Der folgende Text ist das etwas ergänzte
Referat einer Veranstaltung zum Thema "Krise in Jugoslawien". Das in der
Überschrift genannte Thema stellt nur einen Ausschnitt der Entwicklungen
und Zusammenhänge - im Jugoslawien-Konflikt dar. Er behandelt weder
die Klassen- und Herrschaftsstruktur Jugoslawiens noch die äußeren
Einwirkungen, insbesondere seitens des Imperialismus.
Grundlagen und Entwicklungen Jugoslawiens
Schon vordem 2. Weltkrieg waren die nordwestlichen
Gebiete Jugoslawiens (Slowenien, Kroatien, Nordserbien) relativ entwickelt,
der Südosten (größere Teile Serbiens einschließlich
des Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Mazedonien) dagegen agrarisch
und arm. Im Norden existierten einige wenige verarbeitende Betriebe, im
Süden wurde Rohstoffabbau auf Rechnung britischer und französischer
Kapitalisten betrieben. Der Krieg verschärfte diese Unterschiede zwischen
den Regionen, da der Hauptteil der Zerstörungen den Südosten
betraf.
Nach dem Krieg wird die Föderative
Sozialistische Republik Jugoslawien gegründet. Sie kann sich auf den
gemeinsamen PartisanInnenkampf von Menschen aus allen Republiken Jugoslawiens
stützen. Im PartisanInnenkampf war die Einsicht in die Notwendigkeit
des Zusammenschlusses der jugoslawischen Völker gewachsen, aus der
Erfahrung nur als Einheit sich gegenüber den Imperialisten zur Wehr
setzen zu können. Gleichzeitig überwand der gemeinsame Kampf
das Trennende zwischen den Nationalitäten und innerjugoslawische Nationalismen
konnten zurückgedrängt werden.
So entstand ein Staat, der sich bewußt
war, das die Einheit nur auf Grundlage der Gleichberechtigung aller Teilrepubliken
sowie der Autonomen Provinzen (Vojvodina und Kosovo) bestand haben kann.
Ökonomisch legte die FSRJ anfangs
ihr Hauptaugenmerk auf Schwerindustrialisierung und Kollektivierungen in
der Landwirtschaft. Letztere geschahen erst auf freiwilliger Basis und
hier v.a. auf dem Boden enteigneter oder geflohener Deutschstämmiger
(1), als dies aber nur geringen Erfolg zeitigte, wurde auch in Jugoslawien
Zwang angewandt. Bedeutsam für die jugoslawische Entwicklung war im
ersten Plan, der bis 1952 Gültigkeit besaß, der Versuch eine
gleichmäßige Entwicklung aller Landesteile zu erreichen. Grund
dieser politischen Prämisse der gleichmäßigen Entwicklung
vorrangig vor der ökonomischen Prämisse der Effizienz, war die
Erkenntnis, daß nur eine gleichmäßige und möglichst
allseitige ökonomische Entwicklung aller Republiken Abhängigkeiten
und ökonomische Gefälle mit allen daraus resultierenden Folgen
verhindern kann, daß nur ein gleicher Nutzen aller Republiken und
darin lebender Menschen dem neuen Staat seine Berechtigung geben kann und
seine Einheit aus freien Stücken zu erhalten in der Lage ist.
1948 wurde Jugoslawien aus der Kominform,
dem Wirtschaftszusammenschluß der sich sozialistisch nennenden Staaten,
ausgeschlossen. Die Sowjetunion betrieb eine Politik, die unter dem ideologischen
Deckmantel der "internationalen sozialistischen Arbeitsteilung", die neuen
"sozialistischen" Staaten, bzw. "Volksdemokratien" dazu brachte, Teilbereiche
ihre Wirtschaft zu entwickeln, sich zu "spezialisieren", während andere,
für eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung eines Staates
notwendige Wirtschaftszweige von anderen Staaten betrieben werden sollten,
so das letztlich alle diese Staaten untereinander aber besonders zum Zentrum
Sowjetunion (die sich verhältnismäßig allseitig entwickelt
hatte – sie stand ja lange genug weltweit allein und auf sich gestellt)
abhängig werden mußten. Dieser Politik widersetzte sich Jugoslawien.
