Die Gründung der AG/R
Wehmütige Erinnerungen - Interview mit einem Gründungsmitglied*
Also, wir sitzen hier bei mir. Wir hören
natürlich TON STEINE SCHERBEN... Stimmt gar nicht, wir hören
DONOVAN, aber das können wir nicht zugeben. Wir überlegen uns
grade, was wir ihn fragen... er weiß auch nichts... Ehhm... Wie begann
es daaamaaals?
Ähhh... (lacht)
Nicht lachen, das Tonband läuft.
(nuschelt etwas)
In das Mikro sprechen, los!
(längeres Schweigen, Räuspern)
Du hast noch genau 25 Minuten zu antworten!
Können wir das ein anderes Mal machen?
Nein, das machen wir jetzt!
Es gab halt Leute, die mehr Politik machen
wollten, als auf Demos rumzurennen. Nicht, das war also der Ansatz. Ehm,
ein paar Leute, damit waren’s eigentlich erst zwei... (lacht)... und...
die sich schon jahrelang kannten, auf dieselbe Schule gingen, allerdings
einen etwas ähnlichen Freundeskreis hatten und versuchten Leute zu
mobilisieren, ferner wurde dann ein weiteres Mitglied aus Schleswig-Holstein
gewonnen, zwischen zwei ehm, ehm, äh Konfrontationsphasen in der Bahnhofshalle
in Krefeld (Anm. des Übersetzers: legendäre Schlacht mit der
Bullerei, von der die alten Recken mit feuchten Augen sprechen)... Dann
fand eine erste provisorische Sitzung auf der Moorweide statt...
Nebenbei muß gesagt werden: Wir
haben noch kein Bier getrunken.
Das ist falsch!
ICH habe noch kein Bier getrunken.
Das mag richtig sein... Damals wurde ausgegangen
von einer Art ”Demotruppe”. Da sozusagen die einzige politische Arbeit,
die man damals machte, auf Demos rennen war, sah man erst mal darin nur
einen Anknüpfungspunkt. Allerdings traf es sich dann, daß es
damals einen Autonomen-Kongreß gab. Und sofort von unseren damals
vier Leuten zwei Delegierte bestimmt wurden, nämlich die, die zu der
Zeit nicht in Urlaub waren. Als Delegierte der –äh- provisorischen
Versammlung einer noch zu gründenden Gruppe. Dieses Treffen wurde
dann auch relativ erfolgreich absolviert. Es wurden überregionale
Kontakte geknüpft, allerdings mehr persönlicher als politischer
Art. Es muß noch als politischer Erfolg gewertet werden, daß
das Bier da nur 1 DM kostete, was aber gegen Ende des Kongresses gewissen
Teilnehmern Schwierigkeiten machte.
Der Kongreß wurde verlängert?
Nein, der Kongreß wurde nicht verlängert,
das Geld ging dann aus.
Um noch mal auf die Gründung der
GJA zurückzukommen...
Auf dem Kongreß gelang ein Austausch
mit anderen radikal... äh, ehm, wie soll man sagen? ...Linksradikalen
gelang. Das spielte sich alles im Sommer... wie war das?
'83
'83 – richtig! – ab.
Genug geschwafelt! Was waren damals
eure politischen Vorstellungen? Was wolltet ihr werden? Eine Organisation,
eine Partei oder sonstwas? Mit wievielen Leuten habt ihr eigentlich gerechnet?
Also, die zu gründende Organisation
sollte schlicht und einfach so ziemlich DIE Massenorganisation und schlichtweg
DIE revolutionäre Organisation sein, die alle anarchistischen Strömungen
zusammenführt und ja... äh Gottchen... Man war sich eigentlich
darüber im klaren, wenn man innerhalb von fünf Jahren die 1000er
Grenze nicht überschreite, der Organisationsansatz eventuell gescheitert
ist. Von diesen Vorstellungen wurde allerdings dann später abgerückt...
ehm... ehm..., weil man zwangsläufig zu einer realistischeren Einschätzung
kommen mußte, alldieweil eine Nachbereitung dieses Autonomen-Treffens,
die auch gleichzeitig die Gründung sein sollte... sage und schreibe
die vier sich versammelten, die sich zuvor schon auf der Moorweide versammelten
und somit der Interessenten-Kreis nicht gerade erheblich erweitert wurde.
