung einmischen; sich 'rauszuhalten ist falsch
5) Inhaltlich sind die Ursachen, die faschistischen Positionen gesellschaftliche Akzeptanz bringen, zu benennen, ist zu erläutern, wie das mit staatlichem Handeln und kapitalistischer Ökonomie verwoben ist. Insbesondere wäre eine Antifa-Bewegung, die sich nicht gegen Nationalismus, Rassismus und Militarismus wendet (z.B. in der Hoffnung, dadurch mehr MitstreiterInnen gewinnen zu können) zahn- und somit wirkungslos.
6) Es gilt also, einen antikapitalistisch orientierten Antifaschismus wieder zu stärken.

Anarchistische Gruppe/Rätekommunisten (AG/R)
 
 

 Antifachronologie Hamburg
 

 Zurück zur Hauptseite