Das Ergebnis des Ausschlusses von der "sozialistischen Bruderhilfe" war
katastrophal: sämtliche Wirtschaftshilfen wurden gestrichen und eine
Blockade verhängt. Bis dato betrug der Außenhandel Jugoslawiens
allein mit der Sowjetunion, der CSSR und Ungarn 48,3% des gesamten jugoslawischen
Außenhandels (2). Eine "Normalisierung" zu den Koninform-Staaten,
d.h. unter Staaten übliche wirtschaftliche Beziehungen, trat erst
nach Stalins Tod 1953 ein. Hinzu kamen erhebliche Probleme in der
Landwirtschaft. 1950 und 1952 gab es zwei Dürrejahre, die Landwirtschaft
lag darnieder, der Wiederaustritt aus den Kollektiven mußte gestattet
werden. Die Grundversorgung der Bevölkerung war nicht mehr gewährleistet.
Jugoslawien war gezwungen, Waren von den
Imperialisten zu importieren, v.a. Nahrungsmittel. Die Einfuhren machten
eine Devisenbeschaffüng erforderlich und zwar durch Export insbesondere
von Rohstoffen, zu einem kleineren Teil aber auch von agrarischen Produkten,
überwiegend aus dem Südosten Jugoslawiens.
Um eine Produktion für die internationalen
Märkte zu schaffen, um nicht immer von den Rohstoffen abhängig
zu bleiben, wurden die bereits vorhandenen eher exportorientierten Industrien
im Nordwesten ausgebaut. Die Mittel dazu wurden im Südosten, insbesondere
bei Montenegro und dem Kosovo eingespart. Rohstoffe wurden innerhalb Jugoslawiens
subventioniert, um die Exportindustrien zu fördern. Es wurde vom Prinzip
der gleichmäßigen ökonomischen Entwicklung aller Landesteile
abgewichen. Die Bedingungen des Weltmarktes, also ökonomischer Zwang,
brachten Jugoslawien zu einer Politik, die ökonomische Effizienz in
den Vordergrund stellte und das hieß in Jugoslawien möglichst
kostengünstig die Rohstoffe des Südostens dem Nordwesten zur
Verfügung zu stellen, die bereits existenten Industriegebiete weiter
zu entwickeln, während die höheren Kosten für eine Entwicklung
der ärmeren Landesteile nur noch als unnütze Geldverschwendung
begriffen wurden.
1954 gab es eine erste Dezentralisierung,
insbesondere die Investitionssteuerung wurde stärker in die Hände
der Republiken gelegt. Was sich eigentlich gut anhört – in Richtung
Föderalismus – wirkte sich hier in die entgegengesetzte Richtung aus,
nämlich in die, regionale Egoismen zu stärken. Denn wer Geld,
v.a. Devisen hatte, und das waren eher die nordwestlichen Gebiete, konnte
sich ökonomisch weiterentwickeln, während Gebiete, die ärmer
sind, weiter verarmen, da ihnen die Möglichkeit der Investitionen
nicht gegeben ist. Föderalismus setzt möglichst gleiche Bedingungen,
mindestens aber die Bereitschaft der Unterstützung der Schwächeren
durch die Stärkeren voraus. Wo diese Bereitschaft fehlt, führt
dies zu regionalen Egoismen und Nationalismen.
Entsprechend die Entwicklung in Jugoslawiens:
es gab kaum noch Investitionen in Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Mazedonien.