Wo es ja eigentlich schade ist, wenn
man bedenkt, daß die Moorweide ja die Chance geboten hätte,
eine Massenversammlung mit Tausenden von Anhängern zu machen.
Nein, also wir haben uns nur einmal auf
der Moorweide getroffen...
... das nächste mal im Volksparkstadion...
Nein! Die Stimmung war recht gedrückt.
Jedenfalls löste sich dann alles in Wohlgefallen auf. Es wurde zwar
einiges gelesen, was sich Anarchisten zur Organisation ausgedacht hatten,
man hatte auch ein paar Problematiken im Kopf, wie man nun diese zu erwartenden
500 oder 1000 (die Zahlen sind damals schon etwas kleiner gewesen) so strukturieren
könnte, daß das Prinzip der Dezentralität und des Föderalismus
gewahrt würde. Dieses Problem hat sich später auf recht
einfache Weise gelöst, dadurch, daß wir einfach so wenige waren,
daß wir überhaupt keine richtige organisatorische Struktur brauchten.
Jedenfalls diese zweite provisorische Sitzung löste sich in Wohlgefallen
auf, man ging dann zum kulturell unterhaltenden Teil über, der darin
bestand einerseits...
Das interessiert unsere Leser nicht!
Nicht?
Nein!
Jedenfalls war ein gewisser Woody Allen
doch sehr stark daran beteiligt... Nach dieser zweiten doch recht erfolglosen
Gründungssitzung wurde beschlossen vielleicht doch etwas breiter zu
mobilisieren... Wir gewannen dann einen Genossen, der in der Freien Arbeiter
Union / Rätekommunisten organisiert war...
Komm mal zur Gründungsversammlung.
Ja, ja... jedenfalls haben wir uns dann
am 27. August 1983 in einer Wohnung in Eppendorf...
Eimsbüttel!
Eppendorf!
Das ist Eimsbüttel!
Das ist Eppendorf!
Dann wohnst Du in Barmbek!
Nein, in Wandsbek!
Na, also, dann ist das auch Eimsbüttel.
Quatsch. Das ist Eppendorf!
Wandsbek!
Jedenfalls wars im Bezirk Eimsbüttel...
...in Hamburg...
Anwesend waren...
...angereist...
...angereist waren sechs Leute. Auf jeden
Fall gründeten wir uns, ein Kassenwart wurde festgesetzt, wegen seiner
Zuverlässigkeit. Dieser Genosse zeichnete sich sowieso durch ein merkwürdiges
Verhältnis zur Pünktlichkeit aus (Insider dürfen raten,
wer das wohl ist). Ein Protokollführer wurde festgelegt, das lief
auch... die ersten zwei Monate. Dann ließ er etwas nach. Aber er
hat schöne Gemälde auf den Protokollen vollbracht.
Was habt ihr eigentlich besprochen?
Eigentlich war ja geplant eine politische
Organisation mit Massencharakter usw. zu gründen. Den Genossen wurde
dann irgendwie klar, daß das der Realität etwas entbehrt. Auf
jeden fall kamen wir überein eine anarchistische Jugendgruppe zu bilden,
die es sich zum Ziel machen sollte größer zu werden, aber u.U.
auch mit den wenigen Leuten, die sie damals waren, Politik zu machen im
Bereich der Jugend, zu Demos gehen, Schulpolitik. Und wir wollten, was
für Anarchisten nicht unbedingt selbstverständlich ist, mit Kommunisten
zusammenarbeiten. Auf der 1. Sitzung wurde gleich beschlossen für
die 1. September-Friedensdemo ein Transparent zu machen, das glorreiche,
euch allen bekannte ”Kampf der NATO-Kriegspolitk”. Damit traten wir das
erstemal an die Öffentlichkeit. Von da an...
Wir wollen jetzt Donovan hören.
Aaarrrgh.
* Der
vorliegende Text wurde erstmals in der einzigen Ausgabe unserer Zeitschrift
Feuer & Flamme abgedruckt. Damals unter dem Titel ”Die Gründung
der GJA” (GJA war die Kurzform für die Gruppe Junger Anarchisten).
Kurze Zeit später nannte sich die Gruppe in GJA/R um (Gruppe Junger
Anarchisten / Rätekommunisten), und als das Lebensalter der Mitglieder
deutlich gestiegen war, schließlich in AG/R (Anarchistische Gruppe
/ Rätekommunisten).
Der Text wurde an einigen
Stellen grammatikalisch und stilistisch geändert.