Eine längst vorhandene Arbeitsteilung wurde ideologisiert: der Südosten
liefert im Rahmen der "sozialistischen Arbeitsteilung" Energien und Rohstoffe
und z.T. arbeitsintensive, d.h. kapitalmangelnde Produktionen, der Nordwesten
hat die weiterverarbeitende und exportorientierte Industrie und wird darauf
zugeschnitten weiter entwickelt, während für den Südosten
kaum etwas getan wird. Im Südosten gab es nur noch den Aufbau einiger
"Alibi-Fabriken", deren Produktionsergebnisse nicht von belang waren. Spätestens
zu diesem Zeitpunkt ist der Grund- und Gründungskonsens der jugoslawischen
Republiken gebrochen.
1960 brach der erste große Streit
im Bund der Kommunisten Jugoslawiens los. Der Aufbau des Südostens
wäre eine "unproduktive Vergeudung der Gelder". Es wurden mehr Betriebsautonomie
und marktwirtschaftliche Elemente beschlossen, beides Maßnahmen die
innerhalb Jugoslawiens die entwickelten Gebiete zu Lasten der unterentwickelten
förderte. 1965 wurde weiter dezentralisiert, den Republiken wurden
vermehrt Planungskompetenzen an die Hand gegeben. Die Dezentralisierungen
wurden zunehmend zu einem Hebel insbesondere Sloweniens und Kroatiens ihre
industrielle Überlegenheit über die anderen Republiken zur Vorteilsnahme
auf deren Kosten auszunutzen. Das ökonomische Gefälle zwischen
den Republiken verschärfte sich weiter.
Preise für konsumnahe Produkte werden
freigegeben und steigen dadurch, während die Preise für die Rohstoffe
festgeschrieben werden, also auf einem niedrigen Stand bleiben. Dies verschob
die Austauschverhältnisse innerhalb Jugoslawiens weiter zuungunsten
des Südostens. Erschwert wurde diese Entwicklung durch die Bildung
"regionaler Absatzgesellschaften", die den Zugang agrarischer Produkte
auf die Märkte der einzelnen Republiken für Produzenten aus anderen
Republiken erschwerten. Dies traf v.a. Serbien als den größten
Nahrungsmittelproduzenten, die jugoslawische Agrarrepublik (3) mit ihrer
"Kornkammer" Vojvodina (4).
Aber die südöstlichen Republiken
können auch Zugeständnisse erzwingen Ein "Bundesfonds zur Kreditierung
einer schnelleren wirtschaftlichen Entwicklung der wirtschaftlich unterentwickelten
Republiken und Autonomen Provinzen" (im Folgenden nur noch "Ausgleichsfonds"
genannt) wird gegründet. In diesen Ausgleichsfonds sollen die reicheren
Republiken zugunsten der ärmeren einzahlen. Obwohl dieser Fonds weder
die Reicheren arm machte, noch die Ärmeren nennenswert wohlhabender,
und also auch sein Ziel einer Entwicklung des Südostens, von Ausgleich
regionaler Unterschiede ganz zu schweigen, nicht erfüllen konnte,
war er in der Folgezeit ein Hauptangriffsziel bei den Bemühungen Kroatiens
und Sloweniens die anderen Republiken zu billigen Rohstofflieferanten zu
degradieren.
Der anhaltende Devisenmangel brachte die
jugoslawische Führung dazu, Arbeitsemigration zuzulassen. Anfangs
wanderten v.a. FacharbeiterInnen aus dem Nordwesten ab. Sie wurden ersetzt
durch Menschen aus den südlichen Republiken. Sie wurden von den Betrieben
und der Bevölkerung wie "GastarbeiterInnen" behandelt. Es manifestiert
sich darin ein beginnender innerjugoslawischer Rassismus, der für
die späteren Entwicklungen bedeutend wird.
Anfang der 70er Jahre ist Jugoslawien
bereits ein verhältnismäßig industrialisiertes Land, was
bedeutet, daß die Industrieförderungspolitik, wie sie betrieben
wurde, zwar das Gefalle im Inneren verschärfte und damit den Grundstock
bildete für die Auseinandersetzungen, die wir heute erleben und die
den Zusammenbruch Jugoslawiens zeitigen, aber rein ökonomisch betrachtet,
nach Effizienzkriterien – und dies waren die Kriterien der jugoslawischen
Führung – äußerst erfolgreich war. Insbesondere die Leichtindustrie,
aber auch etliche andere Produkte sind "weltmarktfähig", der Industrieanteil
am Gesamtexport Jugoslawiens beträgt 85 %.
Jugoslawien beginnt nun international
Kredite größeren Ausmaßes aufzunehmen, um damit den weiteren
Industrieaufbau voranzutreiben. Besonders exportorientierte Betriebe im
Nordwesten werden gefördert. Im Nachhinein kann gesagt werden, daß
diese Pläne vollständig scheiterten. Jugoslawien machte eine
sehr ähnliche Entwicklung mit wie sehr viele Dritte Welt- aber auch
RGW-Länder. Diese Entwicklung wird allgemein als "Schuldenfalle" bezeichnet.
Die Kreditaufnahmen erforderten verstärkten
Export zwecks Rückzahlung. Dies gelang Jugoslawien nicht, es gelang
weltweit nicht. Weder waren diese Staaten in der Lage, mit den Krediten
eine gegen die Imperialisten konkurrenzfähige Industrie aufzubauen,
noch ließen die Imperialisten solche Konkurrenz zu: Wo die eigenen
Märkte "bedroht" waren, wurden sie protektionistisch abgeschlossen.
Hinzu kamen krisenhafte Entwicklungen weltweit, die den Produktabsatz stagnieren
ließen.
Zum Schluß stand Jugoslawien – und
nicht nur Jugoslawien – mit einem Riesenschuldenberg da. Schon 1979 schrieb
die jugoslawische amtliche Nachrichtenagentur Tanjug, daß das "Defizit
der Handels- und Zahlungsbilanz ... zum Schlüsselproblem des Landes
geworden ist". Grund dafür wären "steigende Importe von Reproduktionsmitteln,
Ausrüstungen und Auslandskapital" was zu "immer größerer
Verschuldung und zur Abhängigkeit vom Ausland im Produktionsbereich"
geführt hätte (5).
Mitte der 70er Jahre versuchen Kroation
und Slowenien die Zahlungen für den Ausgleichsfonds einzustellen sowie
die Kontrolle über die Deviseneinnahmen zu erlangen. Zur Erreichung
dieser Ziele arbeiteten sie mit einem Aufputschen nationalistischer Emotionen.
Zu diesem Zeitpunkt scheitern sie allerdings noch.
Die Löhne werden jetzt nicht mehr
zentral und jugoslawieneinheitlich festgelegt, sondern in den Republiken
und z.T. in den Betrieben. Es kommt zu einem erheblichen Gefälle bei
den Löhnen, da die "erfolgreichen" Betriebe des Nordwestens zu höheren
Lohnzahlungen in der Lage sind als dies im Südosten der Fall ist.
Die Politik Jugoslawiens hat damit ganz unterschiedliche Lebensbedingungen
in den Republiken verfestigt, zum guten Teil aber auch neu geschaffen.
Diese Unterschiede sind ein Grund für das Zerbersten Jugoslawiens.
Krise und Auseinanderfallen Jugoslawiens
In den 80er Jahren wachsen die Anzeichen
einer großen Wirtschaftskrise, insbesondere wegen der enormen Auslandsverschuldung.
Jugoslawien ist das höchstverschuldetste Land Europas, gemessen am
Bruttosozialprodukt. 1983/84 finden erste Umschuldungsverhandlungen mit
dem Internationalen Währungsfonds statt. Dieser bürdet Jugoslawien
die gängige "Kur" auf: Lohnsenkungen, Preisfreigaben (d.h. Preiserhöhungen
insbesondere bei Gütern des täglichen Bedarfs), Entlassungen
(genannt ökonomische Gesundung der Betriebe). Von 1981 bis 1985 sinken
die Durchschnittslöhne um 40 % (6).
Kroatien und Slowenien starten Versuche
über die Ausgabenpolitik noch weitergehender als bislang bestimmen
zu können. Je weniger die Ausgaben zentral geplant werden, desto weniger
bleibt für die südöstlichen Republiken. Die Streitereien
um diese Frage nehmen an Heftigkeit zu.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Verfügungsgewalt
über Devisen bereits so weit regionalisiert, daß die Hauptdeviseneinnahmequellen
des Bundes der Tourismus und die Überweisungen der ArbeitsemigrantInnen
sind, die in Devisen auf die Banken kommen, jedoch in Dinar ausgezahlt
werden. Die Schulden Jugoslawiens werden anteilig auf die Republiken verrechnet,
so daß alle Republiken Schulden zu zahlen haben, von deren Aufnahme
zum überwiegenden Teil nur die nordöstlichen Republiken profitierten.
Die ärmeren Republiken sind überhaupt nicht in der Lage ihren
Schuldenanteil zu zahlen. 1988 beträgt die Gesamtschuldenlast Jugoslawiens
21 Mrd. $ (7).
Auf die massive Wirtschaftskrise reagieren
die Republiken unterschiedlich. Kroatien und Slowenien betreiben die Abtrennung
von Jugoslawien und eine Hinwendung zur EG, Serbien setzt auf serbische
Dominanz innerhalb Jugoslawiens oder gar auf den Aufbau eines großserbischen
Reiches. Der längst gebrochene Gründungskonsens Jugoslawiens
wird offen aufgegeben. Jede Republik sucht ihren Vorteil gegen andere Republiken
durchzusetzen. Die Auflösung Jugoslawiens ist die zwangsläufige
Folge einer solchen Politik.
Eine Vorreiterrolle kommt dabei größeren
Kreisen der Intellektuellen zu. Mitte der 80er Jahre fordern Vertreter
der serbischen Akademie die Vereinigung aller Serbinnen in einem Staat.
Damit wird die territoriale Integrität aller Republiken mit Ausnahme
Sioweniens direkt infrage gestellt, genauso wie die Rechte der Minderheiten
innerhalb Serbiens (8).
1988 fordert der damalige Präsident
Mikulic stärkere Zentralgewalt' der heutige Ministerpräsident
Milosevic die Aufhebung der Autonomie für die Vojvodina und den Kosovo
(9). 1990 wird diese Autonomie per serbischem Gesetzt auf ein Minimum reduziert
(10). Serbien droht in Konflikten zwischen den Republiken "seine" jeweiligen
Minderheiten in anderen Republiken als Kampfpotential zur Unterminierung
dieser Republiken einzusetzen (11).
im Nordwesten ist Slowenien der Vorreiter
in Sachen Abtrennung von Jugoslawien, Kroatien zieht nach und unterstützt
diese Politik öffentlich sowie in den Staats- und Parteigremien. Spätestens
1987 beginnen slowenische Intellektuelle den ideologischen Angriff. Sie
sprechen davon, daß "Slowenien immer größer werdende Lasten
zugunsten der unterentwickelten Teile des Landes" tragen müsse. "Diejenigen
Slowenen, die ... in Jugoslawien keine Perspektive mehr sehen, sprechen
von ... 'Europa', von der EG" (12).
Anfang 1990 stellen Slowenien und Kroatien
ihre Zahlungen für den Ausgleichsfonds ein (13) und beginnen öffentlich
mit dem Gedanken eines Aufnahmeantrages in die EG zu spielen (14). Damit
ist der Bruch faktisch vollzogen, es werden die Ereignisse eingeleitet,
die seit zwei Jahren die Medien durchziehen.
Seit Ende der 80er Jahre kommt es allerorten
zu nationalistischen Demonstrationen, Emotionen werden aufgeputscht. Es
ist nicht mehr möglich, neue Grundlagen für ein gemeinsames Jugoslawien
zu entwickeln. Die kompromißbereiten Töne werden überall
beiseite gedrängt.
Jugoslawien ist in erster Linie zerbrochen,
weil es nicht gelang, alle Landesteile gleichmäßig zu entwickeln.
Die relative industrielle Stärke des Nordwestens ist auf gemeinsame
Anstrengungen aller Republiken zurückzuführen. Wenn 1991 der
slowenische Finanzminister Sesok erklärte, die slowenische "Wirtschaft
werde durch den Bund heruntergezogen" (5), dann drückte er damit genau
die Haltung aus, die Kroatien und Slowenien dazu brachte, den Staatenbund
zu verlassen - unter Mißachtung aller Verpflichtungen, die ihnen
erwuchsen, weil die anderen Republiken zu Gunsten ihres Aufbaus auf stärkere
Eigenentwicklung verzichteten.
Slowenien, mit 9 % der EinwohnerInnen
Jugoslawiens, trägt 22 % des Sozialprodukts, 35 % des Exports (16)
und 25 % des Haushalts Jugoslawiens (17). Vergessen wird dabei leicht,
daß Slowenien dieses Potential nur hat, weil gemeinsame jugoslawische
Anstrengungen "ihre" Industrie aufbauten. Es bildet sich eine Ideologie.
wonach die SlowenInnen besser arbeiten und innovativer wirtschaften könnten
und schon immer andere mit durchfüttern mußten. Es wird verschwiegen,
daß sie auch ihren Nutzen zogen: das durchschnittliche Einkommen
der SlowenInnen ist das Höchste in Jugoslawien, mehr als doppelt so
hoch wie im Kosovo.
In dieser Situation versprachen sich Slowenien
und Kroatien eine wirtschaftliche Stärkung durch Anschluß an
die EG (das dies ein fataler Irrtum ist, ist hier nicht Thema). Hinzu kam
die großserbische Karte, die die Führung in Belgrad spielte.
Auch sie trug dazu bei, daß es nicht gelang, ja nicht einmal ernsthaft
versucht wurde, einen neuen Grundkonsens des Zusammenlebens der jugoslwischen
Völker zu finden. Das zerbrechen Jugoslawiens ist dann nur noch die
logische Konsequenz.
Quellen: Der Teil "Grundlagen und Entwicklungen
Jugoslawiens" folgt wo nicht anders angegeben in der Darstellung der Broschüre
des Osteuropaarchivs Berlin: Jugoslawien: Klassenkampf-Krise-Krieg. (1)
NZZ Folio 9/92 (2) Zahlen für 1947, SAG: Der Zerfall Jugoslawiens
und der Krieg auf dem Balkan (3) Zeit 26.7.91 (4) Zeit 5.6.92 (5) Kommunismus
udn Klassenkampf 11/80 (6) Osteuropaarchiv (7) ebenda (8) NZZ Folio 9/92
(9) Osteuropaarchiv (10) NZZ 12.9.92 (11) Zeit 2.11.90 (12) FAZ 7.4.87
(13) Zeit 26.7.91 (14) Zeit 2.11.90 (15) Meurer, Vollmer, Hochberger: Die
Intervention der BRD in den jugoslawischen Bürgerkrieg (16) ebenda
(17) Zeit 26.7.91 (18) NZZ 13.8.92 (19) Daten von vor dem Kriegsbeginn,
NZZ Folio 9/92 (20) Knaurs Lexikon A-Z (21) Osteuropaarchiv, Vollmer et
al., Lokalberichte Hamburg 17/92, Zeit 26.7.91, 5.6.92 (22) Osteuropaarchiv,
NZZ Folio 9/92, SAG: Der Zerfall Jugoslawiens und der Krieg auf dem Balkan,
FAZ 26.2.87, 2.3.87, 7.4.87.